Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

Bild:
<< vorherige Seite
Das siebende Capitel.
SECTIO XXXIII.
Ob der streit von der rechtfertigung zwischen
uns und den Papisten wichtig seye?

WAs das momentum controversiae zwischen uns und den Papi-
sten in dem articul der rechtfertigung anlangt, bekenne ich, daß
ich solche streitig keit eine der wichtigsten achte. Jch mache aber
einen unterscheid auf diese weise: Wir nehmen entweder der Papisten lehr
darinnen, wie sie auf das mildeste durch gelinde interpretationes möchte ge-
deutet werden, und warhafftig in vieler guten leute hertzen bey ihnen ist, als
unter denen GOTT freylich auch noch einigen guten und heiligen saamen
erhalten hat, oder aber wie sie eigenlich nach ihrer kirchen, so ich aus dem nicht
so wol grossen hauffen der gemeinen leute, als ihrer clerisey, Bischöffen, Car-
dinäl und Päbste zu urtheilen habe, gelehret wird, und in der that nach ihrer
kirchen principio jeglicher virtualiter dazu verbunden ist. Was die erste
absicht anlangt, so ists wahr, daß man deroselben redens-arten endlich auf
einige weise emolliren und besser verstehen könte, als sie hartlauten, da als-
dann das meiste von den controversien in der that fallen würde: Und so
zweifle ich nicht, was der HERR unter ihnen vor ihn redlich suchende seelen
noch erhalten hat, die stehen in solcher einfalt, und ob sie manche wort mit den
ihrigen gleich gebrauchen, haben sie doch einen andern verstand in ihrem her-
tzen, davor sie jene wort nicht nach ihrem nachdruck verstehen, oder haben
selbs einen eckel daran, wissen sich aber nicht zu helffen. Diese aber halte ich,
ob wol in der päbstischen gemeine, nicht vor warhafftig papistisch. Wir ha-
ben aber nach derselben sinn die lehr ihrer kirchen nicht zu judiciren: sondern
ich achte es gerecht und billich, daß wir ihre lehr hernehmen (wie bey uns auch
geschehen muß) aus ihren öffentlichen schrifften, vornemlich dem Concilio
Tridentino
und was dero auslegung anlangt, den scriptis der meisten und
berühmtesten lehrer unter ihnen. Und solches so vielmehr, weil jeglicher, als
lang er nur ein glied heissen soll ihrer kirchen, ausdrücklich diesen articul be-
kennen muß, daß die Römische kirche nicht irr, und alles dasjenige wahr seye,
was dieselbe lehret: Uber diesen articul wird nimmermehr einem einigen di-
spensation
gegeben, ob man sonsten mit sich über andere particular articul
accordir
en lasset, die aber endlich alle wiederum in diesem einigen virtute ste-
cken. Und ist hierinnen die Römische kirche so viel gefährlicher als alle andere
secten, weilen in diesen nicht eben jeglicher an alle derselben irrthum gehalten
ist, sondern ihn allein diejenige treffen, die er selbs wircklich hat/ aber bey der

Rö-
Das ſiebende Capitel.
SECTIO XXXIII.
Ob der ſtreit von der rechtfertigung zwiſchen
uns und den Papiſten wichtig ſeye?

WAs das momentum controverſiæ zwiſchen uns und den Papi-
ſten in dem articul der rechtfertigung anlangt, bekenne ich, daß
ich ſolche ſtreitig keit eine der wichtigſten achte. Jch mache aber
einen unterſcheid auf dieſe weiſe: Wir nehmen entweder der Papiſten lehr
darinnen, wie ſie auf das mildeſte durch gelinde interpretationes moͤchte ge-
deutet werden, und warhafftig in vieler guten leute hertzen bey ihnen iſt, als
unter denen GOTT freylich auch noch einigen guten und heiligen ſaamen
erhalten hat, oder aber wie ſie eigenlich nach ihrer kirchen, ſo ich aus dem nicht
ſo wol groſſen hauffen der gemeinen leute, als ihrer cleriſey, Biſchoͤffen, Car-
dinaͤl und Paͤbſte zu urtheilen habe, gelehret wird, und in der that nach ihrer
kirchen principio jeglicher virtualiter dazu verbunden iſt. Was die erſte
abſicht anlangt, ſo iſts wahr, daß man deroſelben redens-arten endlich auf
einige weiſe emolliren und beſſer verſtehen koͤnte, als ſie hartlauten, da als-
dann das meiſte von den controverſien in der that fallen wuͤrde: Und ſo
zweifle ich nicht, was der HERR unter ihnen vor ihn redlich ſuchende ſeelen
noch erhalten hat, die ſtehen in ſolcher einfalt, und ob ſie manche wort mit den
ihrigen gleich gebrauchen, haben ſie doch einen andern verſtand in ihrem her-
tzen, davor ſie jene wort nicht nach ihrem nachdruck verſtehen, oder haben
ſelbs einen eckel daran, wiſſen ſich aber nicht zu helffen. Dieſe aber halte ich,
ob wol in der paͤbſtiſchen gemeine, nicht vor warhafftig papiſtiſch. Wir ha-
ben aber nach derſelben ſinn die lehr ihrer kirchen nicht zu judiciren: ſondern
ich achte es gerecht und billich, daß wir ihre lehr hernehmen (wie bey uns auch
geſchehen muß) aus ihren oͤffentlichen ſchrifften, vornemlich dem Concilio
Tridentino
und was dero auslegung anlangt, den ſcriptis der meiſten und
beruͤhmteſten lehrer unter ihnen. Und ſolches ſo vielmehr, weil jeglicher, als
lang er nur ein glied heiſſen ſoll ihrer kirchen, ausdruͤcklich dieſen articul be-
kennen muß, daß die Roͤmiſche kirche nicht irr, und alles dasjenige wahr ſeye,
was dieſelbe lehret: Uber dieſen articul wird nimmermehr einem einigen di-
ſpenſation
gegeben, ob man ſonſten mit ſich uͤber andere particular articul
accordir
en laſſet, die aber endlich alle wiederum in dieſem einigen virtute ſte-
cken. Und iſt hierinnen die Roͤmiſche kirche ſo viel gefaͤhrlicher als alle andere
ſecten, weilen in dieſen nicht eben jeglicher an alle derſelben irrthum gehalten
iſt, ſondern ihn allein diejenige treffen, die er ſelbs wircklich hat/ aber bey der

Roͤ-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0164" n="152"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das &#x017F;iebende Capitel.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO</hi> XXXIII.</hi><lb/>
Ob der &#x017F;treit von der rechtfertigung zwi&#x017F;chen<lb/>
uns und den Papi&#x017F;ten wichtig &#x017F;eye?</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">W</hi>As das <hi rendition="#aq">momentum controver&#x017F;</hi> zwi&#x017F;chen uns und den Papi-<lb/>
&#x017F;ten in dem articul der <hi rendition="#fr">rechtfertigung</hi> anlangt, bekenne ich, daß<lb/>
ich &#x017F;olche &#x017F;treitig keit eine der wichtig&#x017F;ten achte. Jch mache aber<lb/>
einen unter&#x017F;cheid auf die&#x017F;e wei&#x017F;e: Wir nehmen entweder der Papi&#x017F;ten lehr<lb/>
darinnen, wie &#x017F;ie auf das milde&#x017F;te durch gelinde <hi rendition="#aq">interpretationes</hi> mo&#x0364;chte ge-<lb/>
deutet werden, und warhafftig in vieler guten leute hertzen bey ihnen i&#x017F;t, als<lb/>
unter denen GOTT freylich auch noch einigen guten und heiligen &#x017F;aamen<lb/>
erhalten hat, oder aber wie &#x017F;ie eigenlich nach ihrer kirchen, &#x017F;o ich aus dem nicht<lb/>
&#x017F;o wol gro&#x017F;&#x017F;en hauffen der gemeinen leute, als ihrer cleri&#x017F;ey, Bi&#x017F;cho&#x0364;ffen, Car-<lb/>
dina&#x0364;l und Pa&#x0364;b&#x017F;te zu urtheilen habe, gelehret wird, und in der that nach ihrer<lb/>
kirchen <hi rendition="#aq">principio</hi> jeglicher <hi rendition="#aq">virtualiter</hi> dazu verbunden i&#x017F;t. Was die er&#x017F;te<lb/>
ab&#x017F;icht anlangt, &#x017F;o i&#x017F;ts wahr, daß man dero&#x017F;elben redens-arten endlich auf<lb/>
einige wei&#x017F;e <hi rendition="#aq">emollir</hi>en und be&#x017F;&#x017F;er ver&#x017F;tehen ko&#x0364;nte, als &#x017F;ie hartlauten, da als-<lb/>
dann das mei&#x017F;te von den <hi rendition="#aq">controver&#x017F;i</hi>en in der that fallen wu&#x0364;rde: Und &#x017F;o<lb/>
zweifle ich nicht, was der HERR unter ihnen vor ihn redlich &#x017F;uchende &#x017F;eelen<lb/>
noch erhalten hat, die &#x017F;tehen in &#x017F;olcher einfalt, und ob &#x017F;ie manche wort mit den<lb/>
ihrigen gleich gebrauchen, haben &#x017F;ie doch einen andern ver&#x017F;tand in ihrem her-<lb/>
tzen, davor &#x017F;ie jene wort nicht nach ihrem nachdruck ver&#x017F;tehen, oder haben<lb/>
&#x017F;elbs einen eckel daran, wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich aber nicht zu helffen. Die&#x017F;e aber halte ich,<lb/>
ob wol in der pa&#x0364;b&#x017F;ti&#x017F;chen gemeine, nicht vor warhafftig papi&#x017F;ti&#x017F;ch. Wir ha-<lb/>
ben aber nach der&#x017F;elben &#x017F;inn die lehr ihrer kirchen nicht zu <hi rendition="#aq">judicir</hi>en: &#x017F;ondern<lb/>
ich achte es gerecht und billich, daß wir ihre lehr hernehmen (wie bey uns auch<lb/>
ge&#x017F;chehen muß) aus ihren o&#x0364;ffentlichen &#x017F;chrifften, vornemlich dem <hi rendition="#aq">Concilio<lb/>
Tridentino</hi> und was dero auslegung anlangt, den <hi rendition="#aq">&#x017F;criptis</hi> der mei&#x017F;ten und<lb/>
beru&#x0364;hmte&#x017F;ten lehrer unter ihnen. Und &#x017F;olches &#x017F;o vielmehr, weil jeglicher, als<lb/>
lang er nur ein glied hei&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll ihrer kirchen, ausdru&#x0364;cklich die&#x017F;en articul be-<lb/>
kennen muß, daß die Ro&#x0364;mi&#x017F;che kirche nicht irr, und alles dasjenige wahr &#x017F;eye,<lb/>
was die&#x017F;elbe lehret: Uber die&#x017F;en articul wird nimmermehr einem einigen <hi rendition="#aq">di-<lb/>
&#x017F;pen&#x017F;ation</hi> gegeben, ob man &#x017F;on&#x017F;ten mit &#x017F;ich u&#x0364;ber andere <hi rendition="#aq">particular articul<lb/>
accordir</hi>en la&#x017F;&#x017F;et, die aber endlich alle wiederum in die&#x017F;em einigen <hi rendition="#aq">virtute</hi> &#x017F;te-<lb/>
cken. Und i&#x017F;t hierinnen die Ro&#x0364;mi&#x017F;che kirche &#x017F;o viel gefa&#x0364;hrlicher als alle andere<lb/><hi rendition="#aq">&#x017F;ect</hi>en, weilen in die&#x017F;en nicht eben jeglicher an alle der&#x017F;elben irrthum gehalten<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;ondern ihn allein diejenige treffen, die er &#x017F;elbs wircklich hat/ aber bey der<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ro&#x0364;-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0164] Das ſiebende Capitel. SECTIO XXXIII. Ob der ſtreit von der rechtfertigung zwiſchen uns und den Papiſten wichtig ſeye? WAs das momentum controverſiæ zwiſchen uns und den Papi- ſten in dem articul der rechtfertigung anlangt, bekenne ich, daß ich ſolche ſtreitig keit eine der wichtigſten achte. Jch mache aber einen unterſcheid auf dieſe weiſe: Wir nehmen entweder der Papiſten lehr darinnen, wie ſie auf das mildeſte durch gelinde interpretationes moͤchte ge- deutet werden, und warhafftig in vieler guten leute hertzen bey ihnen iſt, als unter denen GOTT freylich auch noch einigen guten und heiligen ſaamen erhalten hat, oder aber wie ſie eigenlich nach ihrer kirchen, ſo ich aus dem nicht ſo wol groſſen hauffen der gemeinen leute, als ihrer cleriſey, Biſchoͤffen, Car- dinaͤl und Paͤbſte zu urtheilen habe, gelehret wird, und in der that nach ihrer kirchen principio jeglicher virtualiter dazu verbunden iſt. Was die erſte abſicht anlangt, ſo iſts wahr, daß man deroſelben redens-arten endlich auf einige weiſe emolliren und beſſer verſtehen koͤnte, als ſie hartlauten, da als- dann das meiſte von den controverſien in der that fallen wuͤrde: Und ſo zweifle ich nicht, was der HERR unter ihnen vor ihn redlich ſuchende ſeelen noch erhalten hat, die ſtehen in ſolcher einfalt, und ob ſie manche wort mit den ihrigen gleich gebrauchen, haben ſie doch einen andern verſtand in ihrem her- tzen, davor ſie jene wort nicht nach ihrem nachdruck verſtehen, oder haben ſelbs einen eckel daran, wiſſen ſich aber nicht zu helffen. Dieſe aber halte ich, ob wol in der paͤbſtiſchen gemeine, nicht vor warhafftig papiſtiſch. Wir ha- ben aber nach derſelben ſinn die lehr ihrer kirchen nicht zu judiciren: ſondern ich achte es gerecht und billich, daß wir ihre lehr hernehmen (wie bey uns auch geſchehen muß) aus ihren oͤffentlichen ſchrifften, vornemlich dem Concilio Tridentino und was dero auslegung anlangt, den ſcriptis der meiſten und beruͤhmteſten lehrer unter ihnen. Und ſolches ſo vielmehr, weil jeglicher, als lang er nur ein glied heiſſen ſoll ihrer kirchen, ausdruͤcklich dieſen articul be- kennen muß, daß die Roͤmiſche kirche nicht irr, und alles dasjenige wahr ſeye, was dieſelbe lehret: Uber dieſen articul wird nimmermehr einem einigen di- ſpenſation gegeben, ob man ſonſten mit ſich uͤber andere particular articul accordiren laſſet, die aber endlich alle wiederum in dieſem einigen virtute ſte- cken. Und iſt hierinnen die Roͤmiſche kirche ſo viel gefaͤhrlicher als alle andere ſecten, weilen in dieſen nicht eben jeglicher an alle derſelben irrthum gehalten iſt, ſondern ihn allein diejenige treffen, die er ſelbs wircklich hat/ aber bey der Roͤ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/164
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/164>, abgerufen am 19.04.2024.