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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
den/ auch sorgen/ wo ein solches Christenthum auffkommen solte/ daß ihr leben bey
vielen darüber zu schanden werden möchte: Diese sehen/ daß ihre dictatoria pote-
stas
einen anstoß gewinne/ wenn die freyheit der gläubigen von dem ansehen der
menschen in glaubens-sachen in die hertzen kommet/ und diese anfangen an dem eini-
gen meister JEsu Christo zu hangen/ und aller menschen lehr erstlich aus göttlichem
wort zu prüfen sich gewehnen. Weil aber dieses offentlich zubekennen allzu plump
lautete (wie wol etliche ziemlich unverschämt sich auch darinne zu blössen beginnen)
so muß die sorge vor die reinigkeit der lehr zum vorwand gebrauchet werden/ daß
man die arme so genannte Pietisten mit verträhung ihrer worte allerley unerfindli-
che irrthüme beschuldige/ und wo man in nebens-fragen nicht gerade eines mit ih-
nen hält/ solche streitigkeiten/ als würde die seligkeit in eusserste gefahr gesetzet/ all-
zu groß mache/ um diese in allgemeinen haß/ auffs wenigste solchen verdacht zu se-
tzen/ daß sie wenig oder nichts mehr außrichten/ sondern in allen gehindert werden
möchten. Wie viel sie bey manchen in dieser sache außgerichtet/ liget vor augen/
aber der HERR wird mehr und mehr ihre thorheit/ auch vieler boßheit/ offenbah-
ren: und sie endlich einen so viel schrecklichern sturtz thun lassen/ als hoch sie sich er-
haben halten. Dem bleibt deswegen die sache der armen empfohlen/ und steigen
täglich so viel tausende seufftzer gottseliger hertzen zu ihm auff/ die durchdringen/ und
zu ihm bekanter zeit hülffe bringen werden; wie wünsche so hertzlich/ daß es viel-
mehr durch der widersacher bekehrung als schwehres gericht an ihnen geschehen
müste/ und sie sich selbs zu dem füssen unsers allgewaltigen Königs niederwerffen/
als erwarten/ daß sie davor nidergeschmissen werden. 23. Jan. 1696.

SECTIO XXXVI.

An eine Adeliche Jungfrau in Sachsen. Dersel-
selben vor dem ertheilete trost. Betrübnüß über die un-
ruhe in der kirchen. Ob und was vor eine
reformation in-
tendi
ret werde. Jch bin von der Evangelischen lehre imgering-
sten nicht abgetreten: noch auch andere dessen beschuldig-
te: sonderlich M. Franck. Dieser lästert Lutheri dolmet-
schung nicht/ noch begehrt sie den leuten zu verleiden. Alle

Theologi haben zu allen zeiten gleiche oder mehrere
freyheit gebraucht.

BEy empfangen des schreibens habe mich erfreuet/ darauß ein zeugnüß zuse-
hen/ der noch gegen mir fortwährenden Christlichen zuneigung/ wie hingegen
versichern kan/ daß auch bißher so wolder oselben als dero wehrten angehöri-

gen

ARTIC. III. SECTIO XXXVI.
den/ auch ſorgen/ wo ein ſolches Chriſtenthum auffkommen ſolte/ daß ihr leben bey
vielen daruͤber zu ſchanden werden moͤchte: Dieſe ſehen/ daß ihre dictatoria pote-
ſtas
einen anſtoß gewinne/ wenn die freyheit der glaͤubigen von dem anſehen der
menſchen in glaubens-ſachen in die hertzen kommet/ und dieſe anfangen an dem eini-
gen meiſter JEſu Chriſto zu hangen/ und aller menſchen lehr erſtlich aus goͤttlichem
wort zu pruͤfen ſich gewehnen. Weil aber dieſes offentlich zubekennen allzu plump
lautete (wie wol etliche ziemlich unverſchaͤmt ſich auch darinne zu bloͤſſen beginnen)
ſo muß die ſorge vor die reinigkeit der lehr zum vorwand gebrauchet werden/ daß
man die arme ſo genannte Pietiſten mit vertraͤhung ihrer worte allerley unerfindli-
che irrthuͤme beſchuldige/ und wo man in nebens-fragen nicht gerade eines mit ih-
nen haͤlt/ ſolche ſtreitigkeiten/ als wuͤrde die ſeligkeit in euſſerſte gefahr geſetzet/ all-
zu groß mache/ um dieſe in allgemeinen haß/ auffs wenigſte ſolchen verdacht zu ſe-
tzen/ daß ſie wenig oder nichts mehr außrichten/ ſondern in allen gehindert werden
moͤchten. Wie viel ſie bey manchen in dieſer ſache außgerichtet/ liget vor augen/
aber der HERR wird mehr und mehr ihre thorheit/ auch vieler boßheit/ offenbah-
ren: und ſie endlich einen ſo viel ſchrecklichern ſturtz thun laſſen/ als hoch ſie ſich er-
haben halten. Dem bleibt deswegen die ſache der armen empfohlen/ und ſteigen
taͤglich ſo viel tauſende ſeufftzer gottſeliger hertzen zu ihm auff/ die durchdringen/ uñ
zu ihm bekanter zeit huͤlffe bringen werden; wie wuͤnſche ſo hertzlich/ daß es viel-
mehr durch der widerſacher bekehrung als ſchwehres gericht an ihnen geſchehen
muͤſte/ und ſie ſich ſelbs zu dem fuͤſſen unſers allgewaltigen Koͤnigs niederwerffen/
als erwarten/ daß ſie davor nidergeſchmiſſen werden. 23. Jan. 1696.

SECTIO XXXVI.

An eine Adeliche Jungfrau in Sachſen. Derſel-
ſelben vor dem ertheilete troſt. Betruͤbnuͤß uͤber die un-
ruhe in der kirchen. Ob und was vor eine
reformation in-
tendi
ret werde. Jch bin von deꝛ Evangeliſchen lehꝛe imgering-
ſten nicht abgetreten: noch auch andere deſſen beſchuldig-
te: ſonderlich M. Franck. Dieſer laͤſtert Lutheri dolmet-
ſchung nicht/ noch begehrt ſie den leuten zu verleiden. Alle

Theologi haben zu allen zeiten gleiche oder mehrere
freyheit gebraucht.

BEy empfangen des ſchreibens habe mich erfreuet/ darauß ein zeugnuͤß zuſe-
hen/ der noch gegen mir fortwaͤhrenden Chriſtlichen zuneigung/ wie hingegen
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[951/0969] ARTIC. III. SECTIO XXXVI. den/ auch ſorgen/ wo ein ſolches Chriſtenthum auffkommen ſolte/ daß ihr leben bey vielen daruͤber zu ſchanden werden moͤchte: Dieſe ſehen/ daß ihre dictatoria pote- ſtas einen anſtoß gewinne/ wenn die freyheit der glaͤubigen von dem anſehen der menſchen in glaubens-ſachen in die hertzen kommet/ und dieſe anfangen an dem eini- gen meiſter JEſu Chriſto zu hangen/ und aller menſchen lehr erſtlich aus goͤttlichem wort zu pruͤfen ſich gewehnen. Weil aber dieſes offentlich zubekennen allzu plump lautete (wie wol etliche ziemlich unverſchaͤmt ſich auch darinne zu bloͤſſen beginnen) ſo muß die ſorge vor die reinigkeit der lehr zum vorwand gebrauchet werden/ daß man die arme ſo genannte Pietiſten mit vertraͤhung ihrer worte allerley unerfindli- che irrthuͤme beſchuldige/ und wo man in nebens-fragen nicht gerade eines mit ih- nen haͤlt/ ſolche ſtreitigkeiten/ als wuͤrde die ſeligkeit in euſſerſte gefahr geſetzet/ all- zu groß mache/ um dieſe in allgemeinen haß/ auffs wenigſte ſolchen verdacht zu ſe- tzen/ daß ſie wenig oder nichts mehr außrichten/ ſondern in allen gehindert werden moͤchten. Wie viel ſie bey manchen in dieſer ſache außgerichtet/ liget vor augen/ aber der HERR wird mehr und mehr ihre thorheit/ auch vieler boßheit/ offenbah- ren: und ſie endlich einen ſo viel ſchrecklichern ſturtz thun laſſen/ als hoch ſie ſich er- haben halten. Dem bleibt deswegen die ſache der armen empfohlen/ und ſteigen taͤglich ſo viel tauſende ſeufftzer gottſeliger hertzen zu ihm auff/ die durchdringen/ uñ zu ihm bekanter zeit huͤlffe bringen werden; wie wuͤnſche ſo hertzlich/ daß es viel- mehr durch der widerſacher bekehrung als ſchwehres gericht an ihnen geſchehen muͤſte/ und ſie ſich ſelbs zu dem fuͤſſen unſers allgewaltigen Koͤnigs niederwerffen/ als erwarten/ daß ſie davor nidergeſchmiſſen werden. 23. Jan. 1696. SECTIO XXXVI. An eine Adeliche Jungfrau in Sachſen. Derſel- ſelben vor dem ertheilete troſt. Betruͤbnuͤß uͤber die un- ruhe in der kirchen. Ob und was vor eine reformation in- tendiret werde. Jch bin von deꝛ Evangeliſchen lehꝛe imgering- ſten nicht abgetreten: noch auch andere deſſen beſchuldig- te: ſonderlich M. Franck. Dieſer laͤſtert Lutheri dolmet- ſchung nicht/ noch begehrt ſie den leuten zu verleiden. Alle Theologi haben zu allen zeiten gleiche oder mehrere freyheit gebraucht. BEy empfangen des ſchreibens habe mich erfreuet/ darauß ein zeugnuͤß zuſe- hen/ der noch gegen mir fortwaͤhrenden Chriſtlichen zuneigung/ wie hingegen verſichern kan/ daß auch bißher ſo wolder oſelben als dero wehrten angehoͤri- gen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 951. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/969>, abgerufen am 28.03.2024.