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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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ART. III. SECT. XLIV.
SECTIO XLIV.

Daß meine lehr/ sonderlich von haltung Göttlicher
gebot/ mit Lutheri lehr völlig übereinstimme.

AUff freundlicher commmunication des mir geschehenen vorwurffs/
daß ich mit der Lutherischen lehr nicht völlig übereinstimme/ dienet
zur nachricht/ daß mir damit zuviel geschehe.

1. Kan man bey unserer Evangelischen kirchenlehr bleiben ob man auch
in diesen und jenen von Lutheri ein und andern sätzen abweichen solte. Jndem
wir ihn zwar vor einen theuren lehrer achten/ aber es heisst zu weilen/ in
hoc Magister non tenetur.
Und sind wir nicht in unsrer kirchen an Lutheri
schrifften/ sondern nechst der schrifft an die Symbolische bücher verbunden.

2. Jch glaube und lehre/ daß man Göttliche gebot in unterschiedlichen
verstand halten könne/ und nicht halten könne. Man kan sie nicht halten nach
dem rigore legis/ und also in ihrer schärffe/ vollkommenlich/ und der massen
daß man daraus vor Gott gerecht werden könte. Man kan und muß sie
halten nach der moderatione Evangelica/ wie Gott mit dem zwar unvoll-
kommenen aber auffrichtigen und nach dem maß der mitgetheilten gnade ge-
leisteten gehorsam um Christi willen gedult tragen/ und sich denselben gefal-
len lassen will/ nicht daraus gerecht zu werden/ als welches den glauben zu-
kommt/ sondern dem himmlischen Vater die früchten seiner gnaden und der
dauckbahrkeit zu bringen.

3. Diese haltung der gebote GOttes lehret die Apologie der Augspur-
gischen Confession und also unsere kirche so wol/ als sie die vollkommene hal-
tung dem menschen in diesem leben wegen des noch anklebenden fleisches ab-
spricht. Daher ich/ wenn ich dieselbe behaupte/ so wenig einen finger breit
von unserer gemeinen kirchenlehr abweiche/ daß ich dessen vielmehr beschul-
diget werden könte/ wo ich alle mögligkeit einiger weise die gebot zuhalten
widersprechen wolte.

4. Unsers lieben Lutheri erinnerung und lehr hiervon ist auch keine
andere gewesen: wie ich solches mit mehrern stellen aus ihm er wiesen habe
in der glaubigen gerechtigkeit wider D. Brewing c. 4. §. 31. pag. 349. Also
schreibet gedachter unser lehrer T. 6. Alt. f. 1278. b. Möcht nun einer sagen/
soll man denn nicht die 10. gebot halten? Wann man sie aber hält/ ist man
dann nicht fromm und gerecht? Dar auff antworte ich/ daß wir die 10. ge-
bot halten wollen doch mit dem unterscheid und Evangelischen
dispensa-
tion/
weil wir allein des geistes erstling empfangen haben/ und das seufftzen
des geistes in unsern hertzen bleibet. Jtem weil auch noch unser fleisch mit

allen
Ggg ggg 3
ART. III. SECT. XLIV.
SECTIO XLIV.

Daß meine lehꝛ/ ſondeꝛlich von haltung Goͤttlicher
gebot/ mit Lutheri lehr voͤllig uͤbereinſtimme.

AUff freundlicher commmunication des mir geſchehenen vorwurffs/
daß ich mit der Lutheriſchen lehr nicht voͤllig uͤbereinſtimme/ dienet
zur nachricht/ daß mir damit zuviel geſchehe.

1. Kan man bey unſerer Evangeliſchen kirchenlehr bleiben ob man auch
in dieſen und jenen von Lutheri ein und andern ſaͤtzen abweichen ſolte. Jndem
wir ihn zwar vor einen theuren lehrer achten/ aber es heiſſt zu weilen/ in
hoc Magiſter non tenetur.
Und ſind wir nicht in unſrer kirchen an Lutheri
ſchrifften/ ſondern nechſt der ſchrifft an die Symboliſche buͤcher verbunden.

2. Jch glaube und lehre/ daß man Goͤttliche gebot in unterſchiedlichen
verſtand halten koͤnne/ und nicht halten koͤnne. Man kan ſie nicht halten nach
dem rigore legis/ und alſo in ihrer ſchaͤrffe/ vollkommenlich/ und der maſſen
daß man daraus vor Gott gerecht werden koͤnte. Man kan und muß ſie
halten nach der moderatione Evangelica/ wie Gott mit dem zwar unvoll-
kommenen aber auffrichtigen und nach dem maß der mitgetheilten gnade ge-
leiſteten gehorſam um Chriſti willen gedult tragen/ und ſich denſelben gefal-
len laſſen will/ nicht daraus gerecht zu werden/ als welches den glauben zu-
kommt/ ſondern dem himmliſchen Vater die fruͤchten ſeiner gnaden und der
dauckbahrkeit zu bringen.

3. Dieſe haltung der gebote GOttes lehret die Apologie der Augſpur-
giſchen Confeſſion und alſo unſere kirche ſo wol/ als ſie die vollkommene hal-
tung dem menſchen in dieſem leben wegen des noch anklebenden fleiſches ab-
ſpricht. Daher ich/ wenn ich dieſelbe behaupte/ ſo wenig einen finger breit
von unſerer gemeinen kirchenlehr abweiche/ daß ich deſſen vielmehr beſchul-
diget werden koͤnte/ wo ich alle moͤgligkeit einiger weiſe die gebot zuhalten
widerſprechen wolte.

4. Unſers lieben Lutheri erinnerung und lehr hiervon iſt auch keine
andere geweſen: wie ich ſolches mit mehrern ſtellen aus ihm er wieſen habe
in der glaubigen gerechtigkeit wider D. Brewing c. 4. §. 31. pag. 349. Alſo
ſchreibet gedachter unſer lehrer T. 6. Alt. f. 1278. b. Moͤcht nun einer ſagen/
ſoll man denn nicht die 10. gebot halten? Wann man ſie aber haͤlt/ iſt man
dann nicht fromm und gerecht? Dar auff antworte ich/ daß wir die 10. ge-
bot halten wollen doch mit dem unterſcheid und Evangeliſchen
diſpenſa-
tion/
weil wir allein des geiſtes erſtling empfangen haben/ und das ſeufftzen
des geiſtes in unſern hertzen bleibet. Jtem weil auch noch unſer fleiſch mit

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[973/0991] ART. III. SECT. XLIV. SECTIO XLIV. Daß meine lehꝛ/ ſondeꝛlich von haltung Goͤttlicher gebot/ mit Lutheri lehr voͤllig uͤbereinſtimme. AUff freundlicher commmunication des mir geſchehenen vorwurffs/ daß ich mit der Lutheriſchen lehr nicht voͤllig uͤbereinſtimme/ dienet zur nachricht/ daß mir damit zuviel geſchehe. 1. Kan man bey unſerer Evangeliſchen kirchenlehr bleiben ob man auch in dieſen und jenen von Lutheri ein und andern ſaͤtzen abweichen ſolte. Jndem wir ihn zwar vor einen theuren lehrer achten/ aber es heiſſt zu weilen/ in hoc Magiſter non tenetur. Und ſind wir nicht in unſrer kirchen an Lutheri ſchrifften/ ſondern nechſt der ſchrifft an die Symboliſche buͤcher verbunden. 2. Jch glaube und lehre/ daß man Goͤttliche gebot in unterſchiedlichen verſtand halten koͤnne/ und nicht halten koͤnne. Man kan ſie nicht halten nach dem rigore legis/ und alſo in ihrer ſchaͤrffe/ vollkommenlich/ und der maſſen daß man daraus vor Gott gerecht werden koͤnte. Man kan und muß ſie halten nach der moderatione Evangelica/ wie Gott mit dem zwar unvoll- kommenen aber auffrichtigen und nach dem maß der mitgetheilten gnade ge- leiſteten gehorſam um Chriſti willen gedult tragen/ und ſich denſelben gefal- len laſſen will/ nicht daraus gerecht zu werden/ als welches den glauben zu- kommt/ ſondern dem himmliſchen Vater die fruͤchten ſeiner gnaden und der dauckbahrkeit zu bringen. 3. Dieſe haltung der gebote GOttes lehret die Apologie der Augſpur- giſchen Confeſſion und alſo unſere kirche ſo wol/ als ſie die vollkommene hal- tung dem menſchen in dieſem leben wegen des noch anklebenden fleiſches ab- ſpricht. Daher ich/ wenn ich dieſelbe behaupte/ ſo wenig einen finger breit von unſerer gemeinen kirchenlehr abweiche/ daß ich deſſen vielmehr beſchul- diget werden koͤnte/ wo ich alle moͤgligkeit einiger weiſe die gebot zuhalten widerſprechen wolte. 4. Unſers lieben Lutheri erinnerung und lehr hiervon iſt auch keine andere geweſen: wie ich ſolches mit mehrern ſtellen aus ihm er wieſen habe in der glaubigen gerechtigkeit wider D. Brewing c. 4. §. 31. pag. 349. Alſo ſchreibet gedachter unſer lehrer T. 6. Alt. f. 1278. b. Moͤcht nun einer ſagen/ ſoll man denn nicht die 10. gebot halten? Wann man ſie aber haͤlt/ iſt man dann nicht fromm und gerecht? Dar auff antworte ich/ daß wir die 10. ge- bot halten wollen doch mit dem unterſcheid und Evangeliſchen diſpenſa- tion/ weil wir allein des geiſtes erſtling empfangen haben/ und das ſeufftzen des geiſtes in unſern hertzen bleibet. Jtem weil auch noch unſer fleiſch mit allen Ggg ggg 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 973. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/991>, abgerufen am 29.03.2024.