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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
Die vierte frage.
Wenn auf allen fall die leute etwas einmüthiger redeten, und
wol gar eydlich zu erhärten vorgeben solten, wie dann bey un-
wissenden und halßstarrigen sich begeben könte, ob nach der er-
sten oder letzten aussage zu urtheilen, und daher der prediger,
so beicht-vater und meistens mit denselben gehandelt, auch
con-
scientiam rectam
zu haben glaubet, anzustrengen, daß er solche
leute beicht hören müßte, und ob nicht vielmehr ein anderer,
welcher sich weniger
scrupel darüber machte, weil er vielleicht
solche nachricht wie jener nicht hat, auf vorhergegangene
warnung sie, wo sie beharreten, zur beicht annehmen möch-
te?

DJese frage hat zum theil ihre abhelfliche maaß aus der vorigen
antwort: Daß nemlich allerdings in dem abfassenden urtheil
mehr auf die erste als letzte aussage zu reflectiren seye/ indem diese
den starcken und gegründeten verdacht des die warheit hinterhaltenden
interesse dermassen gegen sich hat/ daß wem es eigenlich um die warheit
zu thun ist/ jene nothwendig vorziehen muß. Daher 2. sihe ich auch nicht/
daß ein richter/ der ohne das zweiffels frey in Christlicher klugheit unter-
schiedliche wege wird sinden können/ mit anwendung fleisses hinter die ei-
genliche wahrheit zu kommen (darzu ihn auch sein gewissen verbindet) bey
solcher bewandnüß/ der wider die leute streitenden indiciorum und
schwerer gefahr eines meineyds/ sie zu einem eyd zulassen könte. Solte
aber 3. ein richter/ ob er sie schon darzu nicht zuliesse, gleichwol die sache
auch wider sie noch nicht genug erwiesen achten/ sonderlich wann sie ihre
aussage/ oder so und so bey dem prediger quaestionis, dem es auch an er-
weiß manglete/ geredet zu haben/ ins verneinen zögen/ daher er in dem
fall/ der ihm noch zweifelhafftig wäre/ sie weder zur bekäntnüß zu brin-
gen wüßte/ noch von dem heiligen abendmahl/ in einem ihm noch so fern
dubio casu, sie aus schliessen könte/ so würde doch dem jenigen prediger/ der
de certa conscientia von sich zeugete/ die zulassung nicht aufgebürdet
werden mögen/ sondern 4. würde den leuten aufs höchste zu verstatten seyn,
daß sie sich zu einem andern prediger wendeten/ dem zwar auch was vor-
gegangen zu communiciren/ aber alsdann zu überlassen wäre/ nachdem
er der falschheit des vorgebens nicht dermassen überzeugt/ daß er den leu-
ten nochmal beweglich zuspräche/ sie alsdenn ihrem gewissen überliesse/
und also auf ihr anhaltendes verlangen mit der communion ihnen will-

fahr-
Das ſiebende Capitel.
Die vierte frage.
Wenn auf allen fall die leute etwas einmuͤthiger redeten, und
wol gar eydlich zu erhaͤrten vorgeben ſolten, wie dann bey un-
wiſſenden und halßſtarrigen ſich begeben koͤnte, ob nach der er-
ſten oder letzten auſſage zu urtheilen, und daher der prediger,
ſo beicht-vateꝛ und meiſtens mit denſelben gehandelt, auch
con-
ſcientiam rectam
zu haben glaubet, anzuſtrengen, daß er ſolche
leute beicht hoͤren muͤßte, und ob nicht vielmehr ein anderer,
welcher ſich weniger
ſcrupel daruͤber machte, weil er vielleicht
ſolche nachricht wie jener nicht hat, auf vorhergegangene
warnung ſie, wo ſie beharreten, zur beicht annehmen moͤch-
te?

DJeſe frage hat zum theil ihre abhelfliche maaß aus der vorigen
antwort: Daß nemlich allerdings in dem abfaſſenden urtheil
mehr auf die erſte als letzte auſſage zu reflectiren ſeye/ indem dieſe
den ſtarcken und gegruͤndeten verdacht des die warheit hinterhaltenden
intereſſe dermaſſen gegen ſich hat/ daß wem es eigenlich um die warheit
zu thun iſt/ jene nothwendig vorziehen muß. Daher 2. ſihe ich auch nicht/
daß ein richter/ der ohne das zweiffels frey in Chriſtlicher klugheit unter-
ſchiedliche wege wird ſinden koͤnnen/ mit anwendung fleiſſes hinter die ei-
genliche wahrheit zu kommen (darzu ihn auch ſein gewiſſen verbindet) bey
ſolcher bewandnuͤß/ der wider die leute ſtreitenden indiciorum und
ſchwerer gefahr eines meineyds/ ſie zu einem eyd zulaſſen koͤnte. Solte
aber 3. ein richter/ ob er ſie ſchon darzu nicht zulieſſe, gleichwol die ſache
auch wider ſie noch nicht genug erwieſen achten/ ſonderlich wann ſie ihre
auſſage/ oder ſo und ſo bey dem prediger quæſtionis, dem es auch an er-
weiß manglete/ geredet zu haben/ ins verneinen zoͤgen/ daher er in dem
fall/ der ihm noch zweifelhafftig waͤre/ ſie weder zur bekaͤntnuͤß zu brin-
gen wuͤßte/ noch von dem heiligen abendmahl/ in einem ihm noch ſo fern
dubio caſu, ſie aus ſchlieſſen koͤnte/ ſo wuͤrde doch dem jenigen prediger/ der
de certa conſcientia von ſich zeugete/ die zulaſſung nicht aufgebuͤrdet
werdẽ moͤgen/ ſondern 4. wuͤrde den leuten aufs hoͤchſte zu verſtatten ſeyn,
daß ſie ſich zu einem andern prediger wendeten/ dem zwar auch was vor-
gegangen zu communiciren/ aber alsdann zu uͤberlaſſen waͤre/ nachdem
er der falſchheit des vorgebens nicht dermaſſen uͤberzeugt/ daß er den leu-
ten nochmal beweglich zuſpraͤche/ ſie alsdenn ihrem gewiſſen uͤberlieſſe/
und alſo auf ihr anhaltendes verlangen mit der communion ihnen will-

fahr-
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[172/0184] Das ſiebende Capitel. Die vierte frage. Wenn auf allen fall die leute etwas einmuͤthiger redeten, und wol gar eydlich zu erhaͤrten vorgeben ſolten, wie dann bey un- wiſſenden und halßſtarrigen ſich begeben koͤnte, ob nach der er- ſten oder letzten auſſage zu urtheilen, und daher der prediger, ſo beicht-vateꝛ und meiſtens mit denſelben gehandelt, auch con- ſcientiam rectam zu haben glaubet, anzuſtrengen, daß er ſolche leute beicht hoͤren muͤßte, und ob nicht vielmehr ein anderer, welcher ſich weniger ſcrupel daruͤber machte, weil er vielleicht ſolche nachricht wie jener nicht hat, auf vorhergegangene warnung ſie, wo ſie beharreten, zur beicht annehmen moͤch- te? DJeſe frage hat zum theil ihre abhelfliche maaß aus der vorigen antwort: Daß nemlich allerdings in dem abfaſſenden urtheil mehr auf die erſte als letzte auſſage zu reflectiren ſeye/ indem dieſe den ſtarcken und gegruͤndeten verdacht des die warheit hinterhaltenden intereſſe dermaſſen gegen ſich hat/ daß wem es eigenlich um die warheit zu thun iſt/ jene nothwendig vorziehen muß. Daher 2. ſihe ich auch nicht/ daß ein richter/ der ohne das zweiffels frey in Chriſtlicher klugheit unter- ſchiedliche wege wird ſinden koͤnnen/ mit anwendung fleiſſes hinter die ei- genliche wahrheit zu kommen (darzu ihn auch ſein gewiſſen verbindet) bey ſolcher bewandnuͤß/ der wider die leute ſtreitenden indiciorum und ſchwerer gefahr eines meineyds/ ſie zu einem eyd zulaſſen koͤnte. Solte aber 3. ein richter/ ob er ſie ſchon darzu nicht zulieſſe, gleichwol die ſache auch wider ſie noch nicht genug erwieſen achten/ ſonderlich wann ſie ihre auſſage/ oder ſo und ſo bey dem prediger quæſtionis, dem es auch an er- weiß manglete/ geredet zu haben/ ins verneinen zoͤgen/ daher er in dem fall/ der ihm noch zweifelhafftig waͤre/ ſie weder zur bekaͤntnuͤß zu brin- gen wuͤßte/ noch von dem heiligen abendmahl/ in einem ihm noch ſo fern dubio caſu, ſie aus ſchlieſſen koͤnte/ ſo wuͤrde doch dem jenigen prediger/ der de certa conſcientia von ſich zeugete/ die zulaſſung nicht aufgebuͤrdet werdẽ moͤgen/ ſondern 4. wuͤrde den leuten aufs hoͤchſte zu verſtatten ſeyn, daß ſie ſich zu einem andern prediger wendeten/ dem zwar auch was vor- gegangen zu communiciren/ aber alsdann zu uͤberlaſſen waͤre/ nachdem er der falſchheit des vorgebens nicht dermaſſen uͤberzeugt/ daß er den leu- ten nochmal beweglich zuſpraͤche/ ſie alsdenn ihrem gewiſſen uͤberlieſſe/ und alſo auf ihr anhaltendes verlangen mit der communion ihnen will- fahr-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/184>, abgerufen am 23.04.2024.