Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

geben muß. Daher haben nur wenige unter diesen Körpern die Fähig-
keit, sich dauernd zu erhalten.

II. Die Funktion der Selbstverwaltung.

Die Funktion der Selbstverwaltung ist ihrem Begriff nach die
Uebernahme der Funktion der Regierung, soweit die letztere durch be-
gränzte Interessen und örtliche Verhältnisse modificirt werden kann.
Sie kann daher niemals eine gesetzgebende, und nur ausnahms-
weise
eine verordnende Gewalt besitzen; ihre Funktion ist stets die der
verfügenden Behörde. Und auch diese Funktion ist nach der Ver-
schiedenheit der Selbstverwaltungskörper eine wesentlich verschiedene.

Die Vertretungen kennen, da sie den Sonderinteressen innerhalb
der Vollzugsthätigkeit der Regierung Ausdruck geben, auch keine ver-
fügende, sondern nur eine berathende Funktion. Nur die eigentlichen
Selbstverwaltungskörper können verfügen, und haben damit auch
die Zwangsgewalt (Polizei). Da sie aber zugleich selbständig und
auch Organe der Einheit des Staats sind, so hat ihre Verfügungs-
und Zwangsgewalt einen doppelten Charakter, der dem doppelten Recht
derselben zum Grunde liegt.

Die Gesammtheit der Funktionen nämlich, welche aus der Selb-
ständigkeit der Selbstverwaltungskörper hervorgehen, nennen wir den
natürlichen oder freien, die Gesammtheit derjenigen, welche aus ihrem
organischen Verhalten zur Einheit des Staats hervorgehen, den amt-
lichen, staatlichen oder übertragenen Wirkungskreis der Selbstverwaltung.
Es ist klar, daß die Gesetzgebung den letzteren verengern oder erweitern
kann; die Bestimmung desselben bildet einen wesentlichen Theil des ge-
setzlichen Gemeinderechts (Gemeindeordnung oder Gemeindeverfassung)
und ist wieder sehr verschieden in den verschiedenen Staaten.

Der Umfang und Inhalt beider Arten der Funktionen ist nun
wieder ein anderer, je nachdem es sich um Landschaften, Gemeinden
oder Corporationen handelt. Gemeinschaftlich aber sind für alle die
folgenden Grundsätze.

Die Funktionen der Rechtsverwaltung müssen stets und unbedingt,
soweit sie überhaupt der Selbstverwaltung übergeben werden können,
als amtliche angesehen werden; eben so diejenigen, welche dem Heer-
wesen angehören.

Die staatswirthschaftlichen Funktionen sind amtlich, sofern sie die
Finanzen betreffen; freie, so weit sie auf die Mittel der eigenen Ver-
waltung Bezug haben.

Die Aufgaben der inneren Verwaltung sind grundsätzlich freie

geben muß. Daher haben nur wenige unter dieſen Körpern die Fähig-
keit, ſich dauernd zu erhalten.

II. Die Funktion der Selbſtverwaltung.

Die Funktion der Selbſtverwaltung iſt ihrem Begriff nach die
Uebernahme der Funktion der Regierung, ſoweit die letztere durch be-
gränzte Intereſſen und örtliche Verhältniſſe modificirt werden kann.
Sie kann daher niemals eine geſetzgebende, und nur ausnahms-
weiſe
eine verordnende Gewalt beſitzen; ihre Funktion iſt ſtets die der
verfügenden Behörde. Und auch dieſe Funktion iſt nach der Ver-
ſchiedenheit der Selbſtverwaltungskörper eine weſentlich verſchiedene.

Die Vertretungen kennen, da ſie den Sonderintereſſen innerhalb
der Vollzugsthätigkeit der Regierung Ausdruck geben, auch keine ver-
fügende, ſondern nur eine berathende Funktion. Nur die eigentlichen
Selbſtverwaltungskörper können verfügen, und haben damit auch
die Zwangsgewalt (Polizei). Da ſie aber zugleich ſelbſtändig und
auch Organe der Einheit des Staats ſind, ſo hat ihre Verfügungs-
und Zwangsgewalt einen doppelten Charakter, der dem doppelten Recht
derſelben zum Grunde liegt.

Die Geſammtheit der Funktionen nämlich, welche aus der Selb-
ſtändigkeit der Selbſtverwaltungskörper hervorgehen, nennen wir den
natürlichen oder freien, die Geſammtheit derjenigen, welche aus ihrem
organiſchen Verhalten zur Einheit des Staats hervorgehen, den amt-
lichen, ſtaatlichen oder übertragenen Wirkungskreis der Selbſtverwaltung.
Es iſt klar, daß die Geſetzgebung den letzteren verengern oder erweitern
kann; die Beſtimmung deſſelben bildet einen weſentlichen Theil des ge-
ſetzlichen Gemeinderechts (Gemeindeordnung oder Gemeindeverfaſſung)
und iſt wieder ſehr verſchieden in den verſchiedenen Staaten.

Der Umfang und Inhalt beider Arten der Funktionen iſt nun
wieder ein anderer, je nachdem es ſich um Landſchaften, Gemeinden
oder Corporationen handelt. Gemeinſchaftlich aber ſind für alle die
folgenden Grundſätze.

Die Funktionen der Rechtsverwaltung müſſen ſtets und unbedingt,
ſoweit ſie überhaupt der Selbſtverwaltung übergeben werden können,
als amtliche angeſehen werden; eben ſo diejenigen, welche dem Heer-
weſen angehören.

Die ſtaatswirthſchaftlichen Funktionen ſind amtlich, ſofern ſie die
Finanzen betreffen; freie, ſo weit ſie auf die Mittel der eigenen Ver-
waltung Bezug haben.

Die Aufgaben der inneren Verwaltung ſind grundſätzlich freie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0052" n="28"/>
geben muß. Daher haben nur wenige unter die&#x017F;en Körpern die Fähig-<lb/>
keit, &#x017F;ich dauernd zu erhalten.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Die Funktion der Selb&#x017F;tverwaltung.</hi> </head><lb/>
                <p>Die Funktion der Selb&#x017F;tverwaltung i&#x017F;t ihrem Begriff nach die<lb/>
Uebernahme der Funktion der Regierung, &#x017F;oweit die letztere durch be-<lb/>
gränzte Intere&#x017F;&#x017F;en und örtliche Verhältni&#x017F;&#x017F;e modificirt werden kann.<lb/>
Sie kann daher <hi rendition="#g">niemals</hi> eine ge&#x017F;etzgebende, und nur <hi rendition="#g">ausnahms-<lb/>
wei&#x017F;e</hi> eine verordnende Gewalt be&#x017F;itzen; ihre Funktion i&#x017F;t &#x017F;tets die der<lb/><hi rendition="#g">verfügenden Behörde</hi>. Und auch die&#x017F;e Funktion i&#x017F;t nach der Ver-<lb/>
&#x017F;chiedenheit der Selb&#x017F;tverwaltungskörper eine we&#x017F;entlich ver&#x017F;chiedene.</p><lb/>
                <p>Die Vertretungen kennen, da &#x017F;ie den Sonderintere&#x017F;&#x017F;en innerhalb<lb/>
der Vollzugsthätigkeit der Regierung Ausdruck geben, auch keine ver-<lb/>
fügende, &#x017F;ondern nur eine berathende Funktion. Nur die eigentlichen<lb/>
Selb&#x017F;tverwaltungskörper können verfügen, und haben damit auch<lb/>
die Zwangsgewalt (Polizei). Da &#x017F;ie aber <hi rendition="#g">zugleich</hi> &#x017F;elb&#x017F;tändig und<lb/>
auch Organe der Einheit des Staats &#x017F;ind, &#x017F;o hat ihre Verfügungs-<lb/>
und Zwangsgewalt einen doppelten Charakter, der dem doppelten Recht<lb/>
der&#x017F;elben zum Grunde liegt.</p><lb/>
                <p>Die Ge&#x017F;ammtheit der Funktionen nämlich, welche aus der Selb-<lb/>
&#x017F;tändigkeit der Selb&#x017F;tverwaltungskörper hervorgehen, nennen wir den<lb/>
natürlichen oder freien, die Ge&#x017F;ammtheit derjenigen, welche aus ihrem<lb/>
organi&#x017F;chen Verhalten zur Einheit des Staats hervorgehen, den amt-<lb/>
lichen, &#x017F;taatlichen oder übertragenen Wirkungskreis der Selb&#x017F;tverwaltung.<lb/>
Es i&#x017F;t klar, daß die Ge&#x017F;etzgebung den letzteren verengern oder erweitern<lb/>
kann; die Be&#x017F;timmung de&#x017F;&#x017F;elben bildet einen we&#x017F;entlichen Theil des ge-<lb/>
&#x017F;etzlichen Gemeinderechts (Gemeindeordnung oder Gemeindeverfa&#x017F;&#x017F;ung)<lb/>
und i&#x017F;t wieder &#x017F;ehr ver&#x017F;chieden in den ver&#x017F;chiedenen Staaten.</p><lb/>
                <p>Der Umfang und Inhalt beider Arten der Funktionen i&#x017F;t nun<lb/>
wieder ein anderer, je nachdem es &#x017F;ich um Land&#x017F;chaften, Gemeinden<lb/>
oder Corporationen handelt. Gemein&#x017F;chaftlich aber &#x017F;ind für alle die<lb/>
folgenden Grund&#x017F;ätze.</p><lb/>
                <p>Die Funktionen der Rechtsverwaltung mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tets und unbedingt,<lb/>
&#x017F;oweit &#x017F;ie überhaupt der Selb&#x017F;tverwaltung übergeben werden können,<lb/>
als amtliche ange&#x017F;ehen werden; eben &#x017F;o diejenigen, welche dem Heer-<lb/>
we&#x017F;en angehören.</p><lb/>
                <p>Die &#x017F;taatswirth&#x017F;chaftlichen Funktionen &#x017F;ind amtlich, &#x017F;ofern &#x017F;ie die<lb/>
Finanzen betreffen; freie, &#x017F;o weit &#x017F;ie auf die Mittel der eigenen Ver-<lb/>
waltung Bezug haben.</p><lb/>
                <p>Die Aufgaben der inneren Verwaltung &#x017F;ind grund&#x017F;ätzlich freie<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0052] geben muß. Daher haben nur wenige unter dieſen Körpern die Fähig- keit, ſich dauernd zu erhalten. II. Die Funktion der Selbſtverwaltung. Die Funktion der Selbſtverwaltung iſt ihrem Begriff nach die Uebernahme der Funktion der Regierung, ſoweit die letztere durch be- gränzte Intereſſen und örtliche Verhältniſſe modificirt werden kann. Sie kann daher niemals eine geſetzgebende, und nur ausnahms- weiſe eine verordnende Gewalt beſitzen; ihre Funktion iſt ſtets die der verfügenden Behörde. Und auch dieſe Funktion iſt nach der Ver- ſchiedenheit der Selbſtverwaltungskörper eine weſentlich verſchiedene. Die Vertretungen kennen, da ſie den Sonderintereſſen innerhalb der Vollzugsthätigkeit der Regierung Ausdruck geben, auch keine ver- fügende, ſondern nur eine berathende Funktion. Nur die eigentlichen Selbſtverwaltungskörper können verfügen, und haben damit auch die Zwangsgewalt (Polizei). Da ſie aber zugleich ſelbſtändig und auch Organe der Einheit des Staats ſind, ſo hat ihre Verfügungs- und Zwangsgewalt einen doppelten Charakter, der dem doppelten Recht derſelben zum Grunde liegt. Die Geſammtheit der Funktionen nämlich, welche aus der Selb- ſtändigkeit der Selbſtverwaltungskörper hervorgehen, nennen wir den natürlichen oder freien, die Geſammtheit derjenigen, welche aus ihrem organiſchen Verhalten zur Einheit des Staats hervorgehen, den amt- lichen, ſtaatlichen oder übertragenen Wirkungskreis der Selbſtverwaltung. Es iſt klar, daß die Geſetzgebung den letzteren verengern oder erweitern kann; die Beſtimmung deſſelben bildet einen weſentlichen Theil des ge- ſetzlichen Gemeinderechts (Gemeindeordnung oder Gemeindeverfaſſung) und iſt wieder ſehr verſchieden in den verſchiedenen Staaten. Der Umfang und Inhalt beider Arten der Funktionen iſt nun wieder ein anderer, je nachdem es ſich um Landſchaften, Gemeinden oder Corporationen handelt. Gemeinſchaftlich aber ſind für alle die folgenden Grundſätze. Die Funktionen der Rechtsverwaltung müſſen ſtets und unbedingt, ſoweit ſie überhaupt der Selbſtverwaltung übergeben werden können, als amtliche angeſehen werden; eben ſo diejenigen, welche dem Heer- weſen angehören. Die ſtaatswirthſchaftlichen Funktionen ſind amtlich, ſofern ſie die Finanzen betreffen; freie, ſo weit ſie auf die Mittel der eigenen Ver- waltung Bezug haben. Die Aufgaben der inneren Verwaltung ſind grundſätzlich freie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/52
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/52>, abgerufen am 28.03.2024.