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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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III. Das Staatsnothrecht.

Das Staatsnothrecht -- wohl zu unterscheiden von der Noth-
verordnung -- tritt da ein, wo aus irgend einem plötzlich eintretenden
und vorübergehenden Grunde der Staat den vorübergehenden Gebrauch
eines Besitzes in Anspruch nimmt, oder den Einzelnen zu einer nicht
dauernden Leistung zwingen muß. Es unterscheidet sich von der Ent-
eignung dadurch, daß es sich dabei zuerst nur um das Eigenthum
handelt, und daß zweitens die einfache Verfügung der Behörde das-
selbe eintreten lassen kann, während das Entschädigungsverfahren erst
später folgt, wenn es nicht von kurzer Hand abgemacht wird. Die
Hauptanwendung ist das militärische Nothrecht des Krieges; für den
friedlichen Dienst sollte es gesetzlich geordnet sein; es kann auch in
andern Fällen (Wasser-, Feuersnoth etc.) eintreten und ist daher wesent-
lich anderer Natur als die Entlastungen und Enteignungen. So wie
aber eine dauernde Entziehung des Gebrauches erforderlich wird, soll
statt desselben die Enteignung mit ihren Grundsätzen eintreten.

Ueber die unklare Stellung desselben, Verhältniß zum alten Jus eminens und
Verwechslung mit dem Nothverordnungsrecht Stein, Entwährung S. 342--344.

Zweites Gebiet. Die Verwaltung und die Elemente.
Begriff und Wesen.

Das ganze physische und wirthschaftliche Leben des Menschen ist
ein beständiger Kampf mit den elementaren Kräften. Allerdings ge-
horchen sie dem Verständigen und Thätigen; allein theils werden sie
eine übermächtige Gefahr, wenn sie ihre wirthschaftlichen Gränzen durch-
brechen, theils sind sie in Kraft und Macht zu umfassend, als daß der
Einzelne sie ganz dienstbar machen könnte, theils endlich kann auch die
größte Vorsicht sie nicht ganz bändigen; sie greifen vernichtend in das
Einzelleben hinein und der Schaden, den sie bringen, wird zu einer
regelmäßigen Erscheinung im wirthschaftlichen Leben. Hier muß daher
die Kraft der menschlichen Gemeinschaft der Kraft der Natur entgegen-
gestellt werden. Dieselbe erscheint zunächst als Polizei derselben, speciell
in der Feuerpolizei; dann als rechtliche Ordnung ihrer Benutzung
im Wasserrecht und endlich als Organisirung des Ersatzes für den
Elementarschaden in der Schadenversicherung. Die Gesammtheit
dieser Thätigkeiten der Verwaltung gegenüber den Elementen nennen
wir die Elementar-Verwaltung; sie ist die Verwaltung im Kampfe
mit dem natürlichen Dasein, seinen Kräften und seinen Bewegungen.

Es liegt nun in der Natur der Sache, daß der Organismus
dieser Verwaltung stets zuerst ein rein örtlicher ist und daher anfangs

III. Das Staatsnothrecht.

Das Staatsnothrecht — wohl zu unterſcheiden von der Noth-
verordnung — tritt da ein, wo aus irgend einem plötzlich eintretenden
und vorübergehenden Grunde der Staat den vorübergehenden Gebrauch
eines Beſitzes in Anſpruch nimmt, oder den Einzelnen zu einer nicht
dauernden Leiſtung zwingen muß. Es unterſcheidet ſich von der Ent-
eignung dadurch, daß es ſich dabei zuerſt nur um das Eigenthum
handelt, und daß zweitens die einfache Verfügung der Behörde daſ-
ſelbe eintreten laſſen kann, während das Entſchädigungsverfahren erſt
ſpäter folgt, wenn es nicht von kurzer Hand abgemacht wird. Die
Hauptanwendung iſt das militäriſche Nothrecht des Krieges; für den
friedlichen Dienſt ſollte es geſetzlich geordnet ſein; es kann auch in
andern Fällen (Waſſer-, Feuersnoth ꝛc.) eintreten und iſt daher weſent-
lich anderer Natur als die Entlaſtungen und Enteignungen. So wie
aber eine dauernde Entziehung des Gebrauches erforderlich wird, ſoll
ſtatt deſſelben die Enteignung mit ihren Grundſätzen eintreten.

Ueber die unklare Stellung deſſelben, Verhältniß zum alten Jus eminens und
Verwechslung mit dem Nothverordnungsrecht Stein, Entwährung S. 342—344.

Zweites Gebiet. Die Verwaltung und die Elemente.
Begriff und Weſen.

Das ganze phyſiſche und wirthſchaftliche Leben des Menſchen iſt
ein beſtändiger Kampf mit den elementaren Kräften. Allerdings ge-
horchen ſie dem Verſtändigen und Thätigen; allein theils werden ſie
eine übermächtige Gefahr, wenn ſie ihre wirthſchaftlichen Gränzen durch-
brechen, theils ſind ſie in Kraft und Macht zu umfaſſend, als daß der
Einzelne ſie ganz dienſtbar machen könnte, theils endlich kann auch die
größte Vorſicht ſie nicht ganz bändigen; ſie greifen vernichtend in das
Einzelleben hinein und der Schaden, den ſie bringen, wird zu einer
regelmäßigen Erſcheinung im wirthſchaftlichen Leben. Hier muß daher
die Kraft der menſchlichen Gemeinſchaft der Kraft der Natur entgegen-
geſtellt werden. Dieſelbe erſcheint zunächſt als Polizei derſelben, ſpeciell
in der Feuerpolizei; dann als rechtliche Ordnung ihrer Benutzung
im Waſſerrecht und endlich als Organiſirung des Erſatzes für den
Elementarſchaden in der Schadenverſicherung. Die Geſammtheit
dieſer Thätigkeiten der Verwaltung gegenüber den Elementen nennen
wir die Elementar-Verwaltung; ſie iſt die Verwaltung im Kampfe
mit dem natürlichen Daſein, ſeinen Kräften und ſeinen Bewegungen.

Es liegt nun in der Natur der Sache, daß der Organismus
dieſer Verwaltung ſtets zuerſt ein rein örtlicher iſt und daher anfangs

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[150/0174] III. Das Staatsnothrecht. Das Staatsnothrecht — wohl zu unterſcheiden von der Noth- verordnung — tritt da ein, wo aus irgend einem plötzlich eintretenden und vorübergehenden Grunde der Staat den vorübergehenden Gebrauch eines Beſitzes in Anſpruch nimmt, oder den Einzelnen zu einer nicht dauernden Leiſtung zwingen muß. Es unterſcheidet ſich von der Ent- eignung dadurch, daß es ſich dabei zuerſt nur um das Eigenthum handelt, und daß zweitens die einfache Verfügung der Behörde daſ- ſelbe eintreten laſſen kann, während das Entſchädigungsverfahren erſt ſpäter folgt, wenn es nicht von kurzer Hand abgemacht wird. Die Hauptanwendung iſt das militäriſche Nothrecht des Krieges; für den friedlichen Dienſt ſollte es geſetzlich geordnet ſein; es kann auch in andern Fällen (Waſſer-, Feuersnoth ꝛc.) eintreten und iſt daher weſent- lich anderer Natur als die Entlaſtungen und Enteignungen. So wie aber eine dauernde Entziehung des Gebrauches erforderlich wird, ſoll ſtatt deſſelben die Enteignung mit ihren Grundſätzen eintreten. Ueber die unklare Stellung deſſelben, Verhältniß zum alten Jus eminens und Verwechslung mit dem Nothverordnungsrecht Stein, Entwährung S. 342—344. Zweites Gebiet. Die Verwaltung und die Elemente. Begriff und Weſen. Das ganze phyſiſche und wirthſchaftliche Leben des Menſchen iſt ein beſtändiger Kampf mit den elementaren Kräften. Allerdings ge- horchen ſie dem Verſtändigen und Thätigen; allein theils werden ſie eine übermächtige Gefahr, wenn ſie ihre wirthſchaftlichen Gränzen durch- brechen, theils ſind ſie in Kraft und Macht zu umfaſſend, als daß der Einzelne ſie ganz dienſtbar machen könnte, theils endlich kann auch die größte Vorſicht ſie nicht ganz bändigen; ſie greifen vernichtend in das Einzelleben hinein und der Schaden, den ſie bringen, wird zu einer regelmäßigen Erſcheinung im wirthſchaftlichen Leben. Hier muß daher die Kraft der menſchlichen Gemeinſchaft der Kraft der Natur entgegen- geſtellt werden. Dieſelbe erſcheint zunächſt als Polizei derſelben, ſpeciell in der Feuerpolizei; dann als rechtliche Ordnung ihrer Benutzung im Waſſerrecht und endlich als Organiſirung des Erſatzes für den Elementarſchaden in der Schadenverſicherung. Die Geſammtheit dieſer Thätigkeiten der Verwaltung gegenüber den Elementen nennen wir die Elementar-Verwaltung; ſie iſt die Verwaltung im Kampfe mit dem natürlichen Daſein, ſeinen Kräften und ſeinen Bewegungen. Es liegt nun in der Natur der Sache, daß der Organismus dieſer Verwaltung ſtets zuerſt ein rein örtlicher iſt und daher anfangs

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/174>, abgerufen am 24.04.2024.