Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

Bild:
<< vorherige Seite
Das dritte Capitel.
SECTIO XXI.
Ob man alles gute zu unterlassen/ woraus man
sorget böses zu entstehen?

JCh erklähre meine gedancken dahin. 1. Wo wir von einer an sich selbs
guten sache gewiß vorsehen/ daß entweder nichts anders als gelegen-
heit des bösen/ oder doch das böse also/ daß es den vortheil des guten/ so
wir intendiren/ übertrifft/ daraus entstehen werde/ so haben wir solche zu
unterlassen/ als die wir darinnen keinerley massen unsern wahren zweck
erlangen würden. 2. Wo wir aber sehen/ daß dasgute/ so an und vor
sich selbs aus der sache entstehen kan/ und als viel christliche fürsichtigkeit zu
erkennen vermag/ erfolgen wird/ dabey aber gewahr werden/ daß zufälliger
weise auch einiges ungleiches und mißfälliges daraus entstehen mag/ und
sich vermuthlich anhängen wird/ aber doch jenes das andere an wichtigkeit
und nutzen übertrifft/ so hat man um dessen willen dasjenige/ was uns son-
sten in beförderung des guten obliget/ nicht zu unterlassen. So viel mehr
3. wo das gute offenbar und gewiß/ das böse aber ungewiß/ und sonderlich
desselben erfolge auff ein und andere art verhoffentlich vorgebeuget werden
kan. Dieses deuchten mich die sätze zu seyn/ dero application nachmal auff
jedes geschäfft gemacht werden müste. So halte ich dieselbe/ sonderlich die
beyde letztere/ darauff etwa die frage meistens gehet/ vor gantz gewiß. Dann
1. wo wir nichts zu thun macht hätten/ wovon wir sorgen müsten/ daß sich
auch einiges böse mit anhängen/ und daraus entstehen möchte/ so dörfften
wir gleichsam gar nichts thun/ indem auch aus den besten dingen/ ungleiche
folgen entstehen/ und davon auch des weisesten GOttes so wohl als seiner
kinder fürsichtig thuende wercke zum öffteren/ ja fast allezeit/ auch zu einigem
bösen gelegenheiten und anlaß geben: also daß auch des frieden-fürsten zu-
kunfft in die welt schwerdt und zwietracht mitbringet/ Matth. 10/ 34. 35.
das wort des lebens vielen ein geruch des todes zum tode wird/ 2. Cor. 2/ 16.
durch das Evangelium viel unruhe/ lästerung/ verfolgungen und also grau-
same sünden veranlasset werden: und zwahr also/ daß wir allezeit vorher
wissen können/ daß solches gewiß erfolgen werde/ und in gegenwärtiger be-
schaffenheit der welt und der menschen nichts anders zu hoffen stehet. Da uns
aber alles solches so wenig von demjenigen guten/ was wir vorhaben/ ab-
schrecken muß/ als wenig GOtt um des schändlichen mißbrauchs willen des
weins/ golds/ silbers/ edelgestein und übriger seiner creaturen (die alle in der
menschen sünde einem dienst der eitelkeit wider ihren willen unterworffen
sind Rom. 8.) von dero erhaltung und hervorbringung sich abhalten läßt; o-

der
Das dritte Capitel.
SECTIO XXI.
Ob man alles gute zu unterlaſſen/ woraus man
ſorget boͤſes zu entſtehen?

JCh erklaͤhre meine gedancken dahin. 1. Wo wir von einer an ſich ſelbs
guten ſache gewiß vorſehen/ daß entweder nichts anders als gelegen-
heit des boͤſen/ oder doch das boͤſe alſo/ daß es den vortheil des guten/ ſo
wir intendiren/ uͤbertrifft/ daraus entſtehen werde/ ſo haben wir ſolche zu
unterlaſſen/ als die wir darinnen keinerley maſſen unſern wahren zweck
erlangen wuͤrden. 2. Wo wir aber ſehen/ daß dasgute/ ſo an und vor
ſich ſelbs aus der ſache entſtehen kan/ und als viel chriſtliche fuͤrſichtigkeit zu
erkennen vermag/ erfolgen wird/ dabey aber gewahr werden/ daß zufaͤlliger
weiſe auch einiges ungleiches und mißfaͤlliges daraus entſtehen mag/ und
ſich vermuthlich anhaͤngen wird/ aber doch jenes das andere an wichtigkeit
und nutzen uͤbertrifft/ ſo hat man um deſſen willen dasjenige/ was uns ſon-
ſten in befoͤrderung des guten obliget/ nicht zu unterlaſſen. So viel mehr
3. wo das gute offenbar und gewiß/ das boͤſe aber ungewiß/ und ſonderlich
deſſelben erfolge auff ein und andere art verhoffentlich vorgebeuget werden
kan. Dieſes deuchten mich die ſaͤtze zu ſeyn/ dero application nachmal auff
jedes geſchaͤfft gemacht werden muͤſte. So halte ich dieſelbe/ ſonderlich die
beyde letztere/ darauff etwa die frage meiſtens gehet/ vor gantz gewiß. Dann
1. wo wir nichts zu thun macht haͤtten/ wovon wir ſorgen muͤſten/ daß ſich
auch einiges boͤſe mit anhaͤngen/ und daraus entſtehen moͤchte/ ſo doͤrfften
wir gleichſam gar nichts thun/ indem auch aus den beſten dingen/ ungleiche
folgen entſtehen/ und davon auch des weiſeſten GOttes ſo wohl als ſeiner
kinder fuͤrſichtig thuende wercke zum oͤffteren/ ja faſt allezeit/ auch zu einigem
boͤſen gelegenheiten und anlaß geben: alſo daß auch des frieden-fuͤrſten zu-
kunfft in die welt ſchwerdt und zwietracht mitbringet/ Matth. 10/ 34. 35.
das wort des lebens vielen ein geruch des todes zum tode wird/ 2. Cor. 2/ 16.
durch das Evangelium viel unruhe/ laͤſterung/ verfolgungen und alſo grau-
ſame ſuͤnden veranlaſſet werden: und zwahr alſo/ daß wir allezeit vorher
wiſſen koͤnnen/ daß ſolches gewiß erfolgen werde/ und in gegenwaͤrtiger be-
ſchaffenheit der welt und der menſchen nichts anders zu hoffen ſtehet. Da uns
aber alles ſolches ſo wenig von demjenigen guten/ was wir vorhaben/ ab-
ſchrecken muß/ als wenig GOtt um des ſchaͤndlichen mißbrauchs willen des
weins/ golds/ ſilbers/ edelgeſtein und uͤbriger ſeiner creaturen (die alle in der
menſchen ſuͤnde einem dienſt der eitelkeit wider ihren willen unterworffen
ſind Rom. 8.) von dero erhaltung und hervorbringung ſich abhalten laͤßt; o-

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0472" n="464"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das dritte Capitel.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO</hi> XXI.</hi><lb/>
Ob man alles gute zu unterla&#x017F;&#x017F;en/ woraus man<lb/>
&#x017F;orget bo&#x0364;&#x017F;es zu ent&#x017F;tehen?</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">J</hi>Ch erkla&#x0364;hre meine gedancken dahin. 1. Wo wir von einer an &#x017F;ich &#x017F;elbs<lb/>
guten &#x017F;ache gewiß vor&#x017F;ehen/ daß entweder nichts anders als gelegen-<lb/>
heit des bo&#x0364;&#x017F;en/ oder doch das bo&#x0364;&#x017F;e al&#x017F;o/ daß es den vortheil des guten/ &#x017F;o<lb/>
wir <hi rendition="#aq">intendi</hi>ren/ u&#x0364;bertrifft/ daraus ent&#x017F;tehen werde/ &#x017F;o haben wir &#x017F;olche zu<lb/>
unterla&#x017F;&#x017F;en/ als die wir darinnen keinerley ma&#x017F;&#x017F;en un&#x017F;ern wahren zweck<lb/>
erlangen wu&#x0364;rden. 2. Wo wir aber &#x017F;ehen/ daß dasgute/ &#x017F;o an und vor<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elbs aus der &#x017F;ache ent&#x017F;tehen kan/ und als viel chri&#x017F;tliche fu&#x0364;r&#x017F;ichtigkeit zu<lb/>
erkennen vermag/ erfolgen wird/ dabey aber gewahr werden/ daß zufa&#x0364;lliger<lb/>
wei&#x017F;e auch einiges ungleiches und mißfa&#x0364;lliges daraus ent&#x017F;tehen mag/ und<lb/>
&#x017F;ich vermuthlich anha&#x0364;ngen wird/ aber doch jenes das andere an wichtigkeit<lb/>
und nutzen u&#x0364;bertrifft/ &#x017F;o hat man um de&#x017F;&#x017F;en willen dasjenige/ was uns &#x017F;on-<lb/>
&#x017F;ten in befo&#x0364;rderung des guten obliget/ nicht zu unterla&#x017F;&#x017F;en. So viel mehr<lb/>
3. wo das gute offenbar und gewiß/ das bo&#x0364;&#x017F;e aber ungewiß/ und &#x017F;onderlich<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben erfolge auff ein und andere art verhoffentlich vorgebeuget werden<lb/>
kan. Die&#x017F;es deuchten mich die &#x017F;a&#x0364;tze zu &#x017F;eyn/ dero <hi rendition="#aq">application</hi> nachmal auff<lb/>
jedes ge&#x017F;cha&#x0364;fft gemacht werden mu&#x0364;&#x017F;te. So halte ich die&#x017F;elbe/ &#x017F;onderlich die<lb/>
beyde letztere/ darauff etwa die frage mei&#x017F;tens gehet/ vor gantz gewiß. Dann<lb/>
1. wo wir nichts zu thun macht ha&#x0364;tten/ wovon wir &#x017F;orgen mu&#x0364;&#x017F;ten/ daß &#x017F;ich<lb/>
auch einiges bo&#x0364;&#x017F;e mit anha&#x0364;ngen/ und daraus ent&#x017F;tehen mo&#x0364;chte/ &#x017F;o do&#x0364;rfften<lb/>
wir gleich&#x017F;am gar nichts thun/ indem auch aus den be&#x017F;ten dingen/ ungleiche<lb/>
folgen ent&#x017F;tehen/ und davon auch des wei&#x017F;e&#x017F;ten GOttes &#x017F;o wohl als &#x017F;einer<lb/>
kinder fu&#x0364;r&#x017F;ichtig thuende wercke zum o&#x0364;ffteren/ ja fa&#x017F;t allezeit/ auch zu einigem<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;en gelegenheiten und anlaß geben: al&#x017F;o daß auch des frieden-fu&#x0364;r&#x017F;ten zu-<lb/>
kunfft in die welt &#x017F;chwerdt und zwietracht mitbringet/ <hi rendition="#fr">Matth. 10/ 34. 35.</hi><lb/>
das wort des lebens vielen ein geruch des todes zum tode wird/ <hi rendition="#fr">2. Cor. 2/ 16.</hi><lb/>
durch das Evangelium viel unruhe/ la&#x0364;&#x017F;terung/ verfolgungen und al&#x017F;o grau-<lb/>
&#x017F;ame &#x017F;u&#x0364;nden veranla&#x017F;&#x017F;et werden: und zwahr al&#x017F;o/ daß wir allezeit vorher<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen/ daß &#x017F;olches gewiß erfolgen werde/ und in gegenwa&#x0364;rtiger be-<lb/>
&#x017F;chaffenheit der welt und der men&#x017F;chen nichts anders zu hoffen &#x017F;tehet. Da uns<lb/>
aber alles &#x017F;olches &#x017F;o wenig von demjenigen guten/ was wir vorhaben/ ab-<lb/>
&#x017F;chrecken muß/ als wenig GOtt um des &#x017F;cha&#x0364;ndlichen mißbrauchs willen des<lb/>
weins/ golds/ &#x017F;ilbers/ edelge&#x017F;tein und u&#x0364;briger &#x017F;einer creaturen (die alle in der<lb/>
men&#x017F;chen &#x017F;u&#x0364;nde einem dien&#x017F;t der eitelkeit wider ihren willen unterworffen<lb/>
&#x017F;ind <hi rendition="#fr">Rom. 8.</hi>) von dero erhaltung und hervorbringung &#x017F;ich abhalten la&#x0364;ßt; o-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[464/0472] Das dritte Capitel. SECTIO XXI. Ob man alles gute zu unterlaſſen/ woraus man ſorget boͤſes zu entſtehen? JCh erklaͤhre meine gedancken dahin. 1. Wo wir von einer an ſich ſelbs guten ſache gewiß vorſehen/ daß entweder nichts anders als gelegen- heit des boͤſen/ oder doch das boͤſe alſo/ daß es den vortheil des guten/ ſo wir intendiren/ uͤbertrifft/ daraus entſtehen werde/ ſo haben wir ſolche zu unterlaſſen/ als die wir darinnen keinerley maſſen unſern wahren zweck erlangen wuͤrden. 2. Wo wir aber ſehen/ daß dasgute/ ſo an und vor ſich ſelbs aus der ſache entſtehen kan/ und als viel chriſtliche fuͤrſichtigkeit zu erkennen vermag/ erfolgen wird/ dabey aber gewahr werden/ daß zufaͤlliger weiſe auch einiges ungleiches und mißfaͤlliges daraus entſtehen mag/ und ſich vermuthlich anhaͤngen wird/ aber doch jenes das andere an wichtigkeit und nutzen uͤbertrifft/ ſo hat man um deſſen willen dasjenige/ was uns ſon- ſten in befoͤrderung des guten obliget/ nicht zu unterlaſſen. So viel mehr 3. wo das gute offenbar und gewiß/ das boͤſe aber ungewiß/ und ſonderlich deſſelben erfolge auff ein und andere art verhoffentlich vorgebeuget werden kan. Dieſes deuchten mich die ſaͤtze zu ſeyn/ dero application nachmal auff jedes geſchaͤfft gemacht werden muͤſte. So halte ich dieſelbe/ ſonderlich die beyde letztere/ darauff etwa die frage meiſtens gehet/ vor gantz gewiß. Dann 1. wo wir nichts zu thun macht haͤtten/ wovon wir ſorgen muͤſten/ daß ſich auch einiges boͤſe mit anhaͤngen/ und daraus entſtehen moͤchte/ ſo doͤrfften wir gleichſam gar nichts thun/ indem auch aus den beſten dingen/ ungleiche folgen entſtehen/ und davon auch des weiſeſten GOttes ſo wohl als ſeiner kinder fuͤrſichtig thuende wercke zum oͤffteren/ ja faſt allezeit/ auch zu einigem boͤſen gelegenheiten und anlaß geben: alſo daß auch des frieden-fuͤrſten zu- kunfft in die welt ſchwerdt und zwietracht mitbringet/ Matth. 10/ 34. 35. das wort des lebens vielen ein geruch des todes zum tode wird/ 2. Cor. 2/ 16. durch das Evangelium viel unruhe/ laͤſterung/ verfolgungen und alſo grau- ſame ſuͤnden veranlaſſet werden: und zwahr alſo/ daß wir allezeit vorher wiſſen koͤnnen/ daß ſolches gewiß erfolgen werde/ und in gegenwaͤrtiger be- ſchaffenheit der welt und der menſchen nichts anders zu hoffen ſtehet. Da uns aber alles ſolches ſo wenig von demjenigen guten/ was wir vorhaben/ ab- ſchrecken muß/ als wenig GOtt um des ſchaͤndlichen mißbrauchs willen des weins/ golds/ ſilbers/ edelgeſtein und uͤbriger ſeiner creaturen (die alle in der menſchen ſuͤnde einem dienſt der eitelkeit wider ihren willen unterworffen ſind Rom. 8.) von dero erhaltung und hervorbringung ſich abhalten laͤßt; o- der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/472
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/472>, abgerufen am 24.04.2024.