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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Versicherungsgebieten. Ihren Inhalt bildet das öffentliche Recht der
Versicherungen.

Das letztere zerfällt in zwei Haupttheile; das Recht des Ver-
sicherungsvertrages
, und das Recht der Versicherungsver-
waltung
.

I. Der Versicherungsvertrag enthält diejenigen Modifikationen des
allgemeinen Vertragsrechts, welche durch das Wesen der Versicherung
gefordert werden. Der Versicherungsvertrag entbehrt noch jeder Ge-
setzgebung, nur das Seeversicherungswesen hat ihn ausgebildet. Die
Folge ist, daß sich die Versicherungsanstalten ihr Vertragsrecht selber
bilden
theils in ihren Statuten, theils in den Policen. Das ist ein
wesentlicher Mangel unseres Rechtslebens.

II. Die Versicherungsverwaltung umfaßt die Gesammtheit der
Thätigkeiten der Versicherungsanstalten, durch welche sie jene Verträge
einerseits abschließen, andererseits erfüllen. Dem ersten liegt die
Tariflehre zum Grunde, dem zweiten die Lehre von den Reserven.
Die eigentliche Geschäftsführung hat die in beiden enthaltenen
Grundsätze nur zur Ausführung zu bringen.

a) Die Elemente der Tariflehre sind folgende:

Der durch den Versicherungsvertrag (Police) dem Versicherten von
der Gesellschaft zugesicherte Betrag im Falle des vertragsmäßig be-
stimmten Schadens ist das Risico. Die Gesellschaft kann nur dann
ihre Verpflichtungen erfüllen, wenn jeder Versicherte successive einen
Betrag bezahlt, der dem Risico und den Kosten der Gesellschaftsver-
waltung gleichkommt. Dieser von dem Versicherten zu zahlende Be-
trag ist die Prämie, ihre regelmäßige Zahlung die Bedingung des
Rechts auf die versicherte Summe. Die erste Aufgabe der Gesellschaft
ist es daher, die Höhe der Prämien zu bestimmen. Die theoretische
Grundlage ist dafür die Division des Risicos mit der wahrscheinlichen
Zahl der Prämienzahlungen, mit Berücksichtigung der Zinsen der ein-
gezahlten Prämien; das Facit ist die gesuchte Höhe der Prämie. Die
Schwierigkeit besteht demnach allein in der Bestimmung dieser wahr-
scheinlichen Zahl. Diese nun ist natürlich für die einzelnen Zweige der
Versicherung (Leben, Feuer, Wasser, Hagel, Vieh, Transport u. s. w.)
sehr verschieden und die Entwicklung dieser Verschiedenheit bildet den
Inhalt der Lehre von den Arten der Versicherung. Allein die allen
gemeinsame Grundlage dafür ist die Eintheilung der Risiken in
Classen. Statistische Erfahrung und richtige Beurtheilung der ein-
zelnen Fälle innerhalb dieser Classen bestimmen dann das System der
Classenprämien, und diese Höhe ergibt den Prämientarif, den
die Gesellschaft ihrem Geschäfte zum Grunde legt.

Verſicherungsgebieten. Ihren Inhalt bildet das öffentliche Recht der
Verſicherungen.

Das letztere zerfällt in zwei Haupttheile; das Recht des Ver-
ſicherungsvertrages
, und das Recht der Verſicherungsver-
waltung
.

I. Der Verſicherungsvertrag enthält diejenigen Modifikationen des
allgemeinen Vertragsrechts, welche durch das Weſen der Verſicherung
gefordert werden. Der Verſicherungsvertrag entbehrt noch jeder Ge-
ſetzgebung, nur das Seeverſicherungsweſen hat ihn ausgebildet. Die
Folge iſt, daß ſich die Verſicherungsanſtalten ihr Vertragsrecht ſelber
bilden
theils in ihren Statuten, theils in den Policen. Das iſt ein
weſentlicher Mangel unſeres Rechtslebens.

II. Die Verſicherungsverwaltung umfaßt die Geſammtheit der
Thätigkeiten der Verſicherungsanſtalten, durch welche ſie jene Verträge
einerſeits abſchließen, andererſeits erfüllen. Dem erſten liegt die
Tariflehre zum Grunde, dem zweiten die Lehre von den Reſerven.
Die eigentliche Geſchäftsführung hat die in beiden enthaltenen
Grundſätze nur zur Ausführung zu bringen.

a) Die Elemente der Tariflehre ſind folgende:

Der durch den Verſicherungsvertrag (Police) dem Verſicherten von
der Geſellſchaft zugeſicherte Betrag im Falle des vertragsmäßig be-
ſtimmten Schadens iſt das Riſico. Die Geſellſchaft kann nur dann
ihre Verpflichtungen erfüllen, wenn jeder Verſicherte ſucceſſive einen
Betrag bezahlt, der dem Riſico und den Koſten der Geſellſchaftsver-
waltung gleichkommt. Dieſer von dem Verſicherten zu zahlende Be-
trag iſt die Prämie, ihre regelmäßige Zahlung die Bedingung des
Rechts auf die verſicherte Summe. Die erſte Aufgabe der Geſellſchaft
iſt es daher, die Höhe der Prämien zu beſtimmen. Die theoretiſche
Grundlage iſt dafür die Diviſion des Riſicos mit der wahrſcheinlichen
Zahl der Prämienzahlungen, mit Berückſichtigung der Zinſen der ein-
gezahlten Prämien; das Facit iſt die geſuchte Höhe der Prämie. Die
Schwierigkeit beſteht demnach allein in der Beſtimmung dieſer wahr-
ſcheinlichen Zahl. Dieſe nun iſt natürlich für die einzelnen Zweige der
Verſicherung (Leben, Feuer, Waſſer, Hagel, Vieh, Transport u. ſ. w.)
ſehr verſchieden und die Entwicklung dieſer Verſchiedenheit bildet den
Inhalt der Lehre von den Arten der Verſicherung. Allein die allen
gemeinſame Grundlage dafür iſt die Eintheilung der Riſiken in
Claſſen. Statiſtiſche Erfahrung und richtige Beurtheilung der ein-
zelnen Fälle innerhalb dieſer Claſſen beſtimmen dann das Syſtem der
Claſſenprämien, und dieſe Höhe ergibt den Prämientarif, den
die Geſellſchaft ihrem Geſchäfte zum Grunde legt.

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[171/0195] Verſicherungsgebieten. Ihren Inhalt bildet das öffentliche Recht der Verſicherungen. Das letztere zerfällt in zwei Haupttheile; das Recht des Ver- ſicherungsvertrages, und das Recht der Verſicherungsver- waltung. I. Der Verſicherungsvertrag enthält diejenigen Modifikationen des allgemeinen Vertragsrechts, welche durch das Weſen der Verſicherung gefordert werden. Der Verſicherungsvertrag entbehrt noch jeder Ge- ſetzgebung, nur das Seeverſicherungsweſen hat ihn ausgebildet. Die Folge iſt, daß ſich die Verſicherungsanſtalten ihr Vertragsrecht ſelber bilden theils in ihren Statuten, theils in den Policen. Das iſt ein weſentlicher Mangel unſeres Rechtslebens. II. Die Verſicherungsverwaltung umfaßt die Geſammtheit der Thätigkeiten der Verſicherungsanſtalten, durch welche ſie jene Verträge einerſeits abſchließen, andererſeits erfüllen. Dem erſten liegt die Tariflehre zum Grunde, dem zweiten die Lehre von den Reſerven. Die eigentliche Geſchäftsführung hat die in beiden enthaltenen Grundſätze nur zur Ausführung zu bringen. a) Die Elemente der Tariflehre ſind folgende: Der durch den Verſicherungsvertrag (Police) dem Verſicherten von der Geſellſchaft zugeſicherte Betrag im Falle des vertragsmäßig be- ſtimmten Schadens iſt das Riſico. Die Geſellſchaft kann nur dann ihre Verpflichtungen erfüllen, wenn jeder Verſicherte ſucceſſive einen Betrag bezahlt, der dem Riſico und den Koſten der Geſellſchaftsver- waltung gleichkommt. Dieſer von dem Verſicherten zu zahlende Be- trag iſt die Prämie, ihre regelmäßige Zahlung die Bedingung des Rechts auf die verſicherte Summe. Die erſte Aufgabe der Geſellſchaft iſt es daher, die Höhe der Prämien zu beſtimmen. Die theoretiſche Grundlage iſt dafür die Diviſion des Riſicos mit der wahrſcheinlichen Zahl der Prämienzahlungen, mit Berückſichtigung der Zinſen der ein- gezahlten Prämien; das Facit iſt die geſuchte Höhe der Prämie. Die Schwierigkeit beſteht demnach allein in der Beſtimmung dieſer wahr- ſcheinlichen Zahl. Dieſe nun iſt natürlich für die einzelnen Zweige der Verſicherung (Leben, Feuer, Waſſer, Hagel, Vieh, Transport u. ſ. w.) ſehr verſchieden und die Entwicklung dieſer Verſchiedenheit bildet den Inhalt der Lehre von den Arten der Verſicherung. Allein die allen gemeinſame Grundlage dafür iſt die Eintheilung der Riſiken in Claſſen. Statiſtiſche Erfahrung und richtige Beurtheilung der ein- zelnen Fälle innerhalb dieſer Claſſen beſtimmen dann das Syſtem der Claſſenprämien, und dieſe Höhe ergibt den Prämientarif, den die Geſellſchaft ihrem Geſchäfte zum Grunde legt.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/195>, abgerufen am 24.04.2024.