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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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dieser, theils mit der Sicherheitspolizei so vollständig identificirt, daß der selb-
ständige Begriff damit verloren ging; Mohl hat wieder in der Präventivjustiz
den ersten, aber nicht zum klaren Bewußtsein gelangten Versuch gemacht, eine
selbständige Sicherheitspolizei aufzustellen. Mein Polizeirecht (Verwaltungs-
lehre Bd. 4) ist durch den Mangel der obigen Unterscheidungen gleichfalls nicht
klar geworden, und hat daher auch die Stellung der verschiedenen Polizeistraf-
gesetzbücher und ihre Aufgabe nicht verstanden. Hier ist also noch fast alles
zu thun. Der Charakter des Verwaltungspolizeirechts in England beruht
darauf, daß die Polizei nur im Namen eines bestimmten Gesetzes vorgehen
darf; daher gibt im Grunde nur das Parlament Polizeiverfügungen und
Ordnungsstrafen (Bußen = fees). In Frankreich dagegen beginnt die Polizei
mit selbständigem Ordnungsstrafrecht, was auch in Preußen und Oester-
reich
gilt. Dagegen haben die süddeutschen Staaten eigene Polizeistrafgesetz-
bücher: Württemberg 1837; Baden 1863; Bayern 1866. Ueber die-
selben gibt es vortreffliche Commentare, aber noch keine wissenschaftliche Be-
handlung.

IV.
Das Pflegschaftswesen.

Die letzte Aufgabe der inneren Verwaltung des persönlichen Lebens
tritt nun da ein, wo eines der beiden Momente der Persönlichkeit, das
physische Dasein einer Person oder die freie Selbstbestimmung fehlt,
und die Persönlichkeit daher, obwohl vorhanden, nicht fähig ist zu
funktioniren. Da nun aber diese Thätigkeit der einzelnen Persönlichkeit
ein Theil und Element des Gesammtlebens ist, so muß derselben die
Fähigkeit zur Funktion wiedergegeben werden, indem das ihr fehlende
Element ersetzt, und sie dadurch wieder als verkehrsberechtigte Persön-
lichkeit hergestellt wird. Dieß nun kann nicht durch den Einzelnen,
sondern nur mit allgemeiner Gültigkeit durch die Verwaltung geschehen;
und die dafür geltenden Grundsätze bilden das Pflegschaftswesen.

Die Arten des Pflegschaftswesens beruhen demgemäß auf den-
jenigen Elementen der Persönlichkeit, welches eben ersetzt werden müssen.
Das Vormundschaftswesen hat die Aufgabe den mangelnden selb-
ständigen Willen sowohl des Mündels als der Frau zu ersetzen; im
Verlassenschaftswesen fehlt der wirthschaftlichen Persönlichkeit die
physische und die Verwaltung leitet daher den Proceß des Ueberganges
der Güter an die Erben; in der Massenverwaltung (dem Concurs-
wesen) ist dagegen die rechtliche Scheidung der wirthschaftlichen und
physischen Persönlichkeit eins; der Concurs ist der wirthschaftliche Tod
der letzteren und die Verwaltung leitet den Auflösungsproceß des Ver-
mögens. Das Recht aller drei Arten des Pflegschaftswesens ist daher
zugleich ein öffentliches und ein bürgerliches. Das öffentliche Recht

dieſer, theils mit der Sicherheitspolizei ſo vollſtändig identificirt, daß der ſelb-
ſtändige Begriff damit verloren ging; Mohl hat wieder in der Präventivjuſtiz
den erſten, aber nicht zum klaren Bewußtſein gelangten Verſuch gemacht, eine
ſelbſtändige Sicherheitspolizei aufzuſtellen. Mein Polizeirecht (Verwaltungs-
lehre Bd. 4) iſt durch den Mangel der obigen Unterſcheidungen gleichfalls nicht
klar geworden, und hat daher auch die Stellung der verſchiedenen Polizeiſtraf-
geſetzbücher und ihre Aufgabe nicht verſtanden. Hier iſt alſo noch faſt alles
zu thun. Der Charakter des Verwaltungspolizeirechts in England beruht
darauf, daß die Polizei nur im Namen eines beſtimmten Geſetzes vorgehen
darf; daher gibt im Grunde nur das Parlament Polizeiverfügungen und
Ordnungsſtrafen (Bußen = fees). In Frankreich dagegen beginnt die Polizei
mit ſelbſtändigem Ordnungsſtrafrecht, was auch in Preußen und Oeſter-
reich
gilt. Dagegen haben die ſüddeutſchen Staaten eigene Polizeiſtrafgeſetz-
bücher: Württemberg 1837; Baden 1863; Bayern 1866. Ueber die-
ſelben gibt es vortreffliche Commentare, aber noch keine wiſſenſchaftliche Be-
handlung.

IV.
Das Pflegſchaftsweſen.

Die letzte Aufgabe der inneren Verwaltung des perſönlichen Lebens
tritt nun da ein, wo eines der beiden Momente der Perſönlichkeit, das
phyſiſche Daſein einer Perſon oder die freie Selbſtbeſtimmung fehlt,
und die Perſönlichkeit daher, obwohl vorhanden, nicht fähig iſt zu
funktioniren. Da nun aber dieſe Thätigkeit der einzelnen Perſönlichkeit
ein Theil und Element des Geſammtlebens iſt, ſo muß derſelben die
Fähigkeit zur Funktion wiedergegeben werden, indem das ihr fehlende
Element erſetzt, und ſie dadurch wieder als verkehrsberechtigte Perſön-
lichkeit hergeſtellt wird. Dieß nun kann nicht durch den Einzelnen,
ſondern nur mit allgemeiner Gültigkeit durch die Verwaltung geſchehen;
und die dafür geltenden Grundſätze bilden das Pflegſchaftsweſen.

Die Arten des Pflegſchaftsweſens beruhen demgemäß auf den-
jenigen Elementen der Perſönlichkeit, welches eben erſetzt werden müſſen.
Das Vormundſchaftsweſen hat die Aufgabe den mangelnden ſelb-
ſtändigen Willen ſowohl des Mündels als der Frau zu erſetzen; im
Verlaſſenſchaftsweſen fehlt der wirthſchaftlichen Perſönlichkeit die
phyſiſche und die Verwaltung leitet daher den Proceß des Ueberganges
der Güter an die Erben; in der Maſſenverwaltung (dem Concurs-
weſen) iſt dagegen die rechtliche Scheidung der wirthſchaftlichen und
phyſiſchen Perſönlichkeit eins; der Concurs iſt der wirthſchaftliche Tod
der letzteren und die Verwaltung leitet den Auflöſungsproceß des Ver-
mögens. Das Recht aller drei Arten des Pflegſchaftsweſens iſt daher
zugleich ein öffentliches und ein bürgerliches. Das öffentliche Recht

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[106/0130] dieſer, theils mit der Sicherheitspolizei ſo vollſtändig identificirt, daß der ſelb- ſtändige Begriff damit verloren ging; Mohl hat wieder in der Präventivjuſtiz den erſten, aber nicht zum klaren Bewußtſein gelangten Verſuch gemacht, eine ſelbſtändige Sicherheitspolizei aufzuſtellen. Mein Polizeirecht (Verwaltungs- lehre Bd. 4) iſt durch den Mangel der obigen Unterſcheidungen gleichfalls nicht klar geworden, und hat daher auch die Stellung der verſchiedenen Polizeiſtraf- geſetzbücher und ihre Aufgabe nicht verſtanden. Hier iſt alſo noch faſt alles zu thun. Der Charakter des Verwaltungspolizeirechts in England beruht darauf, daß die Polizei nur im Namen eines beſtimmten Geſetzes vorgehen darf; daher gibt im Grunde nur das Parlament Polizeiverfügungen und Ordnungsſtrafen (Bußen = fees). In Frankreich dagegen beginnt die Polizei mit ſelbſtändigem Ordnungsſtrafrecht, was auch in Preußen und Oeſter- reich gilt. Dagegen haben die ſüddeutſchen Staaten eigene Polizeiſtrafgeſetz- bücher: Württemberg 1837; Baden 1863; Bayern 1866. Ueber die- ſelben gibt es vortreffliche Commentare, aber noch keine wiſſenſchaftliche Be- handlung. IV. Das Pflegſchaftsweſen. Die letzte Aufgabe der inneren Verwaltung des perſönlichen Lebens tritt nun da ein, wo eines der beiden Momente der Perſönlichkeit, das phyſiſche Daſein einer Perſon oder die freie Selbſtbeſtimmung fehlt, und die Perſönlichkeit daher, obwohl vorhanden, nicht fähig iſt zu funktioniren. Da nun aber dieſe Thätigkeit der einzelnen Perſönlichkeit ein Theil und Element des Geſammtlebens iſt, ſo muß derſelben die Fähigkeit zur Funktion wiedergegeben werden, indem das ihr fehlende Element erſetzt, und ſie dadurch wieder als verkehrsberechtigte Perſön- lichkeit hergeſtellt wird. Dieß nun kann nicht durch den Einzelnen, ſondern nur mit allgemeiner Gültigkeit durch die Verwaltung geſchehen; und die dafür geltenden Grundſätze bilden das Pflegſchaftsweſen. Die Arten des Pflegſchaftsweſens beruhen demgemäß auf den- jenigen Elementen der Perſönlichkeit, welches eben erſetzt werden müſſen. Das Vormundſchaftsweſen hat die Aufgabe den mangelnden ſelb- ſtändigen Willen ſowohl des Mündels als der Frau zu erſetzen; im Verlaſſenſchaftsweſen fehlt der wirthſchaftlichen Perſönlichkeit die phyſiſche und die Verwaltung leitet daher den Proceß des Ueberganges der Güter an die Erben; in der Maſſenverwaltung (dem Concurs- weſen) iſt dagegen die rechtliche Scheidung der wirthſchaftlichen und phyſiſchen Perſönlichkeit eins; der Concurs iſt der wirthſchaftliche Tod der letzteren und die Verwaltung leitet den Auflöſungsproceß des Ver- mögens. Das Recht aller drei Arten des Pflegſchaftsweſens iſt daher zugleich ein öffentliches und ein bürgerliches. Das öffentliche Recht

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/130>, abgerufen am 25.04.2024.