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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Tilia.
Tilia.

Tilia Europaea und T. cordata. Groß- und klein-
blättrichte Linde. Tab. XXII. 36. 38. 46. Die beiden ersten
Figuren sind nach der ersten, die letzte nach der zweyten Art ge-
zeichnet. Soweit das Kelchblatt punktirt ist, ist es die Saft-
drüse.

Die blühenden Linden werden von den Bienen außerordent-
lich häufig besucht. Krünitz sagt S. 667, daß die Bienen nicht
nur Staub zu Wachs, sondern auch Saft aus den Blumen samm-
len, aus welchen sie einen sehr vorzüglichen Honig bereiten. Auch
Gleditsch rühmt die Blumen wegen dieser Ursache sehr, S. 179.
Und dennoch hat Linne zwar in der Amerikanischen, keineswe-
ges aber in den Europäischen Arten Saftdrüsen gefunden. Gle-
ditsch
aber (Forstwissenschaft 1. B. S. 302.) sagt, die Euro-
päischen Arten haben auch Saftdrüsen, welche, wie bey der
Amerikanischen, am unteren Ende der Kronenblätter sitzen, aber
klein und wenig sichtlich seyen. Diese habe ich nicht finden kön-
nen; vielmehr sind

1. die Saftdrüsen die fünf fleischichten sehr hohlen Kelch-
blätter. Man sieht es denselben sogleich an, daß sie etwas mehr
sind, als bloß der Kelch. Denn sie sind 1) inwendig sehr hohl,
folglich auswendig sehr höckericht, 2) nicht grün und von blatt-
ähnlicher Substanz, wie gewöhnlich, sondern weiß oder blaßgelb,
glatt und knorplicht.

2. In der Höhle derselben findet man, besonders des Mor-
gens, da der die Nacht hindurch bereitete Saft von den Bienen
noch nicht abgeholt worden ist, denselben in ansehnlicher Menge.

3. Der Saft ist gegen den Regen völlig gesichert. Denn
1) sitzen die Blumenstiele in dem Winkel, welchen die Blattstiele
mit dem Zweige machen, und hangen herab, da diese in die Höhe
gerichtet sind. Ein jeder Blumenbüschel hat folglich ein Obdach
an dem Blatt, welches ungefähr horizontal steht, weil es in die-
ser Stellung die meisten Regentropfen auffängt. Steht man
also unter einer blühenden Linde, und sieht in die Höhe, so sieht
man die weißen Blumen; sieht man aber von einem erhabenen
Ort auf den Baum hinab, so sieht man fast weiter nichts, als
die grünen Blätter. 2) Da die Blumen herabhangen, so ist die
äußere konvexe Seite der Kelchblätter dem Regen ausgesetzt, und
schützt eben dadurch die innere konkave Seite vor demselben.
3) Auch die Blumenblätter (bracteae) tragen zu dieser Absicht
etwas bey, indem sie theils viel Regentropfen auffangen, die sonst
auf die Blumen fallen würden, theils aber, wie ich mir wenig-
stens vorstelle, auf folgende Art. Die vortheilhafteste Stellung,
welche die Blumen haben können, ist, wenn die äußere Seite
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Tilia.
des Kelchs den herabfallenden Regentropfen grade zugekehrt ist.
Diese Stellung haben sie nun wirtlich, wenn es bey einer Wind-
stille regnet. Denn da in diesem Fall die Direktion der herabfal-
lenden Regentropfen perpendikulär ist, so ist die Axe der herab-
hangenden Blumen auch perpendikulär. Wenn aber der Regen
mit Wind oder Sturm kömmt, so ist die Direktion der herabfal-
lenden Regentropfen schief, und desto schiefer, je stärker der
Wind ist. Aber in eine ungefähr eben so schiefe Stellung bringt
alsdenn der Wind die Blumen dadurch, daß er an die Blumen-
blätter weht, und dieselben aus ihrer vorigen Stellung bringt.
Also ist auch in diesem Fall die äußere Seite des Kelchs den
herabfallenden Regentropfen grade zugekehrt. Fehlten aber die
Blumenblätter, so würden die Blumen, weil der Wind an den-
selben selbst und den bloßen Blumenstielen einen sehr geringen
Widerstand fände, fast grade herabhangen bleiben, folglich die
äußere Seite des Kelchs den herabfallenden Regentropfen nicht
mehr grade entgegen gesetzt seyn. 4) Wenn auch die Blume,
vom Winde geschüttelt, ein nasses Blatt berühren sollte, so kann
doch von unten kein Regentropfen in den Safthalter kommen,
weil die Kronenblätter und Filamente solches verhindern. Auch
sind die Kelchblätter an der Basis haaricht, aber in der Mitte,
wo der Saft ist, glatt, Fig. 46.

4. Die ganze Blume ist weißlich, oder ein wenig blaßgelb.
Diese Farbe haben auch die Blumenblätter. Diese tragen also
auch dazu etwas bey, daß die Blumen den Bienen von weitem
besser in die Augen fallen. Ein Saftmaal ist nicht nöthig, da
der Saft nicht tief versteckt ist. Auch locken die Blumen durch
ihren überaus angenehmen und sich weit verbreitenden Geruch
die Insekten an sich.

5. Im nächstvergangenen Jahr habe ich auf der frühen Linde
käferartige Insekten von grünlichgelber Farbe überaus häufig an-
getroffen. Daß sie den Saft genossen, konnte ich sehr deut-
lich sehen. Ich glaube aber, daß dieser Saft, da er nicht für
sie, sondern für die Bienen bestimmt ist, ihnen schädlich ist.
Denn ich fand eine große Menge derselben unter den Bäumen
auf der Erde liegen, welche theils todt waren, theils dem Tode
nahe zu seyn schienen.

Tilia Americana. Tab. XXII. 43. 44. 53.

43. Ein äußeres Kronenblatt von innen.

44. Ein inneres Kronenblatt von innen.

53. Der Fruchtknoten. Die Figuren sind nach einem ge-
trockneten Exemplar gezeichnet.

Die frische Blume zu untersuchen habe ich noch nicht Gele-
genheit gehabt. Indessen habe ich aus einigen Blumen meines
getrockneten Exemplars, welche ich in Wasser aufgeweicht hatte,

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Tilia.
Tilia.

Tilia Europaea und T. cordata. Groß- und klein-
blaͤttrichte Linde. Tab. XXII. 36. 38. 46. Die beiden erſten
Figuren ſind nach der erſten, die letzte nach der zweyten Art ge-
zeichnet. Soweit das Kelchblatt punktirt iſt, iſt es die Saft-
druͤſe.

Die bluͤhenden Linden werden von den Bienen außerordent-
lich haͤufig beſucht. Kruͤnitz ſagt S. 667, daß die Bienen nicht
nur Staub zu Wachs, ſondern auch Saft aus den Blumen ſamm-
len, aus welchen ſie einen ſehr vorzuͤglichen Honig bereiten. Auch
Gleditſch ruͤhmt die Blumen wegen dieſer Urſache ſehr, S. 179.
Und dennoch hat Linné zwar in der Amerikaniſchen, keineswe-
ges aber in den Europaͤiſchen Arten Saftdruͤſen gefunden. Gle-
ditſch
aber (Forſtwiſſenſchaft 1. B. S. 302.) ſagt, die Euro-
paͤiſchen Arten haben auch Saftdruͤſen, welche, wie bey der
Amerikaniſchen, am unteren Ende der Kronenblaͤtter ſitzen, aber
klein und wenig ſichtlich ſeyen. Dieſe habe ich nicht finden koͤn-
nen; vielmehr ſind

1. die Saftdruͤſen die fuͤnf fleiſchichten ſehr hohlen Kelch-
blaͤtter. Man ſieht es denſelben ſogleich an, daß ſie etwas mehr
ſind, als bloß der Kelch. Denn ſie ſind 1) inwendig ſehr hohl,
folglich auswendig ſehr hoͤckericht, 2) nicht gruͤn und von blatt-
aͤhnlicher Subſtanz, wie gewoͤhnlich, ſondern weiß oder blaßgelb,
glatt und knorplicht.

2. In der Hoͤhle derſelben findet man, beſonders des Mor-
gens, da der die Nacht hindurch bereitete Saft von den Bienen
noch nicht abgeholt worden iſt, denſelben in anſehnlicher Menge.

3. Der Saft iſt gegen den Regen voͤllig geſichert. Denn
1) ſitzen die Blumenſtiele in dem Winkel, welchen die Blattſtiele
mit dem Zweige machen, und hangen herab, da dieſe in die Hoͤhe
gerichtet ſind. Ein jeder Blumenbuͤſchel hat folglich ein Obdach
an dem Blatt, welches ungefaͤhr horizontal ſteht, weil es in die-
ſer Stellung die meiſten Regentropfen auffaͤngt. Steht man
alſo unter einer bluͤhenden Linde, und ſieht in die Hoͤhe, ſo ſieht
man die weißen Blumen; ſieht man aber von einem erhabenen
Ort auf den Baum hinab, ſo ſieht man faſt weiter nichts, als
die gruͤnen Blaͤtter. 2) Da die Blumen herabhangen, ſo iſt die
aͤußere konvexe Seite der Kelchblaͤtter dem Regen ausgeſetzt, und
ſchuͤtzt eben dadurch die innere konkave Seite vor demſelben.
3) Auch die Blumenblaͤtter (bracteae) tragen zu dieſer Abſicht
etwas bey, indem ſie theils viel Regentropfen auffangen, die ſonſt
auf die Blumen fallen wuͤrden, theils aber, wie ich mir wenig-
ſtens vorſtelle, auf folgende Art. Die vortheilhafteſte Stellung,
welche die Blumen haben koͤnnen, iſt, wenn die aͤußere Seite
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Tilia.
des Kelchs den herabfallenden Regentropfen grade zugekehrt iſt.
Dieſe Stellung haben ſie nun wirtlich, wenn es bey einer Wind-
ſtille regnet. Denn da in dieſem Fall die Direktion der herabfal-
lenden Regentropfen perpendikulaͤr iſt, ſo iſt die Axe der herab-
hangenden Blumen auch perpendikulaͤr. Wenn aber der Regen
mit Wind oder Sturm koͤmmt, ſo iſt die Direktion der herabfal-
lenden Regentropfen ſchief, und deſto ſchiefer, je ſtaͤrker der
Wind iſt. Aber in eine ungefaͤhr eben ſo ſchiefe Stellung bringt
alsdenn der Wind die Blumen dadurch, daß er an die Blumen-
blaͤtter weht, und dieſelben aus ihrer vorigen Stellung bringt.
Alſo iſt auch in dieſem Fall die aͤußere Seite des Kelchs den
herabfallenden Regentropfen grade zugekehrt. Fehlten aber die
Blumenblaͤtter, ſo wuͤrden die Blumen, weil der Wind an den-
ſelben ſelbſt und den bloßen Blumenſtielen einen ſehr geringen
Widerſtand faͤnde, faſt grade herabhangen bleiben, folglich die
aͤußere Seite des Kelchs den herabfallenden Regentropfen nicht
mehr grade entgegen geſetzt ſeyn. 4) Wenn auch die Blume,
vom Winde geſchuͤttelt, ein naſſes Blatt beruͤhren ſollte, ſo kann
doch von unten kein Regentropfen in den Safthalter kommen,
weil die Kronenblaͤtter und Filamente ſolches verhindern. Auch
ſind die Kelchblaͤtter an der Baſis haaricht, aber in der Mitte,
wo der Saft iſt, glatt, Fig. 46.

4. Die ganze Blume iſt weißlich, oder ein wenig blaßgelb.
Dieſe Farbe haben auch die Blumenblaͤtter. Dieſe tragen alſo
auch dazu etwas bey, daß die Blumen den Bienen von weitem
beſſer in die Augen fallen. Ein Saftmaal iſt nicht noͤthig, da
der Saft nicht tief verſteckt iſt. Auch locken die Blumen durch
ihren uͤberaus angenehmen und ſich weit verbreitenden Geruch
die Inſekten an ſich.

5. Im naͤchſtvergangenen Jahr habe ich auf der fruͤhen Linde
kaͤferartige Inſekten von gruͤnlichgelber Farbe uͤberaus haͤufig an-
getroffen. Daß ſie den Saft genoſſen, konnte ich ſehr deut-
lich ſehen. Ich glaube aber, daß dieſer Saft, da er nicht fuͤr
ſie, ſondern fuͤr die Bienen beſtimmt iſt, ihnen ſchaͤdlich iſt.
Denn ich fand eine große Menge derſelben unter den Baͤumen
auf der Erde liegen, welche theils todt waren, theils dem Tode
nahe zu ſeyn ſchienen.

Tilia Americana. Tab. XXII. 43. 44. 53.

43. Ein aͤußeres Kronenblatt von innen.

44. Ein inneres Kronenblatt von innen.

53. Der Fruchtknoten. Die Figuren ſind nach einem ge-
trockneten Exemplar gezeichnet.

Die friſche Blume zu unterſuchen habe ich noch nicht Gele-
genheit gehabt. Indeſſen habe ich aus einigen Blumen meines
getrockneten Exemplars, welche ich in Waſſer aufgeweicht hatte,

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Steht man alſo unter einer bluͤhenden Linde, und ſieht in die Hoͤhe, ſo ſieht man die weißen Blumen; ſieht man aber von einem erhabenen Ort auf den Baum hinab, ſo ſieht man faſt weiter nichts, als die gruͤnen Blaͤtter. 2) Da die Blumen herabhangen, ſo iſt die aͤußere konvexe Seite der Kelchblaͤtter dem Regen ausgeſetzt, und ſchuͤtzt eben dadurch die innere konkave Seite vor demſelben. 3) Auch die Blumenblaͤtter (bracteae) tragen zu dieſer Abſicht etwas bey, indem ſie theils viel Regentropfen auffangen, die ſonſt auf die Blumen fallen wuͤrden, theils aber, wie ich mir wenig- ſtens vorſtelle, auf folgende Art. Die vortheilhafteſte Stellung, welche die Blumen haben koͤnnen, iſt, wenn die aͤußere Seite des Kelchs den herabfallenden Regentropfen grade zugekehrt iſt. Dieſe Stellung haben ſie nun wirtlich, wenn es bey einer Wind- ſtille regnet. Denn da in dieſem Fall die Direktion der herabfal- lenden Regentropfen perpendikulaͤr iſt, ſo iſt die Axe der herab- hangenden Blumen auch perpendikulaͤr. Wenn aber der Regen mit Wind oder Sturm koͤmmt, ſo iſt die Direktion der herabfal- lenden Regentropfen ſchief, und deſto ſchiefer, je ſtaͤrker der Wind iſt. Aber in eine ungefaͤhr eben ſo ſchiefe Stellung bringt alsdenn der Wind die Blumen dadurch, daß er an die Blumen- blaͤtter weht, und dieſelben aus ihrer vorigen Stellung bringt. Alſo iſt auch in dieſem Fall die aͤußere Seite des Kelchs den herabfallenden Regentropfen grade zugekehrt. Fehlten aber die Blumenblaͤtter, ſo wuͤrden die Blumen, weil der Wind an den- ſelben ſelbſt und den bloßen Blumenſtielen einen ſehr geringen Widerſtand faͤnde, faſt grade herabhangen bleiben, folglich die aͤußere Seite des Kelchs den herabfallenden Regentropfen nicht mehr grade entgegen geſetzt ſeyn. 4) Wenn auch die Blume, vom Winde geſchuͤttelt, ein naſſes Blatt beruͤhren ſollte, ſo kann doch von unten kein Regentropfen in den Safthalter kommen, weil die Kronenblaͤtter und Filamente ſolches verhindern. Auch ſind die Kelchblaͤtter an der Baſis haaricht, aber in der Mitte, wo der Saft iſt, glatt, Fig. 46. 4. Die ganze Blume iſt weißlich, oder ein wenig blaßgelb. Dieſe Farbe haben auch die Blumenblaͤtter. Dieſe tragen alſo auch dazu etwas bey, daß die Blumen den Bienen von weitem beſſer in die Augen fallen. Ein Saftmaal iſt nicht noͤthig, da der Saft nicht tief verſteckt iſt. Auch locken die Blumen durch ihren uͤberaus angenehmen und ſich weit verbreitenden Geruch die Inſekten an ſich. 5. Im naͤchſtvergangenen Jahr habe ich auf der fruͤhen Linde kaͤferartige Inſekten von gruͤnlichgelber Farbe uͤberaus haͤufig an- getroffen. Daß ſie den Saft genoſſen, konnte ich ſehr deut- lich ſehen. Ich glaube aber, daß dieſer Saft, da er nicht fuͤr ſie, ſondern fuͤr die Bienen beſtimmt iſt, ihnen ſchaͤdlich iſt. Denn ich fand eine große Menge derſelben unter den Baͤumen auf der Erde liegen, welche theils todt waren, theils dem Tode nahe zu ſeyn ſchienen. Tilia Americana. Tab. XXII. 43. 44. 53. 43. Ein aͤußeres Kronenblatt von innen. 44. Ein inneres Kronenblatt von innen. 53. Der Fruchtknoten. Die Figuren ſind nach einem ge- trockneten Exemplar gezeichnet. Die friſche Blume zu unterſuchen habe ich noch nicht Gele- genheit gehabt. Indeſſen habe ich aus einigen Blumen meines getrockneten Exemplars, welche ich in Waſſer aufgeweicht hatte,

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [150]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/150>, abgerufen am 25.04.2024.