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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
40. Das gute wird insgemein gelästert. Dreßdisches Edict. Der spruch
2. Cor. 12/9. Was vor schwachheit. 1. Tim. 5/8. Quedlinburgischer ca-
techismus. Besuchung der predigten an fremden ort. Vorsichtigkeit in
verrichtung des guten.
41. Bewandnüß unserer zeiten. Starcke bewegung der gemüther. Der welt
widrigkeit gegen das gute: sonderlich auch der Theologorum. Gewiß-
heit des siegs.
42. Von der klage/ wie wenig man ausrichte. Dessen ursachen. Hoffnung
künfftiger besserung. Von dero art.
SECTIO I.

Als wegen der Oberhoffprediger stelle in Sach-
sen zum erstenmahl
sondiret wor-
den.

JCh komme auff dasjenige/ was das nachdencklichste in schreiben ist/ wegen
Herrn von Friesen Excell. und mit demselben Eur. Excell. guter gedan-
[c]ken von mir. Wo ich die sache in der furcht des HERRN erwege/ so ste-
het

1. Dieses gewiß/ daß einem wahrhafftig Göttlichen beruff so wenig ich als
einiger anderer mich entziehen könne/ als fern solcher in den gewissen erkant wird.
Denn der HERR behält das recht über uns seinen diener nicht nach unserem oder
einiger menschen sondern allein nach seinem willen zu disponiren.

2. Ob aber eben dieses oder jenes von Göttlichen beruff oder tentation
zuhalten seye/ wird eine so viel schwehrere sache zu erkennen/ nachdem das urtheil
aus so viel umstände gefasset werden muß/ welche alle richtig seyn müssen/ und zu
weilen ein einiger die gewißheit des theiou in der gantzen sache kan schwächen/ oder
auffheben. So ist bey mir ohne das eine fast stäte irresoIution in eigenen sachen/
als der mir niemahl traue/ ein ding approfondirt zu haben/ bleibet also bey einer
resolution fast immer noch formido oppositi. Jch weiß wie sauer mir die sache
worden ist/ von Straßburg hieher zu resolviren/ u. habe nicht gedacht od' gewünschet
daß mich Gott jemahl wieder in gleicher sorge werde gerathen lassen. Jch wuste mir
auch nicht zuhelffe/ nachdem hauff guter freunde einrathen das gewissen nicht ruhig
stelle konte/ der ich aus der erfahrung weiß/ wie so gar gemein es seye daß gute freun-
de auch unwissend in ihren einrathen auff fleischliche dinge eben so viel alsauff dasje-
nige/ was allein Göttlich ist zu sehen pflegen. Vielweniger dörffte mir selbst trauen
als meiner schwachheit noch mehr bewusst. Daher ich in solchen zweiffel keinen andern
rath wuste/ als daß es denen beyden städten Straßburg und Franckfurth überlies-

se/
Das ſechſte Capitel.
40. Das gute wird insgemein gelaͤſtert. Dreßdiſches Edict. Der ſpruch
2. Cor. 12/9. Was vor ſchwachheit. 1. Tim. 5/8. Quedlinburgiſcher ca-
techiſmus. Beſuchung der predigten an fremden ort. Vorſichtigkeit in
verrichtung des guten.
41. Bewandnuͤß unſerer zeiten. Starcke bewegung der gemuͤther. Der welt
widrigkeit gegen das gute: ſonderlich auch der Theologorum. Gewiß-
heit des ſiegs.
42. Von der klage/ wie wenig man ausrichte. Deſſen urſachen. Hoffnung
kuͤnfftiger beſſerung. Von dero art.
SECTIO I.

Als wegen der Oberhoffprediger ſtelle in Sach-
ſen zum erſtenmahl
ſondiret wor-
den.

JCh komme auff dasjenige/ was das nachdencklichſte in ſchreiben iſt/ wegen
Herrn von Frieſen Excell. und mit demſelben Eur. Excell. guter gedan-
[c]ken von mir. Wo ich die ſache in der furcht des HERRN erwege/ ſo ſte-
het

1. Dieſes gewiß/ daß einem wahrhafftig Goͤttlichen beruff ſo wenig ich als
einiger anderer mich entziehen koͤnne/ als fern ſolcher in den gewiſſen erkant wird.
Denn der HERR behaͤlt das recht uͤber uns ſeinen diener nicht nach unſerem oder
einiger menſchen ſondern allein nach ſeinem willen zu diſponiren.

2. Ob aber eben dieſes oder jenes von Goͤttlichen beruff oder tentation
zuhalten ſeye/ wird eine ſo viel ſchwehrere ſache zu erkennen/ nachdem das urtheil
aus ſo viel umſtaͤnde gefaſſet werden muß/ welche alle richtig ſeyn muͤſſen/ und zu
weilen ein einiger die gewißheit des θείου in der gantzen ſache kan ſchwaͤchen/ oder
auffheben. So iſt bey mir ohne das eine faſt ſtaͤte irreſoIution in eigenen ſachen/
als der mir niemahl traue/ ein ding approfondirt zu haben/ bleibet alſo bey einer
reſolution faſt immer noch formido oppoſiti. Jch weiß wie ſauer mir die ſache
wordẽ iſt/ von Straßburg hieher zu reſolviren/ u. habe nicht gedacht od’ gewuͤnſchet
daß mich Gott jemahl wieder in gleicher ſorge werde gerathen laſſen. Jch wuſte mir
auch nicht zuhelffe/ nachdem hauff guter freunde einꝛathẽ das gewiſſen nicht ruhig
ſtelle konte/ der ich aus der erfahrung weiß/ wie ſo gar gemein es ſeye daß gute freun-
de auch unwiſſend in ihren einꝛathen auff fleiſchliche dinge eben ſo viel alsauff dasje-
nige/ was allein Goͤttlich iſt zu ſehen pflegen. Vielweniger doͤrffte mir ſelbſt trauen
als meiner ſchwachheit noch mehr bewuſſt. Daher ich in ſolchẽ zweiffel keinen andeꝛn
rath wuſte/ als daß es denen beyden ſtaͤdten Straßburg und Franckfurth uͤberlieſ-

ſe/
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[662/0680] Das ſechſte Capitel. 40. Das gute wird insgemein gelaͤſtert. Dreßdiſches Edict. Der ſpruch 2. Cor. 12/9. Was vor ſchwachheit. 1. Tim. 5/8. Quedlinburgiſcher ca- techiſmus. Beſuchung der predigten an fremden ort. Vorſichtigkeit in verrichtung des guten. 41. Bewandnuͤß unſerer zeiten. Starcke bewegung der gemuͤther. Der welt widrigkeit gegen das gute: ſonderlich auch der Theologorum. Gewiß- heit des ſiegs. 42. Von der klage/ wie wenig man ausrichte. Deſſen urſachen. Hoffnung kuͤnfftiger beſſerung. Von dero art. SECTIO I. Als wegen der Oberhoffprediger ſtelle in Sach- ſen zum erſtenmahl ſondiret wor- den. JCh komme auff dasjenige/ was das nachdencklichſte in ſchreiben iſt/ wegen Herrn von Frieſen Excell. und mit demſelben Eur. Excell. guter gedan- cken von mir. Wo ich die ſache in der furcht des HERRN erwege/ ſo ſte- het 1. Dieſes gewiß/ daß einem wahrhafftig Goͤttlichen beruff ſo wenig ich als einiger anderer mich entziehen koͤnne/ als fern ſolcher in den gewiſſen erkant wird. Denn der HERR behaͤlt das recht uͤber uns ſeinen diener nicht nach unſerem oder einiger menſchen ſondern allein nach ſeinem willen zu diſponiren. 2. Ob aber eben dieſes oder jenes von Goͤttlichen beruff oder tentation zuhalten ſeye/ wird eine ſo viel ſchwehrere ſache zu erkennen/ nachdem das urtheil aus ſo viel umſtaͤnde gefaſſet werden muß/ welche alle richtig ſeyn muͤſſen/ und zu weilen ein einiger die gewißheit des θείου in der gantzen ſache kan ſchwaͤchen/ oder auffheben. So iſt bey mir ohne das eine faſt ſtaͤte irreſoIution in eigenen ſachen/ als der mir niemahl traue/ ein ding approfondirt zu haben/ bleibet alſo bey einer reſolution faſt immer noch formido oppoſiti. Jch weiß wie ſauer mir die ſache wordẽ iſt/ von Straßburg hieher zu reſolviren/ u. habe nicht gedacht od’ gewuͤnſchet daß mich Gott jemahl wieder in gleicher ſorge werde gerathen laſſen. Jch wuſte mir auch nicht zuhelffe/ nachdem hauff guter freunde einꝛathẽ das gewiſſen nicht ruhig ſtelle konte/ der ich aus der erfahrung weiß/ wie ſo gar gemein es ſeye daß gute freun- de auch unwiſſend in ihren einꝛathen auff fleiſchliche dinge eben ſo viel alsauff dasje- nige/ was allein Goͤttlich iſt zu ſehen pflegen. Vielweniger doͤrffte mir ſelbſt trauen als meiner ſchwachheit noch mehr bewuſſt. Daher ich in ſolchẽ zweiffel keinen andeꝛn rath wuſte/ als daß es denen beyden ſtaͤdten Straßburg und Franckfurth uͤberlieſ- ſe/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 662. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/680>, abgerufen am 29.03.2024.