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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Zustande der allgemeinen Sicherheit Gefahr droht. Das Element der
Willkür, das darin liegt, empfängt erst mit der französischen Revolution
seine Gränze durch das Princip, daß ein solches Eingreifen nur "im
Namen des Gesetzes" stattfinden dürfe. Die Nothwendigkeit aber, der
Verwaltung das obige Recht zu lassen, erzeugte die zweite, nicht bei
einem allgemeinen Princip stehen zu bleiben, sondern die einzelnen
Fälle und Gränzen gesetzlich zu bestimmen, in denen und bis zu denen
die Polizei in die persönliche Freiheit wirklich eingreifen dürfe. So
entstanden die beiden Elemente, aus denen das Recht der Sicherheits-
polizei sich bildet. Einerseits die verfassungsmäßige Anerkennung
eben der persönlichen Freiheit in ihren Grundformen, und anderer-
seits
die Gesetze, nach denen die innere Verwaltung durch die Polizei
dieselbe zu beschränken berechtigt ist, und die im Gegensatz zur Ver-
fassung auch wohl die "Ausnahmsgesetze" genannt werden. Diese nun
bilden somit ein System, dessen beide Theile, die höhere und die
Einzelpolizei, jede wieder ihr selbständiges Rechtsgebiet besitzen.

I. Die höhere Sicherheitspolizei.

Die höhere Sicherheitspolizei entsteht da, wo durch irgend eine
Vereinigung von Menschen eine öffentliche Gefahr droht. Es ist ihre
Aufgabe, diese Gefahr zu beseitigen; so wie aber die Vereinigung
bereits eine Ungesetzlichkeit wirklich begangen hat, soll sie nur noch
als gerichtliche Polizei die Maßregeln zur Verfolgung des Unrechts
sichern. Ihr Recht besteht demnach in der strengen Ausübung der
gesetzlichen Vorschriften, nach welchen sie durch ihr Einschreiten die an
sich freien Vereinigungen hindern oder beschränken kann, und dafür
bestehen seit Anfang dieses Jahrhunderts fast in allen Staaten genaue
gesetzliche Bestimmungen. Ihr System entsteht an der Verschiedenheit
dieser gefahrbringenden Vereinigungen. Ihr Inhalt ist folgender.

Ihr erstes Gebiet ist das des Vereinswesens im weitesten
Sinne. Ihr Recht geht hier nur auf Kenntnißnahme derselben; das
aber ist ein principielles Recht, und daher, ganz abgesehen von dem
Zwecke, der an und für sich schon strafbar sein kann, der Grundsatz,
daß geheime Verbindungen an und für sich verboten und von der
Sicherheitspolizei zu verfolgen sind. Ihr zweites Gebiet sind die
öffentlichen Versammlungen. Es ist ihre Aufgabe und damit ihr
Recht, bei denselben gegenwärtig zu sein, und wenn ihrem Ermessen
nach durch die Thätigkeit oder die Bewegung derselben eine öffentliche
Gefährdung entsteht, sie aufzulösen; jedoch kann sie dieselben wegen
Vergehen und Verbrechen, welche von einzelnen Mitgliedern in ihr

Zuſtande der allgemeinen Sicherheit Gefahr droht. Das Element der
Willkür, das darin liegt, empfängt erſt mit der franzöſiſchen Revolution
ſeine Gränze durch das Princip, daß ein ſolches Eingreifen nur „im
Namen des Geſetzes“ ſtattfinden dürfe. Die Nothwendigkeit aber, der
Verwaltung das obige Recht zu laſſen, erzeugte die zweite, nicht bei
einem allgemeinen Princip ſtehen zu bleiben, ſondern die einzelnen
Fälle und Gränzen geſetzlich zu beſtimmen, in denen und bis zu denen
die Polizei in die perſönliche Freiheit wirklich eingreifen dürfe. So
entſtanden die beiden Elemente, aus denen das Recht der Sicherheits-
polizei ſich bildet. Einerſeits die verfaſſungsmäßige Anerkennung
eben der perſönlichen Freiheit in ihren Grundformen, und anderer-
ſeits
die Geſetze, nach denen die innere Verwaltung durch die Polizei
dieſelbe zu beſchränken berechtigt iſt, und die im Gegenſatz zur Ver-
faſſung auch wohl die „Ausnahmsgeſetze“ genannt werden. Dieſe nun
bilden ſomit ein Syſtem, deſſen beide Theile, die höhere und die
Einzelpolizei, jede wieder ihr ſelbſtändiges Rechtsgebiet beſitzen.

I. Die höhere Sicherheitspolizei.

Die höhere Sicherheitspolizei entſteht da, wo durch irgend eine
Vereinigung von Menſchen eine öffentliche Gefahr droht. Es iſt ihre
Aufgabe, dieſe Gefahr zu beſeitigen; ſo wie aber die Vereinigung
bereits eine Ungeſetzlichkeit wirklich begangen hat, ſoll ſie nur noch
als gerichtliche Polizei die Maßregeln zur Verfolgung des Unrechts
ſichern. Ihr Recht beſteht demnach in der ſtrengen Ausübung der
geſetzlichen Vorſchriften, nach welchen ſie durch ihr Einſchreiten die an
ſich freien Vereinigungen hindern oder beſchränken kann, und dafür
beſtehen ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts faſt in allen Staaten genaue
geſetzliche Beſtimmungen. Ihr Syſtem entſteht an der Verſchiedenheit
dieſer gefahrbringenden Vereinigungen. Ihr Inhalt iſt folgender.

Ihr erſtes Gebiet iſt das des Vereinsweſens im weiteſten
Sinne. Ihr Recht geht hier nur auf Kenntnißnahme derſelben; das
aber iſt ein principielles Recht, und daher, ganz abgeſehen von dem
Zwecke, der an und für ſich ſchon ſtrafbar ſein kann, der Grundſatz,
daß geheime Verbindungen an und für ſich verboten und von der
Sicherheitspolizei zu verfolgen ſind. Ihr zweites Gebiet ſind die
öffentlichen Verſammlungen. Es iſt ihre Aufgabe und damit ihr
Recht, bei denſelben gegenwärtig zu ſein, und wenn ihrem Ermeſſen
nach durch die Thätigkeit oder die Bewegung derſelben eine öffentliche
Gefährdung entſteht, ſie aufzulöſen; jedoch kann ſie dieſelben wegen
Vergehen und Verbrechen, welche von einzelnen Mitgliedern in ihr

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[100/0124] Zuſtande der allgemeinen Sicherheit Gefahr droht. Das Element der Willkür, das darin liegt, empfängt erſt mit der franzöſiſchen Revolution ſeine Gränze durch das Princip, daß ein ſolches Eingreifen nur „im Namen des Geſetzes“ ſtattfinden dürfe. Die Nothwendigkeit aber, der Verwaltung das obige Recht zu laſſen, erzeugte die zweite, nicht bei einem allgemeinen Princip ſtehen zu bleiben, ſondern die einzelnen Fälle und Gränzen geſetzlich zu beſtimmen, in denen und bis zu denen die Polizei in die perſönliche Freiheit wirklich eingreifen dürfe. So entſtanden die beiden Elemente, aus denen das Recht der Sicherheits- polizei ſich bildet. Einerſeits die verfaſſungsmäßige Anerkennung eben der perſönlichen Freiheit in ihren Grundformen, und anderer- ſeits die Geſetze, nach denen die innere Verwaltung durch die Polizei dieſelbe zu beſchränken berechtigt iſt, und die im Gegenſatz zur Ver- faſſung auch wohl die „Ausnahmsgeſetze“ genannt werden. Dieſe nun bilden ſomit ein Syſtem, deſſen beide Theile, die höhere und die Einzelpolizei, jede wieder ihr ſelbſtändiges Rechtsgebiet beſitzen. I. Die höhere Sicherheitspolizei. Die höhere Sicherheitspolizei entſteht da, wo durch irgend eine Vereinigung von Menſchen eine öffentliche Gefahr droht. Es iſt ihre Aufgabe, dieſe Gefahr zu beſeitigen; ſo wie aber die Vereinigung bereits eine Ungeſetzlichkeit wirklich begangen hat, ſoll ſie nur noch als gerichtliche Polizei die Maßregeln zur Verfolgung des Unrechts ſichern. Ihr Recht beſteht demnach in der ſtrengen Ausübung der geſetzlichen Vorſchriften, nach welchen ſie durch ihr Einſchreiten die an ſich freien Vereinigungen hindern oder beſchränken kann, und dafür beſtehen ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts faſt in allen Staaten genaue geſetzliche Beſtimmungen. Ihr Syſtem entſteht an der Verſchiedenheit dieſer gefahrbringenden Vereinigungen. Ihr Inhalt iſt folgender. Ihr erſtes Gebiet iſt das des Vereinsweſens im weiteſten Sinne. Ihr Recht geht hier nur auf Kenntnißnahme derſelben; das aber iſt ein principielles Recht, und daher, ganz abgeſehen von dem Zwecke, der an und für ſich ſchon ſtrafbar ſein kann, der Grundſatz, daß geheime Verbindungen an und für ſich verboten und von der Sicherheitspolizei zu verfolgen ſind. Ihr zweites Gebiet ſind die öffentlichen Verſammlungen. Es iſt ihre Aufgabe und damit ihr Recht, bei denſelben gegenwärtig zu ſein, und wenn ihrem Ermeſſen nach durch die Thätigkeit oder die Bewegung derſelben eine öffentliche Gefährdung entſteht, ſie aufzulöſen; jedoch kann ſie dieſelben wegen Vergehen und Verbrechen, welche von einzelnen Mitgliedern in ihr

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/124>, abgerufen am 29.03.2024.