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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. IV. SECTIO XXXIV.
get/ so habe gesehen/ daß solcher mann sehr vorsichtig das meiste harte in Praeto-
rii
sachen übergangen und ausgelassen/ hingegen das beste und kräfftigste aus
ihm excerpiret habe: also wo man mit liebe alles auf den besten verstand/ der
gefunden werden kan/ ziehen wil/ in Statio sich nichts findet/ daß nicht eine gu-
te erklärung lidte; ob ich wol nich leugne/ daß etwa auch ein und andere ort in ei-
nem rigidiori examine anstoß leiden möchten. Jndessen wird eine fromme seel in
solchem buch viele erbauung und stärckung finden/ und also auch dasselbe zu hertz-
lichem nutzen gebrauchen können/ hingegen aus demselben wo ers nicht selbst su-
chen will/ keinen schaden oder verführung fürchten dörffen. Wie ich dann noch
niemand kenne/ der aus solchem lesen einen schädlichen scrupel seines glaubens
gefaßt/ wol aber viele/ die ihrem GOTT demütig vor die aufrichtung und stär-
ckung daraus gedancket haben/ und noch dancken. Jm übrigen weil mich deucht/ daß
mein geliebter freund wegen manglenden gehörs sich vornemlich fürchte vor der
gefahr der letzten stunde/ da er keinen zuspruch vornehmen/ u. etwa auch nichts mehr
lesen könte/ so achte es nöthig/ denselben zu erinnern/ daß er zwar/ wie wir schul-
dig sind/ sich auf solchen letzten kampff zu bereiten nicht läßig seyn/ aber alle miß-
trauige sorge fern von sich ablegen wolle/ der getrosten versicherung/ GOTT seye
so getreu/ daß er um die zeit/ wo sie am leiblichen am schwächesten sind/ keinen der-
jenigen nicht lasse überwunden werden/ und an der seelen schaden leiden/ wel-
che bis dahin/ als lange ihnen derselbe das vermögen gegeben/ solches treu-
lich angewendet haben. Daher ist gleichsam der sieg schon vorher erhalten/ ehe
es zu dem letzten kampff komt/ aufs wenigste/ ob es noch hart halten solte/ so
geschiehets nur darum daß der HERR seiner treuen kämpffer sieg so viel herrli-
cher machen und offenbaren will. Daran uns die güte unsers vaters/ der un-
ser schwachheit kennet/ durchaus nicht zweiffeln lässet.

SECTIO XXXVI.
Ob ein rechtschaffener christ aus betrachtung viel
und offtmaliger hertzlicher vergebung seiner fünden einen sol-
chen vorsatz haben und zu GOTT sagen könne: sündige
ich hinfort muthwillig/ so straffe der HERR
mich nach seinem gerechten
willen?
Diese
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ARTIC. IV. SECTIO XXXIV.
get/ ſo habe geſehen/ daß ſolcher mann ſehr vorſichtig das meiſte harte in Præto-
rii
ſachen uͤbergangen und ausgelaſſen/ hingegen das beſte und kraͤfftigſte aus
ihm excerpiret habe: alſo wo man mit liebe alles auf den beſten verſtand/ der
gefunden werden kan/ ziehen wil/ in Statio ſich nichts findet/ daß nicht eine gu-
te erklaͤrung lidte; ob ich wol nich leugne/ daß etwa auch ein und andere ort in ei-
nem rigidiori examine anſtoß leiden moͤchten. Jndeſſen wird eine fromme ſeel in
ſolchem buch viele erbauung und ſtaͤrckung finden/ und alſo auch daſſelbe zu hertz-
lichem nutzen gebrauchen koͤnnen/ hingegen aus demſelben wo ers nicht ſelbſt ſu-
chen will/ keinen ſchaden oder verfuͤhrung fuͤrchten doͤrffen. Wie ich dann noch
niemand kenne/ der aus ſolchem leſen einen ſchaͤdlichen ſcrupel ſeines glaubens
gefaßt/ wol aber viele/ die ihrem GOTT demuͤtig vor die aufrichtung und ſtaͤr-
ckung daraus gedancket haben/ und noch dancken. Jm uͤbrigen weil mich deucht/ daß
mein geliebter freund wegen manglenden gehoͤrs ſich vornemlich fuͤrchte vor der
gefahr der letzten ſtunde/ da er keinen zuſpruch vornehmen/ u. etwa auch nichts mehr
leſen koͤnte/ ſo achte es noͤthig/ denſelben zu erinnern/ daß er zwar/ wie wir ſchul-
dig ſind/ ſich auf ſolchen letzten kampff zu bereiten nicht laͤßig ſeyn/ aber alle miß-
trauige ſorge fern von ſich ablegen wolle/ der getroſten verſicherung/ GOTT ſeye
ſo getreu/ daß er um die zeit/ wo ſie am leiblichen am ſchwaͤcheſten ſind/ keinen der-
jenigen nicht laſſe uͤberwunden werden/ und an der ſeelen ſchaden leiden/ wel-
che bis dahin/ als lange ihnen derſelbe das vermoͤgen gegeben/ ſolches treu-
lich angewendet haben. Daher iſt gleichſam der ſieg ſchon vorher erhalten/ ehe
es zu dem letzten kampff komt/ aufs wenigſte/ ob es noch hart halten ſolte/ ſo
geſchiehets nur darum daß der HERR ſeiner treuen kaͤmpffer ſieg ſo viel herrli-
cher machen und offenbaren will. Daran uns die guͤte unſers vaters/ der un-
ſer ſchwachheit kennet/ durchaus nicht zweiffeln laͤſſet.

SECTIO XXXVI.
Ob ein rechtſchaffener chriſt aus betrachtung viel
und offtmaliger hertzlicher vergebung ſeiner fuͤnden einen ſol-
chen vorſatz haben und zu GOTT ſagen koͤnne: ſuͤndige
ich hinfort muthwillig/ ſo ſtraffe der HERR
mich nach ſeinem gerechten
willen?
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[517/0529] ARTIC. IV. SECTIO XXXIV. get/ ſo habe geſehen/ daß ſolcher mann ſehr vorſichtig das meiſte harte in Præto- rii ſachen uͤbergangen und ausgelaſſen/ hingegen das beſte und kraͤfftigſte aus ihm excerpiret habe: alſo wo man mit liebe alles auf den beſten verſtand/ der gefunden werden kan/ ziehen wil/ in Statio ſich nichts findet/ daß nicht eine gu- te erklaͤrung lidte; ob ich wol nich leugne/ daß etwa auch ein und andere ort in ei- nem rigidiori examine anſtoß leiden moͤchten. Jndeſſen wird eine fromme ſeel in ſolchem buch viele erbauung und ſtaͤrckung finden/ und alſo auch daſſelbe zu hertz- lichem nutzen gebrauchen koͤnnen/ hingegen aus demſelben wo ers nicht ſelbſt ſu- chen will/ keinen ſchaden oder verfuͤhrung fuͤrchten doͤrffen. Wie ich dann noch niemand kenne/ der aus ſolchem leſen einen ſchaͤdlichen ſcrupel ſeines glaubens gefaßt/ wol aber viele/ die ihrem GOTT demuͤtig vor die aufrichtung und ſtaͤr- ckung daraus gedancket haben/ und noch dancken. Jm uͤbrigen weil mich deucht/ daß mein geliebter freund wegen manglenden gehoͤrs ſich vornemlich fuͤrchte vor der gefahr der letzten ſtunde/ da er keinen zuſpruch vornehmen/ u. etwa auch nichts mehr leſen koͤnte/ ſo achte es noͤthig/ denſelben zu erinnern/ daß er zwar/ wie wir ſchul- dig ſind/ ſich auf ſolchen letzten kampff zu bereiten nicht laͤßig ſeyn/ aber alle miß- trauige ſorge fern von ſich ablegen wolle/ der getroſten verſicherung/ GOTT ſeye ſo getreu/ daß er um die zeit/ wo ſie am leiblichen am ſchwaͤcheſten ſind/ keinen der- jenigen nicht laſſe uͤberwunden werden/ und an der ſeelen ſchaden leiden/ wel- che bis dahin/ als lange ihnen derſelbe das vermoͤgen gegeben/ ſolches treu- lich angewendet haben. Daher iſt gleichſam der ſieg ſchon vorher erhalten/ ehe es zu dem letzten kampff komt/ aufs wenigſte/ ob es noch hart halten ſolte/ ſo geſchiehets nur darum daß der HERR ſeiner treuen kaͤmpffer ſieg ſo viel herrli- cher machen und offenbaren will. Daran uns die guͤte unſers vaters/ der un- ſer ſchwachheit kennet/ durchaus nicht zweiffeln laͤſſet. SECTIO XXXVI. Ob ein rechtſchaffener chriſt aus betrachtung viel und offtmaliger hertzlicher vergebung ſeiner fuͤnden einen ſol- chen vorſatz haben und zu GOTT ſagen koͤnne: ſuͤndige ich hinfort muthwillig/ ſo ſtraffe der HERR mich nach ſeinem gerechten willen? Dieſe t t t 3

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/529>, abgerufen am 20.04.2024.