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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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sollen, kann natürlich das betreffende Ministerium nicht mehr selbst
entscheiden. Hier entsteht daher ein neues Verfahren und ein neues
entscheidendes Organ.

Dieß Verfahren beruht darauf, daß die Competenzbeschwerde als-
dann bei beiden Behörden eingegeben werden muß. Bei der bestritte-
nen wird sie die Opposition gegen die Competenz enthalten, bei der an-
gerufenen die Bitte, den Gegenstand für ihre Competenz vindiciren
zu wollen. Gegen die Entscheidung beider ist selbst dann, wenn sie
übereinstimmen, ein Recurs zulässig.

Das Organ aber, welches zu entscheiden hat, wenn sich die beiden
höchsten Stellen nicht vereinigen, muß nun offenbar ein solches sein,
welches hier nicht etwa gerichtlich verfährt, sondern welches im Auftrage
der höchsten organisirenden Gewalt die fragliche Competenz im Ver-
ordnungswege bestimmt. Diese höchste organisirende Gewalt ist nun
das Staatsoberhaupt. Es ist daher vollkommen richtig, daß demselben
eine solche Entscheidung in jeder Verfassung beigelegt wird. Es muß
ferner dem Willen des Staatsoberhaupts ganz überlassen sein, in welcher
Form er diese Entscheidung treffen will, so lange kein Gesetz über dem
Competenzstreit vorhanden ist. Es ist aber zweckmäßig, daß dafür ein
eigenes Organ aufgestellt werde. Und hier nun hat die Uebertragung
der französischen Idee des Competenzconfliktes und seine Verschmelzung
mit dem Competenzstreit in den deutschen Verfassungen den Grundsatz
erzeugt, daß man dieß höchste Organ zum Theil aus gerichtlichen
Beamteten besetzen müsse, während, wie wir sehen werden, der wahre
Begriff des Competenzconflikts dieß als durchaus überflüssig erscheinen
läßt. Das natürliche Organ ist daher dasselbe, welches überhaupt als
das berathende Organ für die Verordnungsgewalt des Staatsoberhaupts
auftritt, der Staatsrath; denn die Entscheidung über den Competenz-
streit ist eine Verordnung und kein Richterspruch. Die Schwierigkeit,
die bestehenden deutschen Gesetze auf die obigen Begriffe zurückzuführen,
besteht aber nicht in den Gesetzen, sondern eben, wie schon gesagt, in der
Unklarheit über den durchgreifenden Unterschied von Competenzstreit und
Competenzconflikt. Und zu diesem müssen wir daher jetzt zuerst über-
gehen.

b) Begriff, Inhalt und Recht des sogen. Competenzconfliktes.

Wir müssen nochmals darauf hinweisen, daß wir den Ausdruck
"Competenzconflikt" keineswegs für einen richtigen halten, sondern daß
wir die Hoffnung haben, derselbe werde mit der Sache, die er bedeutet,
verschwinden. Das kann und wird aber erst dann geschehen, wenn wir
den Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung durch das gesammte

ſollen, kann natürlich das betreffende Miniſterium nicht mehr ſelbſt
entſcheiden. Hier entſteht daher ein neues Verfahren und ein neues
entſcheidendes Organ.

Dieß Verfahren beruht darauf, daß die Competenzbeſchwerde als-
dann bei beiden Behörden eingegeben werden muß. Bei der beſtritte-
nen wird ſie die Oppoſition gegen die Competenz enthalten, bei der an-
gerufenen die Bitte, den Gegenſtand für ihre Competenz vindiciren
zu wollen. Gegen die Entſcheidung beider iſt ſelbſt dann, wenn ſie
übereinſtimmen, ein Recurs zuläſſig.

Das Organ aber, welches zu entſcheiden hat, wenn ſich die beiden
höchſten Stellen nicht vereinigen, muß nun offenbar ein ſolches ſein,
welches hier nicht etwa gerichtlich verfährt, ſondern welches im Auftrage
der höchſten organiſirenden Gewalt die fragliche Competenz im Ver-
ordnungswege beſtimmt. Dieſe höchſte organiſirende Gewalt iſt nun
das Staatsoberhaupt. Es iſt daher vollkommen richtig, daß demſelben
eine ſolche Entſcheidung in jeder Verfaſſung beigelegt wird. Es muß
ferner dem Willen des Staatsoberhaupts ganz überlaſſen ſein, in welcher
Form er dieſe Entſcheidung treffen will, ſo lange kein Geſetz über dem
Competenzſtreit vorhanden iſt. Es iſt aber zweckmäßig, daß dafür ein
eigenes Organ aufgeſtellt werde. Und hier nun hat die Uebertragung
der franzöſiſchen Idee des Competenzconfliktes und ſeine Verſchmelzung
mit dem Competenzſtreit in den deutſchen Verfaſſungen den Grundſatz
erzeugt, daß man dieß höchſte Organ zum Theil aus gerichtlichen
Beamteten beſetzen müſſe, während, wie wir ſehen werden, der wahre
Begriff des Competenzconflikts dieß als durchaus überflüſſig erſcheinen
läßt. Das natürliche Organ iſt daher daſſelbe, welches überhaupt als
das berathende Organ für die Verordnungsgewalt des Staatsoberhaupts
auftritt, der Staatsrath; denn die Entſcheidung über den Competenz-
ſtreit iſt eine Verordnung und kein Richterſpruch. Die Schwierigkeit,
die beſtehenden deutſchen Geſetze auf die obigen Begriffe zurückzuführen,
beſteht aber nicht in den Geſetzen, ſondern eben, wie ſchon geſagt, in der
Unklarheit über den durchgreifenden Unterſchied von Competenzſtreit und
Competenzconflikt. Und zu dieſem müſſen wir daher jetzt zuerſt über-
gehen.

b) Begriff, Inhalt und Recht des ſogen. Competenzconfliktes.

Wir müſſen nochmals darauf hinweiſen, daß wir den Ausdruck
„Competenzconflikt“ keineswegs für einen richtigen halten, ſondern daß
wir die Hoffnung haben, derſelbe werde mit der Sache, die er bedeutet,
verſchwinden. Das kann und wird aber erſt dann geſchehen, wenn wir
den Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung durch das geſammte

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[169/0193] ſollen, kann natürlich das betreffende Miniſterium nicht mehr ſelbſt entſcheiden. Hier entſteht daher ein neues Verfahren und ein neues entſcheidendes Organ. Dieß Verfahren beruht darauf, daß die Competenzbeſchwerde als- dann bei beiden Behörden eingegeben werden muß. Bei der beſtritte- nen wird ſie die Oppoſition gegen die Competenz enthalten, bei der an- gerufenen die Bitte, den Gegenſtand für ihre Competenz vindiciren zu wollen. Gegen die Entſcheidung beider iſt ſelbſt dann, wenn ſie übereinſtimmen, ein Recurs zuläſſig. Das Organ aber, welches zu entſcheiden hat, wenn ſich die beiden höchſten Stellen nicht vereinigen, muß nun offenbar ein ſolches ſein, welches hier nicht etwa gerichtlich verfährt, ſondern welches im Auftrage der höchſten organiſirenden Gewalt die fragliche Competenz im Ver- ordnungswege beſtimmt. Dieſe höchſte organiſirende Gewalt iſt nun das Staatsoberhaupt. Es iſt daher vollkommen richtig, daß demſelben eine ſolche Entſcheidung in jeder Verfaſſung beigelegt wird. Es muß ferner dem Willen des Staatsoberhaupts ganz überlaſſen ſein, in welcher Form er dieſe Entſcheidung treffen will, ſo lange kein Geſetz über dem Competenzſtreit vorhanden iſt. Es iſt aber zweckmäßig, daß dafür ein eigenes Organ aufgeſtellt werde. Und hier nun hat die Uebertragung der franzöſiſchen Idee des Competenzconfliktes und ſeine Verſchmelzung mit dem Competenzſtreit in den deutſchen Verfaſſungen den Grundſatz erzeugt, daß man dieß höchſte Organ zum Theil aus gerichtlichen Beamteten beſetzen müſſe, während, wie wir ſehen werden, der wahre Begriff des Competenzconflikts dieß als durchaus überflüſſig erſcheinen läßt. Das natürliche Organ iſt daher daſſelbe, welches überhaupt als das berathende Organ für die Verordnungsgewalt des Staatsoberhaupts auftritt, der Staatsrath; denn die Entſcheidung über den Competenz- ſtreit iſt eine Verordnung und kein Richterſpruch. Die Schwierigkeit, die beſtehenden deutſchen Geſetze auf die obigen Begriffe zurückzuführen, beſteht aber nicht in den Geſetzen, ſondern eben, wie ſchon geſagt, in der Unklarheit über den durchgreifenden Unterſchied von Competenzſtreit und Competenzconflikt. Und zu dieſem müſſen wir daher jetzt zuerſt über- gehen. b) Begriff, Inhalt und Recht des ſogen. Competenzconfliktes. Wir müſſen nochmals darauf hinweiſen, daß wir den Ausdruck „Competenzconflikt“ keineswegs für einen richtigen halten, ſondern daß wir die Hoffnung haben, derſelbe werde mit der Sache, die er bedeutet, verſchwinden. Das kann und wird aber erſt dann geſchehen, wenn wir den Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung durch das geſammte

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/193>, abgerufen am 28.03.2024.