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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das vierdte Capitel.
1. Was der rechte verstand seye der beyden sprüche/ Matth. 5/ 32.
Rom. 7/ 3.

WEil aus diesen beyden sprüchen der vornehmste scrupel Silano entstan-
den/ also müssen dieselbe zum allerfordersten nothwendig erkläret wer-
den: Nicht zwahr/ daß eine vollkommene ausführung alles desjenigen/
was bey solchen sprüchen vorkommen möchte/ nöthig erachte/ sondern
allein davon zu handeln/ ob aus solchen folge/ daß schlechterdings/ und
aus keiner ursach einiger ehegatt/ absonderlich ein weib/ deren mann
noch im leben ist/ wiederum heyrathen möge/ sondern bloß dahin alle
solche zweyte ehe/ die bey leben des vorigen ehegemahls geschihet/ als
ein verdammlicher ehebruch von seiten solcher person/ und derjenigen/
welche sich mit ihr einlässet/ zu halten seye. Denn diesen verstand schei-
net Silanus in solchen sprüchen zu besorgen/ und hat daher seine scrupu-
los
bekommen. Nun ist nicht ohne/ daß die von Römisch-Päpstischer
seiten in solcher meinung sind/ daß auch nicht einmal durch den ehebruch
das eheliche band auffgelöset/ und also zu anderwärtiger verheyrathung
erlaubnüß gegeben werde. Es ist aber biß daher solcher Römischer par-
they ihre meinung von unsern Theologis mit mehrerm widerleget/ und
gezeiget worden/ daß solche sprüche Christi und Pauli diesen nicht mit
sich bringen/ wozu sie von ihnen angeführet werden. Wir haben uns
allein hie der kürtze zu befleißigen.

Was nun den ersten spruch Matth. 5/ 32. mit dem der gleichlau-
tende Matth. 19/ 9. zu vergleichen/ anlanget: So ist 1. zu mercken/
aus was gelegenheit unser Heyland solche worte geredet/ nemlich über
die theils von Mose um der härtigkeit der hertzen willen erlaubte/ und
durch viele ihrer lehrer zusätze weiter ausgedähnte scheidung der ehe durch
gebenden scheid-brieff. Welches Christus weiset entgegen zu stehen der
ersten einsetzung der ehe/ daß es nemlich von anbegin nicht also gewesen.
War also der casus, ob auf einige weise ein mann von seinem weibe/
welches er einmal genommen/ frey werden könne; da antwortet Chri-
stus/ es könne solches nicht geschehen auf die art/ wie von jüdischer sei-
ten geglaubet wurde/ daß auch um geringer ursache willen/ ein scheide-
brieff gegeben werden könte. Stehet demnach diese rede Christi entgegen
der/ die erlaubnüß der scheidung allzuweit ausdähnender jüdischen mei-
nung: Und weiset hingegen/ wie fest das band der ehe sey. 2. So ist
wol zu mercken/ die austrückliche limitiaton unsers Heylandes/ es sey

denn
Das vierdte Capitel.
1. Was der rechte verſtand ſeye der beyden ſpruͤche/ Matth. 5/ 32.
Rom. 7/ 3.

WEil aus dieſen beyden ſpruͤchen der vornehmſte ſcrupel Silano entſtan-
den/ alſo muͤſſen dieſelbe zum allerforderſten nothwendig erklaͤret wer-
den: Nicht zwahr/ daß eine vollkommene ausfuͤhrung alles desjenigen/
was bey ſolchen ſpruͤchen vorkommen moͤchte/ noͤthig erachte/ ſondern
allein davon zu handeln/ ob aus ſolchen folge/ daß ſchlechterdings/ und
aus keiner urſach einiger ehegatt/ abſonderlich ein weib/ deren mann
noch im leben iſt/ wiederum heyrathen moͤge/ ſondern bloß dahin alle
ſolche zweyte ehe/ die bey leben des vorigen ehegemahls geſchihet/ als
ein verdammlicher ehebruch von ſeiten ſolcher perſon/ und derjenigen/
welche ſich mit ihr einlaͤſſet/ zu halten ſeye. Denn dieſen verſtand ſchei-
net Silanus in ſolchen ſpruͤchen zu beſorgen/ und hat daher ſeine ſcrupu-
los
bekommen. Nun iſt nicht ohne/ daß die von Roͤmiſch-Paͤpſtiſcher
ſeiten in ſolcher meinung ſind/ daß auch nicht einmal durch den ehebruch
das eheliche band auffgeloͤſet/ und alſo zu anderwaͤrtiger verheyrathung
erlaubnuͤß gegeben werde. Es iſt aber biß daher ſolcher Roͤmiſcher par-
they ihre meinung von unſern Theologis mit mehrerm widerleget/ und
gezeiget worden/ daß ſolche ſpruͤche Chriſti und Pauli dieſen nicht mit
ſich bringen/ wozu ſie von ihnen angefuͤhret werden. Wir haben uns
allein hie der kuͤrtze zu befleißigen.

Was nun den erſten ſpruch Matth. 5/ 32. mit dem der gleichlau-
tende Matth. 19/ 9. zu vergleichen/ anlanget: So iſt 1. zu mercken/
aus was gelegenheit unſer Heyland ſolche worte geredet/ nemlich uͤber
die theils von Moſe um der haͤrtigkeit der hertzen willen erlaubte/ und
durch viele ihrer lehrer zuſaͤtze weiter ausgedaͤhnte ſcheidung der ehe durch
gebenden ſcheid-brieff. Welches Chriſtus weiſet entgegen zu ſtehen der
erſten einſetzung der ehe/ daß es nemlich von anbegin nicht alſo geweſen.
War alſo der caſus, ob auf einige weiſe ein mann von ſeinem weibe/
welches er einmal genommen/ frey werden koͤnne; da antwortet Chri-
ſtus/ es koͤnne ſolches nicht geſchehen auf die art/ wie von juͤdiſcher ſei-
ten geglaubet wurde/ daß auch um geringer urſache willen/ ein ſcheide-
brieff gegeben werden koͤnte. Stehet demnach dieſe rede Chriſti entgegen
der/ die erlaubnuͤß der ſcheidung allzuweit ausdaͤhnender juͤdiſchen mei-
nung: Und weiſet hingegen/ wie feſt das band der ehe ſey. 2. So iſt
wol zu mercken/ die austruͤckliche limitiaton unſers Heylandes/ es ſey

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[602/0610] Das vierdte Capitel. 1. Was der rechte verſtand ſeye der beyden ſpruͤche/ Matth. 5/ 32. Rom. 7/ 3. WEil aus dieſen beyden ſpruͤchen der vornehmſte ſcrupel Silano entſtan- den/ alſo muͤſſen dieſelbe zum allerforderſten nothwendig erklaͤret wer- den: Nicht zwahr/ daß eine vollkommene ausfuͤhrung alles desjenigen/ was bey ſolchen ſpruͤchen vorkommen moͤchte/ noͤthig erachte/ ſondern allein davon zu handeln/ ob aus ſolchen folge/ daß ſchlechterdings/ und aus keiner urſach einiger ehegatt/ abſonderlich ein weib/ deren mann noch im leben iſt/ wiederum heyrathen moͤge/ ſondern bloß dahin alle ſolche zweyte ehe/ die bey leben des vorigen ehegemahls geſchihet/ als ein verdammlicher ehebruch von ſeiten ſolcher perſon/ und derjenigen/ welche ſich mit ihr einlaͤſſet/ zu halten ſeye. Denn dieſen verſtand ſchei- net Silanus in ſolchen ſpruͤchen zu beſorgen/ und hat daher ſeine ſcrupu- los bekommen. Nun iſt nicht ohne/ daß die von Roͤmiſch-Paͤpſtiſcher ſeiten in ſolcher meinung ſind/ daß auch nicht einmal durch den ehebruch das eheliche band auffgeloͤſet/ und alſo zu anderwaͤrtiger verheyrathung erlaubnuͤß gegeben werde. Es iſt aber biß daher ſolcher Roͤmiſcher par- they ihre meinung von unſern Theologis mit mehrerm widerleget/ und gezeiget worden/ daß ſolche ſpruͤche Chriſti und Pauli dieſen nicht mit ſich bringen/ wozu ſie von ihnen angefuͤhret werden. Wir haben uns allein hie der kuͤrtze zu befleißigen. Was nun den erſten ſpruch Matth. 5/ 32. mit dem der gleichlau- tende Matth. 19/ 9. zu vergleichen/ anlanget: So iſt 1. zu mercken/ aus was gelegenheit unſer Heyland ſolche worte geredet/ nemlich uͤber die theils von Moſe um der haͤrtigkeit der hertzen willen erlaubte/ und durch viele ihrer lehrer zuſaͤtze weiter ausgedaͤhnte ſcheidung der ehe durch gebenden ſcheid-brieff. Welches Chriſtus weiſet entgegen zu ſtehen der erſten einſetzung der ehe/ daß es nemlich von anbegin nicht alſo geweſen. War alſo der caſus, ob auf einige weiſe ein mann von ſeinem weibe/ welches er einmal genommen/ frey werden koͤnne; da antwortet Chri- ſtus/ es koͤnne ſolches nicht geſchehen auf die art/ wie von juͤdiſcher ſei- ten geglaubet wurde/ daß auch um geringer urſache willen/ ein ſcheide- brieff gegeben werden koͤnte. Stehet demnach dieſe rede Chriſti entgegen der/ die erlaubnuͤß der ſcheidung allzuweit ausdaͤhnender juͤdiſchen mei- nung: Und weiſet hingegen/ wie feſt das band der ehe ſey. 2. So iſt wol zu mercken/ die austruͤckliche limitiaton unſers Heylandes/ es ſey denn

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/610>, abgerufen am 25.04.2024.