Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

Bild:
<< vorherige Seite

Das siebende Capitel
nichts auszurichten, oder eine sonderliche frucht mehr zu erwarten, was
man dann sich viel plagen solte, da GOTT selbs widerstehe daß man
nichts ausrichte, als nur der leute gericht desto schwerer mache: Hinge-
gen wäre er auch ziemlich ermuntert worden, da er in meinen piis desideriis
gesehen, daß ich noch herrliche hoffnung in der schrifft vor uns finde. Nun
je mehr unsere verderbnüß zum mißtrauen und trägheit von sich selbs incli-
nir
et, so viel mehr lasset uns die dinge offt vor augen stellen, die uns dermas-
sen aufzumuntern tüchtig find. Jch überschreite aber die maaß des briefs
das erste mal, jedoch siehet derselbe, wie sich mein hertz gegen ihn aufthue und
wie frey mit demselben handle.

SECTIO XXIII.
Von einem gesang: O GOTT/ wir
loben dich.

WAs das gesang anlangt: O GOTT wir loben dich, ist mir sol-
ches bis dahin gantz unbekant gewesen; Jch bin aber mit gelieb-
tem bruder einer meinung 1. Daß dasselbe noch vor Luthero oder
in der ersten zeit seiner reformation von jemand gemachet worden, welches
die art der teutschen rede zeiget, so mit der jenigen reinigkeit, welche in den
geistlichen schrifften ziemlicher massen von Luthero den anfang genommen,
nicht übereinkommet: Als wohin sonderlich die formuln ehrwürdiget,
wir ermahnen dich, wir segnen dich, etc.
zu ziehen sind, welche der
red-art, die darnach aufgekommen, nicht gemäß scheinen. 2. Weil aber
in der Böhmischen brüder Gesangbuch (der edition 1639. p. 412.)
ein gesang stehet, so auch aus dem Te Deum laudamus von Valentin
Schultzen
einem Studioso, der 1574. gestorben, gesetzt worden, und also
anfangt: O GOTT wir loben dich, bekennen dich, dessen melodie
auch ziemlich schwer ist, ob ich wol nicht weiß, ob sie mit der bey ihnen bekann-
ten übereinkomme, möchte eine vermuthung seyn, ob nicht auch diese version
aus dem Böhmischen durch einen andern geschehen, und älter seyn möchte.
3. Die redens-art, wir ermahnen dich, gegen GOTT gebraucht, kom-
met durch aus mit unser teutschen sprach-art nicht überein, und hat dassel-
be wort in dem gebrauch nie den jenigen verstand, daß mans gegen GOTT
anwenden könte. So ist auch das wort segnen nunmehr in einem solchen
gebrauch, und zwar allein, übrig geblieben, in dem wirs gegen GOtt nicht
gebrauchen mögen: Ob wol dahin stünde, ob solches nicht hätte kön-

nen

Das ſiebende Capitel
nichts auszurichten, oder eine ſonderliche frucht mehr zu erwarten, was
man dann ſich viel plagen ſolte, da GOTT ſelbs widerſtehe daß man
nichts ausrichte, als nur der leute gericht deſto ſchwerer mache: Hinge-
gen waͤre er auch ziemlich ermuntert worden, da er in meinen piis deſideriis
geſehen, daß ich noch herrliche hoffnung in der ſchrifft vor uns finde. Nun
je mehr unſere verderbnuͤß zum mißtrauen und traͤgheit von ſich ſelbs incli-
nir
et, ſo viel mehr laſſet uns die dinge offt vor augen ſtellen, die uns dermaſ-
ſen aufzumuntern tuͤchtig find. Jch uͤberſchreite aber die maaß des briefs
das erſte mal, jedoch ſiehet derſelbe, wie ſich mein hertz gegen ihn aufthue und
wie frey mit demſelben handle.

SECTIO XXIII.
Von einem geſang: O GOTT/ wir
loben dich.

WAs das geſang anlangt: O GOTT wir loben dich, iſt mir ſol-
ches bis dahin gantz unbekant geweſen; Jch bin aber mit gelieb-
tem bruder einer meinung 1. Daß daſſelbe noch vor Luthero oder
in der erſten zeit ſeiner reformation von jemand gemachet worden, welches
die art der teutſchen rede zeiget, ſo mit der jenigen reinigkeit, welche in den
geiſtlichen ſchrifften ziemlicher maſſen von Luthero den anfang genommen,
nicht uͤbereinkommet: Als wohin ſonderlich die formuln ehrwuͤrdiget,
wir ermahnen dich, wir ſegnen dich, ꝛc.
zu ziehen ſind, welche der
red-art, die darnach aufgekommen, nicht gemaͤß ſcheinen. 2. Weil aber
in der Boͤhmiſchen bruͤder Geſangbuch (der edition 1639. p. 412.)
ein geſang ſtehet, ſo auch aus dem Te Deum laudamus von Valentin
Schultzen
einem Studioſo, der 1574. geſtorben, geſetzt worden, und alſo
anfangt: O GOTT wir loben dich, bekennen dich, deſſen melodie
auch ziemlich ſchwer iſt, ob ich wol nicht weiß, ob ſie mit der bey ihnen bekann-
ten uͤbereinkomme, moͤchte eine vermuthung ſeyn, ob nicht auch dieſe verſion
aus dem Boͤhmiſchen durch einen andern geſchehen, und aͤlter ſeyn moͤchte.
3. Die redens-art, wir ermahnen dich, gegen GOTT gebraucht, kom-
met durch aus mit unſer teutſchen ſprach-art nicht uͤberein, und hat daſſel-
be wort in dem gebrauch nie den jenigen verſtand, daß mans gegen GOTT
anwenden koͤnte. So iſt auch das wort ſegnen nunmehr in einem ſolchen
gebrauch, und zwar allein, uͤbrig geblieben, in dem wirs gegen GOtt nicht
gebrauchen moͤgen: Ob wol dahin ſtuͤnde, ob ſolches nicht haͤtte koͤn-

nen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0136" n="124"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das &#x017F;iebende Capitel</hi></fw><lb/>
nichts auszurichten, oder eine &#x017F;onderliche frucht mehr zu erwarten, was<lb/>
man dann &#x017F;ich viel plagen &#x017F;olte, da GOTT &#x017F;elbs wider&#x017F;tehe daß man<lb/>
nichts ausrichte, als nur der leute gericht de&#x017F;to &#x017F;chwerer mache: Hinge-<lb/>
gen wa&#x0364;re er auch ziemlich ermuntert worden, da er in meinen <hi rendition="#aq">piis de&#x017F;ideriis</hi><lb/>
ge&#x017F;ehen, daß ich noch herrliche hoffnung in der &#x017F;chrifft vor uns finde. Nun<lb/>
je mehr un&#x017F;ere verderbnu&#x0364;ß zum mißtrauen und tra&#x0364;gheit von &#x017F;ich &#x017F;elbs <hi rendition="#aq">incli-<lb/>
nir</hi>et, &#x017F;o viel mehr la&#x017F;&#x017F;et uns die dinge offt vor augen &#x017F;tellen, die uns derma&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en aufzumuntern tu&#x0364;chtig find. Jch u&#x0364;ber&#x017F;chreite aber die maaß des briefs<lb/>
das er&#x017F;te mal, jedoch &#x017F;iehet der&#x017F;elbe, wie &#x017F;ich mein hertz gegen ihn aufthue und<lb/>
wie frey mit dem&#x017F;elben handle.</p>
            <dateline>1682.</dateline>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO</hi> XXIII.</hi><lb/>
Von einem ge&#x017F;ang: O GOTT/ wir<lb/>
loben dich.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">W</hi>As das ge&#x017F;ang anlangt: <hi rendition="#fr">O GOTT wir loben dich,</hi> i&#x017F;t mir &#x017F;ol-<lb/>
ches bis dahin gantz unbekant gewe&#x017F;en; Jch bin aber mit gelieb-<lb/>
tem bruder einer meinung 1. Daß da&#x017F;&#x017F;elbe noch vor Luthero oder<lb/>
in der er&#x017F;ten zeit &#x017F;einer <hi rendition="#aq">reformation</hi> von jemand gemachet worden, welches<lb/>
die art der teut&#x017F;chen rede zeiget, &#x017F;o mit der jenigen reinigkeit, welche in den<lb/>
gei&#x017F;tlichen &#x017F;chrifften ziemlicher ma&#x017F;&#x017F;en von Luthero den anfang genommen,<lb/>
nicht u&#x0364;bereinkommet: Als wohin &#x017F;onderlich die formuln <hi rendition="#fr">ehrwu&#x0364;rdiget,<lb/>
wir ermahnen dich, wir &#x017F;egnen dich, &#xA75B;c.</hi> zu ziehen &#x017F;ind, welche der<lb/>
red-art, die darnach aufgekommen, nicht gema&#x0364;ß &#x017F;cheinen. 2. Weil aber<lb/>
in der <hi rendition="#fr">Bo&#x0364;hmi&#x017F;chen bru&#x0364;der Ge&#x017F;angbuch</hi> (der <hi rendition="#aq">edition 1639. p. 412.</hi>)<lb/>
ein ge&#x017F;ang &#x017F;tehet, &#x017F;o auch aus dem <hi rendition="#aq">Te Deum laudamus</hi> von <hi rendition="#fr">Valentin<lb/>
Schultzen</hi> einem <hi rendition="#aq">Studio&#x017F;o,</hi> der 1574. ge&#x017F;torben, ge&#x017F;etzt worden, und al&#x017F;o<lb/>
anfangt: <hi rendition="#fr">O GOTT wir loben dich, bekennen dich,</hi> de&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">melodie</hi><lb/>
auch ziemlich &#x017F;chwer i&#x017F;t, ob ich wol nicht weiß, ob &#x017F;ie mit der bey ihnen bekann-<lb/>
ten u&#x0364;bereinkomme, mo&#x0364;chte eine vermuthung &#x017F;eyn, ob nicht auch die&#x017F;e <hi rendition="#aq">ver&#x017F;ion</hi><lb/>
aus dem Bo&#x0364;hmi&#x017F;chen durch einen andern ge&#x017F;chehen, und a&#x0364;lter &#x017F;eyn mo&#x0364;chte.<lb/>
3. Die redens-art, <hi rendition="#fr">wir ermahnen dich,</hi> gegen GOTT gebraucht, kom-<lb/>
met durch aus mit un&#x017F;er teut&#x017F;chen &#x017F;prach-art nicht u&#x0364;berein, und hat da&#x017F;&#x017F;el-<lb/>
be wort in dem gebrauch nie den jenigen ver&#x017F;tand, daß mans gegen GOTT<lb/>
anwenden ko&#x0364;nte. So i&#x017F;t auch das wort <hi rendition="#fr">&#x017F;egnen</hi> nunmehr in einem &#x017F;olchen<lb/>
gebrauch, und zwar allein, u&#x0364;brig geblieben, in dem wirs gegen GOtt nicht<lb/>
gebrauchen mo&#x0364;gen: Ob wol dahin &#x017F;tu&#x0364;nde, ob &#x017F;olches nicht ha&#x0364;tte ko&#x0364;n-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0136] Das ſiebende Capitel nichts auszurichten, oder eine ſonderliche frucht mehr zu erwarten, was man dann ſich viel plagen ſolte, da GOTT ſelbs widerſtehe daß man nichts ausrichte, als nur der leute gericht deſto ſchwerer mache: Hinge- gen waͤre er auch ziemlich ermuntert worden, da er in meinen piis deſideriis geſehen, daß ich noch herrliche hoffnung in der ſchrifft vor uns finde. Nun je mehr unſere verderbnuͤß zum mißtrauen und traͤgheit von ſich ſelbs incli- niret, ſo viel mehr laſſet uns die dinge offt vor augen ſtellen, die uns dermaſ- ſen aufzumuntern tuͤchtig find. Jch uͤberſchreite aber die maaß des briefs das erſte mal, jedoch ſiehet derſelbe, wie ſich mein hertz gegen ihn aufthue und wie frey mit demſelben handle. 1682. SECTIO XXIII. Von einem geſang: O GOTT/ wir loben dich. WAs das geſang anlangt: O GOTT wir loben dich, iſt mir ſol- ches bis dahin gantz unbekant geweſen; Jch bin aber mit gelieb- tem bruder einer meinung 1. Daß daſſelbe noch vor Luthero oder in der erſten zeit ſeiner reformation von jemand gemachet worden, welches die art der teutſchen rede zeiget, ſo mit der jenigen reinigkeit, welche in den geiſtlichen ſchrifften ziemlicher maſſen von Luthero den anfang genommen, nicht uͤbereinkommet: Als wohin ſonderlich die formuln ehrwuͤrdiget, wir ermahnen dich, wir ſegnen dich, ꝛc. zu ziehen ſind, welche der red-art, die darnach aufgekommen, nicht gemaͤß ſcheinen. 2. Weil aber in der Boͤhmiſchen bruͤder Geſangbuch (der edition 1639. p. 412.) ein geſang ſtehet, ſo auch aus dem Te Deum laudamus von Valentin Schultzen einem Studioſo, der 1574. geſtorben, geſetzt worden, und alſo anfangt: O GOTT wir loben dich, bekennen dich, deſſen melodie auch ziemlich ſchwer iſt, ob ich wol nicht weiß, ob ſie mit der bey ihnen bekann- ten uͤbereinkomme, moͤchte eine vermuthung ſeyn, ob nicht auch dieſe verſion aus dem Boͤhmiſchen durch einen andern geſchehen, und aͤlter ſeyn moͤchte. 3. Die redens-art, wir ermahnen dich, gegen GOTT gebraucht, kom- met durch aus mit unſer teutſchen ſprach-art nicht uͤberein, und hat daſſel- be wort in dem gebrauch nie den jenigen verſtand, daß mans gegen GOTT anwenden koͤnte. So iſt auch das wort ſegnen nunmehr in einem ſolchen gebrauch, und zwar allein, uͤbrig geblieben, in dem wirs gegen GOtt nicht gebrauchen moͤgen: Ob wol dahin ſtuͤnde, ob ſolches nicht haͤtte koͤn- nen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/136
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/136>, abgerufen am 25.04.2024.