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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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IV.
Die geschichtlichen Grundlagen der Entwicklung des
Verwaltungssystems.

Es versteht sich von selbst, daß, nachdem wir jene Formen der
Organisation geschieden haben, jede derselben für sich ihre eigenthümliche
Geschichte hat. Wir werden diese Sondergeschichte bei der Darstellung
jedes Theiles darlegen. Allein alle diese Seiten der historischen Ent-
wicklung haben eine gemeinschaftliche Basis, wie sie im Grunde einen
gemeinschaftlichen Verlauf haben. Und es ist nothwendig, dieselbe
vorauszusenden.

Das Verhältniß der Gesellschaftsordnungen zum Staate besteht
darin, daß jede Ordnung ihrer Natur nach die Staatsgewalt für sich
zu gewinnen und ihren Häuptern zu übertragen trachtet, um vermöge der
Staatsgewalt ihre gesellschaftliche Herrschaft theils zu heiligen, theils
zu sichern. Das erste Gebiet, in der dieß erscheint, ist natürlich die Ver-
fassung; jede Verfassung ist die organische Form der Theilnahme der
Gesellschaft an der Bildung des Staatswillens oder der Gesetzgebung.
Das zweite ist die Verwaltung. Jede gesellschaftliche Ordnung hat ihre
Verwaltung; und zwar erscheint sie hier zweifach wirkend, weil sie einer-
seits das Objekt der Staatsthätigkeit ist, und andererseits auch des in
den Regierungsgewalten liegenden Staatswillens sich zu bemächtigen
trachtet. Der Staat aber als individuelle Persönlichkeit steht diesem
Einflusse der Gesellschaftsordnungen gegenüber, er selbst als der stets
gleiche und einheitliche in dem Wechsel der socialen Umgestaltungen.
Die Bewegung dieser beiden großen Elemente bildet den Kampf, der
das innere Leben der Staaten ausfüllt; er ist ganz identisch mit dem
Gegensatz zwischen Staat und Einzelnen, denn es gibt keinen abstrakten
Staatsbürger, sondern jeder ist Glied seiner gesellschaftlichen Ordnung.
Das Princip und System des Organismus der Staatsgewalt findet
daher seinen Ausdruck gleichfalls nicht in einem abstrakten Verhalten
beider, sondern in dem Gepräge, welches die geltende gesellschaftliche
Ordnung der Ordnung und dem Recht der Selbstverwaltung und dem
Vereinswesen gibt. Und dieß nun stellt sich als Grundlage der Ent-
wicklung jenes Charakters dar, den wir oben bezeichnet haben.

Im Anfange der Staatsbildung erscheint die Geschlechtsordnung
gegenüber dem Königthum. In der Geschlechtsordnung ist das König-
thum noch ohne eigene Rechte, der noch inhaltslose Staat. Das Leben
des Staats liegt ganz in den Geschlechtern; die Häupter der Geschlechter

IV.
Die geſchichtlichen Grundlagen der Entwicklung des
Verwaltungsſyſtems.

Es verſteht ſich von ſelbſt, daß, nachdem wir jene Formen der
Organiſation geſchieden haben, jede derſelben für ſich ihre eigenthümliche
Geſchichte hat. Wir werden dieſe Sondergeſchichte bei der Darſtellung
jedes Theiles darlegen. Allein alle dieſe Seiten der hiſtoriſchen Ent-
wicklung haben eine gemeinſchaftliche Baſis, wie ſie im Grunde einen
gemeinſchaftlichen Verlauf haben. Und es iſt nothwendig, dieſelbe
vorauszuſenden.

Das Verhältniß der Geſellſchaftsordnungen zum Staate beſteht
darin, daß jede Ordnung ihrer Natur nach die Staatsgewalt für ſich
zu gewinnen und ihren Häuptern zu übertragen trachtet, um vermöge der
Staatsgewalt ihre geſellſchaftliche Herrſchaft theils zu heiligen, theils
zu ſichern. Das erſte Gebiet, in der dieß erſcheint, iſt natürlich die Ver-
faſſung; jede Verfaſſung iſt die organiſche Form der Theilnahme der
Geſellſchaft an der Bildung des Staatswillens oder der Geſetzgebung.
Das zweite iſt die Verwaltung. Jede geſellſchaftliche Ordnung hat ihre
Verwaltung; und zwar erſcheint ſie hier zweifach wirkend, weil ſie einer-
ſeits das Objekt der Staatsthätigkeit iſt, und andererſeits auch des in
den Regierungsgewalten liegenden Staatswillens ſich zu bemächtigen
trachtet. Der Staat aber als individuelle Perſönlichkeit ſteht dieſem
Einfluſſe der Geſellſchaftsordnungen gegenüber, er ſelbſt als der ſtets
gleiche und einheitliche in dem Wechſel der ſocialen Umgeſtaltungen.
Die Bewegung dieſer beiden großen Elemente bildet den Kampf, der
das innere Leben der Staaten ausfüllt; er iſt ganz identiſch mit dem
Gegenſatz zwiſchen Staat und Einzelnen, denn es gibt keinen abſtrakten
Staatsbürger, ſondern jeder iſt Glied ſeiner geſellſchaftlichen Ordnung.
Das Princip und Syſtem des Organismus der Staatsgewalt findet
daher ſeinen Ausdruck gleichfalls nicht in einem abſtrakten Verhalten
beider, ſondern in dem Gepräge, welches die geltende geſellſchaftliche
Ordnung der Ordnung und dem Recht der Selbſtverwaltung und dem
Vereinsweſen gibt. Und dieß nun ſtellt ſich als Grundlage der Ent-
wicklung jenes Charakters dar, den wir oben bezeichnet haben.

Im Anfange der Staatsbildung erſcheint die Geſchlechtsordnung
gegenüber dem Königthum. In der Geſchlechtsordnung iſt das König-
thum noch ohne eigene Rechte, der noch inhaltsloſe Staat. Das Leben
des Staats liegt ganz in den Geſchlechtern; die Häupter der Geſchlechter

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[245/0269] IV. Die geſchichtlichen Grundlagen der Entwicklung des Verwaltungsſyſtems. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß, nachdem wir jene Formen der Organiſation geſchieden haben, jede derſelben für ſich ihre eigenthümliche Geſchichte hat. Wir werden dieſe Sondergeſchichte bei der Darſtellung jedes Theiles darlegen. Allein alle dieſe Seiten der hiſtoriſchen Ent- wicklung haben eine gemeinſchaftliche Baſis, wie ſie im Grunde einen gemeinſchaftlichen Verlauf haben. Und es iſt nothwendig, dieſelbe vorauszuſenden. Das Verhältniß der Geſellſchaftsordnungen zum Staate beſteht darin, daß jede Ordnung ihrer Natur nach die Staatsgewalt für ſich zu gewinnen und ihren Häuptern zu übertragen trachtet, um vermöge der Staatsgewalt ihre geſellſchaftliche Herrſchaft theils zu heiligen, theils zu ſichern. Das erſte Gebiet, in der dieß erſcheint, iſt natürlich die Ver- faſſung; jede Verfaſſung iſt die organiſche Form der Theilnahme der Geſellſchaft an der Bildung des Staatswillens oder der Geſetzgebung. Das zweite iſt die Verwaltung. Jede geſellſchaftliche Ordnung hat ihre Verwaltung; und zwar erſcheint ſie hier zweifach wirkend, weil ſie einer- ſeits das Objekt der Staatsthätigkeit iſt, und andererſeits auch des in den Regierungsgewalten liegenden Staatswillens ſich zu bemächtigen trachtet. Der Staat aber als individuelle Perſönlichkeit ſteht dieſem Einfluſſe der Geſellſchaftsordnungen gegenüber, er ſelbſt als der ſtets gleiche und einheitliche in dem Wechſel der ſocialen Umgeſtaltungen. Die Bewegung dieſer beiden großen Elemente bildet den Kampf, der das innere Leben der Staaten ausfüllt; er iſt ganz identiſch mit dem Gegenſatz zwiſchen Staat und Einzelnen, denn es gibt keinen abſtrakten Staatsbürger, ſondern jeder iſt Glied ſeiner geſellſchaftlichen Ordnung. Das Princip und Syſtem des Organismus der Staatsgewalt findet daher ſeinen Ausdruck gleichfalls nicht in einem abſtrakten Verhalten beider, ſondern in dem Gepräge, welches die geltende geſellſchaftliche Ordnung der Ordnung und dem Recht der Selbſtverwaltung und dem Vereinsweſen gibt. Und dieß nun ſtellt ſich als Grundlage der Ent- wicklung jenes Charakters dar, den wir oben bezeichnet haben. Im Anfange der Staatsbildung erſcheint die Geſchlechtsordnung gegenüber dem Königthum. In der Geſchlechtsordnung iſt das König- thum noch ohne eigene Rechte, der noch inhaltsloſe Staat. Das Leben des Staats liegt ganz in den Geſchlechtern; die Häupter der Geſchlechter

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/269>, abgerufen am 25.04.2024.