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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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DISTINCTIO II. SECTIO XXVI.
SECTIO XXVI.

An eine prediger witwe. Freude über zunehmende zahl der
frommen. Betrübniß über des ehegatten todt. Es kan derselben
zuviel nachgezeuget werden. Klage über die trägheit. Diese unter-
schiedlicher art. Was dabey zuthun.

WJe mir das gute zeugniß von deroselben bereits vorher angenehm gewesen/ so konte das dar-
auf von dero lieber hand empfangene briefflein auch nicht anders als angenehm seyn/ in-
dem nicht nur die gegen meine wenigkeit tragende christliche liebe/ so mich hinwieder sonderbar
verbindet/ sondern vornehmlich die gnade Gottes/ so sie in Christo JEsu ergrieffen/ zu erkäntniß
des rechtsch affen wesens/ das in denselbigen ist/ gebracht/ und ein verlangen ihm beständig zu die-
nen in ihro erwecket hat/ zu vielem meinem vergnügen heraus leuchtet. Dem HErrn HErrn seye
ewiger preiß/ der auch zu diesen zeiten der göttlichen so geist-als weltlichen gerichten/ da es offt
scheinet/ er seye uns worden/ wie ein bronne/ der nicht mehr qvellen will/ dannoch weiset/ daß er
seiner güte noch nicht vergessen/ oder seinem wort alle wiedergebährende und heiligende krafft ent-
zogen habe/ sondern unß noch stets exempel solcher seelen vor augen kommen lässet/ die er kräfftig
rühret/ sie aus der welt und dero verderbniß/ oder doch gemeinen sicherheit herausreisset/ und als-
denn sein werck in ihnen herrlich und kräfftig führet. Wie wir denn vor iedes dergleichen exem-
pel/ welches er uns vor augen kommen lässet/ billich demüthigst danck zusagen/ uns der wachsen-
den zahl der kinder Gottes zu freuen/ und unsern glauben auch daraus zu stärcken/ hingegen vor
einander wo uns der HErr bekant machet/ desto hertzlicher zu beten haben. Daß dero Eherrns
seliger aber frühzeitiger todt dieselbe eine gute zeit sehr nieder geschlagen habe/ ist eine wirckung der
liebe/ und so wol die daraus über den verlust des geliebten erweckte traurigkeit als sehnen/ an
und vor sich selbst/ nach dem der HErr uns nicht zu steinen und klötzern erschaffen/ noch zu densel-
ben werden lassen/ sondern seine hand/ die uns schläget und schmertzen verursachet/ von uns gefüh-
let haben will nicht unrecht: Es ist aber sehr schwehr/ solche natürliche empfindlichkeit also zu
mäßigen/ daß nicht die trauer das hertz zu sehr einnehme/ oder zu lang verunruhige/ ja wir wer-
den bey den allermeisten sehen/ daß die schrancken der christlichen gelassenheit überschritten wer-
den. Wo aber solches geschiehet/ ists uns allemal ein zeugniß/ daß unsre an sich selbst gute und
göttlicher einsetzung gemässe liebe in einiger unordnung gestanden sey: Dann wie wir alles unter
und in GOtt lieben sollen/ dermassen daß wirs nicht anders lieben sollen/ als nach seinem willen/
so würde in solcher schuldigen bewandtniß unsre seele bey der entziehung des geliebten die kindliche
annehmung göttlichen Vater willens/ die unruhe bald stillen/ und die empfindlichkeit des schmer-
tzens mäßigen: Wo wir nun solches nicht vermögen/ offenbahret sichs/ wie auch etwas unordent-
liches in der liebe gewesen seye: aus welchem alle starcke verunruhigung der seele und hefftigers
dero leiden entstehet/ aber uns dieses eben zur züchtigung wird/ da uns unser schmertzen so viel
mehr wehe thut/ als wir vorhin das jenige/ was wir gehabt/ mit mehr als sich geziemet/ eigenheit
geliebet und besessen haben. Dem HErrn aber sey danck/ der sie auch nicht nur mit erkäntniß
seines willens aus seinem wort wiedrum kräfftig aufgerichtet/ sondern auch ihre vorige schwach-
heit endlich zu einen mittel mehrer heiligung bey ihr gemachet hat: der führe ferner sein werck in
ihr zu seinen ehren. Die klage der Trägheit betreffende/ glaube sie/ daß sie dieselbe mit so vielen
auserwehlten brüdern und schwestern gemein habe. Wie aber die trägheit an sich selbst nicht löb-
lich ist/ so ist hingegen die klage an sich selbst ein gutes zeichen. Wir müssen aber mercken/ daß auch
diese trägheit unterschiedlicher art seye. Es ist bereits unser natürliches/ sich bey allen menschen
aus ihrer natur befindendes/ unvermögen des guten eine trägheit/ auch aller übriger trägheit
ursprung. Nechst deroselben ist abermal eine doppelte trägheit; die eine art list der jenigen/ die
ihr nachhängen/ und da sie sich sonderlich die einbildung eines Christenthums/ so in blosser äuser-
lichen wenigen dingen bestehe/ haben einnehmen lassen/ und einen mehrern fleiß in dem wege der
gottseligkeit nicht möglich noch nöthig achten/ als sie gemeiniglich vor augen sehen/ zwar nicht un-

ter-
DISTINCTIO II. SECTIO XXVI.
SECTIO XXVI.

An eine prediger witwe. Freude uͤber zunehmende zahl der
frommen. Betruͤbniß uͤber des ehegatten todt. Es kan derſelben
zuviel nachgezeuget werden. Klage uͤber die traͤgheit. Dieſe unter-
ſchiedlicher art. Was dabey zuthun.

WJe mir das gute zeugniß von deroſelben bereits vorher angenehm geweſen/ ſo konte das dar-
auf von dero lieber hand empfangene briefflein auch nicht anders als angenehm ſeyn/ in-
dem nicht nur die gegen meine wenigkeit tragende chriſtliche liebe/ ſo mich hinwieder ſonderbar
verbindet/ ſondern vornehmlich die gnade Gottes/ ſo ſie in Chriſto JEſu ergrieffen/ zu erkaͤntniß
des rechtſch affen weſens/ das in denſelbigen iſt/ gebracht/ und ein verlangen ihm beſtaͤndig zu die-
nen in ihro erwecket hat/ zu vielem meinem vergnuͤgen heraus leuchtet. Dem HErrn HErrn ſeye
ewiger preiß/ der auch zu dieſen zeiten der goͤttlichen ſo geiſt-als weltlichen gerichten/ da es offt
ſcheinet/ er ſeye uns worden/ wie ein bronne/ der nicht mehr qvellen will/ dannoch weiſet/ daß er
ſeiner guͤte noch nicht vergeſſen/ oder ſeinem wort alle wiedergebaͤhrende und heiligende krafft ent-
zogen habe/ ſondern unß noch ſtets exempel ſolcher ſeelen vor augen kommen laͤſſet/ die er kraͤfftig
ruͤhret/ ſie aus der welt und dero verderbniß/ oder doch gemeinen ſicherheit herausreiſſet/ und als-
denn ſein werck in ihnen herrlich und kraͤfftig fuͤhret. Wie wir denn vor iedes dergleichen exem-
pel/ welches er uns vor augen kommen laͤſſet/ billich demuͤthigſt danck zuſagen/ uns der wachſen-
den zahl der kinder Gottes zu freuen/ und unſern glauben auch daraus zu ſtaͤrcken/ hingegen vor
einander wo uns der HErr bekant machet/ deſto hertzlicher zu beten haben. Daß dero Eherrns
ſeliger aber fruͤhzeitiger todt dieſelbe eine gute zeit ſehr nieder geſchlagen habe/ iſt eine wirckung der
liebe/ und ſo wol die daraus uͤber den verluſt des geliebten erweckte traurigkeit als ſehnen/ an
und vor ſich ſelbſt/ nach dem der HErr uns nicht zu ſteinen und kloͤtzern erſchaffen/ noch zu denſel-
ben werden laſſen/ ſondern ſeine hand/ die uns ſchlaͤget und ſchmertzen verurſachet/ von uns gefuͤh-
let haben will nicht unrecht: Es iſt aber ſehr ſchwehr/ ſolche natuͤrliche empfindlichkeit alſo zu
maͤßigen/ daß nicht die trauer das hertz zu ſehr einnehme/ oder zu lang verunruhige/ ja wir wer-
den bey den allermeiſten ſehen/ daß die ſchrancken der chriſtlichen gelaſſenheit uͤberſchritten wer-
den. Wo aber ſolches geſchiehet/ iſts uns allemal ein zeugniß/ daß unſre an ſich ſelbſt gute und
goͤttlicher einſetzung gemaͤſſe liebe in einiger unordnung geſtanden ſey: Dann wie wir alles unter
und in GOtt lieben ſollen/ dermaſſen daß wirs nicht anders lieben ſollen/ als nach ſeinem willen/
ſo wuͤrde in ſolcher ſchuldigen bewandtniß unſre ſeele bey der entziehung des geliebten die kindliche
annehmung goͤttlichen Vater willens/ die unruhe bald ſtillen/ und die empfindlichkeit des ſchmer-
tzens maͤßigen: Wo wir nun ſolches nicht vermoͤgen/ offenbahret ſichs/ wie auch etwas unordent-
liches in der liebe geweſen ſeye: aus welchem alle ſtarcke verunruhigung der ſeele und hefftigers
dero leiden entſtehet/ aber uns dieſes eben zur zuͤchtigung wird/ da uns unſer ſchmertzen ſo viel
mehr wehe thut/ als wir vorhin das jenige/ was wir gehabt/ mit mehr als ſich geziemet/ eigenheit
geliebet und beſeſſen haben. Dem HErrn aber ſey danck/ der ſie auch nicht nur mit erkaͤntniß
ſeines willens aus ſeinem wort wiedrum kraͤfftig aufgerichtet/ ſondern auch ihre vorige ſchwach-
heit endlich zu einen mittel mehrer heiligung bey ihr gemachet hat: der fuͤhre ferner ſein werck in
ihr zu ſeinen ehren. Die klage der Traͤgheit betreffende/ glaube ſie/ daß ſie dieſelbe mit ſo vielen
auserwehlten bruͤdern und ſchweſtern gemein habe. Wie aber die traͤgheit an ſich ſelbſt nicht loͤb-
lich iſt/ ſo iſt hingegen die klage an ſich ſelbſt ein gutes zeichen. Wir muͤſſen aber mercken/ daß auch
dieſe traͤgheit unterſchiedlicher art ſeye. Es iſt bereits unſer natuͤrliches/ ſich bey allen menſchen
aus ihrer natur befindendes/ unvermoͤgen des guten eine traͤgheit/ auch aller uͤbriger traͤgheit
urſprung. Nechſt deroſelben iſt abermal eine doppelte traͤgheit; die eine art liſt der jenigen/ die
ihr nachhaͤngen/ und da ſie ſich ſonderlich die einbildung eines Chriſtenthums/ ſo in bloſſer aͤuſer-
lichen wenigen dingen beſtehe/ haben einnehmen laſſen/ und einen mehrern fleiß in dem wege der
gottſeligkeit nicht moͤglich noch noͤthig achten/ als ſie gemeiniglich vor augen ſehen/ zwar nicht un-

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[767/0785] DISTINCTIO II. SECTIO XXVI. SECTIO XXVI. An eine prediger witwe. Freude uͤber zunehmende zahl der frommen. Betruͤbniß uͤber des ehegatten todt. Es kan derſelben zuviel nachgezeuget werden. Klage uͤber die traͤgheit. Dieſe unter- ſchiedlicher art. Was dabey zuthun. WJe mir das gute zeugniß von deroſelben bereits vorher angenehm geweſen/ ſo konte das dar- auf von dero lieber hand empfangene briefflein auch nicht anders als angenehm ſeyn/ in- dem nicht nur die gegen meine wenigkeit tragende chriſtliche liebe/ ſo mich hinwieder ſonderbar verbindet/ ſondern vornehmlich die gnade Gottes/ ſo ſie in Chriſto JEſu ergrieffen/ zu erkaͤntniß des rechtſch affen weſens/ das in denſelbigen iſt/ gebracht/ und ein verlangen ihm beſtaͤndig zu die- nen in ihro erwecket hat/ zu vielem meinem vergnuͤgen heraus leuchtet. Dem HErrn HErrn ſeye ewiger preiß/ der auch zu dieſen zeiten der goͤttlichen ſo geiſt-als weltlichen gerichten/ da es offt ſcheinet/ er ſeye uns worden/ wie ein bronne/ der nicht mehr qvellen will/ dannoch weiſet/ daß er ſeiner guͤte noch nicht vergeſſen/ oder ſeinem wort alle wiedergebaͤhrende und heiligende krafft ent- zogen habe/ ſondern unß noch ſtets exempel ſolcher ſeelen vor augen kommen laͤſſet/ die er kraͤfftig ruͤhret/ ſie aus der welt und dero verderbniß/ oder doch gemeinen ſicherheit herausreiſſet/ und als- denn ſein werck in ihnen herrlich und kraͤfftig fuͤhret. Wie wir denn vor iedes dergleichen exem- pel/ welches er uns vor augen kommen laͤſſet/ billich demuͤthigſt danck zuſagen/ uns der wachſen- den zahl der kinder Gottes zu freuen/ und unſern glauben auch daraus zu ſtaͤrcken/ hingegen vor einander wo uns der HErr bekant machet/ deſto hertzlicher zu beten haben. Daß dero Eherrns ſeliger aber fruͤhzeitiger todt dieſelbe eine gute zeit ſehr nieder geſchlagen habe/ iſt eine wirckung der liebe/ und ſo wol die daraus uͤber den verluſt des geliebten erweckte traurigkeit als ſehnen/ an und vor ſich ſelbſt/ nach dem der HErr uns nicht zu ſteinen und kloͤtzern erſchaffen/ noch zu denſel- ben werden laſſen/ ſondern ſeine hand/ die uns ſchlaͤget und ſchmertzen verurſachet/ von uns gefuͤh- let haben will nicht unrecht: Es iſt aber ſehr ſchwehr/ ſolche natuͤrliche empfindlichkeit alſo zu maͤßigen/ daß nicht die trauer das hertz zu ſehr einnehme/ oder zu lang verunruhige/ ja wir wer- den bey den allermeiſten ſehen/ daß die ſchrancken der chriſtlichen gelaſſenheit uͤberſchritten wer- den. Wo aber ſolches geſchiehet/ iſts uns allemal ein zeugniß/ daß unſre an ſich ſelbſt gute und goͤttlicher einſetzung gemaͤſſe liebe in einiger unordnung geſtanden ſey: Dann wie wir alles unter und in GOtt lieben ſollen/ dermaſſen daß wirs nicht anders lieben ſollen/ als nach ſeinem willen/ ſo wuͤrde in ſolcher ſchuldigen bewandtniß unſre ſeele bey der entziehung des geliebten die kindliche annehmung goͤttlichen Vater willens/ die unruhe bald ſtillen/ und die empfindlichkeit des ſchmer- tzens maͤßigen: Wo wir nun ſolches nicht vermoͤgen/ offenbahret ſichs/ wie auch etwas unordent- liches in der liebe geweſen ſeye: aus welchem alle ſtarcke verunruhigung der ſeele und hefftigers dero leiden entſtehet/ aber uns dieſes eben zur zuͤchtigung wird/ da uns unſer ſchmertzen ſo viel mehr wehe thut/ als wir vorhin das jenige/ was wir gehabt/ mit mehr als ſich geziemet/ eigenheit geliebet und beſeſſen haben. Dem HErrn aber ſey danck/ der ſie auch nicht nur mit erkaͤntniß ſeines willens aus ſeinem wort wiedrum kraͤfftig aufgerichtet/ ſondern auch ihre vorige ſchwach- heit endlich zu einen mittel mehrer heiligung bey ihr gemachet hat: der fuͤhre ferner ſein werck in ihr zu ſeinen ehren. Die klage der Traͤgheit betreffende/ glaube ſie/ daß ſie dieſelbe mit ſo vielen auserwehlten bruͤdern und ſchweſtern gemein habe. Wie aber die traͤgheit an ſich ſelbſt nicht loͤb- lich iſt/ ſo iſt hingegen die klage an ſich ſelbſt ein gutes zeichen. Wir muͤſſen aber mercken/ daß auch dieſe traͤgheit unterſchiedlicher art ſeye. Es iſt bereits unſer natuͤrliches/ ſich bey allen menſchen aus ihrer natur befindendes/ unvermoͤgen des guten eine traͤgheit/ auch aller uͤbriger traͤgheit urſprung. Nechſt deroſelben iſt abermal eine doppelte traͤgheit; die eine art liſt der jenigen/ die ihr nachhaͤngen/ und da ſie ſich ſonderlich die einbildung eines Chriſtenthums/ ſo in bloſſer aͤuſer- lichen wenigen dingen beſtehe/ haben einnehmen laſſen/ und einen mehrern fleiß in dem wege der gottſeligkeit nicht moͤglich noch noͤthig achten/ als ſie gemeiniglich vor augen ſehen/ zwar nicht un- ter-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 767. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/785>, abgerufen am 25.04.2024.