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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. II. SECTIO XXXVI.
her die meynung der absolution von seiten unser/ die wir nicht in die hertzen
sehen können/ allezeit die condition, wo die busse hertzlich seye/ in sich fasse.
Dann damit/ wo man die leute gnug darvon unterrichtet hat/ kommt nachmal
die schuld deren/ die sich und den prediger immer muthwillig betriegen wollen/
auf sie selbs an/ und haben wir unsere seelen gerettet. 5. Am wenigsten aber
könte ich ihm rathen/ sich der administration des heiligen abendmahls zu ent-
ziehen/ da sich ein collega unserm judicio nicht conformiren wolte/ und ei-
nige absolvirte/ die wir unwürdig zu seyn sorgten. Denn da in diesen sachen
der collegarum macht gleich ist/ im fall sie über eine person nicht einerley mey-
nung sind/ so bleibets unter ihnen billig bey dem ausspruch eines jeden von sei-
nen beicht-kindern/ und würde es allzuhart seyn/ da der eine die person absol-
vi
ret hat/ wann der andere durch versagung des sacraments dessen urtheil
gleichsam aufheben wolte. Ob er nun aber einer solchen person connivirte/
so geschehe es gleichwol auf des andern verantwortung/ welcher allein mit der
person gehandelt/ und daher von ihrer bewandnüß bessere wissenschafft haben
solte als der ander. Hingegen da ein collega solcher massen des andern
actiones vernichten dörffte/ würde solches ärgerliche spaltungen/ welche der
kirchen allzugrossen schaden thun/ erwecken. So gebe der HERR auch dar-
innen allen zu erkennen/ was das beste seye/ zeige auch selbs/ wie dem beicht-
wesen wieder zurecht zu helffen/ dessen unordnung ich so sehr erkenne/ daß bey
jetziger unserer kirchen verfassung alle menschliche mügliche mittel kaum mehr
zulänglich sind: Wie ich denn an die gantze sache nicht gedencken kan/ daß
nicht darüber erschrecke: und ob wol nunmehr in solcher stelle stehe/ da mit
dem beichtstuhl selbs nichts zu schaffen/ anderer christlichen brüder/ die un-
ter solcher gewissens-angst seuffzen/ kummer sowol als eigen anzusehen ha-
be.

SECTIO XXXVI.
Von kirchen-visitationen. Das meiste von
predigern mit sanfftmuth auszurichten/ nicht
mit hefftigkeit.

UBer dasjenige/ was demselben von dem consistorio begegnet/ stehet
mir nicht zu zu urtheilen/ indem ich nicht weiß/ aus was ursachen oder
noth die in der kirchen- ordnung angewiesene jährliche visitation
unterlassen worden: Wie denn auch gut-gesinnte nicht allezeit thun kön-
nen/ was sie wollen: welches ich mit eigenem exempel erweisen kan/ indem
ich und unser ministerium in Franckfurth in den 20, jahren/ als ich da

gewe-
IV. Theil. r r

ARTIC. II. SECTIO XXXVI.
her die meynung der abſolution von ſeiten unſer/ die wir nicht in die hertzen
ſehen koͤnnen/ allezeit die condition, wo die buſſe hertzlich ſeye/ in ſich faſſe.
Dann damit/ wo man die leute gnug darvon unterrichtet hat/ kommt nachmal
die ſchuld deren/ die ſich und den prediger immer muthwillig betriegen wollen/
auf ſie ſelbs an/ und haben wir unſere ſeelen gerettet. 5. Am wenigſten aber
koͤnte ich ihm rathen/ ſich der adminiſtration des heiligen abendmahls zu ent-
ziehen/ da ſich ein collega unſerm judicio nicht conformiren wolte/ und ei-
nige abſolvirte/ die wir unwuͤrdig zu ſeyn ſorgten. Denn da in dieſen ſachen
der collegarum macht gleich iſt/ im fall ſie uͤber eine perſon nicht einerley mey-
nung ſind/ ſo bleibets unter ihnen billig bey dem ausſpruch eines jeden von ſei-
nen beicht-kindern/ und wuͤrde es allzuhart ſeyn/ da der eine die perſon abſol-
vi
ret hat/ wann der andere durch verſagung des ſacraments deſſen urtheil
gleichſam aufheben wolte. Ob er nun aber einer ſolchen perſon connivirte/
ſo geſchehe es gleichwol auf des andern verantwortung/ welcher allein mit der
perſon gehandelt/ und daher von ihrer bewandnuͤß beſſere wiſſenſchafft haben
ſolte als der ander. Hingegen da ein collega ſolcher maſſen des andern
actiones vernichten doͤrffte/ wuͤrde ſolches aͤrgerliche ſpaltungen/ welche der
kirchen allzugroſſen ſchaden thun/ erwecken. So gebe der HERR auch dar-
innen allen zu erkennen/ was das beſte ſeye/ zeige auch ſelbs/ wie dem beicht-
weſen wieder zurecht zu helffen/ deſſen unordnung ich ſo ſehr erkenne/ daß bey
jetziger unſerer kirchen verfaſſung alle menſchliche muͤgliche mittel kaum mehr
zulaͤnglich ſind: Wie ich denn an die gantze ſache nicht gedencken kan/ daß
nicht daruͤber erſchrecke: und ob wol nunmehr in ſolcher ſtelle ſtehe/ da mit
dem beichtſtuhl ſelbs nichts zu ſchaffen/ anderer chriſtlichen bruͤder/ die un-
ter ſolcher gewiſſens-angſt ſeuffzen/ kummer ſowol als eigen anzuſehen ha-
be.

SECTIO XXXVI.
Von kirchen-viſitationen. Das meiſte von
predigern mit ſanfftmuth auszurichten/ nicht
mit hefftigkeit.

UBer dasjenige/ was demſelben von dem conſiſtorio begegnet/ ſtehet
mir nicht zu zu urtheilen/ indem ich nicht weiß/ aus was urſachen oder
noth die in der kirchen- ordnung angewieſene jaͤhrliche viſitation
unterlaſſen worden: Wie denn auch gut-geſinnte nicht allezeit thun koͤn-
nen/ was ſie wollen: welches ich mit eigenem exempel erweiſen kan/ indem
ich und unſer miniſterium in Franckfurth in den 20, jahren/ als ich da

gewe-
IV. Theil. r r
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[313/0325] ARTIC. II. SECTIO XXXVI. her die meynung der abſolution von ſeiten unſer/ die wir nicht in die hertzen ſehen koͤnnen/ allezeit die condition, wo die buſſe hertzlich ſeye/ in ſich faſſe. Dann damit/ wo man die leute gnug darvon unterrichtet hat/ kommt nachmal die ſchuld deren/ die ſich und den prediger immer muthwillig betriegen wollen/ auf ſie ſelbs an/ und haben wir unſere ſeelen gerettet. 5. Am wenigſten aber koͤnte ich ihm rathen/ ſich der adminiſtration des heiligen abendmahls zu ent- ziehen/ da ſich ein collega unſerm judicio nicht conformiren wolte/ und ei- nige abſolvirte/ die wir unwuͤrdig zu ſeyn ſorgten. Denn da in dieſen ſachen der collegarum macht gleich iſt/ im fall ſie uͤber eine perſon nicht einerley mey- nung ſind/ ſo bleibets unter ihnen billig bey dem ausſpruch eines jeden von ſei- nen beicht-kindern/ und wuͤrde es allzuhart ſeyn/ da der eine die perſon abſol- viret hat/ wann der andere durch verſagung des ſacraments deſſen urtheil gleichſam aufheben wolte. Ob er nun aber einer ſolchen perſon connivirte/ ſo geſchehe es gleichwol auf des andern verantwortung/ welcher allein mit der perſon gehandelt/ und daher von ihrer bewandnuͤß beſſere wiſſenſchafft haben ſolte als der ander. Hingegen da ein collega ſolcher maſſen des andern actiones vernichten doͤrffte/ wuͤrde ſolches aͤrgerliche ſpaltungen/ welche der kirchen allzugroſſen ſchaden thun/ erwecken. So gebe der HERR auch dar- innen allen zu erkennen/ was das beſte ſeye/ zeige auch ſelbs/ wie dem beicht- weſen wieder zurecht zu helffen/ deſſen unordnung ich ſo ſehr erkenne/ daß bey jetziger unſerer kirchen verfaſſung alle menſchliche muͤgliche mittel kaum mehr zulaͤnglich ſind: Wie ich denn an die gantze ſache nicht gedencken kan/ daß nicht daruͤber erſchrecke: und ob wol nunmehr in ſolcher ſtelle ſtehe/ da mit dem beichtſtuhl ſelbs nichts zu ſchaffen/ anderer chriſtlichen bruͤder/ die un- ter ſolcher gewiſſens-angſt ſeuffzen/ kummer ſowol als eigen anzuſehen ha- be. 1696. SECTIO XXXVI. Von kirchen-viſitationen. Das meiſte von predigern mit ſanfftmuth auszurichten/ nicht mit hefftigkeit. UBer dasjenige/ was demſelben von dem conſiſtorio begegnet/ ſtehet mir nicht zu zu urtheilen/ indem ich nicht weiß/ aus was urſachen oder noth die in der kirchen- ordnung angewieſene jaͤhrliche viſitation unterlaſſen worden: Wie denn auch gut-geſinnte nicht allezeit thun koͤn- nen/ was ſie wollen: welches ich mit eigenem exempel erweiſen kan/ indem ich und unſer miniſterium in Franckfurth in den 20, jahren/ als ich da gewe- IV. Theil. r r

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/325>, abgerufen am 23.04.2024.