Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

Bild:
<< vorherige Seite

Das sechste Capitel.
daß wir ohne anstossen vieler unserer glaubens-puncten sie nicht verleugnen
oder verlassen können/ so ist mir dieses ein betrübtes zeichen des verfals in un-
serer Evangelischen kirchen/ daß in deroselben einige getrauen mir solchen of-
fenbahren und gleichsam mit der Sonnenstrahlen geschriebenen warheit offent-
lich zu widersprechen und sie mit verdacht zubelegen. Denn unfehlbar ists/ sol-
che leute/ welche die Göttliche würckung in erleuchtung des verstandes Göttliche
dinge auch auff Göttliche weise zuerkennen und in würckung des willens/ daß
der Mensch nicht nur eusserlich anders lebe/ sondern auch innerlich anders ge-
sinnet seye/ wiedersprechen und sie verachten müssen von solcher Göttlichen
würckung nichts geschmeckt und erkant haben/ daher es ihnen so fremde sa-
chen sind; also mag freylich wol ihre Theologie nichts anders als eine bloß
menschliche erudition und wissenschafft seyn ohne einig gnaden licht von
oben. Aber sie hätten nicht draus zu schliessen/ daß denn bey andern nichts
mehrers sey/ als sie bey sich erfahren/ wie es ja in der Welt nicht folget/ was
ich nicht habe/ daß es deswegen niemand anders habe/ oder haben könne. Ob
der mann wie er sich zwar/ ehe er meine antwort erfahren/ verlauten hatte las-
sen/ noch einmal mich angreiffen oder nun zur ruhe begeben werde/ weiß ich
nicht/ muß es aber alles GOtt befehlen; dem ich davor hertzlich dancke/ daß
er mich bey seine warheit unberückt bißher und also erhalten hat/ daß ich ge-
trost all rechenschafft vor GOtt und der kirchen geben und nicht einiges ir-
thums in der lehre überführet zu werden sorgen/ deswegen weder bißherige noch
etwa kräfftige angriffe fürchten darff. 1680. 23. Jun.

SECTIO XII.

An einen Juristen. Die Christliche freund-
schafft die vornehmste unter allen. Gemeinschafft der hei-
ligen. Wie unter abwesenden auszuüben.

SEine hertzlich gegen mich bezeigte liebe ist mir so viel angenehmer und
wehrter/ daß dieselbe auf keinen andern/ oder einen fleischlichen grunde
beruhet/ sondern auf der einigkeit des Geistes/ darin wir beyde durch
des HErrn gnade stehen/ und uns in solcher obsicht unter einander mit so viel
reinerer liebe umfangen. Und dieses ist die recht einig beständige und unzer-
störliche freundschafft. Dann die andere/ die auff den nutzen bestehet/ oder
auff der aneinander habenden lust/ wie sie auff gantz liederlichen sand gebauet
ist/ hat nichts festes/ sondern ändert sich von tag zu tage/ ie nach deren jener

grund

Das ſechſte Capitel.
daß wir ohne anſtoſſen vieler unſerer glaubens-puncten ſie nicht verleugnen
oder verlaſſen koͤnnen/ ſo iſt mir dieſes ein betruͤbtes zeichen des verfals in un-
ſerer Evangeliſchen kirchen/ daß in deroſelben einige getrauen mir ſolchen of-
fenbahren und gleichſam mit der Sonnenſtrahlen geſchriebenen warheit offent-
lich zu widerſprechen und ſie mit verdacht zubelegen. Denn unfehlbar iſts/ ſol-
che leute/ welche die Goͤttliche wuͤrckung in erleuchtung des verſtandes Goͤttliche
dinge auch auff Goͤttliche weiſe zuerkennen und in wuͤrckung des willens/ daß
der Menſch nicht nur euſſerlich anders lebe/ ſondern auch innerlich anders ge-
ſinnet ſeye/ wiederſprechen und ſie verachten muͤſſen von ſolcher Goͤttlichen
wuͤrckung nichts geſchmeckt und erkant haben/ daher es ihnen ſo fremde ſa-
chen ſind; alſo mag freylich wol ihre Theologie nichts anders als eine bloß
menſchliche erudition und wiſſenſchafft ſeyn ohne einig gnaden licht von
oben. Aber ſie haͤtten nicht draus zu ſchlieſſen/ daß denn bey andern nichts
mehrers ſey/ als ſie bey ſich erfahren/ wie es ja in der Welt nicht folget/ was
ich nicht habe/ daß es deswegen niemand anders habe/ oder haben koͤnne. Ob
der mann wie er ſich zwar/ ehe er meine antwort erfahren/ verlauten hatte laſ-
ſen/ noch einmal mich angreiffen oder nun zur ruhe begeben werde/ weiß ich
nicht/ muß es aber alles GOtt befehlen; dem ich davor hertzlich dancke/ daß
er mich bey ſeine warheit unberuͤckt bißher und alſo erhalten hat/ daß ich ge-
troſt all rechenſchafft vor GOtt und der kirchen geben und nicht einiges ir-
thums in der lehre uͤberfuͤhret zu werden ſorgen/ deswegen weder bißherige noch
etwa kraͤfftige angriffe fuͤrchten darff. 1680. 23. Jun.

SECTIO XII.

An einen Juriſten. Die Chriſtliche freund-
ſchafft die vornehmſte unter allen. Gemeinſchafft der hei-
ligen. Wie unter abweſenden auszuuͤben.

SEine hertzlich gegen mich bezeigte liebe iſt mir ſo viel angenehmer und
wehrter/ daß dieſelbe auf keinen andern/ oder einen fleiſchlichen grunde
beruhet/ ſondern auf der einigkeit des Geiſtes/ darin wir beyde durch
des HErrn gnade ſtehen/ und uns in ſolcher obſicht unter einander mit ſo viel
reinerer liebe umfangen. Und dieſes iſt die recht einig beſtaͤndige und unzer-
ſtoͤrliche freundſchafft. Dann die andere/ die auff den nutzen beſtehet/ oder
auff der aneinander habenden luſt/ wie ſie auff gantz liederlichen ſand gebauet
iſt/ hat nichts feſtes/ ſondern aͤndert ſich von tag zu tage/ ie nach deren jener

grund
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0410" n="392"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das &#x017F;ech&#x017F;te Capitel.</hi></fw><lb/>
daß wir ohne an&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en vieler un&#x017F;erer glaubens-<hi rendition="#aq">punct</hi>en &#x017F;ie nicht verleugnen<lb/>
oder verla&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen/ &#x017F;o i&#x017F;t mir die&#x017F;es ein betru&#x0364;btes zeichen des verfals in un-<lb/>
&#x017F;erer Evangeli&#x017F;chen kirchen/ daß in dero&#x017F;elben einige getrauen mir &#x017F;olchen of-<lb/>
fenbahren und gleich&#x017F;am mit der Sonnen&#x017F;trahlen ge&#x017F;chriebenen warheit offent-<lb/>
lich zu wider&#x017F;prechen und &#x017F;ie mit verdacht zubelegen. Denn unfehlbar i&#x017F;ts/ &#x017F;ol-<lb/>
che leute/ welche die Go&#x0364;ttliche wu&#x0364;rckung in erleuchtung des ver&#x017F;tandes Go&#x0364;ttliche<lb/>
dinge auch auff Go&#x0364;ttliche wei&#x017F;e zuerkennen und in wu&#x0364;rckung des willens/ daß<lb/>
der Men&#x017F;ch nicht nur eu&#x017F;&#x017F;erlich anders lebe/ &#x017F;ondern auch innerlich anders ge-<lb/>
&#x017F;innet &#x017F;eye/ wieder&#x017F;prechen und &#x017F;ie verachten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en von &#x017F;olcher Go&#x0364;ttlichen<lb/>
wu&#x0364;rckung nichts ge&#x017F;chmeckt und erkant haben/ daher es ihnen &#x017F;o fremde &#x017F;a-<lb/>
chen &#x017F;ind; al&#x017F;o mag freylich wol ihre <hi rendition="#aq">Theolo</hi>gie nichts anders als eine bloß<lb/>
men&#x017F;chliche <hi rendition="#aq">erudition</hi> und wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft &#x017F;eyn ohne einig gnaden licht von<lb/>
oben. Aber &#x017F;ie ha&#x0364;tten nicht draus zu &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en/ daß denn bey andern nichts<lb/>
mehrers &#x017F;ey/ als &#x017F;ie bey &#x017F;ich erfahren/ wie es ja in der Welt nicht folget/ was<lb/>
ich nicht habe/ daß es deswegen niemand anders habe/ oder haben ko&#x0364;nne. Ob<lb/>
der mann wie er &#x017F;ich zwar/ ehe er meine antwort erfahren/ verlauten hatte la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en/ noch einmal mich angreiffen oder nun zur ruhe begeben werde/ weiß ich<lb/>
nicht/ muß es aber alles GOtt befehlen; dem ich davor hertzlich dancke/ daß<lb/>
er mich bey &#x017F;eine warheit unberu&#x0364;ckt bißher und al&#x017F;o erhalten hat/ daß ich ge-<lb/>
tro&#x017F;t all rechen&#x017F;chafft vor GOtt und der kirchen geben und nicht einiges ir-<lb/>
thums in der lehre u&#x0364;berfu&#x0364;hret zu werden &#x017F;orgen/ deswegen weder bißherige noch<lb/>
etwa kra&#x0364;fftige angriffe fu&#x0364;rchten darff. <hi rendition="#aq">1680. 23. Jun.</hi></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO</hi> XII.</hi> </head><lb/>
            <argument>
              <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#fr">An einen Juri&#x017F;ten. Die Chri&#x017F;tliche freund-<lb/>
&#x017F;chafft die vornehm&#x017F;te unter allen. Gemein&#x017F;chafft der hei-<lb/>
ligen. Wie unter abwe&#x017F;enden auszuu&#x0364;ben.</hi> </hi> </p>
            </argument><lb/>
            <p><hi rendition="#in">S</hi>Eine hertzlich gegen mich bezeigte liebe i&#x017F;t mir &#x017F;o viel angenehmer und<lb/>
wehrter/ daß die&#x017F;elbe auf keinen andern/ oder einen flei&#x017F;chlichen grunde<lb/>
beruhet/ &#x017F;ondern auf der einigkeit des Gei&#x017F;tes/ darin wir beyde durch<lb/>
des HErrn gnade &#x017F;tehen/ und uns in &#x017F;olcher ob&#x017F;icht unter einander mit &#x017F;o viel<lb/>
reinerer liebe umfangen. Und die&#x017F;es i&#x017F;t die recht einig be&#x017F;ta&#x0364;ndige und unzer-<lb/>
&#x017F;to&#x0364;rliche freund&#x017F;chafft. Dann die andere/ die auff den nutzen be&#x017F;tehet/ oder<lb/>
auff der aneinander habenden lu&#x017F;t/ wie &#x017F;ie auff gantz liederlichen &#x017F;and gebauet<lb/>
i&#x017F;t/ hat nichts fe&#x017F;tes/ &#x017F;ondern a&#x0364;ndert &#x017F;ich von tag zu tage/ ie nach deren jener<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">grund</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0410] Das ſechſte Capitel. daß wir ohne anſtoſſen vieler unſerer glaubens-puncten ſie nicht verleugnen oder verlaſſen koͤnnen/ ſo iſt mir dieſes ein betruͤbtes zeichen des verfals in un- ſerer Evangeliſchen kirchen/ daß in deroſelben einige getrauen mir ſolchen of- fenbahren und gleichſam mit der Sonnenſtrahlen geſchriebenen warheit offent- lich zu widerſprechen und ſie mit verdacht zubelegen. Denn unfehlbar iſts/ ſol- che leute/ welche die Goͤttliche wuͤrckung in erleuchtung des verſtandes Goͤttliche dinge auch auff Goͤttliche weiſe zuerkennen und in wuͤrckung des willens/ daß der Menſch nicht nur euſſerlich anders lebe/ ſondern auch innerlich anders ge- ſinnet ſeye/ wiederſprechen und ſie verachten muͤſſen von ſolcher Goͤttlichen wuͤrckung nichts geſchmeckt und erkant haben/ daher es ihnen ſo fremde ſa- chen ſind; alſo mag freylich wol ihre Theologie nichts anders als eine bloß menſchliche erudition und wiſſenſchafft ſeyn ohne einig gnaden licht von oben. Aber ſie haͤtten nicht draus zu ſchlieſſen/ daß denn bey andern nichts mehrers ſey/ als ſie bey ſich erfahren/ wie es ja in der Welt nicht folget/ was ich nicht habe/ daß es deswegen niemand anders habe/ oder haben koͤnne. Ob der mann wie er ſich zwar/ ehe er meine antwort erfahren/ verlauten hatte laſ- ſen/ noch einmal mich angreiffen oder nun zur ruhe begeben werde/ weiß ich nicht/ muß es aber alles GOtt befehlen; dem ich davor hertzlich dancke/ daß er mich bey ſeine warheit unberuͤckt bißher und alſo erhalten hat/ daß ich ge- troſt all rechenſchafft vor GOtt und der kirchen geben und nicht einiges ir- thums in der lehre uͤberfuͤhret zu werden ſorgen/ deswegen weder bißherige noch etwa kraͤfftige angriffe fuͤrchten darff. 1680. 23. Jun. SECTIO XII. An einen Juriſten. Die Chriſtliche freund- ſchafft die vornehmſte unter allen. Gemeinſchafft der hei- ligen. Wie unter abweſenden auszuuͤben. SEine hertzlich gegen mich bezeigte liebe iſt mir ſo viel angenehmer und wehrter/ daß dieſelbe auf keinen andern/ oder einen fleiſchlichen grunde beruhet/ ſondern auf der einigkeit des Geiſtes/ darin wir beyde durch des HErrn gnade ſtehen/ und uns in ſolcher obſicht unter einander mit ſo viel reinerer liebe umfangen. Und dieſes iſt die recht einig beſtaͤndige und unzer- ſtoͤrliche freundſchafft. Dann die andere/ die auff den nutzen beſtehet/ oder auff der aneinander habenden luſt/ wie ſie auff gantz liederlichen ſand gebauet iſt/ hat nichts feſtes/ ſondern aͤndert ſich von tag zu tage/ ie nach deren jener grund

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/410
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/410>, abgerufen am 20.04.2024.