Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

24. Juli 1854. In Preußen ist derselbe auf Grundlage des früheren Rechts
namentlich durch die Verordnung vom 6. Januar 1848 in seiner berathenden
Stellung schärfer begränzt, und nach französischem Muster der Competenz-
Gerichtshof
aus ihm durch Gesetz vom 8. April 1857 gebildet worden.
Rönne I. §. 56. -- In Oesterreich schließt sich der Staatsrath als das,
was er sein soll, als berathendes Organ des Kaisers an die ganze Reichs-
verfassung. Statut vom 26. Februar 1861.

Ueber den Staatsrath in andern Ländern hat Malchus (Politik der in-
nern Verwaltung I. §. 18 ff.) eine sehr gute Darstellung gegeben, die das Wesen
des Staatsraths zwar im Allgemeinen richtig erfaßt, jedoch mehr den Charakter
einer controlirenden Stelle über den Ministerien, eine Art Kabinet darin sieht.
Neuere Bestimmungen in Brachelli, Verwaltungsbehörden in Europa (Jahrbuch
für Gesetzkunde und Statistik S. 170 ff.). Unbedeutend ist Bülau (Behörden
S. 153). So gut wie gar nichts enthalten Zöpfl und Zachariä.

Zweites Gebiet.
Der Organismus der Regierung oder das Amtswesen.
I. Das Amt an sich.
1) Der organische Begriff des Amts.

Es ist eine gewöhnliche Vorstellung, das Amtswesen und seinen
Organismus als identisch mit dem Organismus des thätigen Staats,
oder wie man zu sagen pflegt, mit der Staatsgewalt selbst aufzufassen.
Indem wir ihn aber von den andern drei Grundformen des staatlichen
Organismus, der persönlichen Staatsgewalt, der Selbstverwaltung und
dem Vereinswesen ganz bestimmt unterscheiden, müssen wir das Wesen
desselben im Voraus genauer bezeichnen.

Die Regierung ist die Staatsgewalt, insofern dieselbe die praktischen
Aufgaben der vollziehenden Gewalt zur Verwirklichung bringt. Der
Ausdruck "Verwaltung" bezeichnet uns ganz dasselbe, nur mit der Neben-
bedeutung, daß hier die Regierung in ihrer einzelnen praktischen Thätig-
keit gedacht wird. Regieren heißt Grundsätze, Verwalten heißt Vorschriften
ausführen. Eben darum ist es zweckmäßig, wenn man vom Regieren
redet, wo es sich um das Gemeinschaftliche in allen einzelnen Theilen
der Verwaltung handelt. Bei dem Organismus im Allgemeinen legen
wir daher den Begriff der Regierung, bei dem Organismus im Ein-
zelnen den Begriff der Verwaltung zum Grunde.

Indem auf diese Weise die Staatsgewalt in der Regierung den
einzelnen Lebensaufgaben der Gemeinschaft gegenüber tritt, die als selb-
ständige aus dem Leben der Gemeinschaft hervorgehen, bedarf sie eines

24. Juli 1854. In Preußen iſt derſelbe auf Grundlage des früheren Rechts
namentlich durch die Verordnung vom 6. Januar 1848 in ſeiner berathenden
Stellung ſchärfer begränzt, und nach franzöſiſchem Muſter der Competenz-
Gerichtshof
aus ihm durch Geſetz vom 8. April 1857 gebildet worden.
Rönne I. §. 56. — In Oeſterreich ſchließt ſich der Staatsrath als das,
was er ſein ſoll, als berathendes Organ des Kaiſers an die ganze Reichs-
verfaſſung. Statut vom 26. Februar 1861.

Ueber den Staatsrath in andern Ländern hat Malchus (Politik der in-
nern Verwaltung I. §. 18 ff.) eine ſehr gute Darſtellung gegeben, die das Weſen
des Staatsraths zwar im Allgemeinen richtig erfaßt, jedoch mehr den Charakter
einer controlirenden Stelle über den Miniſterien, eine Art Kabinet darin ſieht.
Neuere Beſtimmungen in Brachelli, Verwaltungsbehörden in Europa (Jahrbuch
für Geſetzkunde und Statiſtik S. 170 ff.). Unbedeutend iſt Bülau (Behörden
S. 153). So gut wie gar nichts enthalten Zöpfl und Zachariä.

Zweites Gebiet.
Der Organismus der Regierung oder das Amtsweſen.
I. Das Amt an ſich.
1) Der organiſche Begriff des Amts.

Es iſt eine gewöhnliche Vorſtellung, das Amtsweſen und ſeinen
Organismus als identiſch mit dem Organismus des thätigen Staats,
oder wie man zu ſagen pflegt, mit der Staatsgewalt ſelbſt aufzufaſſen.
Indem wir ihn aber von den andern drei Grundformen des ſtaatlichen
Organismus, der perſönlichen Staatsgewalt, der Selbſtverwaltung und
dem Vereinsweſen ganz beſtimmt unterſcheiden, müſſen wir das Weſen
deſſelben im Voraus genauer bezeichnen.

Die Regierung iſt die Staatsgewalt, inſofern dieſelbe die praktiſchen
Aufgaben der vollziehenden Gewalt zur Verwirklichung bringt. Der
Ausdruck „Verwaltung“ bezeichnet uns ganz daſſelbe, nur mit der Neben-
bedeutung, daß hier die Regierung in ihrer einzelnen praktiſchen Thätig-
keit gedacht wird. Regieren heißt Grundſätze, Verwalten heißt Vorſchriften
ausführen. Eben darum iſt es zweckmäßig, wenn man vom Regieren
redet, wo es ſich um das Gemeinſchaftliche in allen einzelnen Theilen
der Verwaltung handelt. Bei dem Organismus im Allgemeinen legen
wir daher den Begriff der Regierung, bei dem Organismus im Ein-
zelnen den Begriff der Verwaltung zum Grunde.

Indem auf dieſe Weiſe die Staatsgewalt in der Regierung den
einzelnen Lebensaufgaben der Gemeinſchaft gegenüber tritt, die als ſelb-
ſtändige aus dem Leben der Gemeinſchaft hervorgehen, bedarf ſie eines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0305" n="281"/>
24. Juli 1854. In <hi rendition="#g">Preußen</hi> i&#x017F;t der&#x017F;elbe auf Grundlage des früheren Rechts<lb/>
namentlich durch die Verordnung vom 6. Januar 1848 in &#x017F;einer berathenden<lb/>
Stellung &#x017F;chärfer begränzt, und nach franzö&#x017F;i&#x017F;chem Mu&#x017F;ter der <hi rendition="#g">Competenz-<lb/>
Gerichtshof</hi> aus ihm durch Ge&#x017F;etz vom 8. April 1857 gebildet worden.<lb/><hi rendition="#g">Rönne</hi> <hi rendition="#aq">I.</hi> §. 56. &#x2014; In <hi rendition="#g">Oe&#x017F;terreich</hi> &#x017F;chließt &#x017F;ich der Staatsrath als das,<lb/>
was er &#x017F;ein &#x017F;oll, als <hi rendition="#g">berathendes</hi> Organ des Kai&#x017F;ers an die ganze Reichs-<lb/>
verfa&#x017F;&#x017F;ung. Statut vom 26. Februar 1861.</p><lb/>
            <p>Ueber den Staatsrath in andern Ländern hat <hi rendition="#g">Malchus</hi> (Politik der in-<lb/>
nern Verwaltung <hi rendition="#aq">I.</hi> §. 18 ff.) eine &#x017F;ehr gute Dar&#x017F;tellung gegeben, die das We&#x017F;en<lb/>
des Staatsraths zwar im Allgemeinen richtig erfaßt, jedoch mehr den Charakter<lb/>
einer controlirenden Stelle über den Mini&#x017F;terien, eine Art Kabinet darin &#x017F;ieht.<lb/>
Neuere Be&#x017F;timmungen in <hi rendition="#g">Brachelli</hi>, Verwaltungsbehörden in Europa (Jahrbuch<lb/>
für Ge&#x017F;etzkunde und Stati&#x017F;tik S. 170 ff.). Unbedeutend i&#x017F;t <hi rendition="#g">Bülau</hi> (Behörden<lb/>
S. 153). So gut wie gar nichts enthalten <hi rendition="#g">Zöpfl</hi> und <hi rendition="#g">Zachariä</hi>.</p>
          </div>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#b">Zweites Gebiet.</hi><lb/><hi rendition="#g">Der Organismus der Regierung oder das Amtswe&#x017F;en</hi>.</head><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Das Amt an &#x017F;ich.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head>1) <hi rendition="#g">Der organi&#x017F;che Begriff des Amts</hi>.</head><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t eine gewöhnliche Vor&#x017F;tellung, das Amtswe&#x017F;en und &#x017F;einen<lb/>
Organismus als identi&#x017F;ch mit dem Organismus des thätigen Staats,<lb/>
oder wie man zu &#x017F;agen pflegt, mit der Staatsgewalt &#x017F;elb&#x017F;t aufzufa&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Indem wir ihn aber von den andern drei Grundformen des &#x017F;taatlichen<lb/>
Organismus, der per&#x017F;önlichen Staatsgewalt, der Selb&#x017F;tverwaltung und<lb/>
dem Vereinswe&#x017F;en ganz be&#x017F;timmt unter&#x017F;cheiden, mü&#x017F;&#x017F;en wir das We&#x017F;en<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben im Voraus genauer bezeichnen.</p><lb/>
              <p>Die Regierung i&#x017F;t die Staatsgewalt, in&#x017F;ofern die&#x017F;elbe die prakti&#x017F;chen<lb/>
Aufgaben der vollziehenden Gewalt zur Verwirklichung bringt. Der<lb/>
Ausdruck &#x201E;Verwaltung&#x201C; bezeichnet uns ganz da&#x017F;&#x017F;elbe, nur mit der Neben-<lb/>
bedeutung, daß hier die Regierung in ihrer einzelnen prakti&#x017F;chen Thätig-<lb/>
keit gedacht wird. Regieren heißt Grund&#x017F;ätze, Verwalten heißt Vor&#x017F;chriften<lb/>
ausführen. Eben darum i&#x017F;t es zweckmäßig, wenn man vom Regieren<lb/>
redet, wo es &#x017F;ich um das Gemein&#x017F;chaftliche in allen einzelnen Theilen<lb/>
der Verwaltung handelt. Bei dem Organismus im Allgemeinen legen<lb/>
wir daher den Begriff der Regierung, bei dem Organismus im Ein-<lb/>
zelnen den Begriff der Verwaltung zum Grunde.</p><lb/>
              <p>Indem auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e die Staatsgewalt in der Regierung den<lb/>
einzelnen Lebensaufgaben der Gemein&#x017F;chaft gegenüber tritt, die als &#x017F;elb-<lb/>
&#x017F;tändige aus dem Leben der Gemein&#x017F;chaft hervorgehen, bedarf &#x017F;ie eines<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0305] 24. Juli 1854. In Preußen iſt derſelbe auf Grundlage des früheren Rechts namentlich durch die Verordnung vom 6. Januar 1848 in ſeiner berathenden Stellung ſchärfer begränzt, und nach franzöſiſchem Muſter der Competenz- Gerichtshof aus ihm durch Geſetz vom 8. April 1857 gebildet worden. Rönne I. §. 56. — In Oeſterreich ſchließt ſich der Staatsrath als das, was er ſein ſoll, als berathendes Organ des Kaiſers an die ganze Reichs- verfaſſung. Statut vom 26. Februar 1861. Ueber den Staatsrath in andern Ländern hat Malchus (Politik der in- nern Verwaltung I. §. 18 ff.) eine ſehr gute Darſtellung gegeben, die das Weſen des Staatsraths zwar im Allgemeinen richtig erfaßt, jedoch mehr den Charakter einer controlirenden Stelle über den Miniſterien, eine Art Kabinet darin ſieht. Neuere Beſtimmungen in Brachelli, Verwaltungsbehörden in Europa (Jahrbuch für Geſetzkunde und Statiſtik S. 170 ff.). Unbedeutend iſt Bülau (Behörden S. 153). So gut wie gar nichts enthalten Zöpfl und Zachariä. Zweites Gebiet. Der Organismus der Regierung oder das Amtsweſen. I. Das Amt an ſich. 1) Der organiſche Begriff des Amts. Es iſt eine gewöhnliche Vorſtellung, das Amtsweſen und ſeinen Organismus als identiſch mit dem Organismus des thätigen Staats, oder wie man zu ſagen pflegt, mit der Staatsgewalt ſelbſt aufzufaſſen. Indem wir ihn aber von den andern drei Grundformen des ſtaatlichen Organismus, der perſönlichen Staatsgewalt, der Selbſtverwaltung und dem Vereinsweſen ganz beſtimmt unterſcheiden, müſſen wir das Weſen deſſelben im Voraus genauer bezeichnen. Die Regierung iſt die Staatsgewalt, inſofern dieſelbe die praktiſchen Aufgaben der vollziehenden Gewalt zur Verwirklichung bringt. Der Ausdruck „Verwaltung“ bezeichnet uns ganz daſſelbe, nur mit der Neben- bedeutung, daß hier die Regierung in ihrer einzelnen praktiſchen Thätig- keit gedacht wird. Regieren heißt Grundſätze, Verwalten heißt Vorſchriften ausführen. Eben darum iſt es zweckmäßig, wenn man vom Regieren redet, wo es ſich um das Gemeinſchaftliche in allen einzelnen Theilen der Verwaltung handelt. Bei dem Organismus im Allgemeinen legen wir daher den Begriff der Regierung, bei dem Organismus im Ein- zelnen den Begriff der Verwaltung zum Grunde. Indem auf dieſe Weiſe die Staatsgewalt in der Regierung den einzelnen Lebensaufgaben der Gemeinſchaft gegenüber tritt, die als ſelb- ſtändige aus dem Leben der Gemeinſchaft hervorgehen, bedarf ſie eines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/305
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/305>, abgerufen am 19.04.2024.