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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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treffend sagt, "die Verfassung des preußischen Staates gegenwärtig,
was die allgemeine Vertretung der ganzen Nation anbelangt, auf
dem Repräsentativsystem, was dagegen die Vertretung der den ganzen
Staat bildenden Provinzen und Kreise anbelangt, auf rein stän-
discher Grundlage."

Der wesentliche Unterschied dieser gegenwärtigen Zustände Preußens
von Oesterreich besteht nun darin, daß diese Provinzen und Kreise meist
keine großen historisch selbständigen Körper, sondern wesentlich admini-
strative Gebiete sind. Die Folge davon ist, daß das ständische Element
einen unmittelbaren Einfluß in die Verwaltung hat, der ihm in unserer
Zeit nicht zukommt. Die innere Berechtigung zu dieser preußischen Form
der Landschaft ist nicht die große, unbezweifelte historische Thatsache der
Selbständigkeit dieser Körper, sondern das abstrakte ständische Princip.
Und darum läßt sich mit Bestimmtheit vorher sagen, daß diese Form
der Landschaft verschwinden, und einer örtlichen Vertretung Platz ma-
chen wird.

Nur Oesterreich hat daher noch wahre Landschaften. Seine Kron-
länder sind wirkliche Länder, und die Besonderheit der Landesverfassungen,
die eine gewiß glückliche Mischung von ständischen und staatsbürgerlichen
Elementen enthalten, neben einem auf rein staatsbürgerlicher Basis
errichteten Abgeordnetenhause, entsprach daher den gegebenen Verhält-
nissen. Es ist Sache der Verfassungslehre, dieß genauer darzustellen.
Aber es ist in unsern Augen von der allerhöchsten Bedeutung, daß dieß
Princip auf diese Weise von Oesterreich gewahrt ist. Denn wenn je
eine deutsche Einheit werden soll, so kann sie nur auf einer ähnlichen
Grundlage entstehen, auf welcher wie in der Schweiz und Nordamerika,
jeder Staat seine Verfassung als Landesverfassung innerhalb einer
gesammten Vertretung der ganzen Nation aufrecht hält.

Man erkennt aus dem Obigen, daß während England und Frank-
reich mit ihrer "Landschaft" jedes in seiner Weise abgeschlossen haben,
Deutschland erst dann damit fertig sein wird, wenn es neben seiner
nicht abgeschlossenen socialen Frage über die kaum noch begonnene staat-
liche zu einem Resultate gedeihen wird.

B. Das Gemeindewesen.
1) Der Begriff der örtlichen Selbstverwaltung. Ihr System.
Die Ortsgemeinde. Die Verwaltungsgemeinde. Der Kreis
.

Die zweite große Grundform der Selbstverwaltung ist diejenige,
welche wir im Allgemeinen als das Gemeindewesen bezeichnen.

So einfach und bestimmt dieser Begriff auch manchen erscheinen

treffend ſagt, „die Verfaſſung des preußiſchen Staates gegenwärtig,
was die allgemeine Vertretung der ganzen Nation anbelangt, auf
dem Repräſentativſyſtem, was dagegen die Vertretung der den ganzen
Staat bildenden Provinzen und Kreiſe anbelangt, auf rein ſtän-
diſcher Grundlage.“

Der weſentliche Unterſchied dieſer gegenwärtigen Zuſtände Preußens
von Oeſterreich beſteht nun darin, daß dieſe Provinzen und Kreiſe meiſt
keine großen hiſtoriſch ſelbſtändigen Körper, ſondern weſentlich admini-
ſtrative Gebiete ſind. Die Folge davon iſt, daß das ſtändiſche Element
einen unmittelbaren Einfluß in die Verwaltung hat, der ihm in unſerer
Zeit nicht zukommt. Die innere Berechtigung zu dieſer preußiſchen Form
der Landſchaft iſt nicht die große, unbezweifelte hiſtoriſche Thatſache der
Selbſtändigkeit dieſer Körper, ſondern das abſtrakte ſtändiſche Princip.
Und darum läßt ſich mit Beſtimmtheit vorher ſagen, daß dieſe Form
der Landſchaft verſchwinden, und einer örtlichen Vertretung Platz ma-
chen wird.

Nur Oeſterreich hat daher noch wahre Landſchaften. Seine Kron-
länder ſind wirkliche Länder, und die Beſonderheit der Landesverfaſſungen,
die eine gewiß glückliche Miſchung von ſtändiſchen und ſtaatsbürgerlichen
Elementen enthalten, neben einem auf rein ſtaatsbürgerlicher Baſis
errichteten Abgeordnetenhauſe, entſprach daher den gegebenen Verhält-
niſſen. Es iſt Sache der Verfaſſungslehre, dieß genauer darzuſtellen.
Aber es iſt in unſern Augen von der allerhöchſten Bedeutung, daß dieß
Princip auf dieſe Weiſe von Oeſterreich gewahrt iſt. Denn wenn je
eine deutſche Einheit werden ſoll, ſo kann ſie nur auf einer ähnlichen
Grundlage entſtehen, auf welcher wie in der Schweiz und Nordamerika,
jeder Staat ſeine Verfaſſung als Landesverfaſſung innerhalb einer
geſammten Vertretung der ganzen Nation aufrecht hält.

Man erkennt aus dem Obigen, daß während England und Frank-
reich mit ihrer „Landſchaft“ jedes in ſeiner Weiſe abgeſchloſſen haben,
Deutſchland erſt dann damit fertig ſein wird, wenn es neben ſeiner
nicht abgeſchloſſenen ſocialen Frage über die kaum noch begonnene ſtaat-
liche zu einem Reſultate gedeihen wird.

B. Das Gemeindeweſen.
1) Der Begriff der örtlichen Selbſtverwaltung. Ihr Syſtem.
Die Ortsgemeinde. Die Verwaltungsgemeinde. Der Kreis
.

Die zweite große Grundform der Selbſtverwaltung iſt diejenige,
welche wir im Allgemeinen als das Gemeindeweſen bezeichnen.

So einfach und beſtimmt dieſer Begriff auch manchen erſcheinen

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[431/0455] treffend ſagt, „die Verfaſſung des preußiſchen Staates gegenwärtig, was die allgemeine Vertretung der ganzen Nation anbelangt, auf dem Repräſentativſyſtem, was dagegen die Vertretung der den ganzen Staat bildenden Provinzen und Kreiſe anbelangt, auf rein ſtän- diſcher Grundlage.“ Der weſentliche Unterſchied dieſer gegenwärtigen Zuſtände Preußens von Oeſterreich beſteht nun darin, daß dieſe Provinzen und Kreiſe meiſt keine großen hiſtoriſch ſelbſtändigen Körper, ſondern weſentlich admini- ſtrative Gebiete ſind. Die Folge davon iſt, daß das ſtändiſche Element einen unmittelbaren Einfluß in die Verwaltung hat, der ihm in unſerer Zeit nicht zukommt. Die innere Berechtigung zu dieſer preußiſchen Form der Landſchaft iſt nicht die große, unbezweifelte hiſtoriſche Thatſache der Selbſtändigkeit dieſer Körper, ſondern das abſtrakte ſtändiſche Princip. Und darum läßt ſich mit Beſtimmtheit vorher ſagen, daß dieſe Form der Landſchaft verſchwinden, und einer örtlichen Vertretung Platz ma- chen wird. Nur Oeſterreich hat daher noch wahre Landſchaften. Seine Kron- länder ſind wirkliche Länder, und die Beſonderheit der Landesverfaſſungen, die eine gewiß glückliche Miſchung von ſtändiſchen und ſtaatsbürgerlichen Elementen enthalten, neben einem auf rein ſtaatsbürgerlicher Baſis errichteten Abgeordnetenhauſe, entſprach daher den gegebenen Verhält- niſſen. Es iſt Sache der Verfaſſungslehre, dieß genauer darzuſtellen. Aber es iſt in unſern Augen von der allerhöchſten Bedeutung, daß dieß Princip auf dieſe Weiſe von Oeſterreich gewahrt iſt. Denn wenn je eine deutſche Einheit werden ſoll, ſo kann ſie nur auf einer ähnlichen Grundlage entſtehen, auf welcher wie in der Schweiz und Nordamerika, jeder Staat ſeine Verfaſſung als Landesverfaſſung innerhalb einer geſammten Vertretung der ganzen Nation aufrecht hält. Man erkennt aus dem Obigen, daß während England und Frank- reich mit ihrer „Landſchaft“ jedes in ſeiner Weiſe abgeſchloſſen haben, Deutſchland erſt dann damit fertig ſein wird, wenn es neben ſeiner nicht abgeſchloſſenen ſocialen Frage über die kaum noch begonnene ſtaat- liche zu einem Reſultate gedeihen wird. B. Das Gemeindeweſen. 1) Der Begriff der örtlichen Selbſtverwaltung. Ihr Syſtem. Die Ortsgemeinde. Die Verwaltungsgemeinde. Der Kreis. Die zweite große Grundform der Selbſtverwaltung iſt diejenige, welche wir im Allgemeinen als das Gemeindeweſen bezeichnen. So einfach und beſtimmt dieſer Begriff auch manchen erſcheinen

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/455>, abgerufen am 29.03.2024.