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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Nun sind diese Bedingungen zwar im Allgemeinen leicht klar,
allein es ist keineswegs einfach, sie im Einzelnen in der Art auszu-
führen, daß sie ihren öffentlichen Zweck erreichen, ohne die Freiheit
des individuellen Verkehrs zu beschränken. Es kommt deßhalb darauf
an, sie zuerst in Princip und Begriff zu bezeichnen, und dann sie zu
ihrem elementaren Systeme zu entwickeln.

Wenn dereinst das römische Recht im deutschen Rechtsbewußtsein seine rich-
tige Stellung eingenommen haben wird, wird es eine unabweisbare Aufgabe
für das römische Pfandrecht werden, sich und Andern zum Bewußtsein zu
bringen, daß es selbst im Realcredit nur eine höchst beschränkte, wesentlich
historisch interessante Stellung einnimmt, und jeder Rechtslehrer wird damit
beginnen oder damit schließen, daß erst im Grundbuchswesen, welches er weder
im Corpus Juris finden noch ins Römische übersetzen kann, das höhere Recht
des Realcredits liegt; bis dahin muß das Verwaltungsrecht allein ausreichen.

Princip und Begriff des Grundbuchswesens.

Die Gesammtheit aller einzelnen Forderungen, welche der Dar-
lehengeber aufstellen muß, um auf ein Immobile ein Darlehen zu
geben, lassen sich zusammenfassen in dem Begriffe der Sicherheit für
Capital und Zins. Diese Sicherheit liegt nun zwar zuerst in dem
guten Willen des Schuldners und der Gültigkeit des Vertrages, und
für beide haben die Contrahenten zu sorgen. Allein die beiden Haupt-
voraussetzungen der Sicherheit liegen nicht innerhalb des Vertragsrechts.
Diese nun sind die objektive Gewißheit einerseits dafür, daß der
Schuldner auch wirklich Eigenthümer des Pfandes und seines
Werthes sei
, und andererseits dafür, daß durch das Darlehen als
Kauf des Werthes auch dieser Werth wirklich als Eigenthum zu voller
Dispositionsfreiheit dem Gläubiger erworben werde.

Bei genauerer Betrachtung nun lösen sich diese Forderungen wie-
der in ganz bestimmte einzelne Fragen auf. Die Frage nach dem
Eigenthumsrecht des Schuldners enthält zuerst die Frage, wer über-
haupt das Eigenthumsrecht an dem betreffenden Immobile hat; dann
die zweite Frage, welche einzelne Güter diesem Eigenthümer ange-
hören, da das Pfandrecht stets als Eigenthumsrecht nur an einem be-
stimmten Gute bestehen kann, und drittens die Frage, ob überhaupt
auch der Werth vorhanden ist, der durch die Pfandbestellung Eigen-
thum des Gläubigers wird. Die letztere Frage scheidet sich wieder in
die, wie viel von dem überhaupt vorhandenen Werth bereits in das
Eigenthum Dritter übergegangen ist, sei es als Steuern, sei es als
Lasten und Servituten, sei es als Hypothek; und die, wie groß der
Werth des Immobile an sich sei. Die Forderung der Sicherheit des

Nun ſind dieſe Bedingungen zwar im Allgemeinen leicht klar,
allein es iſt keineswegs einfach, ſie im Einzelnen in der Art auszu-
führen, daß ſie ihren öffentlichen Zweck erreichen, ohne die Freiheit
des individuellen Verkehrs zu beſchränken. Es kommt deßhalb darauf
an, ſie zuerſt in Princip und Begriff zu bezeichnen, und dann ſie zu
ihrem elementaren Syſteme zu entwickeln.

Wenn dereinſt das römiſche Recht im deutſchen Rechtsbewußtſein ſeine rich-
tige Stellung eingenommen haben wird, wird es eine unabweisbare Aufgabe
für das römiſche Pfandrecht werden, ſich und Andern zum Bewußtſein zu
bringen, daß es ſelbſt im Realcredit nur eine höchſt beſchränkte, weſentlich
hiſtoriſch intereſſante Stellung einnimmt, und jeder Rechtslehrer wird damit
beginnen oder damit ſchließen, daß erſt im Grundbuchsweſen, welches er weder
im Corpus Juris finden noch ins Römiſche überſetzen kann, das höhere Recht
des Realcredits liegt; bis dahin muß das Verwaltungsrecht allein ausreichen.

Princip und Begriff des Grundbuchsweſens.

Die Geſammtheit aller einzelnen Forderungen, welche der Dar-
lehengeber aufſtellen muß, um auf ein Immobile ein Darlehen zu
geben, laſſen ſich zuſammenfaſſen in dem Begriffe der Sicherheit für
Capital und Zins. Dieſe Sicherheit liegt nun zwar zuerſt in dem
guten Willen des Schuldners und der Gültigkeit des Vertrages, und
für beide haben die Contrahenten zu ſorgen. Allein die beiden Haupt-
vorausſetzungen der Sicherheit liegen nicht innerhalb des Vertragsrechts.
Dieſe nun ſind die objektive Gewißheit einerſeits dafür, daß der
Schuldner auch wirklich Eigenthümer des Pfandes und ſeines
Werthes ſei
, und andererſeits dafür, daß durch das Darlehen als
Kauf des Werthes auch dieſer Werth wirklich als Eigenthum zu voller
Dispoſitionsfreiheit dem Gläubiger erworben werde.

Bei genauerer Betrachtung nun löſen ſich dieſe Forderungen wie-
der in ganz beſtimmte einzelne Fragen auf. Die Frage nach dem
Eigenthumsrecht des Schuldners enthält zuerſt die Frage, wer über-
haupt das Eigenthumsrecht an dem betreffenden Immobile hat; dann
die zweite Frage, welche einzelne Güter dieſem Eigenthümer ange-
hören, da das Pfandrecht ſtets als Eigenthumsrecht nur an einem be-
ſtimmten Gute beſtehen kann, und drittens die Frage, ob überhaupt
auch der Werth vorhanden iſt, der durch die Pfandbeſtellung Eigen-
thum des Gläubigers wird. Die letztere Frage ſcheidet ſich wieder in
die, wie viel von dem überhaupt vorhandenen Werth bereits in das
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[261/0285] Nun ſind dieſe Bedingungen zwar im Allgemeinen leicht klar, allein es iſt keineswegs einfach, ſie im Einzelnen in der Art auszu- führen, daß ſie ihren öffentlichen Zweck erreichen, ohne die Freiheit des individuellen Verkehrs zu beſchränken. Es kommt deßhalb darauf an, ſie zuerſt in Princip und Begriff zu bezeichnen, und dann ſie zu ihrem elementaren Syſteme zu entwickeln. Wenn dereinſt das römiſche Recht im deutſchen Rechtsbewußtſein ſeine rich- tige Stellung eingenommen haben wird, wird es eine unabweisbare Aufgabe für das römiſche Pfandrecht werden, ſich und Andern zum Bewußtſein zu bringen, daß es ſelbſt im Realcredit nur eine höchſt beſchränkte, weſentlich hiſtoriſch intereſſante Stellung einnimmt, und jeder Rechtslehrer wird damit beginnen oder damit ſchließen, daß erſt im Grundbuchsweſen, welches er weder im Corpus Juris finden noch ins Römiſche überſetzen kann, das höhere Recht des Realcredits liegt; bis dahin muß das Verwaltungsrecht allein ausreichen. Princip und Begriff des Grundbuchsweſens. Die Geſammtheit aller einzelnen Forderungen, welche der Dar- lehengeber aufſtellen muß, um auf ein Immobile ein Darlehen zu geben, laſſen ſich zuſammenfaſſen in dem Begriffe der Sicherheit für Capital und Zins. Dieſe Sicherheit liegt nun zwar zuerſt in dem guten Willen des Schuldners und der Gültigkeit des Vertrages, und für beide haben die Contrahenten zu ſorgen. Allein die beiden Haupt- vorausſetzungen der Sicherheit liegen nicht innerhalb des Vertragsrechts. Dieſe nun ſind die objektive Gewißheit einerſeits dafür, daß der Schuldner auch wirklich Eigenthümer des Pfandes und ſeines Werthes ſei, und andererſeits dafür, daß durch das Darlehen als Kauf des Werthes auch dieſer Werth wirklich als Eigenthum zu voller Dispoſitionsfreiheit dem Gläubiger erworben werde. Bei genauerer Betrachtung nun löſen ſich dieſe Forderungen wie- der in ganz beſtimmte einzelne Fragen auf. Die Frage nach dem Eigenthumsrecht des Schuldners enthält zuerſt die Frage, wer über- haupt das Eigenthumsrecht an dem betreffenden Immobile hat; dann die zweite Frage, welche einzelne Güter dieſem Eigenthümer ange- hören, da das Pfandrecht ſtets als Eigenthumsrecht nur an einem be- ſtimmten Gute beſtehen kann, und drittens die Frage, ob überhaupt auch der Werth vorhanden iſt, der durch die Pfandbeſtellung Eigen- thum des Gläubigers wird. Die letztere Frage ſcheidet ſich wieder in die, wie viel von dem überhaupt vorhandenen Werth bereits in das Eigenthum Dritter übergegangen iſt, ſei es als Steuern, ſei es als Laſten und Servituten, ſei es als Hypothek; und die, wie groß der Werth des Immobile an ſich ſei. Die Forderung der Sicherheit des

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/285>, abgerufen am 18.04.2024.