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Spener, Philipp Jakob: Der innerliche und geistliche Friede. Frankfurt (Main), 1686.

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fern begierden überschreiten/ welches unserer
natur erhaltung erfordert. Es ist zwar
eben dieses ein stück unserer verderbnüß/ daß
unsere unordentliche begierde gemeiniglich
unsere nothdurfft/ nicht nach der wahr-
heit/ sondern nach der einbildung/ misset/
und sie also viel weiter als sie ist außdähnet/
daher uns immer ärmer machet/ wo wir
bedencken/ daß allezeit der jenige soviel är-
mer seye/ der und so viel er mehr bedarff: da
hat sich die welt so viel regeln deß stands
und staats gemacht/ was jeglicher über sei-
ne nahrung und kleider haben müsse/ und
dessen er meinet so wenig entrathen zukön-
nen/ als er jener nicht ermanglen kan. Also
auch will unser appetit/ auch wider die re-
geln der gesundheit/ viel ein mehrers haben/
als die erhaltung deß lebens in speiß und
tranck erforderte/ sondern es muß an die
vergnügung deß geschmacks/ und gemei-
niglich verderbung der gesundheit/ mehr ge-
wendet werden/ als das jenige kostet/ da-
von wir unsern hunger und durst zur noth-
durfft löschen und sättigen hätten können:
Nicht weniger sind der jenigen wenig/ wel-
che in den kleidern damit zufrieden seynd/
daß ihre blösse bedecket/ und der leib vor

dem

fern begierden uͤberſchreiten/ welches unſerer
natur erhaltung erfordert. Es iſt zwar
eben dieſes ein ſtuͤck unſerer verderbnuͤß/ daß
unſere unordentliche begierde gemeiniglich
unſere nothdurfft/ nicht nach der wahr-
heit/ ſondern nach der einbildung/ miſſet/
und ſie alſo viel weiter als ſie iſt außdaͤhnet/
daher uns immer aͤrmer machet/ wo wir
bedencken/ daß allezeit der jenige ſoviel aͤr-
mer ſeye/ der und ſo viel er mehr bedarff: da
hat ſich die welt ſo viel regeln deß ſtands
und ſtaats gemacht/ was jeglicher uͤber ſei-
ne nahrung und kleider haben muͤſſe/ und
deſſen er meinet ſo wenig entrathen zukoͤn-
nen/ als er jener nicht ermanglen kan. Alſo
auch will unſer appetit/ auch wider die re-
geln der geſundheit/ viel ein mehrers haben/
als die erhaltung deß lebens in ſpeiß und
tranck erforderte/ ſondern es muß an die
vergnuͤgung deß geſchmacks/ und gemei-
niglich verderbung der geſundheit/ mehr ge-
wendet werden/ als das jenige koſtet/ da-
von wir unſern hunger und durſt zur noth-
durfft loͤſchen und ſaͤttigen haͤtten koͤnnen:
Nicht weniger ſind der jenigen wenig/ wel-
che in den kleidern damit zufrieden ſeynd/
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dem
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[156/0168] fern begierden uͤberſchreiten/ welches unſerer natur erhaltung erfordert. Es iſt zwar eben dieſes ein ſtuͤck unſerer verderbnuͤß/ daß unſere unordentliche begierde gemeiniglich unſere nothdurfft/ nicht nach der wahr- heit/ ſondern nach der einbildung/ miſſet/ und ſie alſo viel weiter als ſie iſt außdaͤhnet/ daher uns immer aͤrmer machet/ wo wir bedencken/ daß allezeit der jenige ſoviel aͤr- mer ſeye/ der und ſo viel er mehr bedarff: da hat ſich die welt ſo viel regeln deß ſtands und ſtaats gemacht/ was jeglicher uͤber ſei- ne nahrung und kleider haben muͤſſe/ und deſſen er meinet ſo wenig entrathen zukoͤn- nen/ als er jener nicht ermanglen kan. Alſo auch will unſer appetit/ auch wider die re- geln der geſundheit/ viel ein mehrers haben/ als die erhaltung deß lebens in ſpeiß und tranck erforderte/ ſondern es muß an die vergnuͤgung deß geſchmacks/ und gemei- niglich verderbung der geſundheit/ mehr ge- wendet werden/ als das jenige koſtet/ da- von wir unſern hunger und durſt zur noth- durfft loͤſchen und ſaͤttigen haͤtten koͤnnen: Nicht weniger ſind der jenigen wenig/ wel- che in den kleidern damit zufrieden ſeynd/ daß ihre bloͤſſe bedecket/ und der leib vor dem

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Der innerliche und geistliche Friede. Frankfurt (Main), 1686, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_friede_1686/168>, abgerufen am 24.04.2024.