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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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ARTIC. IV. SECTIO V.
geniessen. Nun der HErr/ der uns alle dazu erlöset/ verleihe uns die gnade/
daß wir auch sothaner erlösung in solcher krafft mögen theilhafftig werden.
Dazu ich aber kein besser mittel weiß nechst dem lieben gebet/ als die ohnab-
läßige betrachtung der geistlichen wolthaten GOttes/ die wir in Christo ha-
ben; damit solche/ da sie stets in dem sinn und gedancken schweben/ durch des
H. Geistes krafft desto tieffer in das hertz getruckt mögen werden: Ohne wel-
ches sonsten alle resolution sich in die beschwehrliche zeiten und allerhand
verlust willig zu geben entweder eine lügenhaffte großsprecherey/ da es dem
hertzen inwendig viel anders zumuth; oder eine tumme verzweifflung ist/ oder
doch/ wo es zum treffen kommt/ bald dahin fället/ und die kleinmuth sich nur
desto stärcker weiset. Aber weiß ich wahrhafftig/ was/ wie reich und wie selig
ich in Christo bin/ und glaube solches in meiner seelen/ nicht nur/ daß ich wort
davon mache/ so ists leicht begreifflich/ daß mich das andere wenig afficire/ ja
so wenig als etwa einen reichen mann/ der viele millionen hätte/ der verlust
etlicher pfennige/ den er nicht achtet. Ach daß wir in dieser schul solche lection
wol lernen/ so wirds uns in ewigkeit nicht gereuen/ auch fein täglich uns drü-
ber examiniren/ wie wir ein und anderes gefaßt/ wie weit wir gekommen/ und
was uns noch mangle/ damit wir recht zuzunehmen trachten. Es ist auch die
kunst/ welche in gewisser maaß durch die erfahrung selbs endlichen von einigen
gelernet werden muß/ und auch bey denselben ein nutzen der folgenden trüb-
saalen seyn wird/ wie es aber alsdann so viel schwehrer eingehet/ und das ler-
nen saurer wird/ so haben wirs lieber vorher zu fassen/ da uns GOTT dazu
frist gibet. 1681.

SECTIO V.
Verlangen nach dem himmlischen Vaterland.

DAß das verlangen nach dem himmlischen vaterland bey demselben
groß und grösser seye/ als das verlangen nach dem irrdischen/ höre hertz-
lich gern. Der HErr lasse solches verlangen durch die gnade seines
heiligen Geistes darzu kräfftig seyn/ so vielmehr allem demjenigen/ was
dieses irrdischen ist/ abzusterben/ und hingegen sich also in dem gantzen leben
anzuschicken/ wie es so wol die pflicht als die art derjenigen ist/ denen solches
himmlische vaterland stets vor augen und in dem hertzen schwebet. Wie es
nicht wol anders seyn kan/ als daß solche uns in dem gantzen leben redlich vor-
stellende regel ein nachtrücklicher antrieb seye/ willig hie in dieser walfahrt
alles dasjenige zu verleugnen und abzulegen/ was uns nur einigerley mas-
sen an der eiffrigen nachstrebung solches kleinods/ welches uns vorhält die
himmlische beruffung/ hindern möchte/ hingegen aber in einem heiligen wan-
del unsers GOttes nahmen zu preisen. Dann ob wirs wol in diesem leben

da-
F f f 3

ARTIC. IV. SECTIO V.
genieſſen. Nun der HErr/ der uns alle dazu erloͤſet/ verleihe uns die gnade/
daß wir auch ſothaner erloͤſung in ſolcher krafft moͤgen theilhafftig werden.
Dazu ich aber kein beſſer mittel weiß nechſt dem lieben gebet/ als die ohnab-
laͤßige betrachtung der geiſtlichen wolthaten GOttes/ die wir in Chriſto ha-
ben; damit ſolche/ da ſie ſtets in dem ſinn und gedancken ſchweben/ durch des
H. Geiſtes krafft deſto tieffer in das hertz getruckt moͤgen werden: Ohne wel-
ches ſonſten alle reſolution ſich in die beſchwehrliche zeiten und allerhand
verluſt willig zu geben entweder eine luͤgenhaffte großſprecherey/ da es dem
hertzen inwendig viel anders zumuth; oder eine tumme verzweifflung iſt/ oder
doch/ wo es zum treffen kommt/ bald dahin faͤllet/ und die kleinmuth ſich nur
deſto ſtaͤrcker weiſet. Aber weiß ich wahrhafftig/ was/ wie reich und wie ſelig
ich in Chriſto bin/ und glaube ſolches in meiner ſeelen/ nicht nur/ daß ich wort
davon mache/ ſo iſts leicht begreifflich/ daß mich das andere wenig afficire/ ja
ſo wenig als etwa einen reichen mann/ der viele millionen haͤtte/ der verluſt
etlicher pfennige/ den er nicht achtet. Ach daß wir in dieſer ſchul ſolche lection
wol lernen/ ſo wirds uns in ewigkeit nicht gereuen/ auch fein taͤglich uns druͤ-
ber examiniren/ wie wir ein und anderes gefaßt/ wie weit wir gekommen/ und
was uns noch mangle/ damit wir recht zuzunehmen trachten. Es iſt auch die
kunſt/ welche in gewiſſer maaß durch die erfahrung ſelbs endlichen von einigen
gelernet werden muß/ und auch bey denſelben ein nutzen der folgenden truͤb-
ſaalen ſeyn wird/ wie es aber alsdann ſo viel ſchwehrer eingehet/ und das ler-
nen ſaurer wird/ ſo haben wirs lieber vorher zu faſſen/ da uns GOTT dazu
friſt gibet. 1681.

SECTIO V.
Verlangen nach dem himmliſchen Vaterland.

DAß das verlangen nach dem himmliſchen vaterland bey demſelben
groß und groͤſſer ſeye/ als das verlangen nach dem irꝛdiſchen/ hoͤre hertz-
lich gern. Der HErr laſſe ſolches verlangen durch die gnade ſeines
heiligen Geiſtes darzu kraͤfftig ſeyn/ ſo vielmehr allem demjenigen/ was
dieſes irrdiſchen iſt/ abzuſterben/ und hingegen ſich alſo in dem gantzen leben
anzuſchicken/ wie es ſo wol die pflicht als die art derjenigen iſt/ denen ſolches
himmliſche vaterland ſtets vor augen und in dem hertzen ſchwebet. Wie es
nicht wol anders ſeyn kan/ als daß ſolche uns in dem gantzen lebẽ redlich vor-
ſtellende regel ein nachtruͤcklicher antrieb ſeye/ willig hie in dieſer walfahrt
alles dasjenige zu verleugnen und abzulegen/ was uns nur einigerley maſ-
ſen an der eiffrigen nachſtrebung ſolches kleinods/ welches uns vorhaͤlt die
himmliſche beruffung/ hindern moͤchte/ hingegen aber in einem heiligen wan-
del unſers GOttes nahmen zu preiſen. Dann ob wirs wol in dieſem leben

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[413/0421] ARTIC. IV. SECTIO V. genieſſen. Nun der HErr/ der uns alle dazu erloͤſet/ verleihe uns die gnade/ daß wir auch ſothaner erloͤſung in ſolcher krafft moͤgen theilhafftig werden. Dazu ich aber kein beſſer mittel weiß nechſt dem lieben gebet/ als die ohnab- laͤßige betrachtung der geiſtlichen wolthaten GOttes/ die wir in Chriſto ha- ben; damit ſolche/ da ſie ſtets in dem ſinn und gedancken ſchweben/ durch des H. Geiſtes krafft deſto tieffer in das hertz getruckt moͤgen werden: Ohne wel- ches ſonſten alle reſolution ſich in die beſchwehrliche zeiten und allerhand verluſt willig zu geben entweder eine luͤgenhaffte großſprecherey/ da es dem hertzen inwendig viel anders zumuth; oder eine tumme verzweifflung iſt/ oder doch/ wo es zum treffen kommt/ bald dahin faͤllet/ und die kleinmuth ſich nur deſto ſtaͤrcker weiſet. Aber weiß ich wahrhafftig/ was/ wie reich und wie ſelig ich in Chriſto bin/ und glaube ſolches in meiner ſeelen/ nicht nur/ daß ich wort davon mache/ ſo iſts leicht begreifflich/ daß mich das andere wenig afficire/ ja ſo wenig als etwa einen reichen mann/ der viele millionen haͤtte/ der verluſt etlicher pfennige/ den er nicht achtet. Ach daß wir in dieſer ſchul ſolche lection wol lernen/ ſo wirds uns in ewigkeit nicht gereuen/ auch fein taͤglich uns druͤ- ber examiniren/ wie wir ein und anderes gefaßt/ wie weit wir gekommen/ und was uns noch mangle/ damit wir recht zuzunehmen trachten. Es iſt auch die kunſt/ welche in gewiſſer maaß durch die erfahrung ſelbs endlichen von einigen gelernet werden muß/ und auch bey denſelben ein nutzen der folgenden truͤb- ſaalen ſeyn wird/ wie es aber alsdann ſo viel ſchwehrer eingehet/ und das ler- nen ſaurer wird/ ſo haben wirs lieber vorher zu faſſen/ da uns GOTT dazu friſt gibet. 1681. SECTIO V. Verlangen nach dem himmliſchen Vaterland. DAß das verlangen nach dem himmliſchen vaterland bey demſelben groß und groͤſſer ſeye/ als das verlangen nach dem irꝛdiſchen/ hoͤre hertz- lich gern. Der HErr laſſe ſolches verlangen durch die gnade ſeines heiligen Geiſtes darzu kraͤfftig ſeyn/ ſo vielmehr allem demjenigen/ was dieſes irrdiſchen iſt/ abzuſterben/ und hingegen ſich alſo in dem gantzen leben anzuſchicken/ wie es ſo wol die pflicht als die art derjenigen iſt/ denen ſolches himmliſche vaterland ſtets vor augen und in dem hertzen ſchwebet. Wie es nicht wol anders ſeyn kan/ als daß ſolche uns in dem gantzen lebẽ redlich vor- ſtellende regel ein nachtruͤcklicher antrieb ſeye/ willig hie in dieſer walfahrt alles dasjenige zu verleugnen und abzulegen/ was uns nur einigerley maſ- ſen an der eiffrigen nachſtrebung ſolches kleinods/ welches uns vorhaͤlt die himmliſche beruffung/ hindern moͤchte/ hingegen aber in einem heiligen wan- del unſers GOttes nahmen zu preiſen. Dann ob wirs wol in dieſem leben da- F f f 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/421>, abgerufen am 29.03.2024.