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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Die Innere Verwaltung.
Allgemeiner Theil.
Begriff und Idee derselben.

Die innere Verwaltung ist nun ihrem formalen Begriffe nach die
Gesammtheit derjenigen Thätigkeiten des Staates, welche dem Einzelnen
die von ihm selber durch eigne Kraft und Anstrengung nicht erreichbaren
Bedingungen seiner individuellen Entwicklung darbietet.

Die Idee der inneren Verwaltung beruht darauf, daß das Ideal
der menschlichen Entwicklung der vollendete Mensch ist. Die Vollendung
des Einzelnen aber ist durch ihn allein nicht möglich. Nur die Gemein-
schaft der Menschen ist fähig, die Mängel der individuellen Kraft zu
ersetzen, indem in ihr und durch sie Alle für jeden Einzelnen thätig
sind. Jeder Einzelne aber ist selbst wieder ein Theil dieser Gemein-
schaft. Der Fortschritt des Einzelnen durch die Hülfe der Gemeinschaft
erhebt und vermehrt daher die Kraft der letzteren, für jeden zu sorgen.
Dadurch wird die Entwicklung jedes Einzelnen durch die thätige Hülfe
Aller wieder zur organischen Bedingung dafür, daß die Gemeinschaft
selbst kräftiger und fähiger werde, jedem Mitgliede förderlich zu seyn;
in der Thätigkeit für jeden Einzelnen sorgt daher die Gesammtheit für
sich selber, und durch sie wieder der Einzelne für den andern, und so
sagen wir, daß erst in der inneren Verwaltung das höchste Princip
alles menschlichen Gesammtlebens, nach welchem die Entwicklung aller
Einzelnen sich gegenseitig bedingt und erzeugt, zur That wird.

Die Persönlichkeit, welche diese Idee der inneren Verwaltung will
und vollzieht, ist der Staat. Aus seinem auf dieselbe gerichteten
Willen entspringt die Verwaltungsgesetzgebung; die Verwirk-
lichung derselben ist der Organismus der vollziehenden Gewalt, und
zwar in der Weise, daß hier Regierung, Selbstverwaltung und Vereins-
wesen gemeinschaftlich arbeiten. Erst in der inneren Verwaltung er-
scheinen alle drei Organismen der vollziehenden Gewalt gleichmäßig

Die Innere Verwaltung.
Allgemeiner Theil.
Begriff und Idee derſelben.

Die innere Verwaltung iſt nun ihrem formalen Begriffe nach die
Geſammtheit derjenigen Thätigkeiten des Staates, welche dem Einzelnen
die von ihm ſelber durch eigne Kraft und Anſtrengung nicht erreichbaren
Bedingungen ſeiner individuellen Entwicklung darbietet.

Die Idee der inneren Verwaltung beruht darauf, daß das Ideal
der menſchlichen Entwicklung der vollendete Menſch iſt. Die Vollendung
des Einzelnen aber iſt durch ihn allein nicht möglich. Nur die Gemein-
ſchaft der Menſchen iſt fähig, die Mängel der individuellen Kraft zu
erſetzen, indem in ihr und durch ſie Alle für jeden Einzelnen thätig
ſind. Jeder Einzelne aber iſt ſelbſt wieder ein Theil dieſer Gemein-
ſchaft. Der Fortſchritt des Einzelnen durch die Hülfe der Gemeinſchaft
erhebt und vermehrt daher die Kraft der letzteren, für jeden zu ſorgen.
Dadurch wird die Entwicklung jedes Einzelnen durch die thätige Hülfe
Aller wieder zur organiſchen Bedingung dafür, daß die Gemeinſchaft
ſelbſt kräftiger und fähiger werde, jedem Mitgliede förderlich zu ſeyn;
in der Thätigkeit für jeden Einzelnen ſorgt daher die Geſammtheit für
ſich ſelber, und durch ſie wieder der Einzelne für den andern, und ſo
ſagen wir, daß erſt in der inneren Verwaltung das höchſte Princip
alles menſchlichen Geſammtlebens, nach welchem die Entwicklung aller
Einzelnen ſich gegenſeitig bedingt und erzeugt, zur That wird.

Die Perſönlichkeit, welche dieſe Idee der inneren Verwaltung will
und vollzieht, iſt der Staat. Aus ſeinem auf dieſelbe gerichteten
Willen entſpringt die Verwaltungsgeſetzgebung; die Verwirk-
lichung derſelben iſt der Organismus der vollziehenden Gewalt, und
zwar in der Weiſe, daß hier Regierung, Selbſtverwaltung und Vereins-
weſen gemeinſchaftlich arbeiten. Erſt in der inneren Verwaltung er-
ſcheinen alle drei Organismen der vollziehenden Gewalt gleichmäßig

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[[43]/0067] Die Innere Verwaltung. Allgemeiner Theil. Begriff und Idee derſelben. Die innere Verwaltung iſt nun ihrem formalen Begriffe nach die Geſammtheit derjenigen Thätigkeiten des Staates, welche dem Einzelnen die von ihm ſelber durch eigne Kraft und Anſtrengung nicht erreichbaren Bedingungen ſeiner individuellen Entwicklung darbietet. Die Idee der inneren Verwaltung beruht darauf, daß das Ideal der menſchlichen Entwicklung der vollendete Menſch iſt. Die Vollendung des Einzelnen aber iſt durch ihn allein nicht möglich. Nur die Gemein- ſchaft der Menſchen iſt fähig, die Mängel der individuellen Kraft zu erſetzen, indem in ihr und durch ſie Alle für jeden Einzelnen thätig ſind. Jeder Einzelne aber iſt ſelbſt wieder ein Theil dieſer Gemein- ſchaft. Der Fortſchritt des Einzelnen durch die Hülfe der Gemeinſchaft erhebt und vermehrt daher die Kraft der letzteren, für jeden zu ſorgen. Dadurch wird die Entwicklung jedes Einzelnen durch die thätige Hülfe Aller wieder zur organiſchen Bedingung dafür, daß die Gemeinſchaft ſelbſt kräftiger und fähiger werde, jedem Mitgliede förderlich zu ſeyn; in der Thätigkeit für jeden Einzelnen ſorgt daher die Geſammtheit für ſich ſelber, und durch ſie wieder der Einzelne für den andern, und ſo ſagen wir, daß erſt in der inneren Verwaltung das höchſte Princip alles menſchlichen Geſammtlebens, nach welchem die Entwicklung aller Einzelnen ſich gegenſeitig bedingt und erzeugt, zur That wird. Die Perſönlichkeit, welche dieſe Idee der inneren Verwaltung will und vollzieht, iſt der Staat. Aus ſeinem auf dieſelbe gerichteten Willen entſpringt die Verwaltungsgeſetzgebung; die Verwirk- lichung derſelben iſt der Organismus der vollziehenden Gewalt, und zwar in der Weiſe, daß hier Regierung, Selbſtverwaltung und Vereins- weſen gemeinſchaftlich arbeiten. Erſt in der inneren Verwaltung er- ſcheinen alle drei Organismen der vollziehenden Gewalt gleichmäßig

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. [43]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/67>, abgerufen am 24.04.2024.