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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das dritte Capitel.
sen/ erwehlen wolte/ daß auch dieses exempel mit einem zimlichen schein möch-
te angeführet werden/ daß auch dieses ein irrthum der Pietisten wäre/ daß sie
die kauffmannschafft verwürffen/ und meineten/ man könte nicht mit gutem
gewissen in solchem stande leben: So auffs neue wiederum einen lermen ma-
chen/ mehreren haß gegen unschuldige erwecken/ dem lästerer aber gelegenheit
zu neuen fabeln geben würde. Nun weiß ich zwahr wol/ daß wir mit auch
dem vorsichtigsten wandel es nicht gnug werden hindern können/ daß nicht
der lügen-geist immer etwas neues auf die bahn bringe/ aber ich meine doch/
wir seyen verbunden/ so viel müglich ist/ daß wir ihm keine scheinbare gelegen-
heit selbs geben/ als auf die sonsten nachmal ein stück der schuld und verant-
wortung vor GOTT fallen/ und andere schwache gewissen desto mehr anstoß
leiden möchten/ welches zu vermeiden gleichwol eine pflicht der christlichen
klugheit und liebe ist.

Aus diesen ursachen sihet mein werther Herr/ daß ich zu dieser ände-
rung/ nachdem wie ich die sache vor GOTT ansehe/ nicht rathen könte. Da-
her hielte ich dem gewissen am sichersten/ derselbe setzte entweder seine dienste
in gegenwärtiger condition, wo es seyn kan/ ferner fort/ oder bewürbe sich
bey andern christlichen handels-leuten um gelegenheit/ biß ihm der gütigste
Vater etwa selbs eine stelle anwiese/ da er sein eigen thun anrichten/ und in
der stille sein Christenthum ungehinderter treiben möchte: Jndessen wären
diejenige anstösse/ welche dem gewissen in diesem stande wollen unruhe ma-
chen/ mit besserer dessen unterrichtung/ was unrecht oder nicht seye/ mit ge-
dult/ mit vorsichtigkeit und mit unabläßigem gebet um die regierung des H.
Geistes/ auch glaubiger hoffnung künfftiger besserung/ zu überwinden/ wie ich
denn auch an göttlichem beystand dazu nicht zweiffeln will. Dieses sind al-
so meine christliche gedancken/ über das mir vorgetragene anligen/ so ich in der
forcht des HErrn habe überschreiben wollen/ dabey freundlich bitte/ dieselbe
auch mit anruffung GOttes zu überlegen/ ob er sich auch zu gleichem über-
zeuget besinden werde/ und alsdann das vorgeschlagene annehmen könte.
Wie ich denn mit meiner meinung keines gewissen binden/ noch jemand wei-
ter dran weisen will/ als so fern er selbs sich durch die angeführte gründe vor
GOTT bewogen fühlet: sondern überlasse nachmal/ wo meine gedancken
vorgestellet/ einen jeglichen der regierung dessen/ der allein der gewissen
HErr ist. 1692.

SECTIO XVI.
Ob man die handlung/ um sich der welt loßzu-
reissen/ bey noch habenden schulden/ verlassen könne.
Antonius

Das dritte Capitel.
ſen/ erwehlen wolte/ daß auch dieſes exempel mit einem zimlichen ſchein moͤch-
te angefuͤhret werden/ daß auch dieſes ein irrthum der Pietiſten waͤre/ daß ſie
die kauffmannſchafft verwuͤrffen/ und meineten/ man koͤnte nicht mit gutem
gewiſſen in ſolchem ſtande leben: So auffs neue wiederum einen lermen ma-
chen/ mehreren haß gegen unſchuldige erwecken/ dem laͤſterer aber gelegenheit
zu neuen fabeln geben wuͤrde. Nun weiß ich zwahr wol/ daß wir mit auch
dem vorſichtigſten wandel es nicht gnug werden hindern koͤnnen/ daß nicht
der luͤgen-geiſt immer etwas neues auf die bahn bringe/ aber ich meine doch/
wir ſeyen verbunden/ ſo viel muͤglich iſt/ daß wir ihm keine ſcheinbare gelegen-
heit ſelbs geben/ als auf die ſonſten nachmal ein ſtuͤck der ſchuld und verant-
wortung vor GOTT fallen/ und andere ſchwache gewiſſen deſto mehr anſtoß
leiden moͤchten/ welches zu vermeiden gleichwol eine pflicht der chriſtlichen
klugheit und liebe iſt.

Aus dieſen urſachen ſihet mein werther Herr/ daß ich zu dieſer aͤnde-
rung/ nachdem wie ich die ſache vor GOTT anſehe/ nicht rathen koͤnte. Da-
her hielte ich dem gewiſſen am ſicherſten/ derſelbe ſetzte entweder ſeine dienſte
in gegenwaͤrtiger condition, wo es ſeyn kan/ ferner fort/ oder bewuͤrbe ſich
bey andern chriſtlichen handels-leuten um gelegenheit/ biß ihm der guͤtigſte
Vater etwa ſelbs eine ſtelle anwieſe/ da er ſein eigen thun anrichten/ und in
der ſtille ſein Chriſtenthum ungehinderter treiben moͤchte: Jndeſſen waͤren
diejenige anſtoͤſſe/ welche dem gewiſſen in dieſem ſtande wollen unruhe ma-
chen/ mit beſſerer deſſen unterrichtung/ was unrecht oder nicht ſeye/ mit ge-
dult/ mit vorſichtigkeit und mit unablaͤßigem gebet um die regierung des H.
Geiſtes/ auch glaubiger hoffnung kuͤnfftiger beſſerung/ zu uͤberwinden/ wie ich
denn auch an goͤttlichem beyſtand dazu nicht zweiffeln will. Dieſes ſind al-
ſo meine chriſtliche gedancken/ uͤber das mir vorgetragene anligen/ ſo ich in der
forcht des HErrn habe uͤberſchreiben wollen/ dabey freundlich bitte/ dieſelbe
auch mit anruffung GOttes zu uͤberlegen/ ob er ſich auch zu gleichem uͤber-
zeuget beſinden werde/ und alsdann das vorgeſchlagene annehmen koͤnte.
Wie ich denn mit meiner meinung keines gewiſſen binden/ noch jemand wei-
ter dran weiſen will/ als ſo fern er ſelbs ſich durch die angefuͤhrte gruͤnde vor
GOTT bewogen fuͤhlet: ſondern uͤberlaſſe nachmal/ wo meine gedancken
vorgeſtellet/ einen jeglichen der regierung deſſen/ der allein der gewiſſen
HErr iſt. 1692.

SECTIO XVI.
Ob man die handlung/ um ſich der welt loßzu-
reiſſen/ bey noch habenden ſchulden/ verlaſſen koͤnne.
Antonius
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[440/0448] Das dritte Capitel. ſen/ erwehlen wolte/ daß auch dieſes exempel mit einem zimlichen ſchein moͤch- te angefuͤhret werden/ daß auch dieſes ein irrthum der Pietiſten waͤre/ daß ſie die kauffmannſchafft verwuͤrffen/ und meineten/ man koͤnte nicht mit gutem gewiſſen in ſolchem ſtande leben: So auffs neue wiederum einen lermen ma- chen/ mehreren haß gegen unſchuldige erwecken/ dem laͤſterer aber gelegenheit zu neuen fabeln geben wuͤrde. Nun weiß ich zwahr wol/ daß wir mit auch dem vorſichtigſten wandel es nicht gnug werden hindern koͤnnen/ daß nicht der luͤgen-geiſt immer etwas neues auf die bahn bringe/ aber ich meine doch/ wir ſeyen verbunden/ ſo viel muͤglich iſt/ daß wir ihm keine ſcheinbare gelegen- heit ſelbs geben/ als auf die ſonſten nachmal ein ſtuͤck der ſchuld und verant- wortung vor GOTT fallen/ und andere ſchwache gewiſſen deſto mehr anſtoß leiden moͤchten/ welches zu vermeiden gleichwol eine pflicht der chriſtlichen klugheit und liebe iſt. Aus dieſen urſachen ſihet mein werther Herr/ daß ich zu dieſer aͤnde- rung/ nachdem wie ich die ſache vor GOTT anſehe/ nicht rathen koͤnte. Da- her hielte ich dem gewiſſen am ſicherſten/ derſelbe ſetzte entweder ſeine dienſte in gegenwaͤrtiger condition, wo es ſeyn kan/ ferner fort/ oder bewuͤrbe ſich bey andern chriſtlichen handels-leuten um gelegenheit/ biß ihm der guͤtigſte Vater etwa ſelbs eine ſtelle anwieſe/ da er ſein eigen thun anrichten/ und in der ſtille ſein Chriſtenthum ungehinderter treiben moͤchte: Jndeſſen waͤren diejenige anſtoͤſſe/ welche dem gewiſſen in dieſem ſtande wollen unruhe ma- chen/ mit beſſerer deſſen unterrichtung/ was unrecht oder nicht ſeye/ mit ge- dult/ mit vorſichtigkeit und mit unablaͤßigem gebet um die regierung des H. Geiſtes/ auch glaubiger hoffnung kuͤnfftiger beſſerung/ zu uͤberwinden/ wie ich denn auch an goͤttlichem beyſtand dazu nicht zweiffeln will. Dieſes ſind al- ſo meine chriſtliche gedancken/ uͤber das mir vorgetragene anligen/ ſo ich in der forcht des HErrn habe uͤberſchreiben wollen/ dabey freundlich bitte/ dieſelbe auch mit anruffung GOttes zu uͤberlegen/ ob er ſich auch zu gleichem uͤber- zeuget beſinden werde/ und alsdann das vorgeſchlagene annehmen koͤnte. Wie ich denn mit meiner meinung keines gewiſſen binden/ noch jemand wei- ter dran weiſen will/ als ſo fern er ſelbs ſich durch die angefuͤhrte gruͤnde vor GOTT bewogen fuͤhlet: ſondern uͤberlaſſe nachmal/ wo meine gedancken vorgeſtellet/ einen jeglichen der regierung deſſen/ der allein der gewiſſen HErr iſt. 1692. SECTIO XVI. Ob man die handlung/ um ſich der welt loßzu- reiſſen/ bey noch habenden ſchulden/ verlaſſen koͤnne. Antonius

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/448>, abgerufen am 23.04.2024.