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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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B. Das Real-Creditwesen.
Begriff.

Bei dem Realcredit betritt die Verwaltung nun einen ganz anderen
Boden.

Der Realcredit ist undenkbar ohne das Verständniß des national-
ökonomischen Satzes, daß der Werth auch von dem einzelnen bestimm-
ten
Gute geschieden, und in dieser seiner Selbständigkeit umlaufen
und benutzt werden kann. Da wo das geschieht, ist nun das einzelne
bestimmte Gut, dessen Werth von ihm geschieden und selbständig ein
Eigenthum und Besitz eines andern ist, das Pfand; der Erwerb des
Werthes durch die Hingabe des Darlehens geschieht, indem das Dar-
lehen als Kaufpreis des Werthes und die Uebertragung des letzteren
an den Käufer als die Pfandbestellung erscheint; das so entstandene
Eigenthum am Werthe ist als Schuld (oder Forderung) die Pfand-
schuld, die wir lieber gleich die Hypothek nennen; und die rechtliche
Bestimmung des Verhältnisses zwischen beiden ist das Pfand-
recht
, oder in specieller Beziehung auf die Immobilien das Hypo-
thekenrecht
.

Diese Möglichkeit nun, den Werth von dem Gute durch das
Pfandrecht zu scheiden, und dem ersteren einen andern Eigenthümer
zu geben als dem letzteren, ist nun für die Volkswirthschaft von höch-
ster Wichtigkeit. Denn während das Gut für sich seine Produktivität
behält, gewinnt der selbständige Werth eine zweite neben jenem; es
verdoppelt sich der Stoff für die menschliche Arbeit, und damit der
Fortschritt des wirthschaftlichen Lebens. Allerdings nun ist es kein
Zweifel, daß dieser Proceß der Scheidung von Gut und Werth in der
Hypothek zuerst von dem Einzelnen ausgeht und sein Bedürfniß befrie-
digt; allein daß jeder diesen Proceß je nach seiner persönlichen und
wirthschaftlichen Individualität vornehmen könne, ist eine der großen
Forderungen des allgemeinen wirthschaftlichen Interesses. Das nun
aber hat gewisse Bedingungen, welche weder allein von dem Gläubiger
noch von dem Schuldner erfüllt werden können. Es ist daher eine
wesentliche Aufgabe der Verwaltung, diese Bedingungen herzustellen,
und die Gesammtheit derjenigen Gesetze, Maßregeln und Anstalten,
durch welche jene Bedingungen wirklich hergestellt werden, bilden das
Realcreditwesen.

Diese Bedingungen theilen sich nun in zwei große Gruppen. Die
erste dieser Gruppen umfaßt die Gesammtheit aller Voraussetzungen
für die Sicherheit der Hypothek, die zweite dagegen bezieht sich
auf die Herstellung eines, für die Anlage in Hypotheken bestimmten

B. Das Real-Creditweſen.
Begriff.

Bei dem Realcredit betritt die Verwaltung nun einen ganz anderen
Boden.

Der Realcredit iſt undenkbar ohne das Verſtändniß des national-
ökonomiſchen Satzes, daß der Werth auch von dem einzelnen beſtimm-
ten
Gute geſchieden, und in dieſer ſeiner Selbſtändigkeit umlaufen
und benutzt werden kann. Da wo das geſchieht, iſt nun das einzelne
beſtimmte Gut, deſſen Werth von ihm geſchieden und ſelbſtändig ein
Eigenthum und Beſitz eines andern iſt, das Pfand; der Erwerb des
Werthes durch die Hingabe des Darlehens geſchieht, indem das Dar-
lehen als Kaufpreis des Werthes und die Uebertragung des letzteren
an den Käufer als die Pfandbeſtellung erſcheint; das ſo entſtandene
Eigenthum am Werthe iſt als Schuld (oder Forderung) die Pfand-
ſchuld, die wir lieber gleich die Hypothek nennen; und die rechtliche
Beſtimmung des Verhältniſſes zwiſchen beiden iſt das Pfand-
recht
, oder in ſpecieller Beziehung auf die Immobilien das Hypo-
thekenrecht
.

Dieſe Möglichkeit nun, den Werth von dem Gute durch das
Pfandrecht zu ſcheiden, und dem erſteren einen andern Eigenthümer
zu geben als dem letzteren, iſt nun für die Volkswirthſchaft von höch-
ſter Wichtigkeit. Denn während das Gut für ſich ſeine Produktivität
behält, gewinnt der ſelbſtändige Werth eine zweite neben jenem; es
verdoppelt ſich der Stoff für die menſchliche Arbeit, und damit der
Fortſchritt des wirthſchaftlichen Lebens. Allerdings nun iſt es kein
Zweifel, daß dieſer Proceß der Scheidung von Gut und Werth in der
Hypothek zuerſt von dem Einzelnen ausgeht und ſein Bedürfniß befrie-
digt; allein daß jeder dieſen Proceß je nach ſeiner perſönlichen und
wirthſchaftlichen Individualität vornehmen könne, iſt eine der großen
Forderungen des allgemeinen wirthſchaftlichen Intereſſes. Das nun
aber hat gewiſſe Bedingungen, welche weder allein von dem Gläubiger
noch von dem Schuldner erfüllt werden können. Es iſt daher eine
weſentliche Aufgabe der Verwaltung, dieſe Bedingungen herzuſtellen,
und die Geſammtheit derjenigen Geſetze, Maßregeln und Anſtalten,
durch welche jene Bedingungen wirklich hergeſtellt werden, bilden das
Realcreditweſen.

Dieſe Bedingungen theilen ſich nun in zwei große Gruppen. Die
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für die Sicherheit der Hypothek, die zweite dagegen bezieht ſich
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[259/0283] B. Das Real-Creditweſen. Begriff. Bei dem Realcredit betritt die Verwaltung nun einen ganz anderen Boden. Der Realcredit iſt undenkbar ohne das Verſtändniß des national- ökonomiſchen Satzes, daß der Werth auch von dem einzelnen beſtimm- ten Gute geſchieden, und in dieſer ſeiner Selbſtändigkeit umlaufen und benutzt werden kann. Da wo das geſchieht, iſt nun das einzelne beſtimmte Gut, deſſen Werth von ihm geſchieden und ſelbſtändig ein Eigenthum und Beſitz eines andern iſt, das Pfand; der Erwerb des Werthes durch die Hingabe des Darlehens geſchieht, indem das Dar- lehen als Kaufpreis des Werthes und die Uebertragung des letzteren an den Käufer als die Pfandbeſtellung erſcheint; das ſo entſtandene Eigenthum am Werthe iſt als Schuld (oder Forderung) die Pfand- ſchuld, die wir lieber gleich die Hypothek nennen; und die rechtliche Beſtimmung des Verhältniſſes zwiſchen beiden iſt das Pfand- recht, oder in ſpecieller Beziehung auf die Immobilien das Hypo- thekenrecht. Dieſe Möglichkeit nun, den Werth von dem Gute durch das Pfandrecht zu ſcheiden, und dem erſteren einen andern Eigenthümer zu geben als dem letzteren, iſt nun für die Volkswirthſchaft von höch- ſter Wichtigkeit. Denn während das Gut für ſich ſeine Produktivität behält, gewinnt der ſelbſtändige Werth eine zweite neben jenem; es verdoppelt ſich der Stoff für die menſchliche Arbeit, und damit der Fortſchritt des wirthſchaftlichen Lebens. Allerdings nun iſt es kein Zweifel, daß dieſer Proceß der Scheidung von Gut und Werth in der Hypothek zuerſt von dem Einzelnen ausgeht und ſein Bedürfniß befrie- digt; allein daß jeder dieſen Proceß je nach ſeiner perſönlichen und wirthſchaftlichen Individualität vornehmen könne, iſt eine der großen Forderungen des allgemeinen wirthſchaftlichen Intereſſes. Das nun aber hat gewiſſe Bedingungen, welche weder allein von dem Gläubiger noch von dem Schuldner erfüllt werden können. Es iſt daher eine weſentliche Aufgabe der Verwaltung, dieſe Bedingungen herzuſtellen, und die Geſammtheit derjenigen Geſetze, Maßregeln und Anſtalten, durch welche jene Bedingungen wirklich hergeſtellt werden, bilden das Realcreditweſen. Dieſe Bedingungen theilen ſich nun in zwei große Gruppen. Die erſte dieſer Gruppen umfaßt die Geſammtheit aller Vorausſetzungen für die Sicherheit der Hypothek, die zweite dagegen bezieht ſich auf die Herſtellung eines, für die Anlage in Hypotheken beſtimmten

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/283>, abgerufen am 28.03.2024.