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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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50ger Jahre in Frankreich zu dem System des socialen Creditwesens ausge-
bildet worden, auf Grundlage dessen Hildebrand, Nationalökonomie der
Zukunft I. 276 geistreich den Charakter der kommenden Volkswirthschaft als
Creditwirthschaft gegenüber der gegenwärtigen "Geldwirthschaft" bezeichnet.
Roscher I. 90.

c) Elemente der Geschichte der Organisation des Credits.

Auch die Geschichte des Credits zeigt uns, wie die übrigen Ge-
biete der Verwaltung, daß es nicht das wirthschaftliche, sondern das
gesellschaftliche Element ist, welche dieselbe bestimmt.

Im Darlehen wie im Credit ist es das gewerbliche, und daher
freie, aus der persönlichen Thätigkeit erzeugte Capital, welches in Be-
wegung ist. Die Selbstthätigkeit und Freiheit des Einzelnen aber,
wirthschaftlich ausgedrückt in seinem Capital, ist das Princip der
staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung gegenüber der Geschlechter- und
Ständeordnung, die auf erblichem Grundbesitz und Vorrecht beruhen.
Der Credit wie das Darlehen sind daher zwar immer vorhanden,
allein da alle Verfassung und Verwaltung und mithin auch das, was
sie für den Credit leisten, von der herrschenden Gesellschaftsordnung
bestimmt werden, so ergibt sich als allgemeinste Grundlage für die Ge-
schichte des Creditwesens, daß die Organisation des Credits überhaupt
erst mit dem Siege über staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung auf-
treten kann, dafür aber den wesentlichen Charakter derselben im Ge-
biete der volkswirthschaftlichen Verwaltung bildet.

Die Geschichte des Creditwesens hat daher zwei große Epochen
oder Grundformen.

Das Princip ihrer ersten Epoche, der Zeit der Geschlechter- und
Ständeordnung besteht darin, das Recht des Darlehens so zu bestim-
men, daß es den Besitz und das Vorrecht nicht angreifen kann. Den
Inhalt des Creditwesens dieser Zeit bilden daher wesentlich Beschrän-
kungen
des Rechts der Gläubiger theils in Beziehung auf die Zinsen,
theils in Beziehung auf die Exekution der Forderungen. Soweit bei
beiden nicht die Unterwerfung des Grundbesitzes oder der ständischen
Rechte in Frage kommt, erscheint die Sorge des Staats für den
Creditumlauf in der einfachen Herstellung des zur Einbringung der
Forderungen geeigneten gerichtlichen Verfahrens. Das ist der Stand-
punkt des römischen und gemeinen deutschen Rechts und Processes, und
es ist daher charakteristisch, daß beide den Credit weder als Begriff
noch als Rechtsgebiet kennen, sondern ihn einfach als Obligatio und
Darlehen behandeln. Sie haben sich auch in neuester Zeit unfähig ge-
zeigt, jenen Begriff aufzunehmen. Um das Recht desselben zu schaffen,

50ger Jahre in Frankreich zu dem Syſtem des ſocialen Creditweſens ausge-
bildet worden, auf Grundlage deſſen Hildebrand, Nationalökonomie der
Zukunft I. 276 geiſtreich den Charakter der kommenden Volkswirthſchaft als
Creditwirthſchaft gegenüber der gegenwärtigen „Geldwirthſchaft“ bezeichnet.
Roſcher I. 90.

c) Elemente der Geſchichte der Organiſation des Credits.

Auch die Geſchichte des Credits zeigt uns, wie die übrigen Ge-
biete der Verwaltung, daß es nicht das wirthſchaftliche, ſondern das
geſellſchaftliche Element iſt, welche dieſelbe beſtimmt.

Im Darlehen wie im Credit iſt es das gewerbliche, und daher
freie, aus der perſönlichen Thätigkeit erzeugte Capital, welches in Be-
wegung iſt. Die Selbſtthätigkeit und Freiheit des Einzelnen aber,
wirthſchaftlich ausgedrückt in ſeinem Capital, iſt das Princip der
ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung gegenüber der Geſchlechter- und
Ständeordnung, die auf erblichem Grundbeſitz und Vorrecht beruhen.
Der Credit wie das Darlehen ſind daher zwar immer vorhanden,
allein da alle Verfaſſung und Verwaltung und mithin auch das, was
ſie für den Credit leiſten, von der herrſchenden Geſellſchaftsordnung
beſtimmt werden, ſo ergibt ſich als allgemeinſte Grundlage für die Ge-
ſchichte des Creditweſens, daß die Organiſation des Credits überhaupt
erſt mit dem Siege über ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung auf-
treten kann, dafür aber den weſentlichen Charakter derſelben im Ge-
biete der volkswirthſchaftlichen Verwaltung bildet.

Die Geſchichte des Creditweſens hat daher zwei große Epochen
oder Grundformen.

Das Princip ihrer erſten Epoche, der Zeit der Geſchlechter- und
Ständeordnung beſteht darin, das Recht des Darlehens ſo zu beſtim-
men, daß es den Beſitz und das Vorrecht nicht angreifen kann. Den
Inhalt des Creditweſens dieſer Zeit bilden daher weſentlich Beſchrän-
kungen
des Rechts der Gläubiger theils in Beziehung auf die Zinſen,
theils in Beziehung auf die Exekution der Forderungen. Soweit bei
beiden nicht die Unterwerfung des Grundbeſitzes oder der ſtändiſchen
Rechte in Frage kommt, erſcheint die Sorge des Staats für den
Creditumlauf in der einfachen Herſtellung des zur Einbringung der
Forderungen geeigneten gerichtlichen Verfahrens. Das iſt der Stand-
punkt des römiſchen und gemeinen deutſchen Rechts und Proceſſes, und
es iſt daher charakteriſtiſch, daß beide den Credit weder als Begriff
noch als Rechtsgebiet kennen, ſondern ihn einfach als Obligatio und
Darlehen behandeln. Sie haben ſich auch in neueſter Zeit unfähig ge-
zeigt, jenen Begriff aufzunehmen. Um das Recht deſſelben zu ſchaffen,

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[250/0274] 50ger Jahre in Frankreich zu dem Syſtem des ſocialen Creditweſens ausge- bildet worden, auf Grundlage deſſen Hildebrand, Nationalökonomie der Zukunft I. 276 geiſtreich den Charakter der kommenden Volkswirthſchaft als Creditwirthſchaft gegenüber der gegenwärtigen „Geldwirthſchaft“ bezeichnet. Roſcher I. 90. c) Elemente der Geſchichte der Organiſation des Credits. Auch die Geſchichte des Credits zeigt uns, wie die übrigen Ge- biete der Verwaltung, daß es nicht das wirthſchaftliche, ſondern das geſellſchaftliche Element iſt, welche dieſelbe beſtimmt. Im Darlehen wie im Credit iſt es das gewerbliche, und daher freie, aus der perſönlichen Thätigkeit erzeugte Capital, welches in Be- wegung iſt. Die Selbſtthätigkeit und Freiheit des Einzelnen aber, wirthſchaftlich ausgedrückt in ſeinem Capital, iſt das Princip der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung gegenüber der Geſchlechter- und Ständeordnung, die auf erblichem Grundbeſitz und Vorrecht beruhen. Der Credit wie das Darlehen ſind daher zwar immer vorhanden, allein da alle Verfaſſung und Verwaltung und mithin auch das, was ſie für den Credit leiſten, von der herrſchenden Geſellſchaftsordnung beſtimmt werden, ſo ergibt ſich als allgemeinſte Grundlage für die Ge- ſchichte des Creditweſens, daß die Organiſation des Credits überhaupt erſt mit dem Siege über ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung auf- treten kann, dafür aber den weſentlichen Charakter derſelben im Ge- biete der volkswirthſchaftlichen Verwaltung bildet. Die Geſchichte des Creditweſens hat daher zwei große Epochen oder Grundformen. Das Princip ihrer erſten Epoche, der Zeit der Geſchlechter- und Ständeordnung beſteht darin, das Recht des Darlehens ſo zu beſtim- men, daß es den Beſitz und das Vorrecht nicht angreifen kann. Den Inhalt des Creditweſens dieſer Zeit bilden daher weſentlich Beſchrän- kungen des Rechts der Gläubiger theils in Beziehung auf die Zinſen, theils in Beziehung auf die Exekution der Forderungen. Soweit bei beiden nicht die Unterwerfung des Grundbeſitzes oder der ſtändiſchen Rechte in Frage kommt, erſcheint die Sorge des Staats für den Creditumlauf in der einfachen Herſtellung des zur Einbringung der Forderungen geeigneten gerichtlichen Verfahrens. Das iſt der Stand- punkt des römiſchen und gemeinen deutſchen Rechts und Proceſſes, und es iſt daher charakteriſtiſch, daß beide den Credit weder als Begriff noch als Rechtsgebiet kennen, ſondern ihn einfach als Obligatio und Darlehen behandeln. Sie haben ſich auch in neueſter Zeit unfähig ge- zeigt, jenen Begriff aufzunehmen. Um das Recht deſſelben zu ſchaffen,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/274>, abgerufen am 19.04.2024.