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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
SECTIO I.
Großgebauers Wächterstimm. Ob der beichtstul
gantz zu verwerffen und unnütze? Ob jeder das momentum
seiner bekehrung wissen müste? Ob ohne beicht zu communiciren?
Die sprüche Joh. 20. und Matth. 18. Jn den schulen die lehr
der gottseligkeit zu treiben.

BErhalte hiemit nicht/ daß ich vor dem bereits 1662. noch als ein studio-
sus
des S. Hrn. Großgebauers Wächterstimm nicht ohne viele be-
wegung und nutzen gelesen/ deswegen auch offtmals bißdaher christli-
chen guten freunden zu recommendiren nicht bedenckens gehabt habe. Jedoch
bin auch nicht in abrede/ wie ich des lieben mannes christlichen eiffer und redliche
intention hertzlich liebe/ auch die estim, die ich von ihm mache/ in der vorrede
zu seinen predigten über die Epistel an die Epheser/ gnugsam bezeuget habe/ da-
bey auch noch bleibe: daß gleichwol zuweilen eins und anders vorsichtiger von
ihm gesetzt worden zu seyn verlanget hätte: wie wir ohne das von einem mensch-
lichen scribenten niemal nichts anders zu erwarten haben/ als daß zuweilen unter
vielem guten auch etwa einiges versehen sich finden möge: weswegen wir aber
liebe leute/ denen GOtt gaben gegeben/ und welche dieselbe treulich anzuwen-
den beflissen gewesen/ nicht zu verachten haben/ iedoch gleichwol auch nicht bloß
an ihren worten ungeprüfet hangen dörffen. Nun zu dem beichtwesen selbs zu
kommen/ ists freylich auch meine öfftere klage/ daß dasselbe/ wie das meiste al-
les/ in ziemlichem verderben stehe/ daher etwa wol die worte von mir gehöret
worden/ so einige fast ungleich auffgenommen haben/ daß wir an vielen or-
ten von dem beichtwesen nicht viel mehr als den mißbrauch nur hätten/

indeme bey dem grossen hauffen aus dem/ wie sie das werck ansehen/ nur ihre
sicherheit geheget/ wenig aber gebessert werden/ zu wider der absicht unsrer lie-
ben vorfahren/ aus dero sie in unsren kirchen die privat-absolution behalten ha-
ben. Jch bekenne auch/ daß unsre privat-absolution in und mit den ietzigen
umständen/ daß sie von allen/ die zu der H. communion gehen wollen/ ob sie
sich auch keiner absonderlichen sünden/ gegen welche sie sonderbahren trosts be-
dörfften/ bewust wären/ erfordert wird/ und als zu einer nothwendigkeit worden
ist/ nicht göttliche einsetzung seye: wie sie dann auch langsam nach und nach in die
kirche eingeführet/ und in diesen stand gekommen ist: daher wir sie vor eine kir-
chen-ceremonie und anordnung halten/ an welche wir wie an andere gleicher
art gebunden seynd. Jndessen bleibt gleichwol die privat-absolution an sich
selbs eine göttliche einsetzung/ ausser dergleichen dazu gesetzten umständen be-
trachtet: und ist ihre nothwendigkeit am größten bey denjenigen/ welche sich in

ihrem
Das andere Capitel.
SECTIO I.
Großgebauers Waͤchterſtimm. Ob der beichtſtul
gantz zu verwerffen und unnuͤtze? Ob jeder das momentum
ſeiner bekehrung wiſſen muͤſte? Ob ohne beicht zu communiciren?
Die ſpruͤche Joh. 20. und Matth. 18. Jn den ſchulen die lehr
der gottſeligkeit zu treiben.

BErhalte hiemit nicht/ daß ich vor dem bereits 1662. noch als ein ſtudio-
ſus
des S. Hrn. Großgebauers Waͤchterſtimm nicht ohne viele be-
wegung und nutzen geleſen/ deswegen auch offtmals bißdaher chriſtli-
chen guten freunden zu recommendiren nicht bedenckens gehabt habe. Jedoch
bin auch nicht in abrede/ wie ich des lieben mannes chriſtlichen eiffer und redliche
intention hertzlich liebe/ auch die eſtim, die ich von ihm mache/ in der vorrede
zu ſeinen predigten uͤber die Epiſtel an die Epheſer/ gnugſam bezeuget habe/ da-
bey auch noch bleibe: daß gleichwol zuweilen eins und anders vorſichtiger von
ihm geſetzt worden zu ſeyn verlanget haͤtte: wie wir ohne das von einem menſch-
lichen ſcribenten niemal nichts anders zu erwarten haben/ als daß zuweilen unter
vielem guten auch etwa einiges verſehen ſich finden moͤge: weswegen wir aber
liebe leute/ denen GOtt gaben gegeben/ und welche dieſelbe treulich anzuwen-
den befliſſen geweſen/ nicht zu verachten haben/ iedoch gleichwol auch nicht bloß
an ihren worten ungepruͤfet hangen doͤrffen. Nun zu dem beichtweſen ſelbs zu
kommen/ iſts freylich auch meine oͤfftere klage/ daß daſſelbe/ wie das meiſte al-
les/ in ziemlichem verderben ſtehe/ daher etwa wol die worte von mir gehoͤret
worden/ ſo einige faſt ungleich auffgenommen haben/ daß wir an vielen or-
ten von dem beichtweſen nicht viel mehr als den mißbrauch nur haͤtten/

indeme bey dem groſſen hauffen aus dem/ wie ſie das werck anſehen/ nur ihre
ſicherheit geheget/ wenig aber gebeſſert werden/ zu wider der abſicht unſrer lie-
ben vorfahren/ aus dero ſie in unſren kirchen die privat-abſolution behalten ha-
ben. Jch bekenne auch/ daß unſre privat-abſolution in und mit den ietzigen
umſtaͤnden/ daß ſie von allen/ die zu der H. communion gehen wollen/ ob ſie
ſich auch keiner abſonderlichen ſuͤnden/ gegen welche ſie ſonderbahren troſts be-
doͤrfften/ bewuſt waͤren/ erfordert wird/ und als zu einer nothwendigkeit worden
iſt/ nicht goͤttliche einſetzung ſeye: wie ſie dann auch langſam nach und nach in die
kirche eingefuͤhret/ und in dieſen ſtand gekommen iſt: daher wir ſie vor eine kir-
chen-ceremonie und anordnung halten/ an welche wir wie an andere gleicher
art gebunden ſeynd. Jndeſſen bleibt gleichwol die privat-abſolution an ſich
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trachtet: und iſt ihre nothwendigkeit am groͤßten bey denjenigen/ welche ſich in

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[194/0994] Das andere Capitel. SECTIO I. Großgebauers Waͤchterſtimm. Ob der beichtſtul gantz zu verwerffen und unnuͤtze? Ob jeder das momentum ſeiner bekehrung wiſſen muͤſte? Ob ohne beicht zu communiciren? Die ſpruͤche Joh. 20. und Matth. 18. Jn den ſchulen die lehr der gottſeligkeit zu treiben. BErhalte hiemit nicht/ daß ich vor dem bereits 1662. noch als ein ſtudio- ſus des S. Hrn. Großgebauers Waͤchterſtimm nicht ohne viele be- wegung und nutzen geleſen/ deswegen auch offtmals bißdaher chriſtli- chen guten freunden zu recommendiren nicht bedenckens gehabt habe. Jedoch bin auch nicht in abrede/ wie ich des lieben mannes chriſtlichen eiffer und redliche intention hertzlich liebe/ auch die eſtim, die ich von ihm mache/ in der vorrede zu ſeinen predigten uͤber die Epiſtel an die Epheſer/ gnugſam bezeuget habe/ da- bey auch noch bleibe: daß gleichwol zuweilen eins und anders vorſichtiger von ihm geſetzt worden zu ſeyn verlanget haͤtte: wie wir ohne das von einem menſch- lichen ſcribenten niemal nichts anders zu erwarten haben/ als daß zuweilen unter vielem guten auch etwa einiges verſehen ſich finden moͤge: weswegen wir aber liebe leute/ denen GOtt gaben gegeben/ und welche dieſelbe treulich anzuwen- den befliſſen geweſen/ nicht zu verachten haben/ iedoch gleichwol auch nicht bloß an ihren worten ungepruͤfet hangen doͤrffen. Nun zu dem beichtweſen ſelbs zu kommen/ iſts freylich auch meine oͤfftere klage/ daß daſſelbe/ wie das meiſte al- les/ in ziemlichem verderben ſtehe/ daher etwa wol die worte von mir gehoͤret worden/ ſo einige faſt ungleich auffgenommen haben/ daß wir an vielen or- ten von dem beichtweſen nicht viel mehr als den mißbrauch nur haͤtten/ indeme bey dem groſſen hauffen aus dem/ wie ſie das werck anſehen/ nur ihre ſicherheit geheget/ wenig aber gebeſſert werden/ zu wider der abſicht unſrer lie- ben vorfahren/ aus dero ſie in unſren kirchen die privat-abſolution behalten ha- ben. Jch bekenne auch/ daß unſre privat-abſolution in und mit den ietzigen umſtaͤnden/ daß ſie von allen/ die zu der H. communion gehen wollen/ ob ſie ſich auch keiner abſonderlichen ſuͤnden/ gegen welche ſie ſonderbahren troſts be- doͤrfften/ bewuſt waͤren/ erfordert wird/ und als zu einer nothwendigkeit worden iſt/ nicht goͤttliche einſetzung ſeye: wie ſie dann auch langſam nach und nach in die kirche eingefuͤhret/ und in dieſen ſtand gekommen iſt: daher wir ſie vor eine kir- chen-ceremonie und anordnung halten/ an welche wir wie an andere gleicher art gebunden ſeynd. Jndeſſen bleibt gleichwol die privat-abſolution an ſich ſelbs eine goͤttliche einſetzung/ auſſer dergleichen dazu geſetzten umſtaͤnden be- trachtet: und iſt ihre nothwendigkeit am groͤßten bey denjenigen/ welche ſich in ihrem

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/994>, abgerufen am 28.03.2024.