Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Mangel ist und bleibt dagegen die Unfertigkeit des Verhältnisses der
Universitäten zu den höchsten wirthschaftlichen Bildungsanstalten. Ver-
ständniß und Ordnung dieses Gebiets wird die Aufgabe der nächsten
Zukunft sein.

b) Die wirthschaftliche Berufsbildung geht zunächst in den
Gewerbeschulen aller Art aus der Volksbildung hervor, erhebt sich
aber im Realschulsystem zum Vorbildungswesen für die Fachbildung,
und diese nun hat hier zwei Grundformen. Die erste ist diejenige,
welche wir die technische nennen müssen und deren Organ die poly-
technischen
Institute sind; die zweite besteht in einer Reihe von
wirthschaftlichen Specialschulen, wie Landwirthschafts-, Handels-,
Bergbau- und anderen höheren Lehranstalten. In diesem Organismus
ist kein fester Abschluß und die Verhältnisse des wirthschaftlichen Lebens
verbieten einen solchen. Die große Frage dieses Fachbildungswesens ist
ohne Zweifel das Verhältniß zu den Universitäten. Sie kann nicht
gelöst werden ohne eine gründliche Organisation der Staatswissenschaft
und der Naturwissenschaft. Wir stehen hier noch auf dem Standpunkt,
daß England das wirthschaftliche Berufsbildungswesen gar nicht kennt,
Frankreich es in seinem viel besprochenen "Bifurcationssystem" in der
Vorbildung zu viel, in der Fachbildung zu wenig mit der wissenschaft-
lichen Bildung in Verbindung gebracht hat, während Deutschland beide
Gebiete formell von oben bis unten sondert und sie nur in der Sache
selbst, zu sehr nur geistig, verbindet. Dennoch ist mit Recht Deutsch-
land das Vorbild, und wird es bleiben.

c) Das künstlerische Berufsbildungswesen hat seine Vorbildung
in doppelter, die Fachbildung in vielfacher Form gefunden. Die Vor-
bildung besteht nämlich theils in der Aufnahme des Zeichnens in die
Gewerbeschulen, theils in selbständigen Vorbildungen der Akademien.
Diese selbst sind dann nur für die bildende Kunst, während Musik
und Tanzfachbildung für sich bestehen. Das Ganze ist für das Ganze
der Berufsbildung noch zu wenig beachtet.

Dieses nun sind die festen Elemente des Systems. Sie gestalten
sich allerdings wesentlich anders bei den verschiedenen Völkern und die
künftige vergleichende Staatswissenschaft hat hier eine eben so große
als schöne Aufgabe.

Bei ungemein reicher Literatur über einzelne Erscheinungen und Fragen
mangelt die einheitliche Auffassung des Berufsbildungswesens sowohl in Be-
ziehung auf Geschichte als auf Systeme. Nachrichten über die alten scholae
bei Vitriar. T. III. V. 35. Erste systematische Anschauung bei Seckendorf,
Teutscher Fürstenstaat 1666. II. 4. Mit dem Ende des achtzehnten Jahrhun-
derts nur noch vom Standpunkte des öffentlichen Rechts behandelt. Streit

Mangel iſt und bleibt dagegen die Unfertigkeit des Verhältniſſes der
Univerſitäten zu den höchſten wirthſchaftlichen Bildungsanſtalten. Ver-
ſtändniß und Ordnung dieſes Gebiets wird die Aufgabe der nächſten
Zukunft ſein.

b) Die wirthſchaftliche Berufsbildung geht zunächſt in den
Gewerbeſchulen aller Art aus der Volksbildung hervor, erhebt ſich
aber im Realſchulſyſtem zum Vorbildungsweſen für die Fachbildung,
und dieſe nun hat hier zwei Grundformen. Die erſte iſt diejenige,
welche wir die techniſche nennen müſſen und deren Organ die poly-
techniſchen
Inſtitute ſind; die zweite beſteht in einer Reihe von
wirthſchaftlichen Specialſchulen, wie Landwirthſchafts-, Handels-,
Bergbau- und anderen höheren Lehranſtalten. In dieſem Organismus
iſt kein feſter Abſchluß und die Verhältniſſe des wirthſchaftlichen Lebens
verbieten einen ſolchen. Die große Frage dieſes Fachbildungsweſens iſt
ohne Zweifel das Verhältniß zu den Univerſitäten. Sie kann nicht
gelöst werden ohne eine gründliche Organiſation der Staatswiſſenſchaft
und der Naturwiſſenſchaft. Wir ſtehen hier noch auf dem Standpunkt,
daß England das wirthſchaftliche Berufsbildungsweſen gar nicht kennt,
Frankreich es in ſeinem viel beſprochenen „Bifurcationsſyſtem“ in der
Vorbildung zu viel, in der Fachbildung zu wenig mit der wiſſenſchaft-
lichen Bildung in Verbindung gebracht hat, während Deutſchland beide
Gebiete formell von oben bis unten ſondert und ſie nur in der Sache
ſelbſt, zu ſehr nur geiſtig, verbindet. Dennoch iſt mit Recht Deutſch-
land das Vorbild, und wird es bleiben.

c) Das künſtleriſche Berufsbildungsweſen hat ſeine Vorbildung
in doppelter, die Fachbildung in vielfacher Form gefunden. Die Vor-
bildung beſteht nämlich theils in der Aufnahme des Zeichnens in die
Gewerbeſchulen, theils in ſelbſtändigen Vorbildungen der Akademien.
Dieſe ſelbſt ſind dann nur für die bildende Kunſt, während Muſik
und Tanzfachbildung für ſich beſtehen. Das Ganze iſt für das Ganze
der Berufsbildung noch zu wenig beachtet.

Dieſes nun ſind die feſten Elemente des Syſtems. Sie geſtalten
ſich allerdings weſentlich anders bei den verſchiedenen Völkern und die
künftige vergleichende Staatswiſſenſchaft hat hier eine eben ſo große
als ſchöne Aufgabe.

Bei ungemein reicher Literatur über einzelne Erſcheinungen und Fragen
mangelt die einheitliche Auffaſſung des Berufsbildungsweſens ſowohl in Be-
ziehung auf Geſchichte als auf Syſteme. Nachrichten über die alten scholae
bei Vitriar. T. III. V. 35. Erſte ſyſtematiſche Anſchauung bei Seckendorf,
Teutſcher Fürſtenſtaat 1666. II. 4. Mit dem Ende des achtzehnten Jahrhun-
derts nur noch vom Standpunkte des öffentlichen Rechts behandelt. Streit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0154" n="130"/>
Mangel i&#x017F;t und bleibt dagegen die Unfertigkeit des Verhältni&#x017F;&#x017F;es der<lb/>
Univer&#x017F;itäten zu den höch&#x017F;ten wirth&#x017F;chaftlichen Bildungsan&#x017F;talten. Ver-<lb/>
&#x017F;tändniß und Ordnung die&#x017F;es Gebiets wird die Aufgabe der näch&#x017F;ten<lb/>
Zukunft &#x017F;ein.</p><lb/>
                  <p><hi rendition="#aq">b</hi>) Die <hi rendition="#g">wirth&#x017F;chaftliche Berufsbildung</hi> geht zunäch&#x017F;t in den<lb/><hi rendition="#g">Gewerbe&#x017F;chulen</hi> aller Art aus der Volksbildung hervor, erhebt &#x017F;ich<lb/>
aber im <hi rendition="#g">Real&#x017F;chul&#x017F;y&#x017F;tem</hi> zum Vorbildungswe&#x017F;en für die Fachbildung,<lb/>
und die&#x017F;e nun hat hier zwei Grundformen. Die er&#x017F;te i&#x017F;t diejenige,<lb/>
welche wir die <hi rendition="#g">techni&#x017F;che</hi> nennen mü&#x017F;&#x017F;en und deren Organ die <hi rendition="#g">poly-<lb/>
techni&#x017F;chen</hi> In&#x017F;titute &#x017F;ind; die zweite be&#x017F;teht in einer Reihe von<lb/>
wirth&#x017F;chaftlichen <hi rendition="#g">Special&#x017F;chulen</hi>, wie Landwirth&#x017F;chafts-, Handels-,<lb/>
Bergbau- und anderen höheren Lehran&#x017F;talten. In die&#x017F;em Organismus<lb/>
i&#x017F;t kein fe&#x017F;ter Ab&#x017F;chluß und die Verhältni&#x017F;&#x017F;e des wirth&#x017F;chaftlichen Lebens<lb/>
verbieten einen &#x017F;olchen. Die große Frage die&#x017F;es Fachbildungswe&#x017F;ens i&#x017F;t<lb/>
ohne Zweifel das Verhältniß zu den Univer&#x017F;itäten. Sie <hi rendition="#g">kann</hi> nicht<lb/>
gelöst werden ohne eine gründliche Organi&#x017F;ation der Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
und der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Wir &#x017F;tehen hier noch auf dem Standpunkt,<lb/>
daß <hi rendition="#g">England</hi> das wirth&#x017F;chaftliche Berufsbildungswe&#x017F;en gar nicht kennt,<lb/>
Frankreich es in &#x017F;einem viel be&#x017F;prochenen &#x201E;Bifurcations&#x017F;y&#x017F;tem&#x201C; in der<lb/>
Vorbildung zu viel, in der Fachbildung zu wenig mit der wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Bildung in Verbindung gebracht hat, während Deut&#x017F;chland beide<lb/>
Gebiete formell von oben bis unten &#x017F;ondert und &#x017F;ie nur in der Sache<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t, zu &#x017F;ehr nur gei&#x017F;tig, verbindet. Dennoch i&#x017F;t mit Recht Deut&#x017F;ch-<lb/>
land das Vorbild, und wird es bleiben.</p><lb/>
                  <p><hi rendition="#aq">c</hi>) Das <hi rendition="#g">kün&#x017F;tleri&#x017F;che</hi> Berufsbildungswe&#x017F;en hat &#x017F;eine Vorbildung<lb/>
in doppelter, die Fachbildung in vielfacher Form gefunden. Die Vor-<lb/>
bildung be&#x017F;teht nämlich theils in der Aufnahme des <hi rendition="#g">Zeichnens</hi> in die<lb/>
Gewerbe&#x017F;chulen, theils in &#x017F;elb&#x017F;tändigen Vorbildungen der <hi rendition="#g">Akademien</hi>.<lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ind dann nur für die bildende Kun&#x017F;t, während Mu&#x017F;ik<lb/>
und Tanzfachbildung für &#x017F;ich be&#x017F;tehen. Das Ganze i&#x017F;t für das Ganze<lb/>
der Berufsbildung noch zu wenig beachtet.</p><lb/>
                  <p>Die&#x017F;es nun &#x017F;ind die fe&#x017F;ten Elemente des Sy&#x017F;tems. Sie ge&#x017F;talten<lb/>
&#x017F;ich allerdings we&#x017F;entlich anders bei den ver&#x017F;chiedenen Völkern und die<lb/>
künftige vergleichende Staatswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft hat hier eine eben &#x017F;o große<lb/>
als &#x017F;chöne Aufgabe.</p><lb/>
                  <p>Bei ungemein reicher Literatur über einzelne Er&#x017F;cheinungen und Fragen<lb/>
mangelt die einheitliche Auffa&#x017F;&#x017F;ung des Berufsbildungswe&#x017F;ens &#x017F;owohl in Be-<lb/>
ziehung auf Ge&#x017F;chichte als auf Sy&#x017F;teme. Nachrichten über die alten <hi rendition="#aq">scholae</hi><lb/>
bei <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Vitriar</hi>. T. III. V.</hi> 35. Er&#x017F;te &#x017F;y&#x017F;temati&#x017F;che An&#x017F;chauung bei <hi rendition="#g">Seckendorf</hi>,<lb/>
Teut&#x017F;cher Für&#x017F;ten&#x017F;taat 1666. <hi rendition="#aq">II.</hi> 4. Mit dem Ende des achtzehnten Jahrhun-<lb/>
derts nur noch vom Standpunkte des öffentlichen Rechts behandelt. Streit<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0154] Mangel iſt und bleibt dagegen die Unfertigkeit des Verhältniſſes der Univerſitäten zu den höchſten wirthſchaftlichen Bildungsanſtalten. Ver- ſtändniß und Ordnung dieſes Gebiets wird die Aufgabe der nächſten Zukunft ſein. b) Die wirthſchaftliche Berufsbildung geht zunächſt in den Gewerbeſchulen aller Art aus der Volksbildung hervor, erhebt ſich aber im Realſchulſyſtem zum Vorbildungsweſen für die Fachbildung, und dieſe nun hat hier zwei Grundformen. Die erſte iſt diejenige, welche wir die techniſche nennen müſſen und deren Organ die poly- techniſchen Inſtitute ſind; die zweite beſteht in einer Reihe von wirthſchaftlichen Specialſchulen, wie Landwirthſchafts-, Handels-, Bergbau- und anderen höheren Lehranſtalten. In dieſem Organismus iſt kein feſter Abſchluß und die Verhältniſſe des wirthſchaftlichen Lebens verbieten einen ſolchen. Die große Frage dieſes Fachbildungsweſens iſt ohne Zweifel das Verhältniß zu den Univerſitäten. Sie kann nicht gelöst werden ohne eine gründliche Organiſation der Staatswiſſenſchaft und der Naturwiſſenſchaft. Wir ſtehen hier noch auf dem Standpunkt, daß England das wirthſchaftliche Berufsbildungsweſen gar nicht kennt, Frankreich es in ſeinem viel beſprochenen „Bifurcationsſyſtem“ in der Vorbildung zu viel, in der Fachbildung zu wenig mit der wiſſenſchaft- lichen Bildung in Verbindung gebracht hat, während Deutſchland beide Gebiete formell von oben bis unten ſondert und ſie nur in der Sache ſelbſt, zu ſehr nur geiſtig, verbindet. Dennoch iſt mit Recht Deutſch- land das Vorbild, und wird es bleiben. c) Das künſtleriſche Berufsbildungsweſen hat ſeine Vorbildung in doppelter, die Fachbildung in vielfacher Form gefunden. Die Vor- bildung beſteht nämlich theils in der Aufnahme des Zeichnens in die Gewerbeſchulen, theils in ſelbſtändigen Vorbildungen der Akademien. Dieſe ſelbſt ſind dann nur für die bildende Kunſt, während Muſik und Tanzfachbildung für ſich beſtehen. Das Ganze iſt für das Ganze der Berufsbildung noch zu wenig beachtet. Dieſes nun ſind die feſten Elemente des Syſtems. Sie geſtalten ſich allerdings weſentlich anders bei den verſchiedenen Völkern und die künftige vergleichende Staatswiſſenſchaft hat hier eine eben ſo große als ſchöne Aufgabe. Bei ungemein reicher Literatur über einzelne Erſcheinungen und Fragen mangelt die einheitliche Auffaſſung des Berufsbildungsweſens ſowohl in Be- ziehung auf Geſchichte als auf Syſteme. Nachrichten über die alten scholae bei Vitriar. T. III. V. 35. Erſte ſyſtematiſche Anſchauung bei Seckendorf, Teutſcher Fürſtenſtaat 1666. II. 4. Mit dem Ende des achtzehnten Jahrhun- derts nur noch vom Standpunkte des öffentlichen Rechts behandelt. Streit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/154
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/154>, abgerufen am 23.04.2024.