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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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ist vielmehr die, auf welchem Punkte, in welchen Formen, und mit
welchem Inhalt es der Verwaltung als Angelegenheit der Gemein-
schaft angehört.

Das wirthschaftliche und das öffentliche Creditwesen.
a) Der Organismus des wirthschaftlichen Creditwesens.

Um nun zum Begriff des öffentlichen Creditwesens zu gelangen,
muß man bei der Natur des wirthschaftlichen Credits beginnen.

Jeder wirkliche Credit ist zunächst ein rein wirthschaftlicher Ver-
kehrsakt, in welchem der Gläubiger ein Capital zur Benutzung hergibt,
während der Schuldner nebst dem Capital den Werth dieser Benutzung
als Zins erstattet. Die Differenz zwischen diesem Werth und dem da-
für als Zins gezahlten Preis ist der Erwerb des Schuldners; der
(arbeitslose) Zins ist der Ertrag des Capitals für den Gläubiger. Der
Verkehrsakt, in welchem dieß festgestellt wird, heißt Darlehen.

Das Darlehen empfängt seine drei Formen nach demjenigen Mo-
ment, in welchem die Zahlungsfähigkeit des Schuldners, das ist also
seine wirthschaftliche Fähigkeit lag, das Capital als Darlehen zu ver-
mehren. Das erste dieser Momente ist die rein persönliche Fähig-
keit der Rückzahlung; sie begründet das persönliche Darlehen. Das
zweite ist die sachliche, durch den Besitz bestimmter Güter gegebene
Fähigkeit; sie begründet das Darlehen auf Pfand. Das dritte ist
die in dem Unternehmen des Schuldners liegende Fähigkeit der
Rückzahlung, und erzeugt das geschäftliche Darlehen. Der Grund-
gedanke des Darlehens ist aber noch immer ein Verkehrs- und Rechts-
verhältniß zwischen den zwei bestimmten Individuen des Gläubigers
und Schuldners. So wie dagegen in der Auffassung beider die Zah-
lungsfähigkeit des Schuldners von der eines Dritten abhängt, der
die Produkte aus dem gedachten Capital von dem Schuldner ge-
liehen hat, und daher dem Schuldner zahlen muß, damit dieser dem
ersten Gläubiger zahlen kann, ändert das einfache Darlehen seinen
Charakter, und wird zum Credit im eigentlichen Sinne. Bei jedem
Darlehen gibt es daher nur Einen Gläubiger, bei jedem Credit da-
gegen mindestens zwei, von denen der eine stets Gläubiger und Schuld-
ner zugleich ist; bei höherer Entwicklung des Geschäftslebens steigt
die Zahl der bei jedem Credit betheiligten Personen; der Credit des
Einen wird zur Bedingung des Credits des Andern, und die Zahlung
des Einen zur Bedingung der Zahlung des Andern; der Credit fängt
an, die Grundlage aller gegenseitigen Leistungen und Zahlungen zu
werden; er durchdringt die ganze Volkswirthschaft; jeder Unternehmer

iſt vielmehr die, auf welchem Punkte, in welchen Formen, und mit
welchem Inhalt es der Verwaltung als Angelegenheit der Gemein-
ſchaft angehört.

Das wirthſchaftliche und das öffentliche Creditweſen.
a) Der Organismus des wirthſchaftlichen Creditweſens.

Um nun zum Begriff des öffentlichen Creditweſens zu gelangen,
muß man bei der Natur des wirthſchaftlichen Credits beginnen.

Jeder wirkliche Credit iſt zunächſt ein rein wirthſchaftlicher Ver-
kehrsakt, in welchem der Gläubiger ein Capital zur Benutzung hergibt,
während der Schuldner nebſt dem Capital den Werth dieſer Benutzung
als Zins erſtattet. Die Differenz zwiſchen dieſem Werth und dem da-
für als Zins gezahlten Preis iſt der Erwerb des Schuldners; der
(arbeitsloſe) Zins iſt der Ertrag des Capitals für den Gläubiger. Der
Verkehrsakt, in welchem dieß feſtgeſtellt wird, heißt Darlehen.

Das Darlehen empfängt ſeine drei Formen nach demjenigen Mo-
ment, in welchem die Zahlungsfähigkeit des Schuldners, das iſt alſo
ſeine wirthſchaftliche Fähigkeit lag, das Capital als Darlehen zu ver-
mehren. Das erſte dieſer Momente iſt die rein perſönliche Fähig-
keit der Rückzahlung; ſie begründet das perſönliche Darlehen. Das
zweite iſt die ſachliche, durch den Beſitz beſtimmter Güter gegebene
Fähigkeit; ſie begründet das Darlehen auf Pfand. Das dritte iſt
die in dem Unternehmen des Schuldners liegende Fähigkeit der
Rückzahlung, und erzeugt das geſchäftliche Darlehen. Der Grund-
gedanke des Darlehens iſt aber noch immer ein Verkehrs- und Rechts-
verhältniß zwiſchen den zwei beſtimmten Individuen des Gläubigers
und Schuldners. So wie dagegen in der Auffaſſung beider die Zah-
lungsfähigkeit des Schuldners von der eines Dritten abhängt, der
die Produkte aus dem gedachten Capital von dem Schuldner ge-
liehen hat, und daher dem Schuldner zahlen muß, damit dieſer dem
erſten Gläubiger zahlen kann, ändert das einfache Darlehen ſeinen
Charakter, und wird zum Credit im eigentlichen Sinne. Bei jedem
Darlehen gibt es daher nur Einen Gläubiger, bei jedem Credit da-
gegen mindeſtens zwei, von denen der eine ſtets Gläubiger und Schuld-
ner zugleich iſt; bei höherer Entwicklung des Geſchäftslebens ſteigt
die Zahl der bei jedem Credit betheiligten Perſonen; der Credit des
Einen wird zur Bedingung des Credits des Andern, und die Zahlung
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[246/0270] iſt vielmehr die, auf welchem Punkte, in welchen Formen, und mit welchem Inhalt es der Verwaltung als Angelegenheit der Gemein- ſchaft angehört. Das wirthſchaftliche und das öffentliche Creditweſen. a) Der Organismus des wirthſchaftlichen Creditweſens. Um nun zum Begriff des öffentlichen Creditweſens zu gelangen, muß man bei der Natur des wirthſchaftlichen Credits beginnen. Jeder wirkliche Credit iſt zunächſt ein rein wirthſchaftlicher Ver- kehrsakt, in welchem der Gläubiger ein Capital zur Benutzung hergibt, während der Schuldner nebſt dem Capital den Werth dieſer Benutzung als Zins erſtattet. Die Differenz zwiſchen dieſem Werth und dem da- für als Zins gezahlten Preis iſt der Erwerb des Schuldners; der (arbeitsloſe) Zins iſt der Ertrag des Capitals für den Gläubiger. Der Verkehrsakt, in welchem dieß feſtgeſtellt wird, heißt Darlehen. Das Darlehen empfängt ſeine drei Formen nach demjenigen Mo- ment, in welchem die Zahlungsfähigkeit des Schuldners, das iſt alſo ſeine wirthſchaftliche Fähigkeit lag, das Capital als Darlehen zu ver- mehren. Das erſte dieſer Momente iſt die rein perſönliche Fähig- keit der Rückzahlung; ſie begründet das perſönliche Darlehen. Das zweite iſt die ſachliche, durch den Beſitz beſtimmter Güter gegebene Fähigkeit; ſie begründet das Darlehen auf Pfand. Das dritte iſt die in dem Unternehmen des Schuldners liegende Fähigkeit der Rückzahlung, und erzeugt das geſchäftliche Darlehen. Der Grund- gedanke des Darlehens iſt aber noch immer ein Verkehrs- und Rechts- verhältniß zwiſchen den zwei beſtimmten Individuen des Gläubigers und Schuldners. So wie dagegen in der Auffaſſung beider die Zah- lungsfähigkeit des Schuldners von der eines Dritten abhängt, der die Produkte aus dem gedachten Capital von dem Schuldner ge- liehen hat, und daher dem Schuldner zahlen muß, damit dieſer dem erſten Gläubiger zahlen kann, ändert das einfache Darlehen ſeinen Charakter, und wird zum Credit im eigentlichen Sinne. Bei jedem Darlehen gibt es daher nur Einen Gläubiger, bei jedem Credit da- gegen mindeſtens zwei, von denen der eine ſtets Gläubiger und Schuld- ner zugleich iſt; bei höherer Entwicklung des Geſchäftslebens ſteigt die Zahl der bei jedem Credit betheiligten Perſonen; der Credit des Einen wird zur Bedingung des Credits des Andern, und die Zahlung des Einen zur Bedingung der Zahlung des Andern; der Credit fängt an, die Grundlage aller gegenſeitigen Leiſtungen und Zahlungen zu werden; er durchdringt die ganze Volkswirthſchaft; jeder Unternehmer

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/270>, abgerufen am 23.04.2024.