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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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welches sie an ihrem Besitz und der auf ihn beziehenden gesellschaft-
lichen Stellung haben, bringt sie daher unmittelbar dazu, nach dem
Besitze dieser rechtsbildenden Kraft des Staats zu streben. Dieß nun
gelingt aus naheliegenden Gründen stets der höheren Klasse. Es ist
daher ein organisches Gesetz des Staatslebens, daß sich diese höhere
Classe jeder der drei Gesellschaftsordnungen der Staatsgewalt bemächtigt,
und dieselbe benutzt, um das ihren Interessen entsprechende Recht
zum geltenden Recht zu erheben. So wie ihr das erstere gelingt,
entsteht die gesellschaftliche Gesetzgebung und Verwaltung.
Dieselbe beruht darauf, daß der wirkliche Staat zwar in seinen ab-
strakten Elementen aus dem Wesen der Persönlichkeit folgt, daß aber
seine wirkliche Individualität stets aus der in ihm herrschenden
gesellschaftlichen Ordnung
hervorgeht; daß diese stets das ihr
entsprechende
Recht durch Gesetz und Gericht zu geltendem Recht
macht, und damit die ganze Gesellschaftsordnung mit der be-
stehenden Rechtsordnung identificirt
. In diesem Sinne sagen
wir, daß jede Verfassung und Verwaltung eine gesellschaftliche ist,
und daß jedes positive Verfassungs- und Verwaltungsrecht nur aus
den gesellschaftlichen Elementen und Interessen verstanden werden kann,
welche dasselbe gebildet haben. Aus demselben Grunde ergibt sich die
große Thatsache, daß auch jede bürgerliche Gesetzgebung, das ganze
geltende Privatrecht, nichts als die gesellschaftliche Gestalt des reinen
Rechts ist, und daß daher die großen Codifikationen des bürgerlichen
Rechts stets die Folge großer gesellschaftlicher Umgestaltungen sind,
denen sie eben im bürgerlichen Recht ihren Ausdruck verleihen. Von
diesen Gesichtspunkten aus ergibt sich daher eine neue Auffassung des
Rechtslebens, die hier gleichfalls nicht weiter verfolgt werden kann.
Zunächst aber wird diese gesellschaftliche Rechtsbildung sich stets auf
die Ordnung des Besitzes und der Stellung der herrschenden Classe
und ihres Verhältnisses zur beherrschten beziehen, und die Unantast-
barkeit der wirthschaftlichen und geistigen Bedingungen der gesellschaft-
lichen Herrschaft zum Princip des jedesmaligen geltenden Rechts er-
heben; und dieß, auf diese Weise selbständig dastehende Recht der
Gesellschaftsordnungen nennen wir nun im eigentlichen Sinne das
Gesellschaftsrecht.

Es ist nun klar, daß damit auch das Gebiet bezeichnet ist, auf
welchem die eigentliche Thätigkeit der Verwaltung beginnt. Um dieses
aber bestimmter formuliren zu können, muß zuerst das Princip der
Geschichte der Gesellschaft, namentlich in ihrem Verhältniß zum
Staate, bestimmt werden.

welches ſie an ihrem Beſitz und der auf ihn beziehenden geſellſchaft-
lichen Stellung haben, bringt ſie daher unmittelbar dazu, nach dem
Beſitze dieſer rechtsbildenden Kraft des Staats zu ſtreben. Dieß nun
gelingt aus naheliegenden Gründen ſtets der höheren Klaſſe. Es iſt
daher ein organiſches Geſetz des Staatslebens, daß ſich dieſe höhere
Claſſe jeder der drei Geſellſchaftsordnungen der Staatsgewalt bemächtigt,
und dieſelbe benutzt, um das ihren Intereſſen entſprechende Recht
zum geltenden Recht zu erheben. So wie ihr das erſtere gelingt,
entſteht die geſellſchaftliche Geſetzgebung und Verwaltung.
Dieſelbe beruht darauf, daß der wirkliche Staat zwar in ſeinen ab-
ſtrakten Elementen aus dem Weſen der Perſönlichkeit folgt, daß aber
ſeine wirkliche Individualität ſtets aus der in ihm herrſchenden
geſellſchaftlichen Ordnung
hervorgeht; daß dieſe ſtets das ihr
entſprechende
Recht durch Geſetz und Gericht zu geltendem Recht
macht, und damit die ganze Geſellſchaftsordnung mit der be-
ſtehenden Rechtsordnung identificirt
. In dieſem Sinne ſagen
wir, daß jede Verfaſſung und Verwaltung eine geſellſchaftliche iſt,
und daß jedes poſitive Verfaſſungs- und Verwaltungsrecht nur aus
den geſellſchaftlichen Elementen und Intereſſen verſtanden werden kann,
welche daſſelbe gebildet haben. Aus demſelben Grunde ergibt ſich die
große Thatſache, daß auch jede bürgerliche Geſetzgebung, das ganze
geltende Privatrecht, nichts als die geſellſchaftliche Geſtalt des reinen
Rechts iſt, und daß daher die großen Codifikationen des bürgerlichen
Rechts ſtets die Folge großer geſellſchaftlicher Umgeſtaltungen ſind,
denen ſie eben im bürgerlichen Recht ihren Ausdruck verleihen. Von
dieſen Geſichtspunkten aus ergibt ſich daher eine neue Auffaſſung des
Rechtslebens, die hier gleichfalls nicht weiter verfolgt werden kann.
Zunächſt aber wird dieſe geſellſchaftliche Rechtsbildung ſich ſtets auf
die Ordnung des Beſitzes und der Stellung der herrſchenden Claſſe
und ihres Verhältniſſes zur beherrſchten beziehen, und die Unantaſt-
barkeit der wirthſchaftlichen und geiſtigen Bedingungen der geſellſchaft-
lichen Herrſchaft zum Princip des jedesmaligen geltenden Rechts er-
heben; und dieß, auf dieſe Weiſe ſelbſtändig daſtehende Recht der
Geſellſchaftsordnungen nennen wir nun im eigentlichen Sinne das
Geſellſchaftsrecht.

Es iſt nun klar, daß damit auch das Gebiet bezeichnet iſt, auf
welchem die eigentliche Thätigkeit der Verwaltung beginnt. Um dieſes
aber beſtimmter formuliren zu können, muß zuerſt das Princip der
Geſchichte der Geſellſchaft, namentlich in ihrem Verhältniß zum
Staate, beſtimmt werden.

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[397/0421] welches ſie an ihrem Beſitz und der auf ihn beziehenden geſellſchaft- lichen Stellung haben, bringt ſie daher unmittelbar dazu, nach dem Beſitze dieſer rechtsbildenden Kraft des Staats zu ſtreben. Dieß nun gelingt aus naheliegenden Gründen ſtets der höheren Klaſſe. Es iſt daher ein organiſches Geſetz des Staatslebens, daß ſich dieſe höhere Claſſe jeder der drei Geſellſchaftsordnungen der Staatsgewalt bemächtigt, und dieſelbe benutzt, um das ihren Intereſſen entſprechende Recht zum geltenden Recht zu erheben. So wie ihr das erſtere gelingt, entſteht die geſellſchaftliche Geſetzgebung und Verwaltung. Dieſelbe beruht darauf, daß der wirkliche Staat zwar in ſeinen ab- ſtrakten Elementen aus dem Weſen der Perſönlichkeit folgt, daß aber ſeine wirkliche Individualität ſtets aus der in ihm herrſchenden geſellſchaftlichen Ordnung hervorgeht; daß dieſe ſtets das ihr entſprechende Recht durch Geſetz und Gericht zu geltendem Recht macht, und damit die ganze Geſellſchaftsordnung mit der be- ſtehenden Rechtsordnung identificirt. In dieſem Sinne ſagen wir, daß jede Verfaſſung und Verwaltung eine geſellſchaftliche iſt, und daß jedes poſitive Verfaſſungs- und Verwaltungsrecht nur aus den geſellſchaftlichen Elementen und Intereſſen verſtanden werden kann, welche daſſelbe gebildet haben. Aus demſelben Grunde ergibt ſich die große Thatſache, daß auch jede bürgerliche Geſetzgebung, das ganze geltende Privatrecht, nichts als die geſellſchaftliche Geſtalt des reinen Rechts iſt, und daß daher die großen Codifikationen des bürgerlichen Rechts ſtets die Folge großer geſellſchaftlicher Umgeſtaltungen ſind, denen ſie eben im bürgerlichen Recht ihren Ausdruck verleihen. Von dieſen Geſichtspunkten aus ergibt ſich daher eine neue Auffaſſung des Rechtslebens, die hier gleichfalls nicht weiter verfolgt werden kann. Zunächſt aber wird dieſe geſellſchaftliche Rechtsbildung ſich ſtets auf die Ordnung des Beſitzes und der Stellung der herrſchenden Claſſe und ihres Verhältniſſes zur beherrſchten beziehen, und die Unantaſt- barkeit der wirthſchaftlichen und geiſtigen Bedingungen der geſellſchaft- lichen Herrſchaft zum Princip des jedesmaligen geltenden Rechts er- heben; und dieß, auf dieſe Weiſe ſelbſtändig daſtehende Recht der Geſellſchaftsordnungen nennen wir nun im eigentlichen Sinne das Geſellſchaftsrecht. Es iſt nun klar, daß damit auch das Gebiet bezeichnet iſt, auf welchem die eigentliche Thätigkeit der Verwaltung beginnt. Um dieſes aber beſtimmter formuliren zu können, muß zuerſt das Princip der Geſchichte der Geſellſchaft, namentlich in ihrem Verhältniß zum Staate, beſtimmt werden.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/421>, abgerufen am 28.03.2024.