Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

corporative Recht der Erwerbsarten. Sie setzt an seine Stelle theils
das Gefühl und das Bestreben, durch positive Maßregeln alle diese
Gebiete der Volkswirthschaft zu fördern, theils aber glaubt sie auch,
die wahren Bedürfnisse derselben am besten zu kennen, und erschöpft
sich daher in bevormundenden Vorschriften. Um diese zur Geltung zu
bringen, muß sie ihre Berechtigung an die Stelle des corporativen
Rechts setzen; die Form daher ist das Privilegium; und so ist diese
Epoche vor allem die des privilegirten Erwerbsrechts. Der
Charakter desselben ist die Herstellung der Freiheit des Erwerbs im
Einzelnen, dafür aber auch die Beseitigung des Princips der Selbst-
verwaltung. Es ist die Epoche, wo die großen Erwerbsgesetz-
gebungen
aller Art beginnen, wo aber mehr das Streben nach eudä-
monistischer Fürsorge durch die Regierung als die persönliche Tüchtig-
keit und als die Grundlage der ganzen Entwicklung angesehen wird.
So bildet auch hier diese Epoche, die bis in unser Jahrhundert hinein-
reicht, den Uebergang zu der folgenden Epoche.

Die dritte Epoche ist die staatsbürgerliche, welche eine neue
Gestalt auch in dieses Gebiet der Verwaltung bringt. Ihr erstes
großes Princip ist das der individuellen Freiheit, im Erwerbe wie
auf andern Gebieten. Sie setzt daher zuerst an die Stelle der Cor-
porationsrechte und der Privilegien die freie Bestimmung und Aus-
übung jedes Gewerbes. Allein in ihr ist der Staat mit seiner Re-
gierung zugleich der Träger des höchsten allgemeinen Interesses.
In diesem Sinne erkennt er den Werth der möglichsten Entwicklung
aller Erwerbsarten. Daraus entsteht das zweite Princip seiner Thätig-
keit, das Streben, jedem einzelnen Zweige des Erwerbs die besondern
Bedingungen seiner Entwicklung so weit zu geben, als derselbe sie
sich nicht selbst zu schaffen vermag. Eben daraus folgt nun das, was
den Charakter der äußeren Form der volkswirthschaftlichen Verwaltung
in dieser Epoche unserer Gegenwart bildet. Gesetzgebung und Voll-
ziehung theilen sich in die Aufgabe. Die Interessen der Erwerbs-
formen werden der polizeilichen Verordnungsgewalt entzogen und zum
Gegenstand selbständiger Gesetze auf Grundlage selbständiger Freiheit
des Einzelnen. Grundlage ist dabei das Streben, an die Stelle der
früheren Vorschriften über die Produktion ein System von Special-
bildungsanstalten
zu setzen, und die ersten auf die innere Sicher-
heitspolizei zu beschränken. Die eigentliche Regierung ihrerseits bildet
sich für die Vollziehung dieser Aufgabe des Staats jetzt eigene nach den
Haupterwerbsformen organisirte selbständige Ministerien mit eigenen
Sektionen; die Selbständigkeit jener Erwerbsformen aber empfängt
ihren frei arbeitenden Organismus in dem von der corporativen

corporative Recht der Erwerbsarten. Sie ſetzt an ſeine Stelle theils
das Gefühl und das Beſtreben, durch poſitive Maßregeln alle dieſe
Gebiete der Volkswirthſchaft zu fördern, theils aber glaubt ſie auch,
die wahren Bedürfniſſe derſelben am beſten zu kennen, und erſchöpft
ſich daher in bevormundenden Vorſchriften. Um dieſe zur Geltung zu
bringen, muß ſie ihre Berechtigung an die Stelle des corporativen
Rechts ſetzen; die Form daher iſt das Privilegium; und ſo iſt dieſe
Epoche vor allem die des privilegirten Erwerbsrechts. Der
Charakter deſſelben iſt die Herſtellung der Freiheit des Erwerbs im
Einzelnen, dafür aber auch die Beſeitigung des Princips der Selbſt-
verwaltung. Es iſt die Epoche, wo die großen Erwerbsgeſetz-
gebungen
aller Art beginnen, wo aber mehr das Streben nach eudä-
moniſtiſcher Fürſorge durch die Regierung als die perſönliche Tüchtig-
keit und als die Grundlage der ganzen Entwicklung angeſehen wird.
So bildet auch hier dieſe Epoche, die bis in unſer Jahrhundert hinein-
reicht, den Uebergang zu der folgenden Epoche.

Die dritte Epoche iſt die ſtaatsbürgerliche, welche eine neue
Geſtalt auch in dieſes Gebiet der Verwaltung bringt. Ihr erſtes
großes Princip iſt das der individuellen Freiheit, im Erwerbe wie
auf andern Gebieten. Sie ſetzt daher zuerſt an die Stelle der Cor-
porationsrechte und der Privilegien die freie Beſtimmung und Aus-
übung jedes Gewerbes. Allein in ihr iſt der Staat mit ſeiner Re-
gierung zugleich der Träger des höchſten allgemeinen Intereſſes.
In dieſem Sinne erkennt er den Werth der möglichſten Entwicklung
aller Erwerbsarten. Daraus entſteht das zweite Princip ſeiner Thätig-
keit, das Streben, jedem einzelnen Zweige des Erwerbs die beſondern
Bedingungen ſeiner Entwicklung ſo weit zu geben, als derſelbe ſie
ſich nicht ſelbſt zu ſchaffen vermag. Eben daraus folgt nun das, was
den Charakter der äußeren Form der volkswirthſchaftlichen Verwaltung
in dieſer Epoche unſerer Gegenwart bildet. Geſetzgebung und Voll-
ziehung theilen ſich in die Aufgabe. Die Intereſſen der Erwerbs-
formen werden der polizeilichen Verordnungsgewalt entzogen und zum
Gegenſtand ſelbſtändiger Geſetze auf Grundlage ſelbſtändiger Freiheit
des Einzelnen. Grundlage iſt dabei das Streben, an die Stelle der
früheren Vorſchriften über die Produktion ein Syſtem von Special-
bildungsanſtalten
zu ſetzen, und die erſten auf die innere Sicher-
heitspolizei zu beſchränken. Die eigentliche Regierung ihrerſeits bildet
ſich für die Vollziehung dieſer Aufgabe des Staats jetzt eigene nach den
Haupterwerbsformen organiſirte ſelbſtändige Miniſterien mit eigenen
Sektionen; die Selbſtändigkeit jener Erwerbsformen aber empfängt
ihren frei arbeitenden Organismus in dem von der corporativen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0337" n="313"/>
corporative Recht der Erwerbsarten. Sie &#x017F;etzt an &#x017F;eine Stelle theils<lb/>
das Gefühl und das Be&#x017F;treben, durch <hi rendition="#g">po&#x017F;itive</hi> Maßregeln alle die&#x017F;e<lb/>
Gebiete der Volkswirth&#x017F;chaft zu fördern, theils aber glaubt &#x017F;ie auch,<lb/>
die wahren Bedürfni&#x017F;&#x017F;e der&#x017F;elben am be&#x017F;ten zu kennen, und er&#x017F;chöpft<lb/>
&#x017F;ich daher in bevormundenden Vor&#x017F;chriften. Um die&#x017F;e zur Geltung zu<lb/>
bringen, muß &#x017F;ie ihre Berechtigung an die Stelle des corporativen<lb/>
Rechts &#x017F;etzen; die Form daher i&#x017F;t das <hi rendition="#g">Privilegium</hi>; und &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;e<lb/>
Epoche vor allem die des <hi rendition="#g">privilegirten Erwerbsrechts</hi>. Der<lb/>
Charakter de&#x017F;&#x017F;elben i&#x017F;t die Her&#x017F;tellung der Freiheit des Erwerbs im<lb/>
Einzelnen, dafür aber auch die Be&#x017F;eitigung des Princips der Selb&#x017F;t-<lb/>
verwaltung. Es i&#x017F;t die Epoche, wo die großen <hi rendition="#g">Erwerbsge&#x017F;etz-<lb/>
gebungen</hi> aller Art beginnen, wo aber mehr das Streben nach eudä-<lb/>
moni&#x017F;ti&#x017F;cher Für&#x017F;orge durch die Regierung als die per&#x017F;önliche Tüchtig-<lb/>
keit und als die Grundlage der ganzen Entwicklung ange&#x017F;ehen wird.<lb/>
So bildet auch hier die&#x017F;e Epoche, die bis in un&#x017F;er Jahrhundert hinein-<lb/>
reicht, den Uebergang zu der folgenden Epoche.</p><lb/>
              <p>Die dritte Epoche i&#x017F;t die <hi rendition="#g">&#x017F;taatsbürgerliche</hi>, welche eine neue<lb/>
Ge&#x017F;talt auch in die&#x017F;es Gebiet der Verwaltung bringt. Ihr er&#x017F;tes<lb/>
großes Princip i&#x017F;t das der individuellen <hi rendition="#g">Freiheit</hi>, im Erwerbe wie<lb/>
auf andern Gebieten. Sie &#x017F;etzt daher <hi rendition="#g">zuer&#x017F;t</hi> an die Stelle der Cor-<lb/>
porationsrechte und der Privilegien die freie Be&#x017F;timmung und Aus-<lb/>
übung <hi rendition="#g">jedes</hi> Gewerbes. Allein in ihr i&#x017F;t der Staat mit &#x017F;einer Re-<lb/>
gierung zugleich der Träger des höch&#x017F;ten <hi rendition="#g">allgemeinen</hi> Intere&#x017F;&#x017F;es.<lb/>
In die&#x017F;em Sinne erkennt er den Werth der möglich&#x017F;ten Entwicklung<lb/>
aller Erwerbsarten. Daraus ent&#x017F;teht das zweite Princip &#x017F;einer Thätig-<lb/>
keit, das Streben, jedem einzelnen Zweige des Erwerbs die be&#x017F;ondern<lb/>
Bedingungen <hi rendition="#g">&#x017F;einer</hi> Entwicklung &#x017F;o weit zu geben, als der&#x017F;elbe &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;chaffen vermag. Eben daraus folgt nun das, was<lb/>
den Charakter der äußeren Form der volkswirth&#x017F;chaftlichen Verwaltung<lb/>
in die&#x017F;er Epoche un&#x017F;erer Gegenwart bildet. Ge&#x017F;etzgebung und Voll-<lb/>
ziehung <hi rendition="#g">theilen</hi> &#x017F;ich in die Aufgabe. Die Intere&#x017F;&#x017F;en der Erwerbs-<lb/>
formen werden der polizeilichen Verordnungsgewalt entzogen und zum<lb/>
Gegen&#x017F;tand &#x017F;elb&#x017F;tändiger <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etze</hi> auf Grundlage &#x017F;elb&#x017F;tändiger Freiheit<lb/>
des Einzelnen. Grundlage i&#x017F;t dabei das Streben, an die Stelle der<lb/>
früheren Vor&#x017F;chriften über die Produktion ein Sy&#x017F;tem von <hi rendition="#g">Special-<lb/>
bildungsan&#x017F;talten</hi> zu &#x017F;etzen, und die er&#x017F;ten auf die innere Sicher-<lb/>
heitspolizei zu be&#x017F;chränken. Die eigentliche Regierung ihrer&#x017F;eits bildet<lb/>
&#x017F;ich für die Vollziehung die&#x017F;er Aufgabe des Staats jetzt eigene nach den<lb/>
Haupterwerbsformen organi&#x017F;irte &#x017F;elb&#x017F;tändige <hi rendition="#g">Mini&#x017F;terien</hi> mit eigenen<lb/>
Sektionen; die Selb&#x017F;tändigkeit jener Erwerbsformen aber empfängt<lb/>
ihren frei arbeitenden Organismus in dem von der corporativen<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[313/0337] corporative Recht der Erwerbsarten. Sie ſetzt an ſeine Stelle theils das Gefühl und das Beſtreben, durch poſitive Maßregeln alle dieſe Gebiete der Volkswirthſchaft zu fördern, theils aber glaubt ſie auch, die wahren Bedürfniſſe derſelben am beſten zu kennen, und erſchöpft ſich daher in bevormundenden Vorſchriften. Um dieſe zur Geltung zu bringen, muß ſie ihre Berechtigung an die Stelle des corporativen Rechts ſetzen; die Form daher iſt das Privilegium; und ſo iſt dieſe Epoche vor allem die des privilegirten Erwerbsrechts. Der Charakter deſſelben iſt die Herſtellung der Freiheit des Erwerbs im Einzelnen, dafür aber auch die Beſeitigung des Princips der Selbſt- verwaltung. Es iſt die Epoche, wo die großen Erwerbsgeſetz- gebungen aller Art beginnen, wo aber mehr das Streben nach eudä- moniſtiſcher Fürſorge durch die Regierung als die perſönliche Tüchtig- keit und als die Grundlage der ganzen Entwicklung angeſehen wird. So bildet auch hier dieſe Epoche, die bis in unſer Jahrhundert hinein- reicht, den Uebergang zu der folgenden Epoche. Die dritte Epoche iſt die ſtaatsbürgerliche, welche eine neue Geſtalt auch in dieſes Gebiet der Verwaltung bringt. Ihr erſtes großes Princip iſt das der individuellen Freiheit, im Erwerbe wie auf andern Gebieten. Sie ſetzt daher zuerſt an die Stelle der Cor- porationsrechte und der Privilegien die freie Beſtimmung und Aus- übung jedes Gewerbes. Allein in ihr iſt der Staat mit ſeiner Re- gierung zugleich der Träger des höchſten allgemeinen Intereſſes. In dieſem Sinne erkennt er den Werth der möglichſten Entwicklung aller Erwerbsarten. Daraus entſteht das zweite Princip ſeiner Thätig- keit, das Streben, jedem einzelnen Zweige des Erwerbs die beſondern Bedingungen ſeiner Entwicklung ſo weit zu geben, als derſelbe ſie ſich nicht ſelbſt zu ſchaffen vermag. Eben daraus folgt nun das, was den Charakter der äußeren Form der volkswirthſchaftlichen Verwaltung in dieſer Epoche unſerer Gegenwart bildet. Geſetzgebung und Voll- ziehung theilen ſich in die Aufgabe. Die Intereſſen der Erwerbs- formen werden der polizeilichen Verordnungsgewalt entzogen und zum Gegenſtand ſelbſtändiger Geſetze auf Grundlage ſelbſtändiger Freiheit des Einzelnen. Grundlage iſt dabei das Streben, an die Stelle der früheren Vorſchriften über die Produktion ein Syſtem von Special- bildungsanſtalten zu ſetzen, und die erſten auf die innere Sicher- heitspolizei zu beſchränken. Die eigentliche Regierung ihrerſeits bildet ſich für die Vollziehung dieſer Aufgabe des Staats jetzt eigene nach den Haupterwerbsformen organiſirte ſelbſtändige Miniſterien mit eigenen Sektionen; die Selbſtändigkeit jener Erwerbsformen aber empfängt ihren frei arbeitenden Organismus in dem von der corporativen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/337
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/337>, abgerufen am 23.04.2024.