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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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das ist unsere kleine Schweizerin; komm' her, gib mir 'mal
eine Hand! So ist's recht! Nun sag' mir mal, seid ihr
auch gute Freunde zusammen, Klara und du? Nicht zanken
und böse werden und dann weinen und dann versöhnen und
dann wieder von vorn anfangen, nun?"

"Nein, Klara ist immer gut mit mir", entgegnete
Heidi.

"Und Heidi hat auch noch gar nie versucht, zu zanken,
Papa", warf Klara schnell ein.

"So ist's gut, das hör' ich gern", sagte der Papa,
indem er aufstand. "Nun mußt du aber erlauben, Klär¬
chen, daß ich Etwas genieße, heute habe ich noch Nichts be¬
kommen, nachher komm' ich wieder zu dir und du sollst
sehen, was ich mitgebracht habe!"

Herr Sesemann trat in's Eßzimmer ein, wo Fräulein
Rottenmeier den Tisch überschaute, der für sein Mittags¬
mahl gerüstet war. Nachdem Herr Sesemann sich nieder¬
gelassen und die Dame ihm gegenüber Platz genommen
hatte und aussah wie ein lebendiges Mißgeschick, wandte
sich der Hausherr zu ihr: "Aber Fräulein Rottenmeier,
was muß ich denken? Sie haben zu meinem Empfang ein
wahrhaft erschreckendes Gesicht aufgesetzt. Wo fehlt es denn?
Klärchen ist ja ganz munter."

"Herr Sesemann", begann die Dame mit gewichtigem
Ernst, "Klara ist mitbetroffen, wir sind fürchterlich getäuscht
worden."

das iſt unſere kleine Schweizerin; komm' her, gib mir 'mal
eine Hand! So iſt's recht! Nun ſag' mir mal, ſeid ihr
auch gute Freunde zuſammen, Klara und du? Nicht zanken
und böſe werden und dann weinen und dann verſöhnen und
dann wieder von vorn anfangen, nun?“

„Nein, Klara iſt immer gut mit mir“, entgegnete
Heidi.

„Und Heidi hat auch noch gar nie verſucht, zu zanken,
Papa“, warf Klara ſchnell ein.

„So iſt's gut, das hör' ich gern“, ſagte der Papa,
indem er aufſtand. „Nun mußt du aber erlauben, Klär¬
chen, daß ich Etwas genieße, heute habe ich noch Nichts be¬
kommen, nachher komm' ich wieder zu dir und du ſollſt
ſehen, was ich mitgebracht habe!“

Herr Seſemann trat in's Eßzimmer ein, wo Fräulein
Rottenmeier den Tiſch überſchaute, der für ſein Mittags¬
mahl gerüſtet war. Nachdem Herr Seſemann ſich nieder¬
gelaſſen und die Dame ihm gegenüber Platz genommen
hatte und ausſah wie ein lebendiges Mißgeſchick, wandte
ſich der Hausherr zu ihr: „Aber Fräulein Rottenmeier,
was muß ich denken? Sie haben zu meinem Empfang ein
wahrhaft erſchreckendes Geſicht aufgeſetzt. Wo fehlt es denn?
Klärchen iſt ja ganz munter.“

„Herr Seſemann“, begann die Dame mit gewichtigem
Ernſt, „Klara iſt mitbetroffen, wir ſind fürchterlich getäuſcht
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[141/0151] das iſt unſere kleine Schweizerin; komm' her, gib mir 'mal eine Hand! So iſt's recht! Nun ſag' mir mal, ſeid ihr auch gute Freunde zuſammen, Klara und du? Nicht zanken und böſe werden und dann weinen und dann verſöhnen und dann wieder von vorn anfangen, nun?“ „Nein, Klara iſt immer gut mit mir“, entgegnete Heidi. „Und Heidi hat auch noch gar nie verſucht, zu zanken, Papa“, warf Klara ſchnell ein. „So iſt's gut, das hör' ich gern“, ſagte der Papa, indem er aufſtand. „Nun mußt du aber erlauben, Klär¬ chen, daß ich Etwas genieße, heute habe ich noch Nichts be¬ kommen, nachher komm' ich wieder zu dir und du ſollſt ſehen, was ich mitgebracht habe!“ Herr Seſemann trat in's Eßzimmer ein, wo Fräulein Rottenmeier den Tiſch überſchaute, der für ſein Mittags¬ mahl gerüſtet war. Nachdem Herr Seſemann ſich nieder¬ gelaſſen und die Dame ihm gegenüber Platz genommen hatte und ausſah wie ein lebendiges Mißgeſchick, wandte ſich der Hausherr zu ihr: „Aber Fräulein Rottenmeier, was muß ich denken? Sie haben zu meinem Empfang ein wahrhaft erſchreckendes Geſicht aufgeſetzt. Wo fehlt es denn? Klärchen iſt ja ganz munter.“ „Herr Seſemann“, begann die Dame mit gewichtigem Ernſt, „Klara iſt mitbetroffen, wir ſind fürchterlich getäuſcht worden.“

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/151>, abgerufen am 20.04.2024.