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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Ausführung, und so bildet sich allmählig eine erste, freilich noch un-
zusammenhängende Verwaltung des Verkehrswesens. Allein diese Epoche
kennt noch weder die Einheit desselben, noch die Freiheit, noch das
Princip der Betheiligung des Einzelnen an ihrer Ausführung. Das
nun wird anders in der zweiten Epoche. Mit dem Siege der staats-
bürgerlichen Gesellschaft wird das Verkehrswesen in seiner ganzen Be-
deutung erkannt, als die höchste Bedingung des wirthschaftlichen Fort-
schrittes des Einzelnen; die neue Wissenschaft der freien Nationalökonomie
mit ihrem größten Vertreter, Adam Smith, zeigt die unabweisbare
Nothwendigkeit eines großen und freien Verkehrswesens; die neue Ge-
setzgebung der Volksvertretung schafft ein neues Recht für alle Zweige
desselben und hebt die rechtlichen Hemmnisse und Willkürlichkeiten, die
noch aus der ständischen Epoche übrig blieben, auf; die neue Organi-
sation der Verwaltung in der Regierung erzeugt die Einheit und Gleich-
artigkeit in jedem Gebiete, die Selbstverwaltung gibt den örtlichen
Verhältnissen ihre Berechtigung und das Vereinswesen lernt, die Be-
dürfnisse des Verkehrs zum Gegenstande seiner freien Unternehmungen
zu machen. So wird jetzt das Verkehrswesen ein mächtiges, das ge-
sammte volkswirthschaftliche Leben umfassendes Ganze; die alten Be-
griffe des Regals und der Regalsrechte führen nur noch ein Schein-
leben in der deutschen Rechtslehre fort und an ihre Stelle treten tief-
einschneidende Behandlungen der einzelnen Theile in Princip und
Ausführung; in unserer Zeit ist es kein Zweifel mehr, daß es unter
allen dasjenige Gebiet der Verwaltung ist, auf welchem in unserem
Jahrhundert das Größte geleistet wird, was je in der gesammten Ge-
schichte der Verwaltung der Welt geschehen ist, und das Bewußtsein
ist gewonnen, daß, während bisher der Schwerpunkt der Volkswirth-
schaftspflege in der Sorge für die einzelnen Produktionsarten lag,
von jetzt an derselbe in der Verwaltung des Verkehrswesens
gefunden werden muß
. Das ist der Charakter der gegenwärtigen
Epoche, die in der Frage nach dem Creditwesen bereits den Keim zum
Uebergange in die folgende, zukünftige enthält. Und jetzt bleibt nur
das Eine übrig, die Erkenntniß, daß alle einzelnen Theile desselben
ein Ganzes bilden und daß sie daher auch alle von denselben Principien
beherrscht werden, die wiederum ihrerseits nur der Ausfluß der großen
Elemente der staatsbürgerlichen Gesellschaft sind, und daß jeder der-
selben wie das Ganze sich auf Grundlage der letzteren organisch ent-
wickelt und seine gegenwärtige Gestalt gebildet hat. Jene Principien
aber sind einfach. Die Idee der organischen Einheit des Staatslebens
erzeugt das Princip der Einheit für das System der Verkehrsbedin-
gungen; das Princip der staatsbürgerlichen Gleichheit erzeugt das

Ausführung, und ſo bildet ſich allmählig eine erſte, freilich noch un-
zuſammenhängende Verwaltung des Verkehrsweſens. Allein dieſe Epoche
kennt noch weder die Einheit deſſelben, noch die Freiheit, noch das
Princip der Betheiligung des Einzelnen an ihrer Ausführung. Das
nun wird anders in der zweiten Epoche. Mit dem Siege der ſtaats-
bürgerlichen Geſellſchaft wird das Verkehrsweſen in ſeiner ganzen Be-
deutung erkannt, als die höchſte Bedingung des wirthſchaftlichen Fort-
ſchrittes des Einzelnen; die neue Wiſſenſchaft der freien Nationalökonomie
mit ihrem größten Vertreter, Adam Smith, zeigt die unabweisbare
Nothwendigkeit eines großen und freien Verkehrsweſens; die neue Ge-
ſetzgebung der Volksvertretung ſchafft ein neues Recht für alle Zweige
deſſelben und hebt die rechtlichen Hemmniſſe und Willkürlichkeiten, die
noch aus der ſtändiſchen Epoche übrig blieben, auf; die neue Organi-
ſation der Verwaltung in der Regierung erzeugt die Einheit und Gleich-
artigkeit in jedem Gebiete, die Selbſtverwaltung gibt den örtlichen
Verhältniſſen ihre Berechtigung und das Vereinsweſen lernt, die Be-
dürfniſſe des Verkehrs zum Gegenſtande ſeiner freien Unternehmungen
zu machen. So wird jetzt das Verkehrsweſen ein mächtiges, das ge-
ſammte volkswirthſchaftliche Leben umfaſſendes Ganze; die alten Be-
griffe des Regals und der Regalsrechte führen nur noch ein Schein-
leben in der deutſchen Rechtslehre fort und an ihre Stelle treten tief-
einſchneidende Behandlungen der einzelnen Theile in Princip und
Ausführung; in unſerer Zeit iſt es kein Zweifel mehr, daß es unter
allen dasjenige Gebiet der Verwaltung iſt, auf welchem in unſerem
Jahrhundert das Größte geleiſtet wird, was je in der geſammten Ge-
ſchichte der Verwaltung der Welt geſchehen iſt, und das Bewußtſein
iſt gewonnen, daß, während bisher der Schwerpunkt der Volkswirth-
ſchaftspflege in der Sorge für die einzelnen Produktionsarten lag,
von jetzt an derſelbe in der Verwaltung des Verkehrsweſens
gefunden werden muß
. Das iſt der Charakter der gegenwärtigen
Epoche, die in der Frage nach dem Creditweſen bereits den Keim zum
Uebergange in die folgende, zukünftige enthält. Und jetzt bleibt nur
das Eine übrig, die Erkenntniß, daß alle einzelnen Theile deſſelben
ein Ganzes bilden und daß ſie daher auch alle von denſelben Principien
beherrſcht werden, die wiederum ihrerſeits nur der Ausfluß der großen
Elemente der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſind, und daß jeder der-
ſelben wie das Ganze ſich auf Grundlage der letzteren organiſch ent-
wickelt und ſeine gegenwärtige Geſtalt gebildet hat. Jene Principien
aber ſind einfach. Die Idee der organiſchen Einheit des Staatslebens
erzeugt das Princip der Einheit für das Syſtem der Verkehrsbedin-
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[176/0200] Ausführung, und ſo bildet ſich allmählig eine erſte, freilich noch un- zuſammenhängende Verwaltung des Verkehrsweſens. Allein dieſe Epoche kennt noch weder die Einheit deſſelben, noch die Freiheit, noch das Princip der Betheiligung des Einzelnen an ihrer Ausführung. Das nun wird anders in der zweiten Epoche. Mit dem Siege der ſtaats- bürgerlichen Geſellſchaft wird das Verkehrsweſen in ſeiner ganzen Be- deutung erkannt, als die höchſte Bedingung des wirthſchaftlichen Fort- ſchrittes des Einzelnen; die neue Wiſſenſchaft der freien Nationalökonomie mit ihrem größten Vertreter, Adam Smith, zeigt die unabweisbare Nothwendigkeit eines großen und freien Verkehrsweſens; die neue Ge- ſetzgebung der Volksvertretung ſchafft ein neues Recht für alle Zweige deſſelben und hebt die rechtlichen Hemmniſſe und Willkürlichkeiten, die noch aus der ſtändiſchen Epoche übrig blieben, auf; die neue Organi- ſation der Verwaltung in der Regierung erzeugt die Einheit und Gleich- artigkeit in jedem Gebiete, die Selbſtverwaltung gibt den örtlichen Verhältniſſen ihre Berechtigung und das Vereinsweſen lernt, die Be- dürfniſſe des Verkehrs zum Gegenſtande ſeiner freien Unternehmungen zu machen. So wird jetzt das Verkehrsweſen ein mächtiges, das ge- ſammte volkswirthſchaftliche Leben umfaſſendes Ganze; die alten Be- griffe des Regals und der Regalsrechte führen nur noch ein Schein- leben in der deutſchen Rechtslehre fort und an ihre Stelle treten tief- einſchneidende Behandlungen der einzelnen Theile in Princip und Ausführung; in unſerer Zeit iſt es kein Zweifel mehr, daß es unter allen dasjenige Gebiet der Verwaltung iſt, auf welchem in unſerem Jahrhundert das Größte geleiſtet wird, was je in der geſammten Ge- ſchichte der Verwaltung der Welt geſchehen iſt, und das Bewußtſein iſt gewonnen, daß, während bisher der Schwerpunkt der Volkswirth- ſchaftspflege in der Sorge für die einzelnen Produktionsarten lag, von jetzt an derſelbe in der Verwaltung des Verkehrsweſens gefunden werden muß. Das iſt der Charakter der gegenwärtigen Epoche, die in der Frage nach dem Creditweſen bereits den Keim zum Uebergange in die folgende, zukünftige enthält. Und jetzt bleibt nur das Eine übrig, die Erkenntniß, daß alle einzelnen Theile deſſelben ein Ganzes bilden und daß ſie daher auch alle von denſelben Principien beherrſcht werden, die wiederum ihrerſeits nur der Ausfluß der großen Elemente der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft ſind, und daß jeder der- ſelben wie das Ganze ſich auf Grundlage der letzteren organiſch ent- wickelt und ſeine gegenwärtige Geſtalt gebildet hat. Jene Principien aber ſind einfach. Die Idee der organiſchen Einheit des Staatslebens erzeugt das Princip der Einheit für das Syſtem der Verkehrsbedin- gungen; das Princip der ſtaatsbürgerlichen Gleichheit erzeugt das

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/200>, abgerufen am 24.04.2024.