Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

Bild:
<< vorherige Seite

Das vierdte Capitel.
einen zweiffel setze/ oder glaube daß er mit vorsatz falschen bericht geben/ von
der wahrheit ab- oder zusetzen werde/ dazu ich ihn viel zu redlich achte. Aber
ich bin auch hinwieder gewohnt/ in causa propria mir niemal selbs zutrauen/
und weiß voran/ daß ich gegen mich selbs partheyisch bin. Also ists müglich/
daß ich in facto einiges auslasse/ als meiner meinung nach nichts dazu thu-
ende/ so hingegen die gegenparthey als etwas wichtiges ansehen kan/ und in
sententia ferenda ein starckes momentum haben mag: so mag ich auch eine
that anders ansehen/ als sie von andern angesehen werden kan/ ob ich sie wol
vor mich als praeoccupiret nicht anders ansehen könte/ und also/ da ich sie als
so und so bewandt einem andern proponire/ nichts mit willen wider die
wahrheit thue/ und doch wo der richter die sache nicht auch von einem andern
höret/ der sie so zu reden durch ein ander farbglaß angesehen hat/ denselben
einnehmen könte/ daß seine sentenz darnach der wahrheit fehlen möchte: ich
kan des andern seine wort und actiones interpretiren/ wie sie mir vorgekom-
men und von mir auffgenommen/ und kan doch eben darinnen mich betrogen
haben/ welches derjenige erst erkennen wird/ welcher auch die gegenparthey
anhöret/ wie sich selbs/ ihre wort und thaten interpretire und gemeinet ge-
wesen zu seyn bezeuge. u. s. f. Daß daher nicht nur den sichersten/ sondern
fast einig nöthigen weg/ in dergleichen streitsachen zu ende zu kommen/ fin-
de/ daß durch solche leut der entscheid geschehe/ welche eine genugsame cogni-
tionem causae
eingenommen haben/ womit alsdann die gewissen besser tran-
quilli
rt/ und alles sonsten befahrende ärgernüß abgewendet werden mag. etc.
1684.

SECTIO XV.
Uber einen casum einer/ die von ihrem bräutigam
ablassen wolte/ weil sie sich mit einem andern/ den sie
den teuffel zu seyn vermuthet/ versprochen hätte.

SEmpronia eine Jungfer/ scheinenden eusserlichen seinen wandels/
versprach sich auff ihrer eltern und freunde belieben mit
Titio, ce-
lebri
rte auch vor pfingsten sponsalia domestica, ließ sich nicht weni-
ger dreymal ordentlich
proclamiren/ an statt daß der gesetzte hochzeit-
tag seinen fortgang gewinnen solte/ kommet ein schreiben von dem ab-
wesenden bräutigam/ welches berichtet/ daß das gewässer so starck an-
gelauffen auff seinen gütern/ daß ohne verlust grossen unkostens er
von den arbeitern die es abwenden sollen/ nicht abweichen/ sondern die
hochzeit auff eine andere zeit verlegen müsse. Nach diesem kam der

bräuti-

Das vierdte Capitel.
einen zweiffel ſetze/ oder glaube daß er mit vorſatz falſchen bericht geben/ von
der wahrheit ab- oder zuſetzen werde/ dazu ich ihn viel zu redlich achte. Aber
ich bin auch hinwieder gewohnt/ in cauſa propria mir niemal ſelbs zutrauen/
und weiß voran/ daß ich gegen mich ſelbs partheyiſch bin. Alſo iſts muͤglich/
daß ich in facto einiges auslaſſe/ als meiner meinung nach nichts dazu thu-
ende/ ſo hingegen die gegenparthey als etwas wichtiges anſehen kan/ und in
ſententia ferenda ein ſtarckes momentum haben mag: ſo mag ich auch eine
that anders anſehen/ als ſie von andern angeſehen werden kan/ ob ich ſie wol
vor mich als præoccupiret nicht anders anſehen koͤnte/ und alſo/ da ich ſie als
ſo und ſo bewandt einem andern proponire/ nichts mit willen wider die
wahrheit thue/ und doch wo der richter die ſache nicht auch von einem andern
hoͤret/ der ſie ſo zu reden durch ein ander farbglaß angeſehen hat/ denſelben
einnehmen koͤnte/ daß ſeine ſentenz darnach der wahrheit fehlen moͤchte: ich
kan des andern ſeine wort und actiones interpretiren/ wie ſie mir vorgekom-
men und von mir auffgenommen/ und kan doch eben darinnen mich betrogen
haben/ welches derjenige erſt erkennen wird/ welcher auch die gegenparthey
anhoͤret/ wie ſich ſelbs/ ihre wort und thaten interpretire und gemeinet ge-
weſen zu ſeyn bezeuge. u. ſ. f. Daß daher nicht nur den ſicherſten/ ſondern
faſt einig noͤthigen weg/ in dergleichen ſtreitſachen zu ende zu kommen/ fin-
de/ daß durch ſolche leut der entſcheid geſchehe/ welche eine genugſame cogni-
tionem cauſæ
eingenommen haben/ womit alsdann die gewiſſen beſſer tran-
quilli
rt/ und alles ſonſten befahrende aͤrgernuͤß abgewendet werden mag. ꝛc.
1684.

SECTIO XV.
Uber einen caſum einer/ die von ihrem braͤutigam
ablaſſen wolte/ weil ſie ſich mit einem andern/ den ſie
den teuffel zu ſeyn vermuthet/ verſprochen haͤtte.

SEmpronia eine Jungfer/ ſcheinenden euſſerlichen ſeinen wandels/
verſprach ſich auff ihrer eltern und freunde belieben mit
Titio, ce-
lebri
rte auch vor pfingſten ſponſalia domeſtica, ließ ſich nicht weni-
ger dreymal ordentlich
proclamiren/ an ſtatt daß der geſetzte hochzeit-
tag ſeinen fortgang gewinnen ſolte/ kommet ein ſchreiben von dem ab-
weſenden braͤutigam/ welches berichtet/ daß das gewaͤſſer ſo ſtarck an-
gelauffen auff ſeinen guͤtern/ daß ohne verluſt groſſen unkoſtens er
von den arbeitern die es abwenden ſollen/ nicht abweichen/ ſondern die
hochzeit auff eine andere zeit verlegen muͤſſe. Nach dieſem kam der

braͤuti-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0596" n="588"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das vierdte Capitel.</hi></fw><lb/>
einen zweiffel &#x017F;etze/ oder glaube daß er mit vor&#x017F;atz fal&#x017F;chen bericht geben/ von<lb/>
der wahrheit ab- oder zu&#x017F;etzen werde/ dazu ich ihn viel zu redlich achte. Aber<lb/>
ich bin auch hinwieder gewohnt/ <hi rendition="#aq">in cau&#x017F;a propria</hi> mir niemal &#x017F;elbs zutrauen/<lb/>
und weiß voran/ daß ich gegen mich &#x017F;elbs partheyi&#x017F;ch bin. Al&#x017F;o i&#x017F;ts mu&#x0364;glich/<lb/>
daß ich in <hi rendition="#aq">facto</hi> einiges ausla&#x017F;&#x017F;e/ als meiner meinung nach nichts dazu thu-<lb/>
ende/ &#x017F;o hingegen die gegenparthey als etwas wichtiges an&#x017F;ehen kan/ und in<lb/><hi rendition="#aq">&#x017F;ententia ferenda</hi> ein &#x017F;tarckes <hi rendition="#aq">momentum</hi> haben mag: &#x017F;o mag ich auch eine<lb/>
that anders an&#x017F;ehen/ als &#x017F;ie von andern ange&#x017F;ehen werden kan/ ob ich &#x017F;ie wol<lb/>
vor mich als <hi rendition="#aq">præoccupi</hi>ret nicht anders an&#x017F;ehen ko&#x0364;nte/ und al&#x017F;o/ da ich &#x017F;ie als<lb/>
&#x017F;o und &#x017F;o bewandt einem andern <hi rendition="#aq">proponi</hi>re/ nichts mit willen wider die<lb/>
wahrheit thue/ und doch wo der richter die &#x017F;ache nicht auch von einem andern<lb/>
ho&#x0364;ret/ der &#x017F;ie &#x017F;o zu reden durch ein ander farbglaß ange&#x017F;ehen hat/ den&#x017F;elben<lb/>
einnehmen ko&#x0364;nte/ daß &#x017F;eine <hi rendition="#aq">&#x017F;entenz</hi> darnach der wahrheit fehlen mo&#x0364;chte: ich<lb/>
kan des andern &#x017F;eine wort und <hi rendition="#aq">actiones interpreti</hi>ren/ wie &#x017F;ie mir vorgekom-<lb/>
men und von mir auffgenommen/ und kan doch eben darinnen mich betrogen<lb/>
haben/ welches derjenige er&#x017F;t erkennen wird/ welcher auch die gegenparthey<lb/>
anho&#x0364;ret/ wie &#x017F;ich &#x017F;elbs/ ihre wort und thaten <hi rendition="#aq">interpreti</hi>re und gemeinet ge-<lb/>
we&#x017F;en zu &#x017F;eyn bezeuge. u. &#x017F;. f. Daß daher nicht nur den &#x017F;icher&#x017F;ten/ &#x017F;ondern<lb/>
fa&#x017F;t einig no&#x0364;thigen weg/ in dergleichen &#x017F;treit&#x017F;achen zu ende zu kommen/ fin-<lb/>
de/ daß durch &#x017F;olche leut der ent&#x017F;cheid ge&#x017F;chehe/ welche eine genug&#x017F;ame <hi rendition="#aq">cogni-<lb/>
tionem cau&#x017F;æ</hi> eingenommen haben/ womit alsdann die gewi&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;&#x017F;er <hi rendition="#aq">tran-<lb/>
quilli</hi>rt/ und alles &#x017F;on&#x017F;ten befahrende a&#x0364;rgernu&#x0364;ß abgewendet werden mag. &#xA75B;c.<lb/>
1684.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO</hi> XV.</hi><lb/>
Uber einen <hi rendition="#aq">ca&#x017F;um</hi> einer/ die von ihrem bra&#x0364;utigam<lb/>
abla&#x017F;&#x017F;en wolte/ weil &#x017F;ie &#x017F;ich mit einem andern/ den &#x017F;ie<lb/>
den teuffel zu &#x017F;eyn vermuthet/ ver&#x017F;prochen ha&#x0364;tte.</hi> </head><lb/>
          <p> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#in">S</hi>Empronia</hi> <hi rendition="#fr">eine Jungfer/ &#x017F;cheinenden eu&#x017F;&#x017F;erlichen &#x017F;einen wandels/<lb/>
ver&#x017F;prach &#x017F;ich auff ihrer eltern und freunde belieben mit</hi> <hi rendition="#aq">Titio, ce-<lb/>
lebri</hi> <hi rendition="#fr">rte auch vor pfing&#x017F;ten</hi> <hi rendition="#aq">&#x017F;pon&#x017F;alia dome&#x017F;tica,</hi> <hi rendition="#fr">ließ &#x017F;ich nicht weni-<lb/>
ger dreymal ordentlich</hi> <hi rendition="#aq">proclami</hi> <hi rendition="#fr">ren/ an &#x017F;tatt daß der ge&#x017F;etzte hochzeit-<lb/>
tag &#x017F;einen fortgang gewinnen &#x017F;olte/ kommet ein &#x017F;chreiben von dem ab-<lb/>
we&#x017F;enden bra&#x0364;utigam/ welches berichtet/ daß das gewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er &#x017F;o &#x017F;tarck an-<lb/>
gelauffen auff &#x017F;einen gu&#x0364;tern/ daß ohne verlu&#x017F;t gro&#x017F;&#x017F;en unko&#x017F;tens er<lb/>
von den arbeitern die es abwenden &#x017F;ollen/ nicht abweichen/ &#x017F;ondern die<lb/>
hochzeit auff eine andere zeit verlegen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Nach die&#x017F;em kam der</hi><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">bra&#x0364;uti-</hi> </fw><lb/>
          </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[588/0596] Das vierdte Capitel. einen zweiffel ſetze/ oder glaube daß er mit vorſatz falſchen bericht geben/ von der wahrheit ab- oder zuſetzen werde/ dazu ich ihn viel zu redlich achte. Aber ich bin auch hinwieder gewohnt/ in cauſa propria mir niemal ſelbs zutrauen/ und weiß voran/ daß ich gegen mich ſelbs partheyiſch bin. Alſo iſts muͤglich/ daß ich in facto einiges auslaſſe/ als meiner meinung nach nichts dazu thu- ende/ ſo hingegen die gegenparthey als etwas wichtiges anſehen kan/ und in ſententia ferenda ein ſtarckes momentum haben mag: ſo mag ich auch eine that anders anſehen/ als ſie von andern angeſehen werden kan/ ob ich ſie wol vor mich als præoccupiret nicht anders anſehen koͤnte/ und alſo/ da ich ſie als ſo und ſo bewandt einem andern proponire/ nichts mit willen wider die wahrheit thue/ und doch wo der richter die ſache nicht auch von einem andern hoͤret/ der ſie ſo zu reden durch ein ander farbglaß angeſehen hat/ denſelben einnehmen koͤnte/ daß ſeine ſentenz darnach der wahrheit fehlen moͤchte: ich kan des andern ſeine wort und actiones interpretiren/ wie ſie mir vorgekom- men und von mir auffgenommen/ und kan doch eben darinnen mich betrogen haben/ welches derjenige erſt erkennen wird/ welcher auch die gegenparthey anhoͤret/ wie ſich ſelbs/ ihre wort und thaten interpretire und gemeinet ge- weſen zu ſeyn bezeuge. u. ſ. f. Daß daher nicht nur den ſicherſten/ ſondern faſt einig noͤthigen weg/ in dergleichen ſtreitſachen zu ende zu kommen/ fin- de/ daß durch ſolche leut der entſcheid geſchehe/ welche eine genugſame cogni- tionem cauſæ eingenommen haben/ womit alsdann die gewiſſen beſſer tran- quillirt/ und alles ſonſten befahrende aͤrgernuͤß abgewendet werden mag. ꝛc. 1684. SECTIO XV. Uber einen caſum einer/ die von ihrem braͤutigam ablaſſen wolte/ weil ſie ſich mit einem andern/ den ſie den teuffel zu ſeyn vermuthet/ verſprochen haͤtte. SEmpronia eine Jungfer/ ſcheinenden euſſerlichen ſeinen wandels/ verſprach ſich auff ihrer eltern und freunde belieben mit Titio, ce- lebrirte auch vor pfingſten ſponſalia domeſtica, ließ ſich nicht weni- ger dreymal ordentlich proclamiren/ an ſtatt daß der geſetzte hochzeit- tag ſeinen fortgang gewinnen ſolte/ kommet ein ſchreiben von dem ab- weſenden braͤutigam/ welches berichtet/ daß das gewaͤſſer ſo ſtarck an- gelauffen auff ſeinen guͤtern/ daß ohne verluſt groſſen unkoſtens er von den arbeitern die es abwenden ſollen/ nicht abweichen/ ſondern die hochzeit auff eine andere zeit verlegen muͤſſe. Nach dieſem kam der braͤuti-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/596
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/596>, abgerufen am 18.04.2024.