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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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vom 2. Nov. 1830 hat diese Bestimmungen, die an wesentlichen Mängeln litten,
aufgehoben, und das gegenwärtige Ablösungs- und Entlastungsverfahren ge-
ordnet. Allein die politische Freiheit ist dem Grundbesitz doch nicht gegeben,
indem die Patrimonialjurisdiktion zum Theil bestehen blieb. Oesterreich da-
gegen hat zugleich nebst der vollen Freiheit auch die volle Freiheit der Selbst-
verwaltung gegeben. Dagegen hat Preußen für die Entlastung eine eigene
Rentenbank (Gesetz vom 27. Jan. 1860) wogegen Oesterreich das System
der Grundentlastungsobligationen eingeführt hat. Für das Uebrige vergl. Rau
und Roscher a. a. O. Es ist nur ein nicht unwesentlicher Fehler, noch immer
das Ablösungs- und Entlastungswesen als Theil der gegenwärtigen Land-
wirthschaftspflege aufzuführen, was nur Verwirrung bringen kann.

System der Landwirthschaftspflege.

Das System der Landwirthschaftspflege entsteht nun, indem die
Verwaltung mit ihren Organen und Bestimmungen auf denjenigen
Punkten eintritt, wo nach dem Erwerbe der Freiheit der Landwirth-
schaft bestimmte Bedingungen ihrer Entwicklung eintreten, welche sich
die Einzelnen nicht mehr selber verschaffen können.

Das Princip dafür ist, durch diese Maßregeln nicht mehr direkt
in die Landwirthschaft einzugreifen, sondern durch Schutz und Hülfe
im Einzelnen den Landmann in den Stand zu setzen, seine wirthschaft-
liche Freiheit mit vollem Bewußtsein für die wirthschaftliche Entwicklung
zu gebrauchen. Daraus ergeben sich folgende Hauptgebiete.

1) Die Organisation.

Die Organisation der landwirthschaftlichen Verwaltung mit
dem vorigen Jahrhundert beginnend, legt bis auf die neueste Zeit den
Schwerpunkt in die amtlichen Stellen, deren Aufgabe eben in der
rechtlichen Durchführung der Befreiungsmaßregeln besteht. Zugleich
beginnt neben der Regierung auch die freie Verwaltung als Vereins-
wesen
thätig einzugreifen, jedoch hauptsächlich auf dem Gebiete der
landwirthschaftlichen Bildung; je weiter die Befreiung und Selbständig-
keit der Landwirthschaft geht, je unbedeutender wird die Funktion der
Regierungsorgane und je wichtiger das Vereinswesen. Die Zukunft
des letzteren liegt in der Verbindung der landwirthschaftlichen
Creditvereine mit den landwirthschaftlichen Bildungs-
vereinen
, für welche noch die Formel nicht gefunden ist.

Eine Geschichte dieser Organisation wäre von nicht geringem Interesse.
Für das vorige Jahrhundert über die "Landesökonomiecollegien" der verschie-
denen Staaten Deutschlands Berg a. a. O. Eben so über die verschiedenen
Landwirthschaftsgesellschaften Berg ebend. Thüring. Civilgesetzgebung

vom 2. Nov. 1830 hat dieſe Beſtimmungen, die an weſentlichen Mängeln litten,
aufgehoben, und das gegenwärtige Ablöſungs- und Entlaſtungsverfahren ge-
ordnet. Allein die politiſche Freiheit iſt dem Grundbeſitz doch nicht gegeben,
indem die Patrimonialjurisdiktion zum Theil beſtehen blieb. Oeſterreich da-
gegen hat zugleich nebſt der vollen Freiheit auch die volle Freiheit der Selbſt-
verwaltung gegeben. Dagegen hat Preußen für die Entlaſtung eine eigene
Rentenbank (Geſetz vom 27. Jan. 1860) wogegen Oeſterreich das Syſtem
der Grundentlaſtungsobligationen eingeführt hat. Für das Uebrige vergl. Rau
und Roſcher a. a. O. Es iſt nur ein nicht unweſentlicher Fehler, noch immer
das Ablöſungs- und Entlaſtungsweſen als Theil der gegenwärtigen Land-
wirthſchaftspflege aufzuführen, was nur Verwirrung bringen kann.

Syſtem der Landwirthſchaftspflege.

Das Syſtem der Landwirthſchaftspflege entſteht nun, indem die
Verwaltung mit ihren Organen und Beſtimmungen auf denjenigen
Punkten eintritt, wo nach dem Erwerbe der Freiheit der Landwirth-
ſchaft beſtimmte Bedingungen ihrer Entwicklung eintreten, welche ſich
die Einzelnen nicht mehr ſelber verſchaffen können.

Das Princip dafür iſt, durch dieſe Maßregeln nicht mehr direkt
in die Landwirthſchaft einzugreifen, ſondern durch Schutz und Hülfe
im Einzelnen den Landmann in den Stand zu ſetzen, ſeine wirthſchaft-
liche Freiheit mit vollem Bewußtſein für die wirthſchaftliche Entwicklung
zu gebrauchen. Daraus ergeben ſich folgende Hauptgebiete.

1) Die Organiſation.

Die Organiſation der landwirthſchaftlichen Verwaltung mit
dem vorigen Jahrhundert beginnend, legt bis auf die neueſte Zeit den
Schwerpunkt in die amtlichen Stellen, deren Aufgabe eben in der
rechtlichen Durchführung der Befreiungsmaßregeln beſteht. Zugleich
beginnt neben der Regierung auch die freie Verwaltung als Vereins-
weſen
thätig einzugreifen, jedoch hauptſächlich auf dem Gebiete der
landwirthſchaftlichen Bildung; je weiter die Befreiung und Selbſtändig-
keit der Landwirthſchaft geht, je unbedeutender wird die Funktion der
Regierungsorgane und je wichtiger das Vereinsweſen. Die Zukunft
des letzteren liegt in der Verbindung der landwirthſchaftlichen
Creditvereine mit den landwirthſchaftlichen Bildungs-
vereinen
, für welche noch die Formel nicht gefunden iſt.

Eine Geſchichte dieſer Organiſation wäre von nicht geringem Intereſſe.
Für das vorige Jahrhundert über die „Landesökonomiecollegien“ der verſchie-
denen Staaten Deutſchlands Berg a. a. O. Eben ſo über die verſchiedenen
Landwirthſchaftsgeſellſchaften Berg ebend. Thüring. Civilgeſetzgebung

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[332/0356] vom 2. Nov. 1830 hat dieſe Beſtimmungen, die an weſentlichen Mängeln litten, aufgehoben, und das gegenwärtige Ablöſungs- und Entlaſtungsverfahren ge- ordnet. Allein die politiſche Freiheit iſt dem Grundbeſitz doch nicht gegeben, indem die Patrimonialjurisdiktion zum Theil beſtehen blieb. Oeſterreich da- gegen hat zugleich nebſt der vollen Freiheit auch die volle Freiheit der Selbſt- verwaltung gegeben. Dagegen hat Preußen für die Entlaſtung eine eigene Rentenbank (Geſetz vom 27. Jan. 1860) wogegen Oeſterreich das Syſtem der Grundentlaſtungsobligationen eingeführt hat. Für das Uebrige vergl. Rau und Roſcher a. a. O. Es iſt nur ein nicht unweſentlicher Fehler, noch immer das Ablöſungs- und Entlaſtungsweſen als Theil der gegenwärtigen Land- wirthſchaftspflege aufzuführen, was nur Verwirrung bringen kann. Syſtem der Landwirthſchaftspflege. Das Syſtem der Landwirthſchaftspflege entſteht nun, indem die Verwaltung mit ihren Organen und Beſtimmungen auf denjenigen Punkten eintritt, wo nach dem Erwerbe der Freiheit der Landwirth- ſchaft beſtimmte Bedingungen ihrer Entwicklung eintreten, welche ſich die Einzelnen nicht mehr ſelber verſchaffen können. Das Princip dafür iſt, durch dieſe Maßregeln nicht mehr direkt in die Landwirthſchaft einzugreifen, ſondern durch Schutz und Hülfe im Einzelnen den Landmann in den Stand zu ſetzen, ſeine wirthſchaft- liche Freiheit mit vollem Bewußtſein für die wirthſchaftliche Entwicklung zu gebrauchen. Daraus ergeben ſich folgende Hauptgebiete. 1) Die Organiſation. Die Organiſation der landwirthſchaftlichen Verwaltung mit dem vorigen Jahrhundert beginnend, legt bis auf die neueſte Zeit den Schwerpunkt in die amtlichen Stellen, deren Aufgabe eben in der rechtlichen Durchführung der Befreiungsmaßregeln beſteht. Zugleich beginnt neben der Regierung auch die freie Verwaltung als Vereins- weſen thätig einzugreifen, jedoch hauptſächlich auf dem Gebiete der landwirthſchaftlichen Bildung; je weiter die Befreiung und Selbſtändig- keit der Landwirthſchaft geht, je unbedeutender wird die Funktion der Regierungsorgane und je wichtiger das Vereinsweſen. Die Zukunft des letzteren liegt in der Verbindung der landwirthſchaftlichen Creditvereine mit den landwirthſchaftlichen Bildungs- vereinen, für welche noch die Formel nicht gefunden iſt. Eine Geſchichte dieſer Organiſation wäre von nicht geringem Intereſſe. Für das vorige Jahrhundert über die „Landesökonomiecollegien“ der verſchie- denen Staaten Deutſchlands Berg a. a. O. Eben ſo über die verſchiedenen Landwirthſchaftsgeſellſchaften Berg ebend. Thüring. Civilgeſetzgebung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/356>, abgerufen am 29.03.2024.