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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das vierdte Capitel.
SECTIO XIII.
Von heimlicher verlobung einer Herrn-stands
Fräulein mit einer bürgerlichen person/ und daher ent-
stehenden fragen.
Die erste Frage.
Ob ein Herren-stands Fräulein/ so sich mit Titio einer qualificir-
ten aber bürgerlichen standesperson heimlich verlobet/ dem-
selben mit gutem gewissen die heimliche nachfolge und vollzie-
hung dero beschwornen ehegelöbnüsses versagen könne/ und sie
gnug thue/ wann sie unverehliget in gebet und wahrer buß ihr
übriges leben hinzubringen geflissen ist?

AUff diese frage gründlich zu antworten/ ist eine andere frage vorher in
der furcht des HErrn auszumachen/ an dero diese hänget/ und daher
ohne daß richtig seye/ was von derselben zu halten/ unmüglich mit sat-
tem grund dieser ein gnüge geschehen kan. Es ist aber dieselbige/ ob die eh-
liche verbindung/ so zwischen
Titio und der Fräulein vorgegangen
ist/ vor GOTT und in dem gewissen richtig und bündig seye oder
nicht?

Hier ist anfangs die frage nicht von dem ersten heimlichen verspruch/
welcher zwischen beyden bey lebzeiten der hohen eltern geschehen/ als die
Fräulein nach der specie facti etwa 17. jahr alt gewesen war; als welchen ich
vor ungültig erkenne/ nicht so wol wegen der jugend der Fräulein/ indem
gleichwol das alter zu dem ehestand und einwilligung gnug gewesen/ sondern
wegen ermangelung des nothwendigen elterlichen consensus, denn weil der
kindliche gehorsam göttlichen und natürlichen rechtens ist/ zu demselben aber
auch als ein zimliches hauptstück gehöret/ daß kinder in dem wichtigsten
werck ihres lebens/ daran ihnen und den eltern das meiste gelegen ist/ als de-
ro freud oder kummer über die kinder fast auf ihr lebtag an dem gerathen des-
selben hänget/ nichts ohne oder wider deroselben willen vornehmen: so kan
kein verspruch/ welcher die verbindlichkeit jenes gehorsams auffhübe oder
verletzte/ nach göttlichen rechten bestehen/ sondern es hat sich Titius schwehr-
lich versündiget/ die Fräulein zur liebe gegen sich zu verleiten/ und einen ver-
spruch von ihr heraus zubringen/ dadurch aber so viel an ihm war/ den eltern/
von denen er ohne zweiffel wohl vermuthen kunte/ daß sie ihren consens nicht
geben würden/ ihr kind abzustehlen: sie aber hat sich auch an dem schuldigen

gehor-
Das vierdte Capitel.
SECTIO XIII.
Von heimlicher verlobung einer Herrn-ſtands
Fraͤulein mit einer buͤrgerlichen perſon/ und daher ent-
ſtehenden fragen.
Die erſte Frage.
Ob ein Herren-ſtands Fraͤulein/ ſo ſich mit Titio einer qualificir-
ten aber buͤrgerlichen ſtandesperſon heimlich verlobet/ dem-
ſelben mit gutem gewiſſen die heimliche nachfolge und vollzie-
hung dero beſchwornen ehegeloͤbnuͤſſes verſagen koͤnne/ und ſie
gnug thue/ wann ſie unverehliget in gebet und wahrer buß ihr
uͤbriges leben hinzubringen gefliſſen iſt?

AUff dieſe frage gruͤndlich zu antworten/ iſt eine andere frage vorher in
der furcht des HErrn auszumachen/ an dero dieſe haͤnget/ und daher
ohne daß richtig ſeye/ was von derſelben zu halten/ unmuͤglich mit ſat-
tem grund dieſer ein gnuͤge geſchehen kan. Es iſt aber dieſelbige/ ob die eh-
liche verbindung/ ſo zwiſchen
Titio und der Fraͤulein vorgegangen
iſt/ vor GOTT und in dem gewiſſen richtig und buͤndig ſeye oder
nicht?

Hier iſt anfangs die frage nicht von dem erſten heimlichen verſpruch/
welcher zwiſchen beyden bey lebzeiten der hohen eltern geſchehen/ als die
Fraͤulein nach der ſpecie facti etwa 17. jahr alt geweſen war; als welchen ich
vor unguͤltig erkenne/ nicht ſo wol wegen der jugend der Fraͤulein/ indem
gleichwol das alter zu dem eheſtand und einwilligung gnug geweſen/ ſondern
wegen ermangelung des nothwendigen elterlichen conſenſus, denn weil der
kindliche gehorſam goͤttlichen und natuͤrlichen rechtens iſt/ zu demſelben aber
auch als ein zimliches hauptſtuͤck gehoͤret/ daß kinder in dem wichtigſten
werck ihres lebens/ daran ihnen und den eltern das meiſte gelegen iſt/ als de-
ro freud oder kummer uͤber die kinder faſt auf ihr lebtag an dem gerathen deſ-
ſelben haͤnget/ nichts ohne oder wider deroſelben willen vornehmen: ſo kan
kein verſpruch/ welcher die verbindlichkeit jenes gehorſams auffhuͤbe oder
verletzte/ nach goͤttlichen rechten beſtehen/ ſondern es hat ſich Titius ſchwehr-
lich verſuͤndiget/ die Fraͤulein zur liebe gegen ſich zu verleiten/ und einen ver-
ſpruch von ihr heraus zubringen/ dadurch aber ſo viel an ihm war/ den eltern/
von denen er ohne zweiffel wohl vermuthen kunte/ daß ſie ihren conſens nicht
geben wuͤrden/ ihr kind abzuſtehlen: ſie aber hat ſich auch an dem ſchuldigen

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[572/0580] Das vierdte Capitel. SECTIO XIII. Von heimlicher verlobung einer Herrn-ſtands Fraͤulein mit einer buͤrgerlichen perſon/ und daher ent- ſtehenden fragen. Die erſte Frage. Ob ein Herren-ſtands Fraͤulein/ ſo ſich mit Titio einer qualificir- ten aber buͤrgerlichen ſtandesperſon heimlich verlobet/ dem- ſelben mit gutem gewiſſen die heimliche nachfolge und vollzie- hung dero beſchwornen ehegeloͤbnuͤſſes verſagen koͤnne/ und ſie gnug thue/ wann ſie unverehliget in gebet und wahrer buß ihr uͤbriges leben hinzubringen gefliſſen iſt? AUff dieſe frage gruͤndlich zu antworten/ iſt eine andere frage vorher in der furcht des HErrn auszumachen/ an dero dieſe haͤnget/ und daher ohne daß richtig ſeye/ was von derſelben zu halten/ unmuͤglich mit ſat- tem grund dieſer ein gnuͤge geſchehen kan. Es iſt aber dieſelbige/ ob die eh- liche verbindung/ ſo zwiſchen Titio und der Fraͤulein vorgegangen iſt/ vor GOTT und in dem gewiſſen richtig und buͤndig ſeye oder nicht? Hier iſt anfangs die frage nicht von dem erſten heimlichen verſpruch/ welcher zwiſchen beyden bey lebzeiten der hohen eltern geſchehen/ als die Fraͤulein nach der ſpecie facti etwa 17. jahr alt geweſen war; als welchen ich vor unguͤltig erkenne/ nicht ſo wol wegen der jugend der Fraͤulein/ indem gleichwol das alter zu dem eheſtand und einwilligung gnug geweſen/ ſondern wegen ermangelung des nothwendigen elterlichen conſenſus, denn weil der kindliche gehorſam goͤttlichen und natuͤrlichen rechtens iſt/ zu demſelben aber auch als ein zimliches hauptſtuͤck gehoͤret/ daß kinder in dem wichtigſten werck ihres lebens/ daran ihnen und den eltern das meiſte gelegen iſt/ als de- ro freud oder kummer uͤber die kinder faſt auf ihr lebtag an dem gerathen deſ- ſelben haͤnget/ nichts ohne oder wider deroſelben willen vornehmen: ſo kan kein verſpruch/ welcher die verbindlichkeit jenes gehorſams auffhuͤbe oder verletzte/ nach goͤttlichen rechten beſtehen/ ſondern es hat ſich Titius ſchwehr- lich verſuͤndiget/ die Fraͤulein zur liebe gegen ſich zu verleiten/ und einen ver- ſpruch von ihr heraus zubringen/ dadurch aber ſo viel an ihm war/ den eltern/ von denen er ohne zweiffel wohl vermuthen kunte/ daß ſie ihren conſens nicht geben wuͤrden/ ihr kind abzuſtehlen: ſie aber hat ſich auch an dem ſchuldigen gehor-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/580>, abgerufen am 29.03.2024.