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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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Capitel X.
Eine Großmama.


Am folgenden Abend waren große Erwartungen und
lebhafte Vorbereitungen im Hause Sesemann sichtbar, man
konnte deutlich bemerken, daß die erwartete Dame ein be¬
deutendes Wort im Hause mitzusprechen hatte und daß
Jedermann großen Respekt vor ihr empfand. Tinette hatte
ein ganz neues, weißes Deckelchen auf den Kopf gesetzt, und
Sebastian raffte eine Menge von Schemeln zusammen und
stellte sie an alle passenden Stellen hin, damit die Dame
gleich einen Schemel unter den Füßen finde, wohin sie sich
auch setzen möge. Fräulein Rottenmeier ging zur Muste¬
rung der Dinge sehr aufrecht durch die Zimmer, sowie um
anzudeuten, daß, wenn auch eine zweite Herrschermacht heran¬
nahe, die ihrige dennoch nicht am Erlöschen sei.

Jetzt rollte der Wagen vor das Haus und Sebastian
und Tinette stürzten die Treppe hinunter; langsam und
würdevoll folgte Fräulein Rottenmeier nach, denn sie wußte,

Capitel X.
Eine Großmama.


Am folgenden Abend waren große Erwartungen und
lebhafte Vorbereitungen im Hauſe Seſemann ſichtbar, man
konnte deutlich bemerken, daß die erwartete Dame ein be¬
deutendes Wort im Hauſe mitzuſprechen hatte und daß
Jedermann großen Reſpekt vor ihr empfand. Tinette hatte
ein ganz neues, weißes Deckelchen auf den Kopf geſetzt, und
Sebaſtian raffte eine Menge von Schemeln zuſammen und
ſtellte ſie an alle paſſenden Stellen hin, damit die Dame
gleich einen Schemel unter den Füßen finde, wohin ſie ſich
auch ſetzen möge. Fräulein Rottenmeier ging zur Muſte¬
rung der Dinge ſehr aufrecht durch die Zimmer, ſowie um
anzudeuten, daß, wenn auch eine zweite Herrſchermacht heran¬
nahe, die ihrige dennoch nicht am Erlöſchen ſei.

Jetzt rollte der Wagen vor das Haus und Sebaſtian
und Tinette ſtürzten die Treppe hinunter; langſam und
würdevoll folgte Fräulein Rottenmeier nach, denn ſie wußte,

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[0160] Capitel X. Eine Großmama. Am folgenden Abend waren große Erwartungen und lebhafte Vorbereitungen im Hauſe Seſemann ſichtbar, man konnte deutlich bemerken, daß die erwartete Dame ein be¬ deutendes Wort im Hauſe mitzuſprechen hatte und daß Jedermann großen Reſpekt vor ihr empfand. Tinette hatte ein ganz neues, weißes Deckelchen auf den Kopf geſetzt, und Sebaſtian raffte eine Menge von Schemeln zuſammen und ſtellte ſie an alle paſſenden Stellen hin, damit die Dame gleich einen Schemel unter den Füßen finde, wohin ſie ſich auch ſetzen möge. Fräulein Rottenmeier ging zur Muſte¬ rung der Dinge ſehr aufrecht durch die Zimmer, ſowie um anzudeuten, daß, wenn auch eine zweite Herrſchermacht heran¬ nahe, die ihrige dennoch nicht am Erlöſchen ſei. Jetzt rollte der Wagen vor das Haus und Sebaſtian und Tinette ſtürzten die Treppe hinunter; langſam und würdevoll folgte Fräulein Rottenmeier nach, denn ſie wußte,

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/160>, abgerufen am 18.04.2024.