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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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III. Zweites organisches Element der Staatsgewalt. Der Staatsrath.

Man kann im Allgemeinen die Behauptung aufstellen, daß das
richtige Verständniß des Staatsrathes und seiner Aufgabe das Kriterium
für das Verständniß derjenigen Organisation des Staats ist, welche
aus dem verfassungsmäßigen Leben desselben hervorgeht. Bei gar keinem
Organe des Staats ist die klare Unterscheidung der Begriffe und Ge-
walten wichtiger, als beim Staatsrath. Und gerade die Unklarheit,
die darüber namentlich in Deutschland herrscht, muß uns zu möglichst
genauer Bestimmung desselben veranlassen.

Die Grundlage des Verständnisses ist die Unterscheidung zwischen
Gesetzgebung, Vollziehung und Staatsoberhaupt.

In der ständischen Epoche, wo Gesetzgebung und Vollziehung in
zwei großen, rechtlich und faktisch getrennten Organismen vor sich gehen,
dem Organismus der ständischen Selbstverwaltung und der königlichen
Staatsverwaltung, bildet das Königthum aus den Häuptern seiner
Verwaltung sich einen Rath, der naturgemäß aus den Spitzen der
höchsten königlichen Verwaltung besteht, der sein Recht und seine Auf-
gabe nur aus dem persönlichen Willen des Monarchen empfängt, der
keine gesetzliche Stellung hat, und daher auch nur insoweit und nur
dann dem Könige seinen Rath gibt, wenn und wie dieser es persönlich
wünscht. Es ist ein rein königlicher Rath. Der Begriff des Staats-
raths ist auf diese ganze Zeit nicht anwendbar. Das gleiche gilt von
der folgenden Epoche, in der das Königthum allmählig die großen
ständischen Körper und ihre Rechte in sich aufnimmt und die Einheit
des Staats über die Selbständigkeit der Theile siegt. Hier war es
wieder ebenso naturgemäß, daß das Königthum die Häupter dieser
ständischen Selbständigkeit, das was wir oben die Haupt-, Reichs- und
Landeswürden genannt haben, mit in jenen Rath aufnahm, der all-
mählig allein über alle Reichsangelegenheiten zu entscheiden hatte.
Natürlich aber war es gleichfalls, daß bei dem Streben der letztern
nach Selbständigkeit die wirkliche Theilnahme von Seiten der Landes-
würdenträger nur eine unbequeme sein konnte und daher mehr und
mehr zu einer bloßen Form ward, die oft nur in dem Titel bestand.
Regel ward es daher, daß die Fürsten diese Würdenträger nur bei be-
sonderen Gelegenheiten beriefen, sich die Berufung persönlich vorbe-
hielten und die Berathung wirklich entscheidender Maßregeln nur mit
den Spitzen ihrer amtlichen Organe, den Häuptern der Vollziehung,
vornahmen. Als nun endlich mit dem achtzehnten Jahrhundert auch
die letzten Spuren einer Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung
verschwinden, und damit jeder Unterschied zwischen Gesetzgebung und

III. Zweites organiſches Element der Staatsgewalt. Der Staatsrath.

Man kann im Allgemeinen die Behauptung aufſtellen, daß das
richtige Verſtändniß des Staatsrathes und ſeiner Aufgabe das Kriterium
für das Verſtändniß derjenigen Organiſation des Staats iſt, welche
aus dem verfaſſungsmäßigen Leben deſſelben hervorgeht. Bei gar keinem
Organe des Staats iſt die klare Unterſcheidung der Begriffe und Ge-
walten wichtiger, als beim Staatsrath. Und gerade die Unklarheit,
die darüber namentlich in Deutſchland herrſcht, muß uns zu möglichſt
genauer Beſtimmung deſſelben veranlaſſen.

Die Grundlage des Verſtändniſſes iſt die Unterſcheidung zwiſchen
Geſetzgebung, Vollziehung und Staatsoberhaupt.

In der ſtändiſchen Epoche, wo Geſetzgebung und Vollziehung in
zwei großen, rechtlich und faktiſch getrennten Organismen vor ſich gehen,
dem Organismus der ſtändiſchen Selbſtverwaltung und der königlichen
Staatsverwaltung, bildet das Königthum aus den Häuptern ſeiner
Verwaltung ſich einen Rath, der naturgemäß aus den Spitzen der
höchſten königlichen Verwaltung beſteht, der ſein Recht und ſeine Auf-
gabe nur aus dem perſönlichen Willen des Monarchen empfängt, der
keine geſetzliche Stellung hat, und daher auch nur inſoweit und nur
dann dem Könige ſeinen Rath gibt, wenn und wie dieſer es perſönlich
wünſcht. Es iſt ein rein königlicher Rath. Der Begriff des Staats-
raths iſt auf dieſe ganze Zeit nicht anwendbar. Das gleiche gilt von
der folgenden Epoche, in der das Königthum allmählig die großen
ſtändiſchen Körper und ihre Rechte in ſich aufnimmt und die Einheit
des Staats über die Selbſtändigkeit der Theile ſiegt. Hier war es
wieder ebenſo naturgemäß, daß das Königthum die Häupter dieſer
ſtändiſchen Selbſtändigkeit, das was wir oben die Haupt-, Reichs- und
Landeswürden genannt haben, mit in jenen Rath aufnahm, der all-
mählig allein über alle Reichsangelegenheiten zu entſcheiden hatte.
Natürlich aber war es gleichfalls, daß bei dem Streben der letztern
nach Selbſtändigkeit die wirkliche Theilnahme von Seiten der Landes-
würdenträger nur eine unbequeme ſein konnte und daher mehr und
mehr zu einer bloßen Form ward, die oft nur in dem Titel beſtand.
Regel ward es daher, daß die Fürſten dieſe Würdenträger nur bei be-
ſonderen Gelegenheiten beriefen, ſich die Berufung perſönlich vorbe-
hielten und die Berathung wirklich entſcheidender Maßregeln nur mit
den Spitzen ihrer amtlichen Organe, den Häuptern der Vollziehung,
vornahmen. Als nun endlich mit dem achtzehnten Jahrhundert auch
die letzten Spuren einer Theilnahme des Volkes an der Geſetzgebung
verſchwinden, und damit jeder Unterſchied zwiſchen Geſetzgebung und

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[269/0293] III. Zweites organiſches Element der Staatsgewalt. Der Staatsrath. Man kann im Allgemeinen die Behauptung aufſtellen, daß das richtige Verſtändniß des Staatsrathes und ſeiner Aufgabe das Kriterium für das Verſtändniß derjenigen Organiſation des Staats iſt, welche aus dem verfaſſungsmäßigen Leben deſſelben hervorgeht. Bei gar keinem Organe des Staats iſt die klare Unterſcheidung der Begriffe und Ge- walten wichtiger, als beim Staatsrath. Und gerade die Unklarheit, die darüber namentlich in Deutſchland herrſcht, muß uns zu möglichſt genauer Beſtimmung deſſelben veranlaſſen. Die Grundlage des Verſtändniſſes iſt die Unterſcheidung zwiſchen Geſetzgebung, Vollziehung und Staatsoberhaupt. In der ſtändiſchen Epoche, wo Geſetzgebung und Vollziehung in zwei großen, rechtlich und faktiſch getrennten Organismen vor ſich gehen, dem Organismus der ſtändiſchen Selbſtverwaltung und der königlichen Staatsverwaltung, bildet das Königthum aus den Häuptern ſeiner Verwaltung ſich einen Rath, der naturgemäß aus den Spitzen der höchſten königlichen Verwaltung beſteht, der ſein Recht und ſeine Auf- gabe nur aus dem perſönlichen Willen des Monarchen empfängt, der keine geſetzliche Stellung hat, und daher auch nur inſoweit und nur dann dem Könige ſeinen Rath gibt, wenn und wie dieſer es perſönlich wünſcht. Es iſt ein rein königlicher Rath. Der Begriff des Staats- raths iſt auf dieſe ganze Zeit nicht anwendbar. Das gleiche gilt von der folgenden Epoche, in der das Königthum allmählig die großen ſtändiſchen Körper und ihre Rechte in ſich aufnimmt und die Einheit des Staats über die Selbſtändigkeit der Theile ſiegt. Hier war es wieder ebenſo naturgemäß, daß das Königthum die Häupter dieſer ſtändiſchen Selbſtändigkeit, das was wir oben die Haupt-, Reichs- und Landeswürden genannt haben, mit in jenen Rath aufnahm, der all- mählig allein über alle Reichsangelegenheiten zu entſcheiden hatte. Natürlich aber war es gleichfalls, daß bei dem Streben der letztern nach Selbſtändigkeit die wirkliche Theilnahme von Seiten der Landes- würdenträger nur eine unbequeme ſein konnte und daher mehr und mehr zu einer bloßen Form ward, die oft nur in dem Titel beſtand. Regel ward es daher, daß die Fürſten dieſe Würdenträger nur bei be- ſonderen Gelegenheiten beriefen, ſich die Berufung perſönlich vorbe- hielten und die Berathung wirklich entſcheidender Maßregeln nur mit den Spitzen ihrer amtlichen Organe, den Häuptern der Vollziehung, vornahmen. Als nun endlich mit dem achtzehnten Jahrhundert auch die letzten Spuren einer Theilnahme des Volkes an der Geſetzgebung verſchwinden, und damit jeder Unterſchied zwiſchen Geſetzgebung und

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/293>, abgerufen am 19.04.2024.