Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite
Fünftes Kapitel.

Während der acht Tage, die seit der Abreise der
Familie verflossen waren, hatte Oswald in der Ein¬
samkeit eines Fischerdorfes, Namens Sassitz, nicht
weit von Berkow und Grenwitz, von allem Verkehr
mit der Welt abgeschlossen, gelebt. Wie er nach Sas¬
sitz gekommen war, wußte er selbst kaum.

Seit ihm Melitta so plötzlich geraubt war, hatte
ihn eine grenzenlose Gleichgültigkeit gegen Alles er¬
griffen, was nicht in irgend einer Beziehung zu ihr
stand, die jetzt seine ganze Seele erfüllte. In dieser
Apathie hatte er sich selbst von Bruno ohne Schmerz
getrennt. Auf die Wünsche der Baronin ging er um
so bereitwilliger ein, als er sich in seiner augenblick¬
lichen Stimmung nach Einsamkeit sehnte, wie ein
Kranker nach Ruhe. So sagte er denn zu Allem: Ja,
und als er den Wagen, welcher die Familie davon
führte, sich in Bewegung setzen sah, fiel es ihm wie

Fünftes Kapitel.

Während der acht Tage, die ſeit der Abreiſe der
Familie verfloſſen waren, hatte Oswald in der Ein¬
ſamkeit eines Fiſcherdorfes, Namens Saſſitz, nicht
weit von Berkow und Grenwitz, von allem Verkehr
mit der Welt abgeſchloſſen, gelebt. Wie er nach Saſ¬
ſitz gekommen war, wußte er ſelbſt kaum.

Seit ihm Melitta ſo plötzlich geraubt war, hatte
ihn eine grenzenloſe Gleichgültigkeit gegen Alles er¬
griffen, was nicht in irgend einer Beziehung zu ihr
ſtand, die jetzt ſeine ganze Seele erfüllte. In dieſer
Apathie hatte er ſich ſelbſt von Bruno ohne Schmerz
getrennt. Auf die Wünſche der Baronin ging er um
ſo bereitwilliger ein, als er ſich in ſeiner augenblick¬
lichen Stimmung nach Einſamkeit ſehnte, wie ein
Kranker nach Ruhe. So ſagte er denn zu Allem: Ja,
und als er den Wagen, welcher die Familie davon
führte, ſich in Bewegung ſetzen ſah, fiel es ihm wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0103" n="[93]"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Fünftes Kapitel.</hi><lb/>
        </head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Während der acht Tage, die &#x017F;eit der Abrei&#x017F;e der<lb/>
Familie verflo&#x017F;&#x017F;en waren, hatte Oswald in der Ein¬<lb/>
&#x017F;amkeit eines Fi&#x017F;cherdorfes, Namens Sa&#x017F;&#x017F;itz, nicht<lb/>
weit von Berkow und Grenwitz, von allem Verkehr<lb/>
mit der Welt abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, gelebt. Wie er nach Sa&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;itz gekommen war, wußte er &#x017F;elb&#x017F;t kaum.</p><lb/>
        <p>Seit ihm Melitta &#x017F;o plötzlich geraubt war, hatte<lb/>
ihn eine grenzenlo&#x017F;e Gleichgültigkeit gegen Alles er¬<lb/>
griffen, was nicht in irgend einer Beziehung zu ihr<lb/>
&#x017F;tand, die jetzt &#x017F;eine ganze Seele erfüllte. In die&#x017F;er<lb/>
Apathie hatte er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t von Bruno ohne Schmerz<lb/>
getrennt. Auf die Wün&#x017F;che der Baronin ging er um<lb/>
&#x017F;o bereitwilliger ein, als er &#x017F;ich in &#x017F;einer augenblick¬<lb/>
lichen Stimmung nach Ein&#x017F;amkeit &#x017F;ehnte, wie ein<lb/>
Kranker nach Ruhe. So &#x017F;agte er denn zu Allem: Ja,<lb/>
und als er den Wagen, welcher die Familie davon<lb/>
führte, &#x017F;ich in Bewegung &#x017F;etzen &#x017F;ah, fiel es ihm wie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[93]/0103] Fünftes Kapitel. Während der acht Tage, die ſeit der Abreiſe der Familie verfloſſen waren, hatte Oswald in der Ein¬ ſamkeit eines Fiſcherdorfes, Namens Saſſitz, nicht weit von Berkow und Grenwitz, von allem Verkehr mit der Welt abgeſchloſſen, gelebt. Wie er nach Saſ¬ ſitz gekommen war, wußte er ſelbſt kaum. Seit ihm Melitta ſo plötzlich geraubt war, hatte ihn eine grenzenloſe Gleichgültigkeit gegen Alles er¬ griffen, was nicht in irgend einer Beziehung zu ihr ſtand, die jetzt ſeine ganze Seele erfüllte. In dieſer Apathie hatte er ſich ſelbſt von Bruno ohne Schmerz getrennt. Auf die Wünſche der Baronin ging er um ſo bereitwilliger ein, als er ſich in ſeiner augenblick¬ lichen Stimmung nach Einſamkeit ſehnte, wie ein Kranker nach Ruhe. So ſagte er denn zu Allem: Ja, und als er den Wagen, welcher die Familie davon führte, ſich in Bewegung ſetzen ſah, fiel es ihm wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/103
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. [93]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/103>, abgerufen am 19.04.2024.