Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite
IV. Das Maß des Zwanges. Polizeistrafen.

Das Recht des Maßes für die Anwendung des Zwanges entsteht
dadurch, daß an sich der Wille des Staates absolut ist, und daher
keinem Einzelwillen das Recht zugestehen kann, sich ihm zu widersetzen.
An sich hat daher die Zwangsgewalt gar kein Maß, und damit ist
grundsätzlich der Satz festgestellt, daß das Organ, welches den Zwang
ausübt, auch einseitig über sein Maß zu urtheilen berechtigt ist, sobald
der Zwang als solcher einmal als begründet erscheint.

Es ist klar, daß dieser Grundsatz wieder die höchste Gefährdung
des Einzelrechts enthält, die man sich denken kann. Sobald daher die
individuelle Rechtssphäre des Einzelnen einmal anerkannt ist, so tritt
eine Bewegung ein, welche jenem absoluten Zwangsrecht der vollziehen-
den Organe eine gesetzliche Gränze zu setzen bestrebt ist. Da nun aber
der Zwang selbst doch nur ein Mittel für den Verwaltungszweck ist, so
ändert sich das Maß des Zwanges je nach der Natur und der Wichtigkeit
jenes Zweckes; und so entstehen eine Reihe von Gesetzgebungen oder Ver-
ordnungen, welche zum Inhalte haben, neben der Form des Zwanges
namentlich das Maß desselben für die einzelnen Verwaltungsgebiete zu
bestimmen. Diese nun gruppiren sich selbstverständlich nach den drei
großen Verwaltungsgebieten: den Finanzen, dem Gericht, und der innern
Verwaltung.

Die Lehre von der Vollziehung würde daher hier, um vollständig
zu sein, in diese Gebiete speziell eingehen müssen. Unsere Aufgabe kann
es nur sein, dieselben ihrem Charakter nach zu bestimmen.

Das Maß des Zwanges in der Finanzverwaltung ist in den Ver-
ordnungen über die Steuerexekution, in den Regulativen für die Zoll-
und Finanzwache, und zum Theil in den Monopolsordnungen gegeben,
und gehört in die Finanzwissenschaft.

Das Maß des Zwanges beim bürgerlichen Verfahren ist die Exe-
kutionsordnung und was dahin gehört; beim strafrechtlichen Verfahren
im Criminalproceß; die Lehre vom Verfahren enthält bekanntlich das
Genauere.

In der innern Verwaltung dagegen nimmt das Maß einen andern
Charakter an. Hier erscheint die Verpflichtung des Einzelnen durch die
Verordnung der zuständigen Behörde bestimmt, und das Recht auf den
Erlaß dieser Verordnung ist eben das Regierungsrecht, das man Polizei-
recht nennt. Der Gehorsam des Einzelnen gegen diese Verordnungen
wird nun dadurch erzwungen, daß die Nichtbefolgung derselben als Ueber-
tretung betrachtet und mit einer Strafe bedroht ist. Das ist die so-
genannte Polizeistrafe. Die Polizeistrafe ist daher nichts anderes als

Stein, die Verwaltungslehre. I. 14
IV. Das Maß des Zwanges. Polizeiſtrafen.

Das Recht des Maßes für die Anwendung des Zwanges entſteht
dadurch, daß an ſich der Wille des Staates abſolut iſt, und daher
keinem Einzelwillen das Recht zugeſtehen kann, ſich ihm zu widerſetzen.
An ſich hat daher die Zwangsgewalt gar kein Maß, und damit iſt
grundſätzlich der Satz feſtgeſtellt, daß das Organ, welches den Zwang
ausübt, auch einſeitig über ſein Maß zu urtheilen berechtigt iſt, ſobald
der Zwang als ſolcher einmal als begründet erſcheint.

Es iſt klar, daß dieſer Grundſatz wieder die höchſte Gefährdung
des Einzelrechts enthält, die man ſich denken kann. Sobald daher die
individuelle Rechtsſphäre des Einzelnen einmal anerkannt iſt, ſo tritt
eine Bewegung ein, welche jenem abſoluten Zwangsrecht der vollziehen-
den Organe eine geſetzliche Gränze zu ſetzen beſtrebt iſt. Da nun aber
der Zwang ſelbſt doch nur ein Mittel für den Verwaltungszweck iſt, ſo
ändert ſich das Maß des Zwanges je nach der Natur und der Wichtigkeit
jenes Zweckes; und ſo entſtehen eine Reihe von Geſetzgebungen oder Ver-
ordnungen, welche zum Inhalte haben, neben der Form des Zwanges
namentlich das Maß deſſelben für die einzelnen Verwaltungsgebiete zu
beſtimmen. Dieſe nun gruppiren ſich ſelbſtverſtändlich nach den drei
großen Verwaltungsgebieten: den Finanzen, dem Gericht, und der innern
Verwaltung.

Die Lehre von der Vollziehung würde daher hier, um vollſtändig
zu ſein, in dieſe Gebiete ſpeziell eingehen müſſen. Unſere Aufgabe kann
es nur ſein, dieſelben ihrem Charakter nach zu beſtimmen.

Das Maß des Zwanges in der Finanzverwaltung iſt in den Ver-
ordnungen über die Steuerexekution, in den Regulativen für die Zoll-
und Finanzwache, und zum Theil in den Monopolsordnungen gegeben,
und gehört in die Finanzwiſſenſchaft.

Das Maß des Zwanges beim bürgerlichen Verfahren iſt die Exe-
kutionsordnung und was dahin gehört; beim ſtrafrechtlichen Verfahren
im Criminalproceß; die Lehre vom Verfahren enthält bekanntlich das
Genauere.

In der innern Verwaltung dagegen nimmt das Maß einen andern
Charakter an. Hier erſcheint die Verpflichtung des Einzelnen durch die
Verordnung der zuſtändigen Behörde beſtimmt, und das Recht auf den
Erlaß dieſer Verordnung iſt eben das Regierungsrecht, das man Polizei-
recht nennt. Der Gehorſam des Einzelnen gegen dieſe Verordnungen
wird nun dadurch erzwungen, daß die Nichtbefolgung derſelben als Ueber-
tretung betrachtet und mit einer Strafe bedroht iſt. Das iſt die ſo-
genannte Polizeiſtrafe. Die Polizeiſtrafe iſt daher nichts anderes als

Stein, die Verwaltungslehre. I. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0233" n="209"/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Das Maß des Zwanges. Polizei&#x017F;trafen.</hi> </head><lb/>
                <p>Das Recht des Maßes für die Anwendung des Zwanges ent&#x017F;teht<lb/>
dadurch, daß an &#x017F;ich der Wille des Staates ab&#x017F;olut i&#x017F;t, und daher<lb/>
keinem Einzelwillen das Recht zuge&#x017F;tehen kann, &#x017F;ich ihm zu wider&#x017F;etzen.<lb/>
An &#x017F;ich hat daher die Zwangsgewalt gar kein Maß, und damit i&#x017F;t<lb/>
grund&#x017F;ätzlich der Satz fe&#x017F;tge&#x017F;tellt, daß das Organ, welches den Zwang<lb/>
ausübt, auch ein&#x017F;eitig über &#x017F;ein Maß zu urtheilen berechtigt i&#x017F;t, &#x017F;obald<lb/>
der Zwang als &#x017F;olcher einmal als begründet er&#x017F;cheint.</p><lb/>
                <p>Es i&#x017F;t klar, daß die&#x017F;er Grund&#x017F;atz wieder die höch&#x017F;te Gefährdung<lb/>
des Einzelrechts enthält, die man &#x017F;ich denken kann. Sobald daher die<lb/>
individuelle Rechts&#x017F;phäre des Einzelnen einmal anerkannt i&#x017F;t, &#x017F;o tritt<lb/>
eine Bewegung ein, welche jenem ab&#x017F;oluten Zwangsrecht der vollziehen-<lb/>
den Organe eine ge&#x017F;etzliche Gränze zu &#x017F;etzen be&#x017F;trebt i&#x017F;t. Da nun aber<lb/>
der Zwang &#x017F;elb&#x017F;t doch nur ein Mittel für den Verwaltungszweck i&#x017F;t, &#x017F;o<lb/>
ändert &#x017F;ich das Maß des Zwanges je nach der Natur und der Wichtigkeit<lb/>
jenes Zweckes; und &#x017F;o ent&#x017F;tehen eine Reihe von Ge&#x017F;etzgebungen oder Ver-<lb/>
ordnungen, welche zum Inhalte haben, neben der Form des Zwanges<lb/>
namentlich das <hi rendition="#g">Maß</hi> de&#x017F;&#x017F;elben für die einzelnen Verwaltungsgebiete zu<lb/>
be&#x017F;timmen. Die&#x017F;e nun gruppiren &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich nach den drei<lb/>
großen Verwaltungsgebieten: den Finanzen, dem Gericht, und der innern<lb/>
Verwaltung.</p><lb/>
                <p>Die Lehre von der Vollziehung würde daher hier, um voll&#x017F;tändig<lb/>
zu &#x017F;ein, in die&#x017F;e Gebiete &#x017F;peziell eingehen mü&#x017F;&#x017F;en. Un&#x017F;ere Aufgabe kann<lb/>
es nur &#x017F;ein, die&#x017F;elben ihrem Charakter nach zu be&#x017F;timmen.</p><lb/>
                <p>Das Maß des Zwanges in der Finanzverwaltung i&#x017F;t in den Ver-<lb/>
ordnungen über die Steuerexekution, in den Regulativen für die Zoll-<lb/>
und Finanzwache, und zum Theil in den Monopolsordnungen gegeben,<lb/>
und gehört in die Finanzwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft.</p><lb/>
                <p>Das Maß des Zwanges beim bürgerlichen Verfahren i&#x017F;t die Exe-<lb/>
kutionsordnung und was dahin gehört; beim &#x017F;trafrechtlichen Verfahren<lb/>
im Criminalproceß; die Lehre vom Verfahren enthält bekanntlich das<lb/>
Genauere.</p><lb/>
                <p>In der innern Verwaltung dagegen nimmt das Maß einen andern<lb/>
Charakter an. Hier er&#x017F;cheint die Verpflichtung des Einzelnen durch die<lb/>
Verordnung der zu&#x017F;tändigen Behörde be&#x017F;timmt, und das Recht auf den<lb/>
Erlaß die&#x017F;er Verordnung i&#x017F;t eben das Regierungsrecht, das man Polizei-<lb/>
recht nennt. Der Gehor&#x017F;am des Einzelnen gegen die&#x017F;e Verordnungen<lb/>
wird nun dadurch erzwungen, daß die Nichtbefolgung der&#x017F;elben als Ueber-<lb/>
tretung betrachtet und mit einer Strafe bedroht i&#x017F;t. Das i&#x017F;t die &#x017F;o-<lb/>
genannte Polizei&#x017F;trafe. Die Polizei&#x017F;trafe i&#x017F;t daher nichts anderes als<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hi rendition="#aq">I.</hi> 14</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0233] IV. Das Maß des Zwanges. Polizeiſtrafen. Das Recht des Maßes für die Anwendung des Zwanges entſteht dadurch, daß an ſich der Wille des Staates abſolut iſt, und daher keinem Einzelwillen das Recht zugeſtehen kann, ſich ihm zu widerſetzen. An ſich hat daher die Zwangsgewalt gar kein Maß, und damit iſt grundſätzlich der Satz feſtgeſtellt, daß das Organ, welches den Zwang ausübt, auch einſeitig über ſein Maß zu urtheilen berechtigt iſt, ſobald der Zwang als ſolcher einmal als begründet erſcheint. Es iſt klar, daß dieſer Grundſatz wieder die höchſte Gefährdung des Einzelrechts enthält, die man ſich denken kann. Sobald daher die individuelle Rechtsſphäre des Einzelnen einmal anerkannt iſt, ſo tritt eine Bewegung ein, welche jenem abſoluten Zwangsrecht der vollziehen- den Organe eine geſetzliche Gränze zu ſetzen beſtrebt iſt. Da nun aber der Zwang ſelbſt doch nur ein Mittel für den Verwaltungszweck iſt, ſo ändert ſich das Maß des Zwanges je nach der Natur und der Wichtigkeit jenes Zweckes; und ſo entſtehen eine Reihe von Geſetzgebungen oder Ver- ordnungen, welche zum Inhalte haben, neben der Form des Zwanges namentlich das Maß deſſelben für die einzelnen Verwaltungsgebiete zu beſtimmen. Dieſe nun gruppiren ſich ſelbſtverſtändlich nach den drei großen Verwaltungsgebieten: den Finanzen, dem Gericht, und der innern Verwaltung. Die Lehre von der Vollziehung würde daher hier, um vollſtändig zu ſein, in dieſe Gebiete ſpeziell eingehen müſſen. Unſere Aufgabe kann es nur ſein, dieſelben ihrem Charakter nach zu beſtimmen. Das Maß des Zwanges in der Finanzverwaltung iſt in den Ver- ordnungen über die Steuerexekution, in den Regulativen für die Zoll- und Finanzwache, und zum Theil in den Monopolsordnungen gegeben, und gehört in die Finanzwiſſenſchaft. Das Maß des Zwanges beim bürgerlichen Verfahren iſt die Exe- kutionsordnung und was dahin gehört; beim ſtrafrechtlichen Verfahren im Criminalproceß; die Lehre vom Verfahren enthält bekanntlich das Genauere. In der innern Verwaltung dagegen nimmt das Maß einen andern Charakter an. Hier erſcheint die Verpflichtung des Einzelnen durch die Verordnung der zuſtändigen Behörde beſtimmt, und das Recht auf den Erlaß dieſer Verordnung iſt eben das Regierungsrecht, das man Polizei- recht nennt. Der Gehorſam des Einzelnen gegen dieſe Verordnungen wird nun dadurch erzwungen, daß die Nichtbefolgung derſelben als Ueber- tretung betrachtet und mit einer Strafe bedroht iſt. Das iſt die ſo- genannte Polizeiſtrafe. Die Polizeiſtrafe iſt daher nichts anderes als Stein, die Verwaltungslehre. I. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/233
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/233>, abgerufen am 20.04.2024.