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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
gerade dem buchstaben nach zu verstehen seyen/ oder vielleicht alleine eine lange
ruhe der gläubigen kirchen damit angedeutet werde. Welche ferner davor
halten, daß die Martyrer zu solcher zeit leiblich auferstehen sollen/ werden solche
meynung schwerlich aus dem ort erweisen/ der von den seelen redet; und sihe ich
auch nicht/ wie solches mit der übrigen schrifft sich vergleichen liesse. Also kan
ich mich in die gantze sache nicht recht finden/ und nachdem gleichwol fast alle al-
te Väter von einem tausend jährigen Reich ihre hoffnung bezeuget/ gefällt mir
vor andern des Hieronymi urtheil: ob wir wol solcher meinung nicht folgen/
können wir sie doch auch nicht verdammen/ weil viel Kirchen-lehrer und Mar-
tyrer solche gehabt/ und jeglicher seine meinung behalten mag/ alles aber
GOttes urtheil überlassen wird. Mit dergleichen bescheidenheit werden vie-
le difficultäten auf ein und andre seite vermeidet. Am einfältigsten möchte
seyn/ daß man davor hielte/ sonderlich aus vergleichung c. 19/ 20. und c. 20/ 10.
daß nach dem untergang Babels/ und vor der letzten Gogitischen gefahr die
kirche einen langen seligen ruhestand in der welt haben werde/ die übrige art a-
ber der göttlichen weisheit und erfüllung überliesse. Aufs wenigste/ es mag
mit diesen tausend jahren seyn/ wie es will/ überzeuget uns die schrifft anders-
wo ziemlich klar/ daß noch eine zeit vorstehe/ da unterschiedliche herrliche ver-
heissungen GOttes an der kirchen auf erden erfüllet werden sollen/ unter de-
nen der fall Babels und die bekehrung des Jüdischen volcks wol die bekante-
ste und gewisseste sind/ aber nicht bewerckstelliget werden können/ daß nicht eine
vortreffliche besserung der kirchen und seliger derselben zustand daraus folgen.
Um welcher ursach/ und also der noch rückständigen verheissungen willen ich
den jüngsten tag uns nahe zu seyn nicht ermessen kan. Der HErr lehre uns die
zeichen unsrer zeit recht erkennen, in dieselbe uns schicken und von den künffti-
gen so vieles vorsehen/ als uns zu unsrer gegenwärtigen verhaltung gedult und
trost nöthig ist: er helffe uns auch die vor der zeit der erquickung vorgehende
trübsalen in seiner krafft überwinden/ und mache uns selbst oder in den unsri-
gen theilhafftig seines heyls/ wenn er sein Jerusalem wiederum bauen wird:
dessen hoffnung uns bereits zu dieser zeit kräfftig trösten kan.

SECTIO XXXIX.
Letzter abschied an D. Joh. Rebhan/ jur. prof.
prim.
in Straßburg/ der meines vatern schwester zur ehe
gehabt/ und mir väterliche wolthaten erzeiget
hatte.
Gött-

Das ſiebende Capitel.
gerade dem buchſtaben nach zu verſtehen ſeyen/ oder vielleicht alleine eine lange
ruhe der glaͤubigen kirchen damit angedeutet werde. Welche ferner davor
halten, daß die Martyrer zu ſolcher zeit leiblich auferſtehen ſollen/ werden ſolche
meynung ſchwerlich aus dem ort erweiſen/ der von den ſeelen redet; und ſihe ich
auch nicht/ wie ſolches mit der uͤbrigen ſchrifft ſich vergleichen lieſſe. Alſo kan
ich mich in die gantze ſache nicht recht finden/ und nachdem gleichwol faſt alle al-
te Vaͤter von einem tauſend jaͤhrigen Reich ihre hoffnung bezeuget/ gefaͤllt mir
vor andern des Hieronymi urtheil: ob wir wol ſolcher meinung nicht folgen/
koͤnnen wir ſie doch auch nicht verdammen/ weil viel Kirchen-lehrer und Mar-
tyrer ſolche gehabt/ und jeglicher ſeine meinung behalten mag/ alles aber
GOttes urtheil uͤberlaſſen wird. Mit dergleichen beſcheidenheit werden vie-
le difficultaͤten auf ein und andre ſeite vermeidet. Am einfaͤltigſten moͤchte
ſeyn/ daß man davor hielte/ ſonderlich aus vergleichung c. 19/ 20. und c. 20/ 10.
daß nach dem untergang Babels/ und vor der letzten Gogitiſchen gefahr die
kirche einen langen ſeligen ruheſtand in der welt haben werde/ die uͤbrige art a-
ber der goͤttlichen weisheit und erfuͤllung uͤberlieſſe. Aufs wenigſte/ es mag
mit dieſen tauſend jahren ſeyn/ wie es will/ uͤberzeuget uns die ſchrifft anders-
wo ziemlich klar/ daß noch eine zeit vorſtehe/ da unterſchiedliche herrliche ver-
heiſſungen GOttes an der kirchen auf erden erfuͤllet werden ſollen/ unter de-
nen der fall Babels und die bekehrung des Juͤdiſchen volcks wol die bekante-
ſte und gewiſſeſte ſind/ aber nicht bewerckſtelliget werden koͤnnen/ daß nicht eine
vortreffliche beſſerung der kirchen und ſeliger derſelben zuſtand daraus folgen.
Um welcher urſach/ und alſo der noch ruͤckſtaͤndigen verheiſſungen willen ich
den juͤngſten tag uns nahe zu ſeyn nicht ermeſſen kan. Der HErr lehre uns die
zeichen unſrer zeit recht erkennen, in dieſelbe uns ſchicken und von den kuͤnffti-
gen ſo vieles vorſehen/ als uns zu unſrer gegenwaͤrtigen verhaltung gedult und
troſt noͤthig iſt: er helffe uns auch die vor der zeit der erquickung vorgehende
truͤbſalen in ſeiner krafft uͤberwinden/ und mache uns ſelbſt oder in den unſri-
gen theilhafftig ſeines heyls/ wenn er ſein Jeruſalem wiederum bauen wird:
deſſen hoffnung uns bereits zu dieſer zeit kraͤfftig troͤſten kan.

SECTIO XXXIX.
Letzter abſchied an D. Joh. Rebhan/ jur. prof.
prim.
in Straßburg/ der meines vatern ſchweſter zur ehe
gehabt/ und mir vaͤterliche wolthaten erzeiget
hatte.
Goͤtt-
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[628/0640] Das ſiebende Capitel. gerade dem buchſtaben nach zu verſtehen ſeyen/ oder vielleicht alleine eine lange ruhe der glaͤubigen kirchen damit angedeutet werde. Welche ferner davor halten, daß die Martyrer zu ſolcher zeit leiblich auferſtehen ſollen/ werden ſolche meynung ſchwerlich aus dem ort erweiſen/ der von den ſeelen redet; und ſihe ich auch nicht/ wie ſolches mit der uͤbrigen ſchrifft ſich vergleichen lieſſe. Alſo kan ich mich in die gantze ſache nicht recht finden/ und nachdem gleichwol faſt alle al- te Vaͤter von einem tauſend jaͤhrigen Reich ihre hoffnung bezeuget/ gefaͤllt mir vor andern des Hieronymi urtheil: ob wir wol ſolcher meinung nicht folgen/ koͤnnen wir ſie doch auch nicht verdammen/ weil viel Kirchen-lehrer und Mar- tyrer ſolche gehabt/ und jeglicher ſeine meinung behalten mag/ alles aber GOttes urtheil uͤberlaſſen wird. Mit dergleichen beſcheidenheit werden vie- le difficultaͤten auf ein und andre ſeite vermeidet. Am einfaͤltigſten moͤchte ſeyn/ daß man davor hielte/ ſonderlich aus vergleichung c. 19/ 20. und c. 20/ 10. daß nach dem untergang Babels/ und vor der letzten Gogitiſchen gefahr die kirche einen langen ſeligen ruheſtand in der welt haben werde/ die uͤbrige art a- ber der goͤttlichen weisheit und erfuͤllung uͤberlieſſe. Aufs wenigſte/ es mag mit dieſen tauſend jahren ſeyn/ wie es will/ uͤberzeuget uns die ſchrifft anders- wo ziemlich klar/ daß noch eine zeit vorſtehe/ da unterſchiedliche herrliche ver- heiſſungen GOttes an der kirchen auf erden erfuͤllet werden ſollen/ unter de- nen der fall Babels und die bekehrung des Juͤdiſchen volcks wol die bekante- ſte und gewiſſeſte ſind/ aber nicht bewerckſtelliget werden koͤnnen/ daß nicht eine vortreffliche beſſerung der kirchen und ſeliger derſelben zuſtand daraus folgen. Um welcher urſach/ und alſo der noch ruͤckſtaͤndigen verheiſſungen willen ich den juͤngſten tag uns nahe zu ſeyn nicht ermeſſen kan. Der HErr lehre uns die zeichen unſrer zeit recht erkennen, in dieſelbe uns ſchicken und von den kuͤnffti- gen ſo vieles vorſehen/ als uns zu unſrer gegenwaͤrtigen verhaltung gedult und troſt noͤthig iſt: er helffe uns auch die vor der zeit der erquickung vorgehende truͤbſalen in ſeiner krafft uͤberwinden/ und mache uns ſelbſt oder in den unſri- gen theilhafftig ſeines heyls/ wenn er ſein Jeruſalem wiederum bauen wird: deſſen hoffnung uns bereits zu dieſer zeit kraͤfftig troͤſten kan. 29. Jul. 1689. SECTIO XXXIX. Letzter abſchied an D. Joh. Rebhan/ jur. prof. prim. in Straßburg/ der meines vatern ſchweſter zur ehe gehabt/ und mir vaͤterliche wolthaten erzeiget hatte. Goͤtt-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/640>, abgerufen am 29.03.2024.