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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Krankheit, statt für die Verhinderung des Krankwerdens zu sorgen. Ueber die
Gesundheitspflege im Betriebe der Gewerbe (Werkstattspolizei) außerhalb der
Fabriken noch gar keine Gesetzgebung. Möchte doch das ärztliche Vereins-
wesen diese Frage bald ernstlich in die Hand nehmen!

B. Das Heilwesen (Medicinalwesen).

Das Heilwesen umfaßt den Inbegriff derjenigen Bestimmungen
und Anstalten, welche von der Verwaltung für die Heilung bereits
ausgebrochener Krankheiten getroffen werden.

Die Heilung der Krankheit ist zunächst Sache des Einzelnen.
Allein je höher die Gesittung in einem Volke steht, um so mehr wird
es klar, daß die Bedingungen der Heilung in den meisten Fällen
außerhalb der Kräfte des Einzelnen liegen. Denn diese Bedingungen
bestehen einerseits in einer hohen Ausbildung der wissenschaftlichen
Heilkunde, andererseits in Anstalten, welche die Voraussetzungen der
Heilung nach wissenschaftlichen Principien vereinen. Beides kann nur
die Gemeinschaft der Einzelnen darbieten. Und so entstehen die beiden
großen Gebiete des Heilwesens, die Bildung des Heilpersonals
und die Herstellung der Heilanstalten.

I. Der Heilungsberuf.

Das Heilpersonal ist die Gesammtheit der Personen, welche die
Heilung von Krankheiten zum Lebensberuf gemacht haben. Der selb-
ständige Heilungsberuf entsteht eben deßhalb erst mit der ständischen
Gesellschaftsordnung, schließt sich an die Corporation der ständischen
Wissenschaft, die Universität und ihre Facultät, und wird erst mit dem
siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert Gegenstand der Gesetzgebung
und Verwaltung des Staats. Das Princip dieser Gesetzgebung und
Verwaltung ist, daß nur die regelmäßige wissenschaftliche Bildung die
rechtliche Bedingung für die Ausübung des Heilberufes sein soll; daß
für jeden Theil eine besondere Fachbildung erfordert wird, und daß
mit dem Eintreten in dessen Bereich auch bestimmte Rechte der Be-
treffenden verbunden sein sollen. Auf dieser Grundlage hat sich das
gegenwärtige Recht des Heilberufs entwickelt, das in dem Recht der
Aerzte, der Apotheker, der Hebammen und der Heildiener seinen Aus-
druck empfängt.

a) Die Aerzte und ihr Berufsrecht.

Obgleich es zu allen Zeiten Personen gegeben hat, welche die
Heilung von Krankheiten zu ihrem Lebensberuf gemacht haben, so ent-

Krankheit, ſtatt für die Verhinderung des Krankwerdens zu ſorgen. Ueber die
Geſundheitspflege im Betriebe der Gewerbe (Werkſtattspolizei) außerhalb der
Fabriken noch gar keine Geſetzgebung. Möchte doch das ärztliche Vereins-
weſen dieſe Frage bald ernſtlich in die Hand nehmen!

B. Das Heilweſen (Medicinalweſen).

Das Heilweſen umfaßt den Inbegriff derjenigen Beſtimmungen
und Anſtalten, welche von der Verwaltung für die Heilung bereits
ausgebrochener Krankheiten getroffen werden.

Die Heilung der Krankheit iſt zunächſt Sache des Einzelnen.
Allein je höher die Geſittung in einem Volke ſteht, um ſo mehr wird
es klar, daß die Bedingungen der Heilung in den meiſten Fällen
außerhalb der Kräfte des Einzelnen liegen. Denn dieſe Bedingungen
beſtehen einerſeits in einer hohen Ausbildung der wiſſenſchaftlichen
Heilkunde, andererſeits in Anſtalten, welche die Vorausſetzungen der
Heilung nach wiſſenſchaftlichen Principien vereinen. Beides kann nur
die Gemeinſchaft der Einzelnen darbieten. Und ſo entſtehen die beiden
großen Gebiete des Heilweſens, die Bildung des Heilperſonals
und die Herſtellung der Heilanſtalten.

I. Der Heilungsberuf.

Das Heilperſonal iſt die Geſammtheit der Perſonen, welche die
Heilung von Krankheiten zum Lebensberuf gemacht haben. Der ſelb-
ſtändige Heilungsberuf entſteht eben deßhalb erſt mit der ſtändiſchen
Geſellſchaftsordnung, ſchließt ſich an die Corporation der ſtändiſchen
Wiſſenſchaft, die Univerſität und ihre Facultät, und wird erſt mit dem
ſiebzehnten und achtzehnten Jahrhundert Gegenſtand der Geſetzgebung
und Verwaltung des Staats. Das Princip dieſer Geſetzgebung und
Verwaltung iſt, daß nur die regelmäßige wiſſenſchaftliche Bildung die
rechtliche Bedingung für die Ausübung des Heilberufes ſein ſoll; daß
für jeden Theil eine beſondere Fachbildung erfordert wird, und daß
mit dem Eintreten in deſſen Bereich auch beſtimmte Rechte der Be-
treffenden verbunden ſein ſollen. Auf dieſer Grundlage hat ſich das
gegenwärtige Recht des Heilberufs entwickelt, das in dem Recht der
Aerzte, der Apotheker, der Hebammen und der Heildiener ſeinen Aus-
druck empfängt.

a) Die Aerzte und ihr Berufsrecht.

Obgleich es zu allen Zeiten Perſonen gegeben hat, welche die
Heilung von Krankheiten zu ihrem Lebensberuf gemacht haben, ſo ent-

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[90/0114] Krankheit, ſtatt für die Verhinderung des Krankwerdens zu ſorgen. Ueber die Geſundheitspflege im Betriebe der Gewerbe (Werkſtattspolizei) außerhalb der Fabriken noch gar keine Geſetzgebung. Möchte doch das ärztliche Vereins- weſen dieſe Frage bald ernſtlich in die Hand nehmen! B. Das Heilweſen (Medicinalweſen). Das Heilweſen umfaßt den Inbegriff derjenigen Beſtimmungen und Anſtalten, welche von der Verwaltung für die Heilung bereits ausgebrochener Krankheiten getroffen werden. Die Heilung der Krankheit iſt zunächſt Sache des Einzelnen. Allein je höher die Geſittung in einem Volke ſteht, um ſo mehr wird es klar, daß die Bedingungen der Heilung in den meiſten Fällen außerhalb der Kräfte des Einzelnen liegen. Denn dieſe Bedingungen beſtehen einerſeits in einer hohen Ausbildung der wiſſenſchaftlichen Heilkunde, andererſeits in Anſtalten, welche die Vorausſetzungen der Heilung nach wiſſenſchaftlichen Principien vereinen. Beides kann nur die Gemeinſchaft der Einzelnen darbieten. Und ſo entſtehen die beiden großen Gebiete des Heilweſens, die Bildung des Heilperſonals und die Herſtellung der Heilanſtalten. I. Der Heilungsberuf. Das Heilperſonal iſt die Geſammtheit der Perſonen, welche die Heilung von Krankheiten zum Lebensberuf gemacht haben. Der ſelb- ſtändige Heilungsberuf entſteht eben deßhalb erſt mit der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung, ſchließt ſich an die Corporation der ſtändiſchen Wiſſenſchaft, die Univerſität und ihre Facultät, und wird erſt mit dem ſiebzehnten und achtzehnten Jahrhundert Gegenſtand der Geſetzgebung und Verwaltung des Staats. Das Princip dieſer Geſetzgebung und Verwaltung iſt, daß nur die regelmäßige wiſſenſchaftliche Bildung die rechtliche Bedingung für die Ausübung des Heilberufes ſein ſoll; daß für jeden Theil eine beſondere Fachbildung erfordert wird, und daß mit dem Eintreten in deſſen Bereich auch beſtimmte Rechte der Be- treffenden verbunden ſein ſollen. Auf dieſer Grundlage hat ſich das gegenwärtige Recht des Heilberufs entwickelt, das in dem Recht der Aerzte, der Apotheker, der Hebammen und der Heildiener ſeinen Aus- druck empfängt. a) Die Aerzte und ihr Berufsrecht. Obgleich es zu allen Zeiten Perſonen gegeben hat, welche die Heilung von Krankheiten zu ihrem Lebensberuf gemacht haben, ſo ent-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/114>, abgerufen am 29.03.2024.