Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

indem der Uebergang des Eigenthumsrechts nicht mehr von dem Be-
weise eines bestimmten Erwerbsvertrages, sondern wie beim Gelde von
der bloßen Tradition abhängig gemacht, und der Besitz daher mit
dem Eigenthum identificirt
wird. Damit entstehen nun zwei
Grundformen des Werthpapiers: das eigentliche Werthpapier, bei
welchem der Erwerb des Rechts auf den Werth durch einen bestimm-
ten Akt bewiesen werden muß, der im Interesse des Verkehrs sehr
vereinfacht werden kann, aber stets und unbedingt vorhanden sein
muß (Wechsel und Giros in blanco, Papiere auf Inhaber) und das
Inhaberpapier, bei welchem wie beim Gelde der Besitz das Recht
des Eigenthums gibt, bis von Dritten ein Besitzerwerb vi, clam, pre-
cario
bewiesen wird. Die natürliche und für den Verkehr durchaus
nothwendige Consequenz ist, daß auch der unrechte Besitzer dem Dritten
volles Eigenthum überträgt, da das letztere eben durch den Besitz selbst
gegeben ist. Ohne diese strenge Unterscheidung ist es unmöglich, zum
Princip und System des Rechts beider Arten zu gelangen.

Denn wie es jedem Nationalökonomen klar ist, daß im wirth-
schaftlichen Leben die Funktion beider Arten wesentlich verschieden ist,
so ist auch das Recht derselben ein durchaus anderes.

Das Recht der eigentlichen Werthpapiere gehört ohne Zweifel
in das Obligationenrecht, und ist eine ganz bestimmte Form des Ver-
tragsrechts, das zwar im Interesse des Verkehrs Modifikationen an-
nimmt wie beim Wechsel, aber im Princip unbedingt Privatrecht bleibt.
Das Recht der Inhaberpapiere ist dagegen schon in seinem Princip
ein öffentliches Recht, da nur die Verwaltung den Besitz mit dem
Eigenthum im Gesammtinteresse modificiren kann, und das Privatrecht
derselben beschränkt sich daher auf das Erwerbsrecht des Besitzes,
ohne sich um den Unterschied von Besitz und Eigenthum zu kümmern.
Daraus folgt das Rechtssystem beider Arten, dessen Unterschied zugleich
den tiefgehenden des bürgerlichen und des öffentlichen Rechtswesens
zeigt. Seine Hauptmomente sind folgende.

1) Die Ausstellung von eigentlichen Werthpapieren steht jeder-
mann frei, da sie nur dem Einzelverkehr angehören. Die Ausstellung
von Inhaberpapieren dagegen, durch welche der Werth auf den sie
lauten, Inhalt des Gesammtverkehrs wird, kann nur unter Zustim-
mung der Verwaltung geschehen, da der obige Rechtssatz dem Ein-
zelnen die Möglichkeit nimmt, sich auf privatrechtlichem Wege gegen
den Verlust des Werthes dieser Papiere zu schützen. Daher der
Grundsatz der Concession und der Oberaufsicht bei Versicherungsanstalten
und Sparkassen, deren Policen und Bücher jedem Ueberbringer ausge-
zahlt werden. Eine Ausnahme davon bilden diejenigen Inhaberpapiere,

indem der Uebergang des Eigenthumsrechts nicht mehr von dem Be-
weiſe eines beſtimmten Erwerbsvertrages, ſondern wie beim Gelde von
der bloßen Tradition abhängig gemacht, und der Beſitz daher mit
dem Eigenthum identificirt
wird. Damit entſtehen nun zwei
Grundformen des Werthpapiers: das eigentliche Werthpapier, bei
welchem der Erwerb des Rechts auf den Werth durch einen beſtimm-
ten Akt bewieſen werden muß, der im Intereſſe des Verkehrs ſehr
vereinfacht werden kann, aber ſtets und unbedingt vorhanden ſein
muß (Wechſel und Giros in blanco, Papiere auf Inhaber) und das
Inhaberpapier, bei welchem wie beim Gelde der Beſitz das Recht
des Eigenthums gibt, bis von Dritten ein Beſitzerwerb vi, clam, pre-
cario
bewieſen wird. Die natürliche und für den Verkehr durchaus
nothwendige Conſequenz iſt, daß auch der unrechte Beſitzer dem Dritten
volles Eigenthum überträgt, da das letztere eben durch den Beſitz ſelbſt
gegeben iſt. Ohne dieſe ſtrenge Unterſcheidung iſt es unmöglich, zum
Princip und Syſtem des Rechts beider Arten zu gelangen.

Denn wie es jedem Nationalökonomen klar iſt, daß im wirth-
ſchaftlichen Leben die Funktion beider Arten weſentlich verſchieden iſt,
ſo iſt auch das Recht derſelben ein durchaus anderes.

Das Recht der eigentlichen Werthpapiere gehört ohne Zweifel
in das Obligationenrecht, und iſt eine ganz beſtimmte Form des Ver-
tragsrechts, das zwar im Intereſſe des Verkehrs Modifikationen an-
nimmt wie beim Wechſel, aber im Princip unbedingt Privatrecht bleibt.
Das Recht der Inhaberpapiere iſt dagegen ſchon in ſeinem Princip
ein öffentliches Recht, da nur die Verwaltung den Beſitz mit dem
Eigenthum im Geſammtintereſſe modificiren kann, und das Privatrecht
derſelben beſchränkt ſich daher auf das Erwerbsrecht des Beſitzes,
ohne ſich um den Unterſchied von Beſitz und Eigenthum zu kümmern.
Daraus folgt das Rechtsſyſtem beider Arten, deſſen Unterſchied zugleich
den tiefgehenden des bürgerlichen und des öffentlichen Rechtsweſens
zeigt. Seine Hauptmomente ſind folgende.

1) Die Ausſtellung von eigentlichen Werthpapieren ſteht jeder-
mann frei, da ſie nur dem Einzelverkehr angehören. Die Ausſtellung
von Inhaberpapieren dagegen, durch welche der Werth auf den ſie
lauten, Inhalt des Geſammtverkehrs wird, kann nur unter Zuſtim-
mung der Verwaltung geſchehen, da der obige Rechtsſatz dem Ein-
zelnen die Möglichkeit nimmt, ſich auf privatrechtlichem Wege gegen
den Verluſt des Werthes dieſer Papiere zu ſchützen. Daher der
Grundſatz der Conceſſion und der Oberaufſicht bei Verſicherungsanſtalten
und Sparkaſſen, deren Policen und Bücher jedem Ueberbringer ausge-
zahlt werden. Eine Ausnahme davon bilden diejenigen Inhaberpapiere,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0267" n="243"/>
indem der Uebergang des Eigenthumsrechts <hi rendition="#g">nicht</hi> mehr von dem Be-<lb/>
wei&#x017F;e eines be&#x017F;timmten Erwerbsvertrages, &#x017F;ondern wie beim Gelde von<lb/>
der bloßen Tradition abhängig gemacht, und der <hi rendition="#g">Be&#x017F;itz daher mit<lb/>
dem Eigenthum identificirt</hi> wird. Damit ent&#x017F;tehen nun zwei<lb/>
Grundformen des Werthpapiers: das <hi rendition="#g">eigentliche</hi> Werthpapier, bei<lb/>
welchem der Erwerb des <hi rendition="#g">Rechts</hi> auf den Werth durch einen be&#x017F;timm-<lb/>
ten Akt bewie&#x017F;en werden muß, der im Intere&#x017F;&#x017F;e des Verkehrs &#x017F;ehr<lb/>
vereinfacht werden kann, aber <hi rendition="#g">&#x017F;tets</hi> und unbedingt <hi rendition="#g">vorhanden</hi> &#x017F;ein<lb/>
muß (Wech&#x017F;el und Giros <hi rendition="#aq">in blanco,</hi> Papiere auf Inhaber) und das<lb/><hi rendition="#g">Inhaberpapier</hi>, bei welchem wie beim Gelde der Be&#x017F;itz das Recht<lb/>
des Eigenthums gibt, bis von Dritten ein Be&#x017F;itzerwerb <hi rendition="#aq">vi, clam, pre-<lb/>
cario</hi> bewie&#x017F;en wird. Die natürliche und für den Verkehr durchaus<lb/>
nothwendige Con&#x017F;equenz i&#x017F;t, daß auch der unrechte Be&#x017F;itzer dem Dritten<lb/>
volles Eigenthum überträgt, da das letztere eben durch den Be&#x017F;itz &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
gegeben i&#x017F;t. Ohne die&#x017F;e &#x017F;trenge Unter&#x017F;cheidung i&#x017F;t es unmöglich, zum<lb/>
Princip und Sy&#x017F;tem des Rechts beider Arten zu gelangen.</p><lb/>
                    <p>Denn wie es jedem Nationalökonomen klar i&#x017F;t, daß im wirth-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Leben die Funktion beider Arten we&#x017F;entlich ver&#x017F;chieden i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t auch das <hi rendition="#g">Recht</hi> der&#x017F;elben ein durchaus anderes.</p><lb/>
                    <p>Das Recht der <hi rendition="#g">eigentlichen</hi> Werthpapiere gehört ohne Zweifel<lb/>
in das Obligationenrecht, und i&#x017F;t eine ganz be&#x017F;timmte Form des Ver-<lb/>
tragsrechts, das zwar im Intere&#x017F;&#x017F;e des Verkehrs Modifikationen an-<lb/>
nimmt wie beim Wech&#x017F;el, aber im Princip unbedingt Privatrecht bleibt.<lb/>
Das Recht der <hi rendition="#g">Inhaberpapiere</hi> i&#x017F;t dagegen &#x017F;chon in &#x017F;einem Princip<lb/>
ein öffentliches Recht, da nur die Verwaltung den Be&#x017F;itz mit dem<lb/>
Eigenthum im Ge&#x017F;ammtintere&#x017F;&#x017F;e modificiren kann, und das Privatrecht<lb/>
der&#x017F;elben be&#x017F;chränkt &#x017F;ich daher auf das Erwerbsrecht des <hi rendition="#g">Be&#x017F;itzes</hi>,<lb/>
ohne &#x017F;ich um den Unter&#x017F;chied von Be&#x017F;itz und Eigenthum zu kümmern.<lb/>
Daraus folgt das Rechts&#x017F;y&#x017F;tem beider Arten, de&#x017F;&#x017F;en Unter&#x017F;chied zugleich<lb/>
den tiefgehenden des bürgerlichen und des öffentlichen Rechtswe&#x017F;ens<lb/>
zeigt. Seine Hauptmomente &#x017F;ind folgende.</p><lb/>
                    <p>1) Die <hi rendition="#g">Aus&#x017F;tellung</hi> von eigentlichen Werthpapieren &#x017F;teht jeder-<lb/>
mann frei, da &#x017F;ie nur dem Einzelverkehr angehören. Die Aus&#x017F;tellung<lb/>
von Inhaberpapieren dagegen, durch welche der Werth auf den &#x017F;ie<lb/>
lauten, Inhalt des Ge&#x017F;ammtverkehrs wird, kann nur unter Zu&#x017F;tim-<lb/>
mung der Verwaltung ge&#x017F;chehen, da der obige Rechts&#x017F;atz dem Ein-<lb/>
zelnen die Möglichkeit nimmt, &#x017F;ich auf privatrechtlichem Wege gegen<lb/>
den Verlu&#x017F;t des Werthes die&#x017F;er Papiere zu &#x017F;chützen. <hi rendition="#g">Daher</hi> der<lb/>
Grund&#x017F;atz der Conce&#x017F;&#x017F;ion und der Oberauf&#x017F;icht bei Ver&#x017F;icherungsan&#x017F;talten<lb/>
und Sparka&#x017F;&#x017F;en, deren Policen und Bücher jedem Ueberbringer ausge-<lb/>
zahlt werden. Eine Ausnahme davon bilden diejenigen Inhaberpapiere,<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[243/0267] indem der Uebergang des Eigenthumsrechts nicht mehr von dem Be- weiſe eines beſtimmten Erwerbsvertrages, ſondern wie beim Gelde von der bloßen Tradition abhängig gemacht, und der Beſitz daher mit dem Eigenthum identificirt wird. Damit entſtehen nun zwei Grundformen des Werthpapiers: das eigentliche Werthpapier, bei welchem der Erwerb des Rechts auf den Werth durch einen beſtimm- ten Akt bewieſen werden muß, der im Intereſſe des Verkehrs ſehr vereinfacht werden kann, aber ſtets und unbedingt vorhanden ſein muß (Wechſel und Giros in blanco, Papiere auf Inhaber) und das Inhaberpapier, bei welchem wie beim Gelde der Beſitz das Recht des Eigenthums gibt, bis von Dritten ein Beſitzerwerb vi, clam, pre- cario bewieſen wird. Die natürliche und für den Verkehr durchaus nothwendige Conſequenz iſt, daß auch der unrechte Beſitzer dem Dritten volles Eigenthum überträgt, da das letztere eben durch den Beſitz ſelbſt gegeben iſt. Ohne dieſe ſtrenge Unterſcheidung iſt es unmöglich, zum Princip und Syſtem des Rechts beider Arten zu gelangen. Denn wie es jedem Nationalökonomen klar iſt, daß im wirth- ſchaftlichen Leben die Funktion beider Arten weſentlich verſchieden iſt, ſo iſt auch das Recht derſelben ein durchaus anderes. Das Recht der eigentlichen Werthpapiere gehört ohne Zweifel in das Obligationenrecht, und iſt eine ganz beſtimmte Form des Ver- tragsrechts, das zwar im Intereſſe des Verkehrs Modifikationen an- nimmt wie beim Wechſel, aber im Princip unbedingt Privatrecht bleibt. Das Recht der Inhaberpapiere iſt dagegen ſchon in ſeinem Princip ein öffentliches Recht, da nur die Verwaltung den Beſitz mit dem Eigenthum im Geſammtintereſſe modificiren kann, und das Privatrecht derſelben beſchränkt ſich daher auf das Erwerbsrecht des Beſitzes, ohne ſich um den Unterſchied von Beſitz und Eigenthum zu kümmern. Daraus folgt das Rechtsſyſtem beider Arten, deſſen Unterſchied zugleich den tiefgehenden des bürgerlichen und des öffentlichen Rechtsweſens zeigt. Seine Hauptmomente ſind folgende. 1) Die Ausſtellung von eigentlichen Werthpapieren ſteht jeder- mann frei, da ſie nur dem Einzelverkehr angehören. Die Ausſtellung von Inhaberpapieren dagegen, durch welche der Werth auf den ſie lauten, Inhalt des Geſammtverkehrs wird, kann nur unter Zuſtim- mung der Verwaltung geſchehen, da der obige Rechtsſatz dem Ein- zelnen die Möglichkeit nimmt, ſich auf privatrechtlichem Wege gegen den Verluſt des Werthes dieſer Papiere zu ſchützen. Daher der Grundſatz der Conceſſion und der Oberaufſicht bei Verſicherungsanſtalten und Sparkaſſen, deren Policen und Bücher jedem Ueberbringer ausge- zahlt werden. Eine Ausnahme davon bilden diejenigen Inhaberpapiere,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/267
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/267>, abgerufen am 19.04.2024.