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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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daß sie den Gegensatz des Einzelwillens gegen das Gesammtinteresse
dadurch aufhebt, daß sie den erstern überhaupt nicht als solchen aner-
kennt, jeden besondern Vollziehungsakt aus. Sie enthält daher nicht,
wie das Recht der vollziehenden Gewalt, die Gränze für die Thätig-
keit
des Staats gegenüber der freien einzelnen Persönlichkeit und damit
die schwierige Aufgabe, die Harmonie zwischen Vollziehung und Gesetz
auf jedem Punkte wieder herzustellen, sondern sie enthält umgekehrt die
Gränze für den Einzelwillen gegenüber den Bedingungen und
Forderungen des Gesammtlebens, jenseits deren es nicht eine Voll-
streckung des Staatswillens an dem Einzelwillen, also keine eigentliche
Vollziehung, sondern vielmehr überhaupt rechtlich keinen Einzel-
willen mehr gibt
. Und damit schließt in naturgemäßer Weise die
Lehre vom Rechte der vollziehenden Gewalt, als auf dem Punkte, wo
mit dem Recht auch die Vollziehung selbst aufhört.

Wir haben dem Obigen hier nichts hinzuzufügen, als daß der gänzliche
Mangel an einer Unterscheidung desjenigen, was im bürgerlichen Rechte der
Verwaltung gehört, von dem eigentlich bürgerlichen Rechte nicht eher gehoben
werden wird, als bis unsere Rechtsphilosophie auch den Inhalt des Rechts
kennt, und unsere Juristen den Sinn für das öffentliche Recht bekommen, der
die Engländer und Franzosen so hoch stellt. Hat doch der römische Satz: jus
publicum est, quod pactis privatorum mutari non potest,
niemals zu der
Bemerkung Anlaß gegeben, daß ja doch auch im bürgerlichen Rechte sehr viele
und große Dinge vorhanden sind, die nach dieser von den Juristen einstimmig
anerkannten Definition ein jus publicum sind. -- Doch ist es nutzlos, hier
mit wenig Worten so viele Fragen erledigen zu wollen. Wenn aber die
deutsche Rechtswissenschaft sie zu bearbeiten beginnt, dann wird eine neue Epoche
für sie anfangen!

Uebergang zur innern Verwaltungslehre.
Das innere Verwaltungsrecht.

Nachdem wir so die Elemente des Rechts der vollziehenden Gewalt
in ihren verschiedenen Seiten dargelegt, wird es nunmehr möglich sein,
Inhalt und Bedeutung des von uns im obigen schon mehrfach bezeich-
neten Begriffes zu bestimmen, der gerade durch beständige Verschmelzung
mit den bisherigen Begriffen höchst unklar geworden, und der dadurch
die Aufstellung und Begränzung eines Begriffes des Verwaltungsrechts
überhaupt beinahe unmöglich gemacht hat. Wir meinen den, vom Ver-
waltungsrecht wohl zu scheidenden Begriff des innern Verwaltungs-
rechts
. Eine kleine Wiederholung ist hier schwer zu vermeiden; aber
das Folgende muß zugleich als Basis der Unterscheidung dieses ganzen

daß ſie den Gegenſatz des Einzelwillens gegen das Geſammtintereſſe
dadurch aufhebt, daß ſie den erſtern überhaupt nicht als ſolchen aner-
kennt, jeden beſondern Vollziehungsakt aus. Sie enthält daher nicht,
wie das Recht der vollziehenden Gewalt, die Gränze für die Thätig-
keit
des Staats gegenüber der freien einzelnen Perſönlichkeit und damit
die ſchwierige Aufgabe, die Harmonie zwiſchen Vollziehung und Geſetz
auf jedem Punkte wieder herzuſtellen, ſondern ſie enthält umgekehrt die
Gränze für den Einzelwillen gegenüber den Bedingungen und
Forderungen des Geſammtlebens, jenſeits deren es nicht eine Voll-
ſtreckung des Staatswillens an dem Einzelwillen, alſo keine eigentliche
Vollziehung, ſondern vielmehr überhaupt rechtlich keinen Einzel-
willen mehr gibt
. Und damit ſchließt in naturgemäßer Weiſe die
Lehre vom Rechte der vollziehenden Gewalt, als auf dem Punkte, wo
mit dem Recht auch die Vollziehung ſelbſt aufhört.

Wir haben dem Obigen hier nichts hinzuzufügen, als daß der gänzliche
Mangel an einer Unterſcheidung desjenigen, was im bürgerlichen Rechte der
Verwaltung gehört, von dem eigentlich bürgerlichen Rechte nicht eher gehoben
werden wird, als bis unſere Rechtsphiloſophie auch den Inhalt des Rechts
kennt, und unſere Juriſten den Sinn für das öffentliche Recht bekommen, der
die Engländer und Franzoſen ſo hoch ſtellt. Hat doch der römiſche Satz: jus
publicum est, quod pactis privatorum mutari non potest,
niemals zu der
Bemerkung Anlaß gegeben, daß ja doch auch im bürgerlichen Rechte ſehr viele
und große Dinge vorhanden ſind, die nach dieſer von den Juriſten einſtimmig
anerkannten Definition ein jus publicum ſind. — Doch iſt es nutzlos, hier
mit wenig Worten ſo viele Fragen erledigen zu wollen. Wenn aber die
deutſche Rechtswiſſenſchaft ſie zu bearbeiten beginnt, dann wird eine neue Epoche
für ſie anfangen!

Uebergang zur innern Verwaltungslehre.
Das innere Verwaltungsrecht.

Nachdem wir ſo die Elemente des Rechts der vollziehenden Gewalt
in ihren verſchiedenen Seiten dargelegt, wird es nunmehr möglich ſein,
Inhalt und Bedeutung des von uns im obigen ſchon mehrfach bezeich-
neten Begriffes zu beſtimmen, der gerade durch beſtändige Verſchmelzung
mit den bisherigen Begriffen höchſt unklar geworden, und der dadurch
die Aufſtellung und Begränzung eines Begriffes des Verwaltungsrechts
überhaupt beinahe unmöglich gemacht hat. Wir meinen den, vom Ver-
waltungsrecht wohl zu ſcheidenden Begriff des innern Verwaltungs-
rechts
. Eine kleine Wiederholung iſt hier ſchwer zu vermeiden; aber
das Folgende muß zugleich als Baſis der Unterſcheidung dieſes ganzen

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[219/0243] daß ſie den Gegenſatz des Einzelwillens gegen das Geſammtintereſſe dadurch aufhebt, daß ſie den erſtern überhaupt nicht als ſolchen aner- kennt, jeden beſondern Vollziehungsakt aus. Sie enthält daher nicht, wie das Recht der vollziehenden Gewalt, die Gränze für die Thätig- keit des Staats gegenüber der freien einzelnen Perſönlichkeit und damit die ſchwierige Aufgabe, die Harmonie zwiſchen Vollziehung und Geſetz auf jedem Punkte wieder herzuſtellen, ſondern ſie enthält umgekehrt die Gränze für den Einzelwillen gegenüber den Bedingungen und Forderungen des Geſammtlebens, jenſeits deren es nicht eine Voll- ſtreckung des Staatswillens an dem Einzelwillen, alſo keine eigentliche Vollziehung, ſondern vielmehr überhaupt rechtlich keinen Einzel- willen mehr gibt. Und damit ſchließt in naturgemäßer Weiſe die Lehre vom Rechte der vollziehenden Gewalt, als auf dem Punkte, wo mit dem Recht auch die Vollziehung ſelbſt aufhört. Wir haben dem Obigen hier nichts hinzuzufügen, als daß der gänzliche Mangel an einer Unterſcheidung desjenigen, was im bürgerlichen Rechte der Verwaltung gehört, von dem eigentlich bürgerlichen Rechte nicht eher gehoben werden wird, als bis unſere Rechtsphiloſophie auch den Inhalt des Rechts kennt, und unſere Juriſten den Sinn für das öffentliche Recht bekommen, der die Engländer und Franzoſen ſo hoch ſtellt. Hat doch der römiſche Satz: jus publicum est, quod pactis privatorum mutari non potest, niemals zu der Bemerkung Anlaß gegeben, daß ja doch auch im bürgerlichen Rechte ſehr viele und große Dinge vorhanden ſind, die nach dieſer von den Juriſten einſtimmig anerkannten Definition ein jus publicum ſind. — Doch iſt es nutzlos, hier mit wenig Worten ſo viele Fragen erledigen zu wollen. Wenn aber die deutſche Rechtswiſſenſchaft ſie zu bearbeiten beginnt, dann wird eine neue Epoche für ſie anfangen! Uebergang zur innern Verwaltungslehre. Das innere Verwaltungsrecht. Nachdem wir ſo die Elemente des Rechts der vollziehenden Gewalt in ihren verſchiedenen Seiten dargelegt, wird es nunmehr möglich ſein, Inhalt und Bedeutung des von uns im obigen ſchon mehrfach bezeich- neten Begriffes zu beſtimmen, der gerade durch beſtändige Verſchmelzung mit den bisherigen Begriffen höchſt unklar geworden, und der dadurch die Aufſtellung und Begränzung eines Begriffes des Verwaltungsrechts überhaupt beinahe unmöglich gemacht hat. Wir meinen den, vom Ver- waltungsrecht wohl zu ſcheidenden Begriff des innern Verwaltungs- rechts. Eine kleine Wiederholung iſt hier ſchwer zu vermeiden; aber das Folgende muß zugleich als Baſis der Unterſcheidung dieſes ganzen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/243>, abgerufen am 28.03.2024.