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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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aussetzen; dafür aber hat sie die Fähigkeit, durch ihren Inhalt die
Richtigkeit dieser organischen Auffassung der Güterlehre endgültig zu
beweisen.

II. Das Princip des Verkehrswesens und seine historische Entwicklung
aus der Regalität.

Es ist nun kein Zweifel, daß das ganze Verkehrswesen der Aus-
druck eines und desselben Gedankens ist. Allein es hat lange gedauert,
bis man es als eine formale Einheit zusammenstellte und es als eine
organische anerkannte. Der geschichtliche Entwicklungsproceß dieses Ge-
dankens ist aber vom höchsten Interesse, weil derselbe zugleich die an
Einzelheiten fast unübersehbare reiche Geschichte jedes einzelnen Theiles
allein beherrscht und klar macht.

Auch das Verkehrswesen als Aufgabe der Verwaltung entsteht erst
da, wo durch die Loslösung der persönlichen Staatsidee von der Ge-
schlechter- und Ständeherrschaft der Gedanke klar wird, daß überhaupt
die erste Bedingung der Entwicklung des Staats der wirthschaftliche
Fortschritt des Einzelnen und die erste Bedingung des letzteren wieder
die freie Bewegung desselben ist. Dieser Gedanke knüpft sich nun an
das alte System der öffentlichen Staatsrechte, der Regalien. Zwar
fehlt ursprünglich dem Regal gänzlich der Gedanke der Verwaltung;
es ist nur ein Recht des Staats gegenüber dem Rechte der Grundherr-
lichkeit; es wird nur ausgeübt, um Einnahmen zu verschaffen; aber
die alten Regalien sind ihrem Inhalte nach fast ausnahmslos die
öffentlichen, einzeln hingestellten Rechte des Staats in
Beziehung auf das Verkehrswesen
. Der Inhalt der juristi-
schen Lehre von den Regalien ist daher die erste juristische Gestalt der
Lehre vom Verkehrswesen. Als nun mit dem siebenzehnten Jahrhundert
das Merkantilsystem die hohe Bedeutung der Volkswirthschaft und der
Eudämonismus die hohe Aufgabe der Staatsidee zu entwickeln be-
ginnen, werden aus den Regalrechten (Wegeregal, Postregal, Münz-
regal etc.) Aufgaben der noch jungen und unfreien, aber gegen die
Beschränkungen des ständischen Rechts rücksichtslose Staatsaufgaben,
was wohl niemand klarer fühlte, als Justi, der schon 1766 in seinem
"Finanzwesen" S. 423 sagt, daß dem Staate die Direktion vermöge
des Regals zustehe. Mit dem achtzehnten Jahrhundert entsteht daher
eine neue Epoche. Die Staatsgewalt übernimmt es, auf Grundlage
ihrer Regalien die Verkehrsverhältnisse theils durch ihre Gesetze, theils
durch ihre Organe zu ordnen; die Staatswissenschaft in der Gestalt
der "Polizeiwissenschaft" lehrt den Zusammenhang mit dem Gesammt-
leben; die Technik in der Gestalt der "Cameralwissenschaft" lehrt die

ausſetzen; dafür aber hat ſie die Fähigkeit, durch ihren Inhalt die
Richtigkeit dieſer organiſchen Auffaſſung der Güterlehre endgültig zu
beweiſen.

II. Das Princip des Verkehrsweſens und ſeine hiſtoriſche Entwicklung
aus der Regalität.

Es iſt nun kein Zweifel, daß das ganze Verkehrsweſen der Aus-
druck eines und deſſelben Gedankens iſt. Allein es hat lange gedauert,
bis man es als eine formale Einheit zuſammenſtellte und es als eine
organiſche anerkannte. Der geſchichtliche Entwicklungsproceß dieſes Ge-
dankens iſt aber vom höchſten Intereſſe, weil derſelbe zugleich die an
Einzelheiten faſt unüberſehbare reiche Geſchichte jedes einzelnen Theiles
allein beherrſcht und klar macht.

Auch das Verkehrsweſen als Aufgabe der Verwaltung entſteht erſt
da, wo durch die Loslöſung der perſönlichen Staatsidee von der Ge-
ſchlechter- und Ständeherrſchaft der Gedanke klar wird, daß überhaupt
die erſte Bedingung der Entwicklung des Staats der wirthſchaftliche
Fortſchritt des Einzelnen und die erſte Bedingung des letzteren wieder
die freie Bewegung deſſelben iſt. Dieſer Gedanke knüpft ſich nun an
das alte Syſtem der öffentlichen Staatsrechte, der Regalien. Zwar
fehlt urſprünglich dem Regal gänzlich der Gedanke der Verwaltung;
es iſt nur ein Recht des Staats gegenüber dem Rechte der Grundherr-
lichkeit; es wird nur ausgeübt, um Einnahmen zu verſchaffen; aber
die alten Regalien ſind ihrem Inhalte nach faſt ausnahmslos die
öffentlichen, einzeln hingeſtellten Rechte des Staats in
Beziehung auf das Verkehrsweſen
. Der Inhalt der juriſti-
ſchen Lehre von den Regalien iſt daher die erſte juriſtiſche Geſtalt der
Lehre vom Verkehrsweſen. Als nun mit dem ſiebenzehnten Jahrhundert
das Merkantilſyſtem die hohe Bedeutung der Volkswirthſchaft und der
Eudämonismus die hohe Aufgabe der Staatsidee zu entwickeln be-
ginnen, werden aus den Regalrechten (Wegeregal, Poſtregal, Münz-
regal ꝛc.) Aufgaben der noch jungen und unfreien, aber gegen die
Beſchränkungen des ſtändiſchen Rechts rückſichtsloſe Staatsaufgaben,
was wohl niemand klarer fühlte, als Juſti, der ſchon 1766 in ſeinem
„Finanzweſen“ S. 423 ſagt, daß dem Staate die Direktion vermöge
des Regals zuſtehe. Mit dem achtzehnten Jahrhundert entſteht daher
eine neue Epoche. Die Staatsgewalt übernimmt es, auf Grundlage
ihrer Regalien die Verkehrsverhältniſſe theils durch ihre Geſetze, theils
durch ihre Organe zu ordnen; die Staatswiſſenſchaft in der Geſtalt
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leben; die Technik in der Geſtalt der „Cameralwiſſenſchaft“ lehrt die

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[175/0199] ausſetzen; dafür aber hat ſie die Fähigkeit, durch ihren Inhalt die Richtigkeit dieſer organiſchen Auffaſſung der Güterlehre endgültig zu beweiſen. II. Das Princip des Verkehrsweſens und ſeine hiſtoriſche Entwicklung aus der Regalität. Es iſt nun kein Zweifel, daß das ganze Verkehrsweſen der Aus- druck eines und deſſelben Gedankens iſt. Allein es hat lange gedauert, bis man es als eine formale Einheit zuſammenſtellte und es als eine organiſche anerkannte. Der geſchichtliche Entwicklungsproceß dieſes Ge- dankens iſt aber vom höchſten Intereſſe, weil derſelbe zugleich die an Einzelheiten faſt unüberſehbare reiche Geſchichte jedes einzelnen Theiles allein beherrſcht und klar macht. Auch das Verkehrsweſen als Aufgabe der Verwaltung entſteht erſt da, wo durch die Loslöſung der perſönlichen Staatsidee von der Ge- ſchlechter- und Ständeherrſchaft der Gedanke klar wird, daß überhaupt die erſte Bedingung der Entwicklung des Staats der wirthſchaftliche Fortſchritt des Einzelnen und die erſte Bedingung des letzteren wieder die freie Bewegung deſſelben iſt. Dieſer Gedanke knüpft ſich nun an das alte Syſtem der öffentlichen Staatsrechte, der Regalien. Zwar fehlt urſprünglich dem Regal gänzlich der Gedanke der Verwaltung; es iſt nur ein Recht des Staats gegenüber dem Rechte der Grundherr- lichkeit; es wird nur ausgeübt, um Einnahmen zu verſchaffen; aber die alten Regalien ſind ihrem Inhalte nach faſt ausnahmslos die öffentlichen, einzeln hingeſtellten Rechte des Staats in Beziehung auf das Verkehrsweſen. Der Inhalt der juriſti- ſchen Lehre von den Regalien iſt daher die erſte juriſtiſche Geſtalt der Lehre vom Verkehrsweſen. Als nun mit dem ſiebenzehnten Jahrhundert das Merkantilſyſtem die hohe Bedeutung der Volkswirthſchaft und der Eudämonismus die hohe Aufgabe der Staatsidee zu entwickeln be- ginnen, werden aus den Regalrechten (Wegeregal, Poſtregal, Münz- regal ꝛc.) Aufgaben der noch jungen und unfreien, aber gegen die Beſchränkungen des ſtändiſchen Rechts rückſichtsloſe Staatsaufgaben, was wohl niemand klarer fühlte, als Juſti, der ſchon 1766 in ſeinem „Finanzweſen“ S. 423 ſagt, daß dem Staate die Direktion vermöge des Regals zuſtehe. Mit dem achtzehnten Jahrhundert entſteht daher eine neue Epoche. Die Staatsgewalt übernimmt es, auf Grundlage ihrer Regalien die Verkehrsverhältniſſe theils durch ihre Geſetze, theils durch ihre Organe zu ordnen; die Staatswiſſenſchaft in der Geſtalt der „Polizeiwiſſenſchaft“ lehrt den Zuſammenhang mit dem Geſammt- leben; die Technik in der Geſtalt der „Cameralwiſſenſchaft“ lehrt die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/199>, abgerufen am 28.03.2024.