Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

Bild:
<< vorherige Seite
Das fünffte Capitel.

P. S.
Liebe Schwester.
Ach fahret fort/ wie ihr euch erklähret/ den elenden zustand seiner Chri-
stenheit unserm liebsten Heyland treulich und unabläßig (wozu ihr vor an-
dern mehrere gelegenheit habt) vorzutragen. Er ist ja so bewandt/ daß er
kaum elender seyn könte. Also ists wachens und betens zeit. Aber der
HERR wird drein sehen/ und die tag und nacht zu ihm ruffen/ retten in kur-
tzem. 168...

SECTIO XXXI.
Kath und trost aneinen/ der sich von seiner herr-
schafft unrecht zu leiden davor hielte/ und darüber auch
in geistliche anfechtungen geriethe.

JCh habe mit nicht weniger bestürtzung und betrübnüß desselben schrei-
ben in Franckfurt kurtz vor meiner abreise hieher nach Schwalbach
empfangen und gelesen/ und zwahr nicht also bald daselbsten antwor-
ten mögen/ aber einen theil der hiesigen ruhe zu dieser beantwortung anwen-
den sollen. Zum allerfordersten versichere ich mich aus mir von langem be-
kanter alter redlichkeit/ daß in facto, wie derselbe erzehlet/ sich also alles ver-
halte/ und er demnach in seinem hertzen und gewissen seiner völligen un-
schuld versichert seyn werde. Dann wozu würde es nutzen/ einem als ich
bin/ der zu der hauptsache nichts zuthun vermag/ die unschuld persvadiren
wollen/ die sich nicht also verhielte/ und es etwa dermaleins geschehen möch-
te/ daß ich selbst ein widriges andersther vernehmen/ und denjenigen/ welcher
mich auch mit angemaster unschuld zu betriegen gesuchet hätte/ so viel schul-
diger achten müste? So hafftet auch kein trost zu heilung der seelen-wun-
den/ als lang wo die angemaßte unschuld nicht auch in der that ist/ man sich
auf dieselbige bezeucht/ und nicht vielmehr mit redlicher bekäntnüß seines
verbrechens dem gewissen rath schaffet: Jn dem dieses/ ob es die gantze
welt zu betriegen wüßte/ doch vor GOtt nicht hoffen kan/ denselbigen zu be-
triegen/ sondern dessen straffende stimme so viel stärcker in sich fühlen muß/ je
weniger man ihm die ehre der bekäntnüß auch vor menschen geben will. Da-
her/ wofern dieses mein praesuppositum der unschuld/ auf welche sich mein
hochgeehrter Herr berufft/ sich nicht also verhalten solte (daran ich aber mei-
nes orts zu zweiffeln keine vernünfftige ursachen sehe/ und ohne das wohl
weiß/ wie es etwa offt auch mit treuen bedienten bey höffen und an hohen
orten zuzugehen pfleget) würde sonsten alles andere/ was ich schreiben wür-
de/ mit da hinfallen/ und nichts hafften. Ja wo auch bey der unschuld in

der
Das fuͤnffte Capitel.

P. S.
Liebe Schweſter.
Ach fahret fort/ wie ihr euch erklaͤhret/ den elenden zuſtand ſeiner Chri-
ſtenheit unſerm liebſten Heyland treulich und unablaͤßig (wozu ihr vor an-
dern mehrere gelegenheit habt) vorzutragen. Er iſt ja ſo bewandt/ daß er
kaum elender ſeyn koͤnte. Alſo iſts wachens und betens zeit. Aber der
HERR wird drein ſehen/ und die tag und nacht zu ihm ruffen/ retten in kur-
tzem. 168...

SECTIO XXXI.
Kath und troſt aneinen/ der ſich von ſeiner herr-
ſchafft unrecht zu leiden davor hielte/ und daruͤber auch
in geiſtliche anfechtungen geriethe.

JCh habe mit nicht weniger beſtuͤrtzung und betruͤbnuͤß deſſelben ſchrei-
ben in Franckfurt kurtz vor meiner abreiſe hieher nach Schwalbach
empfangen und geleſen/ und zwahr nicht alſo bald daſelbſten antwor-
ten moͤgen/ aber einen theil der hieſigen ruhe zu dieſer beantwortung anwen-
den ſollen. Zum allerforderſten verſichere ich mich aus mir von langem be-
kanter alter redlichkeit/ daß in facto, wie derſelbe erzehlet/ ſich alſo alles ver-
halte/ und er demnach in ſeinem hertzen und gewiſſen ſeiner voͤlligen un-
ſchuld verſichert ſeyn werde. Dann wozu wuͤrde es nutzen/ einem als ich
bin/ der zu der hauptſache nichts zuthun vermag/ die unſchuld perſvadiren
wollen/ die ſich nicht alſo verhielte/ und es etwa dermaleins geſchehen moͤch-
te/ daß ich ſelbſt ein widriges anderſther vernehmen/ und denjenigen/ welcher
mich auch mit angemaſter unſchuld zu betriegen geſuchet haͤtte/ ſo viel ſchul-
diger achten muͤſte? So hafftet auch kein troſt zu heilung der ſeelen-wun-
den/ als lang wo die angemaßte unſchuld nicht auch in der that iſt/ man ſich
auf dieſelbige bezeucht/ und nicht vielmehr mit redlicher bekaͤntnuͤß ſeines
verbrechens dem gewiſſen rath ſchaffet: Jn dem dieſes/ ob es die gantze
welt zu betriegen wuͤßte/ doch vor GOtt nicht hoffen kan/ denſelbigen zu be-
triegen/ ſondern deſſen ſtraffende ſtimme ſo viel ſtaͤrcker in ſich fuͤhlen muß/ je
weniger man ihm die ehre der bekaͤntnuͤß auch vor menſchen geben will. Da-
her/ wofern dieſes mein præſuppoſitum der unſchuld/ auf welche ſich mein
hochgeehrter Herr berufft/ ſich nicht alſo verhalten ſolte (daran ich aber mei-
nes orts zu zweiffeln keine vernuͤnfftige urſachen ſehe/ und ohne das wohl
weiß/ wie es etwa offt auch mit treuen bedienten bey hoͤffen und an hohen
orten zuzugehen pfleget) wuͤrde ſonſten alles andere/ was ich ſchreiben wuͤr-
de/ mit da hinfallen/ und nichts hafften. Ja wo auch bey der unſchuld in

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0850" n="842"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das fu&#x0364;nffte Capitel.</hi> </fw><lb/>
            <postscript>
              <p><hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">P. S.</hi></hi><lb/>
Liebe Schwe&#x017F;ter.<lb/>
Ach fahret fort/ wie ihr euch erkla&#x0364;hret/ den elenden zu&#x017F;tand &#x017F;einer Chri-<lb/>
&#x017F;tenheit un&#x017F;erm lieb&#x017F;ten Heyland treulich und unabla&#x0364;ßig (wozu ihr vor an-<lb/>
dern mehrere gelegenheit habt) vorzutragen. Er i&#x017F;t ja &#x017F;o bewandt/ daß er<lb/>
kaum elender &#x017F;eyn ko&#x0364;nte. Al&#x017F;o i&#x017F;ts wachens und betens zeit. Aber der<lb/>
HERR wird drein &#x017F;ehen/ und die tag und nacht zu ihm ruffen/ retten in kur-<lb/>
tzem. 168...</p>
            </postscript>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO</hi> XXXI.</hi><lb/>
Kath und tro&#x017F;t aneinen/ der &#x017F;ich von &#x017F;einer herr-<lb/>
&#x017F;chafft unrecht zu leiden davor hielte/ und daru&#x0364;ber auch<lb/>
in gei&#x017F;tliche anfechtungen geriethe.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">J</hi>Ch habe mit nicht weniger be&#x017F;tu&#x0364;rtzung und betru&#x0364;bnu&#x0364;ß de&#x017F;&#x017F;elben &#x017F;chrei-<lb/>
ben in Franckfurt kurtz vor meiner abrei&#x017F;e hieher nach Schwalbach<lb/>
empfangen und gele&#x017F;en/ und zwahr nicht al&#x017F;o bald da&#x017F;elb&#x017F;ten antwor-<lb/>
ten mo&#x0364;gen/ aber einen theil der hie&#x017F;igen ruhe zu die&#x017F;er beantwortung anwen-<lb/>
den &#x017F;ollen. Zum allerforder&#x017F;ten ver&#x017F;ichere ich mich aus mir von langem be-<lb/>
kanter alter redlichkeit/ daß in <hi rendition="#aq">facto,</hi> wie der&#x017F;elbe erzehlet/ &#x017F;ich al&#x017F;o alles ver-<lb/>
halte/ und er demnach in &#x017F;einem hertzen und gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;einer vo&#x0364;lligen un-<lb/>
&#x017F;chuld ver&#x017F;ichert &#x017F;eyn werde. Dann wozu wu&#x0364;rde es nutzen/ einem als ich<lb/>
bin/ der zu der haupt&#x017F;ache nichts zuthun vermag/ die un&#x017F;chuld <hi rendition="#aq">per&#x017F;vadi</hi>ren<lb/>
wollen/ die &#x017F;ich nicht al&#x017F;o verhielte/ und es etwa dermaleins ge&#x017F;chehen mo&#x0364;ch-<lb/>
te/ daß ich &#x017F;elb&#x017F;t ein widriges ander&#x017F;ther vernehmen/ und denjenigen/ welcher<lb/>
mich auch mit angema&#x017F;ter un&#x017F;chuld zu betriegen ge&#x017F;uchet ha&#x0364;tte/ &#x017F;o viel &#x017F;chul-<lb/>
diger achten mu&#x0364;&#x017F;te? So hafftet auch kein tro&#x017F;t zu heilung der &#x017F;eelen-wun-<lb/>
den/ als lang wo die angemaßte un&#x017F;chuld nicht auch in der that i&#x017F;t/ man &#x017F;ich<lb/>
auf die&#x017F;elbige bezeucht/ und nicht vielmehr mit redlicher beka&#x0364;ntnu&#x0364;ß &#x017F;eines<lb/>
verbrechens dem gewi&#x017F;&#x017F;en rath &#x017F;chaffet: Jn dem die&#x017F;es/ ob es die gantze<lb/>
welt zu betriegen wu&#x0364;ßte/ doch vor GOtt nicht hoffen kan/ den&#x017F;elbigen zu be-<lb/>
triegen/ &#x017F;ondern de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;traffende &#x017F;timme &#x017F;o viel &#x017F;ta&#x0364;rcker in &#x017F;ich fu&#x0364;hlen muß/ je<lb/>
weniger man ihm die ehre der beka&#x0364;ntnu&#x0364;ß auch vor men&#x017F;chen geben will. Da-<lb/>
her/ wofern die&#x017F;es mein <hi rendition="#aq">præ&#x017F;uppo&#x017F;itum</hi> der un&#x017F;chuld/ auf welche &#x017F;ich mein<lb/>
hochgeehrter Herr berufft/ &#x017F;ich nicht al&#x017F;o verhalten &#x017F;olte (daran ich aber mei-<lb/>
nes orts zu zweiffeln keine vernu&#x0364;nfftige ur&#x017F;achen &#x017F;ehe/ und ohne das wohl<lb/>
weiß/ wie es etwa offt auch mit treuen bedienten bey ho&#x0364;ffen und an hohen<lb/>
orten zuzugehen pfleget) wu&#x0364;rde &#x017F;on&#x017F;ten alles andere/ was ich &#x017F;chreiben wu&#x0364;r-<lb/>
de/ mit da hinfallen/ und nichts hafften. Ja wo auch bey der un&#x017F;chuld in<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[842/0850] Das fuͤnffte Capitel. P. S. Liebe Schweſter. Ach fahret fort/ wie ihr euch erklaͤhret/ den elenden zuſtand ſeiner Chri- ſtenheit unſerm liebſten Heyland treulich und unablaͤßig (wozu ihr vor an- dern mehrere gelegenheit habt) vorzutragen. Er iſt ja ſo bewandt/ daß er kaum elender ſeyn koͤnte. Alſo iſts wachens und betens zeit. Aber der HERR wird drein ſehen/ und die tag und nacht zu ihm ruffen/ retten in kur- tzem. 168... SECTIO XXXI. Kath und troſt aneinen/ der ſich von ſeiner herr- ſchafft unrecht zu leiden davor hielte/ und daruͤber auch in geiſtliche anfechtungen geriethe. JCh habe mit nicht weniger beſtuͤrtzung und betruͤbnuͤß deſſelben ſchrei- ben in Franckfurt kurtz vor meiner abreiſe hieher nach Schwalbach empfangen und geleſen/ und zwahr nicht alſo bald daſelbſten antwor- ten moͤgen/ aber einen theil der hieſigen ruhe zu dieſer beantwortung anwen- den ſollen. Zum allerforderſten verſichere ich mich aus mir von langem be- kanter alter redlichkeit/ daß in facto, wie derſelbe erzehlet/ ſich alſo alles ver- halte/ und er demnach in ſeinem hertzen und gewiſſen ſeiner voͤlligen un- ſchuld verſichert ſeyn werde. Dann wozu wuͤrde es nutzen/ einem als ich bin/ der zu der hauptſache nichts zuthun vermag/ die unſchuld perſvadiren wollen/ die ſich nicht alſo verhielte/ und es etwa dermaleins geſchehen moͤch- te/ daß ich ſelbſt ein widriges anderſther vernehmen/ und denjenigen/ welcher mich auch mit angemaſter unſchuld zu betriegen geſuchet haͤtte/ ſo viel ſchul- diger achten muͤſte? So hafftet auch kein troſt zu heilung der ſeelen-wun- den/ als lang wo die angemaßte unſchuld nicht auch in der that iſt/ man ſich auf dieſelbige bezeucht/ und nicht vielmehr mit redlicher bekaͤntnuͤß ſeines verbrechens dem gewiſſen rath ſchaffet: Jn dem dieſes/ ob es die gantze welt zu betriegen wuͤßte/ doch vor GOtt nicht hoffen kan/ denſelbigen zu be- triegen/ ſondern deſſen ſtraffende ſtimme ſo viel ſtaͤrcker in ſich fuͤhlen muß/ je weniger man ihm die ehre der bekaͤntnuͤß auch vor menſchen geben will. Da- her/ wofern dieſes mein præſuppoſitum der unſchuld/ auf welche ſich mein hochgeehrter Herr berufft/ ſich nicht alſo verhalten ſolte (daran ich aber mei- nes orts zu zweiffeln keine vernuͤnfftige urſachen ſehe/ und ohne das wohl weiß/ wie es etwa offt auch mit treuen bedienten bey hoͤffen und an hohen orten zuzugehen pfleget) wuͤrde ſonſten alles andere/ was ich ſchreiben wuͤr- de/ mit da hinfallen/ und nichts hafften. Ja wo auch bey der unſchuld in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/850
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 842. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/850>, abgerufen am 25.04.2024.