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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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die lebendige Verbindung desselben mit den übrigen Gebieten der Volks-
wirthschaft für das Ganze aufrecht zu halten, gegenüber dem einzelnen
Handelsunternehmen, das stets nun sein eigenes specielles Interesse
vertritt, gleichviel ob es eine Einzelfirma oder eine Gesellschaft ist.

1) Eigentliche Handelspflege.

A. Organismus des Handels. Der Charakter und die Stel-
lung der Organe, welche die Handelspflege enthalten, ist demnach ein
doppelter. Sie sind einerseits dazu bestimmt, den innern Zusammen-
hang des Handels mit den Voraussetzungen aller Blüthe desselben, der
Ordnung und Entwicklung der allgemeinen Volkswirthschaftspflege, und
den Forderungen und Fortschritten der Gewerbe und der Industrie, welche
ihm seine Substanz liefern, zum Bewußtsein und zur Geltung zu
bringen, andererseits die besondern Aufgaben des Handels im Einzelnen
zu vertreten. Es ist demnach wesentlich, die Organe gerade hier nach
ihren Funktionen mehr als nach ihrer Form zu beurtheilen.

Das Handelsministerium hat die Aufgabe, nicht etwa bloß
für den Handel zu sorgen, sondern vielmehr die Bedingungen des
Handels in der gesammten Volkswirthschaft herzustellen. Indem es
das Ministerium der ganzen Volkswirthschaftspflege ist, ist es das
höchste Organ für die harmonische Einheit der Interessen der Volks-
wirthschaft, insofern dieselben in dem Handel ihren Hauptausdruck finden.

Die Selbstverwaltung des Handels ist in den Handels-
kammern
gegeben, die aus demselben Grunde nicht bloß vom Handel,
sondern zugleich von Industrie und Gewerbe gebildet werden.

Das Vereinswesen entwickelt gerade im Handel seine drei
Grundformen; die Gesellschaften im engern Sinne, die stille, offene
und die Commandite, sind vor allem eben Handelsgesellschaften; sie
sind daher auch im Gebiete des Handels viel häufiger, als die Unter-
nehmungsvereine
für denselben, die meist der Industrie angehören;
in den Interessenvereinen dagegen verschmilzt sich wieder das
Handelsinteresse so eng mit dem der Industrie, daß die äußere Schei-
dung nicht mehr aufrecht zu halten ist.

Alle diese Organe nun wirken gleichzeitig. Je weiter aber die
Selbstverwaltung und das Vereinswesen gedeihen, um so bestimmter
empfängt das Handelsministerium seinen Charakter als dasjenige Organ,
welches anstatt positiv einzugreifen, vielmehr die streitenden Interessen
zu versöhnen und die Einheit in der Bewegung des Handels herzu-
stellen hat.

Handelsministerium in England als Board of Trade bloß auf den
Handel beschränkt (Gneist, Englische Verfassungskunde, §. 104--107). -- In

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 24

die lebendige Verbindung deſſelben mit den übrigen Gebieten der Volks-
wirthſchaft für das Ganze aufrecht zu halten, gegenüber dem einzelnen
Handelsunternehmen, das ſtets nun ſein eigenes ſpecielles Intereſſe
vertritt, gleichviel ob es eine Einzelfirma oder eine Geſellſchaft iſt.

1) Eigentliche Handelspflege.

A. Organismus des Handels. Der Charakter und die Stel-
lung der Organe, welche die Handelspflege enthalten, iſt demnach ein
doppelter. Sie ſind einerſeits dazu beſtimmt, den innern Zuſammen-
hang des Handels mit den Vorausſetzungen aller Blüthe deſſelben, der
Ordnung und Entwicklung der allgemeinen Volkswirthſchaftspflege, und
den Forderungen und Fortſchritten der Gewerbe und der Induſtrie, welche
ihm ſeine Subſtanz liefern, zum Bewußtſein und zur Geltung zu
bringen, andererſeits die beſondern Aufgaben des Handels im Einzelnen
zu vertreten. Es iſt demnach weſentlich, die Organe gerade hier nach
ihren Funktionen mehr als nach ihrer Form zu beurtheilen.

Das Handelsminiſterium hat die Aufgabe, nicht etwa bloß
für den Handel zu ſorgen, ſondern vielmehr die Bedingungen des
Handels in der geſammten Volkswirthſchaft herzuſtellen. Indem es
das Miniſterium der ganzen Volkswirthſchaftspflege iſt, iſt es das
höchſte Organ für die harmoniſche Einheit der Intereſſen der Volks-
wirthſchaft, inſofern dieſelben in dem Handel ihren Hauptausdruck finden.

Die Selbſtverwaltung des Handels iſt in den Handels-
kammern
gegeben, die aus demſelben Grunde nicht bloß vom Handel,
ſondern zugleich von Induſtrie und Gewerbe gebildet werden.

Das Vereinsweſen entwickelt gerade im Handel ſeine drei
Grundformen; die Geſellſchaften im engern Sinne, die ſtille, offene
und die Commandite, ſind vor allem eben Handelsgeſellſchaften; ſie
ſind daher auch im Gebiete des Handels viel häufiger, als die Unter-
nehmungsvereine
für denſelben, die meiſt der Induſtrie angehören;
in den Intereſſenvereinen dagegen verſchmilzt ſich wieder das
Handelsintereſſe ſo eng mit dem der Induſtrie, daß die äußere Schei-
dung nicht mehr aufrecht zu halten iſt.

Alle dieſe Organe nun wirken gleichzeitig. Je weiter aber die
Selbſtverwaltung und das Vereinsweſen gedeihen, um ſo beſtimmter
empfängt das Handelsminiſterium ſeinen Charakter als dasjenige Organ,
welches anſtatt poſitiv einzugreifen, vielmehr die ſtreitenden Intereſſen
zu verſöhnen und die Einheit in der Bewegung des Handels herzu-
ſtellen hat.

Handelsminiſterium in England als Board of Trade bloß auf den
Handel beſchränkt (Gneiſt, Engliſche Verfaſſungskunde, §. 104—107). — In

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 24
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[369/0393] die lebendige Verbindung deſſelben mit den übrigen Gebieten der Volks- wirthſchaft für das Ganze aufrecht zu halten, gegenüber dem einzelnen Handelsunternehmen, das ſtets nun ſein eigenes ſpecielles Intereſſe vertritt, gleichviel ob es eine Einzelfirma oder eine Geſellſchaft iſt. 1) Eigentliche Handelspflege. A. Organismus des Handels. Der Charakter und die Stel- lung der Organe, welche die Handelspflege enthalten, iſt demnach ein doppelter. Sie ſind einerſeits dazu beſtimmt, den innern Zuſammen- hang des Handels mit den Vorausſetzungen aller Blüthe deſſelben, der Ordnung und Entwicklung der allgemeinen Volkswirthſchaftspflege, und den Forderungen und Fortſchritten der Gewerbe und der Induſtrie, welche ihm ſeine Subſtanz liefern, zum Bewußtſein und zur Geltung zu bringen, andererſeits die beſondern Aufgaben des Handels im Einzelnen zu vertreten. Es iſt demnach weſentlich, die Organe gerade hier nach ihren Funktionen mehr als nach ihrer Form zu beurtheilen. Das Handelsminiſterium hat die Aufgabe, nicht etwa bloß für den Handel zu ſorgen, ſondern vielmehr die Bedingungen des Handels in der geſammten Volkswirthſchaft herzuſtellen. Indem es das Miniſterium der ganzen Volkswirthſchaftspflege iſt, iſt es das höchſte Organ für die harmoniſche Einheit der Intereſſen der Volks- wirthſchaft, inſofern dieſelben in dem Handel ihren Hauptausdruck finden. Die Selbſtverwaltung des Handels iſt in den Handels- kammern gegeben, die aus demſelben Grunde nicht bloß vom Handel, ſondern zugleich von Induſtrie und Gewerbe gebildet werden. Das Vereinsweſen entwickelt gerade im Handel ſeine drei Grundformen; die Geſellſchaften im engern Sinne, die ſtille, offene und die Commandite, ſind vor allem eben Handelsgeſellſchaften; ſie ſind daher auch im Gebiete des Handels viel häufiger, als die Unter- nehmungsvereine für denſelben, die meiſt der Induſtrie angehören; in den Intereſſenvereinen dagegen verſchmilzt ſich wieder das Handelsintereſſe ſo eng mit dem der Induſtrie, daß die äußere Schei- dung nicht mehr aufrecht zu halten iſt. Alle dieſe Organe nun wirken gleichzeitig. Je weiter aber die Selbſtverwaltung und das Vereinsweſen gedeihen, um ſo beſtimmter empfängt das Handelsminiſterium ſeinen Charakter als dasjenige Organ, welches anſtatt poſitiv einzugreifen, vielmehr die ſtreitenden Intereſſen zu verſöhnen und die Einheit in der Bewegung des Handels herzu- ſtellen hat. Handelsminiſterium in England als Board of Trade bloß auf den Handel beſchränkt (Gneiſt, Engliſche Verfaſſungskunde, §. 104—107). — In Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 24

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/393>, abgerufen am 24.04.2024.